Der Fall Kachelmann hat in der jüngsten Vergangenheit die Öffentlichkeit und die Justiz beschäftigt. Auch wir berichteten über den Fall. Laut den aktuellen Nachrichten scheint Kachelmann nun seine ehemalige Geliebte auf Schadensersatz verklagen zu wollen (Kosten der Rechtsverteidigung und Gutachterkosten). Die mündliche Verhandlung findet am Mittwoch vor dem LG Frankfurt statt. In der Berichterstattung ist die Rede von einer Schadenssumme von 13.352,69 €. Grund genug für uns, uns mit den Voraussetzungen eines derartigen Anspruchs auseinanderzusetzen.
Anspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB
Soweit es um Vermögensschäden geht (Kosten für Rechtsverteidigung oder Gutachtertätigkeit) sind diese nicht über § 823 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Das bloße Vermögen ist nicht Schutzgut im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB. An dieser Stelle sollte (auch wenn das vorliegend wohl nicht beantragt ist) an eine Entschädigung wegen Verletzung des APR gedacht werden. Die Rechtsprechung hierzu ist ellenlang (vgl. dazu bspw. den Fall Gäfgen aus der jüngsten Vergangenheit).
Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 153 StGB
Im Hinblick auf § 823 Abs. 2 BGB ist der Ersatz von Vermögensschäden grundsätzlich denkbar, beispielsweise in Verbindung mit Straftatbeständen wie dem Betrug oder der Untreue. Vorliegend käme allenfalls § 153 StGB als „Schutzgesetz“ in Frage. Als solches darf es in erster Linie nicht nur die Allgemeinheit, sondern gezielt auch den Einzelnen schützen. Erfasst sind sachlich (im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm) die Interessen, denen das jeweilige Schutzgesetz dient. Fraglich ist also, ob die Aussagedelikte des StGB das Vermögen des Angeklagten im Strafprozess schützen. Geschützes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege bzw. das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfeststellung (Fischer, Vor § 153, Rn. 2). Der Schutz des Vermögens des Angeklagten darf hier bestenfalls als „reflexhaft“ angesehen werden. Ansonsten würde auch die Grundentscheidung des § 823 BGB unterlaufen werden. das Vermögen gerade nicht zu schützen. Die Rechtslage ist wohl umstritten, man kann sicher beide Ansichten vertreten.
Anspruch gem. § 826 BGB
Vermögensschäden sind aber im Rahmen von § 826 BGB ersatzfähig. Tatbestandlich erforderlich ist hier eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung. Eine relevante Handlung wird hier seitens des Klägers mit Sicherheit in der falschen Beschuldigung, aber vor allem der falschen Aussage vor Gericht, zu sehen sein.
Fraglich ist hier vor allem, ob Kachelmann die Anspruchsvoraussetzungen beweisen kann. Denn im Zivilprozess gilt im Gegensatz zum Strafprozess der Beibringungsgrundsatz. Dabei ist im vorliegenden Fall vor allem problematisch, dass es im vorhergehenden Strafprozess bereits eine umfassende Beweisaufnahme im Hinblick auf die Schuld Kachelmanns gegeben hat. Im vorliegenden Zivilprozess würde sich die gleiche Frage stellen, da es darum geht, ob die geschilderten Geschehnisse der besagten Zeugen als wahr anzusehen sind. Im Strafprozess müsste dem Angeklagten die Schuld ohne Zweifel nachzuweisen sein, was nicht geschehen ist. Im jetzigen Zivilprozess müsste der Angeklagte (quasi) seine Unschuld positiv beweisen.
Es stellt sich damit die Frage nach der Bindungswirkung von Strafurteilen für den Zivilprozess. Dabei ist festzuhalten, dass es gerade keine Bindungswirkung im Sinne eines Präjudizes gibt.
Möglich ist es aber, die im Strafurteile getroffenen Feststellungen im Rahmen des Zivilurteils als Beweismittel zu behandeln, vgl. KG Berlin, Urteil vom 25.01.2006, Az. 11 U 6883/97, Rn. 29:
Gleichwohl können die in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Zivilprozess als Beweismittel verwertet werden.
Zwar hat auch der Zivilrichter seine eigene Beweiswürdigung anzustellen, gleichwohl wird er sich mit den Feststellungen im Strafurteil auseinandersetzen müssen, vgl. KG Berlin, Urteil vom 25.01.2006, Az. 11 U 6883/97, Rn. 29:
Angesichts der Identität des den Gegenstand dieses Rechtsstreits und den des Strafverfahrens bildenden Sachverhalts darf daher einerseits das rechtskräftige Strafurteil und dürfen andererseits die urkundlich zu verwertenden Aussagen der Beklagten nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar hat sich der Zivilrichter seine Überzeugung grundsätzlich selbst zu bilden und ist daher an die Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils nicht gebunden. Das enthebt ihn jedoch nicht der Pflicht, sich jedenfalls mit den im Strafurteil getroffenen Feststellungen gründlich auseinander zu setzen, soweit diese für die eigene Beweiswürdigung relevant sind.
Dabei wird in der Regel den strafgerichtlichen Feststellungen zu folgen sein, vgl. dazu auch OLG Köln, Urteil vom 11.01.1991, Az. 19 U 105/90, Rn. 7:
Dies hindert jedoch nicht, daß das Zivilgericht – wenn eine Beweisaufnahme vor dem Senat ausscheidet, weil die von der Beklagten benannte Zeugin S die Aussage verweigern wird – in freier Überzeugung entscheidet, ob es die vom Strafrichter festgestellten Tatsachen für wahr erachtet. Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, daß im Strafurteil Beweisergebnisse lediglich wiedergegeben werden, so daß diese nicht wie vom erkennenden Gericht erhobene Beweise behandelt werden können, sondern als Darlegung des Strafrichters zu würdigen sind. In der Regel wird dabei den strafgerichtlichen Feststellungen zu folgen sein, sofern nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit von den Parteien beigebracht werden.
Die Grundsätze sind damit erläutert: Der Zivilrichter trifft seine eigene Beweiswürdigung, wird sich aber (schon aus arbeitsökonomischen Gründen) an die Beweiswürdigung des Strafgerichts halten. In diesem Zusammenhang können auch neue Beweismittel zugelassen werden, gerade aber die doch sehr langwierige Beweisaufnahme im Strafprozess lässt dies, jedenfalls von hier aus betrachtet, nicht vermuten.
Die Sittenwidrigkeit wird sich im vorliegenden Fall grundsätzlich bejahen lassen. Einen Unschuldigen (unterstellt) durch eine falsche Aussage (unterstellt) in die Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung zu bringen, dürfte dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widersprechen.
Die Voraussetzungen für den Vorsatz sind ebenso vom Kläger zu beweisen.
Ein kausaler Schaden dürfte in den angemessenen Anwaltskosten und den Gutachterkosten, die der Rechtsverteidigung dienen, zu sehen sein.
Fazit
Der Fall bietet mal wieder Gelegenheit, sich mit den Grundsätzen der deliktischen Haftung nach §§ 823 ff BGB zu befassen. Vor allem die Frage nach der Bindungswirkung strafrechtlicher Urteile ist interessant und lässt sich problemlos in eine Klausur im 2. Examen einbauen und taugt ebenso für eine Frage in der mündlichen Prüfung. Nicht zuletzt wegen der Bekanntheit der Sache „Kachelmann“ also examensrelevant!