Das Unglück hat die Menschen erschüttert: Am Dienstag gegen 11 Uhr stürzte ein Airbus A 320 von germanwings in Südfrankreich ab und riss 150 Menschen mit in den Tod. Seither bewegte nicht nur Deutschland die Frage nach dem „Warum?“.
Gestern nun eine Antwort die für Entsetzen sorgte: Der Co-Pilot der Maschine brachte – so zumindest der aktuelle Erkenntnisstand der StA in Frankreich – bewusst die Maschine zum Absturz, nachdem er den Piloten aus der Maschine ausgesperrt hatte. Soweit die Fakten die bewegen. Nun stellt sich umso mehr die Frage nach dem „Warum?“. Eine Frage, deren Beantwortung die Menschen zurecht verlangen.
Eine Antwort konnte hierauf – naturgemäß – aber noch nicht gegeben werden, die Ermittlungen stehen – keine 72 Stunden nach dem Absturz der Maschine – noch völlig am Anfang. Eine Zeit, die viele Menschen nicht abwarten wollen und oftmals auch nicht können, zu schrecklich ist das Geschehen. Viele Medien kommen diesem Drang nach Informationen nach, indem umgehend Fotos des Co-Piloten, dessen vollständiger Name, Fotos von dessen privaten Wohnungen, vom Haus der Eltern, private Informationen etc. veröffentlicht werden. An dieser Stelle soll keine pauschale Medienschelte erfolgen, ist doch das Bedürfnis der Bevölkerung nach Informationen um das Unvorstellbare vorstellbar zu machen durchaus nachvollziehbar und nicht mit bloßem Voyeurismus gleichzusetzen. Die Medien vollziehen dieses Bedürfnis nur nach und erfüllen damit letztendlich nur Ihre Pflicht. Weder den Medien noch den Lesern ist ein Vorwurf zu machen.
Die Frage stellt sich aber – und damit komme ich zu der eigentlichen Aufgabe unserer Seite – was das Recht, welches sich eben gerade nicht von Emotionen und menschlichen Gefühlen leiten lässt, hierzu äußert.
I. Geschütze Interessen des Piloten und der Verwandten
Dabei ist klar, es stehen sich Interessen gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Auf der einen Seite das Informationsinteresse der Bevölkerung, das letztlich die Presseorgane im Rahmen ihrer Pressefreiheit befriedigen, auf der anderen Seite das Persönlichkeitsrecht des getöteten Co-Piloten und von dessem Umfeld. Beide Positionen sind solche von Grundrechtsrang. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ist generell auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit gerichtet. Allerdings – und dies ist ein erster entscheidender Punkt – steht dies nach herrschender Meinung nur Lebenden zu, für Verstorbene wird es abgelehnt ( BVerfGE 30, 173, 194; BVerfG NJW 2008, 549, 550). Allerdings können sich jedenfalls die Verwandten auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen.
In der bekannten Mephisto-Entscheidung zu einem Roman angelehnt an den Schriftsteller Klaus Mann (BGHZ 50, 133, 136 ff) modifiziert der Bundesgerichtshof allerdings diese Grundsätze für das postmortale Persönlichkeitsrecht und stellt fest:
Dies [die Fortgeltung des Rechts über den Tod hinaus] gelte in gleicher Weise auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht; denn die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit überdauerten die Rechtsfähigkeit ihres Subjekts, die mit dem Tode erlösche (BGHZ 15, , 249 259 = NJW 55, [L 260] = LM Nr. 8 zu § 1 LitUrhG – Cosima Wagner).
Das Persönlichkeitsrecht erfährt zwar – wie schon ein Vergleich des Ehrenschutzes nach §§ 185 bis 187 StGB mit der engeren Bestimmung des § 189 StGB zeigt – mit dem Tode der Person eine einschneidende Einschränkung, da alle diejenigen Ausstrahlungen enden, welche die Existenz einer aktiv handelnden Person bedingen. Ferner kann bei der Abwägung widerstreitender Belange im Rahmen der Abgrenzung des Persönlichkeitsrechtes nicht mehr der Schutz der persönlichen Empfindung des Angegriffenen als solcher ins Gewicht fallen.
Einer (eingeschränkten) Überdauerung des Persönlichkeitsrechts steht auch nicht entgegen, dass dieses vom ehemals Berechtigten nun nicht mehr wahrgenommen werden kann, so das Urteil weiter:
Es ist nicht entscheidend, daß das Persönlichkeitsrecht – abgesehen von seinen vermögenswerten Bestandteilen – als höchstpersönliches Recht unübertragbar und unvererblich ist. Die Rechtsordnung kann Gebote und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjektes vorsehen und namentlich Unterlassungsansprüche der in Rede stehenden Art durch jemanden wahrnehmen lassen, der nicht selbst Subjekt eines entsprechenden Rechtes ist, wenn der ursprüngliche Träger dieses Rechtes durch den Tod die Rechtsfähigkeit verloren hat.
Jedenfalls bei einer groben Entstellung greift damit der fortdauernde Schutz des Persönlichkeitsrechts. Mit dem Tod erlischt dieses nicht völlig, sondern dauert postmortal fort. Letztlich ist diese Sichtweise auch mit dem Bundesverfassungsgericht vereinbar, welches den Schutz zumindest über Art. 1 Abs. 1 GG fortdauern lässt (BVerfGE 30, 173, 194).
Diese Sichtweise teilt auch der Bundesgerichtshof in dem Nolde-Urteil aus dem Jahr 1989 (BGHZ 107, 384) und postuliert dabei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung:
Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, daß der rechtliche Schutz der Persönlichkeit gemäß Art. 1 Abs. 1 GG zwar nicht mit dem Tode endet. Vielmehr besteht der allgemeine Wert- und Achtungsanspruch fort, so daß das fortwirkende Lebensbild eines Verstorbenen weiterhin gegen schwerwiegende Entstellungen geschützt wird (vgl. BGHZ 50, 133, 136ff – Mephisto; BGH, Urt. v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73, GRUR 1974, 797, 798 – Fiete Schulze; BGH, Urt. v. 17.5.1984 – I ZR 73/82, GRUR 1984, 907, 908 – Frischzellenkosmetik; auch BVerfGE 30, 173, 194f – Mephisto).
Die Dauer des postmortalen Persönlichkeitsschutzes läßt sich nicht generell festlegen. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei wird es neben der Intensität der Beeinträchtigung vor allem auf die Bekanntheit und Bedeutung des durch das künstlerische Schaffen geprägten Persönlichkeitsbildes ankommen. Das Schutzbedürfnis schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt (vgl. BGHZ 50, 133, 140f – Mephisto; BVerfGE 30, 173, 196 – Mephisto).
Im konkreten Fall werden zwar „nur“ Fotos, persönliche Informationen etc. genannt, deren Inhalt – dies sei hier vorausgesetzt – auch der Wahrheit entspricht. Dennoch kann m.E. im konkreten Fall und im konkreten Handlungsstadium hierin ein Eingriff in das allgemeine postmortale Persönlichkeitsrecht des Co-Piloten und in das Persönlichkeitsrecht der Verwandten liegen. Das postmortale Persönlichkeitsrecht muss jedenfalls soweit gehen, dass auch eine postmortale Zurschaustellung des Verstorbenen – unter Nennung von Namen, Fotos, Adresse etc. – einen Eingriff darstellt. Dies resultiert schon aus dem unmittelbaren Zusammenhang zu dem Tod und aus sämtlichen Umständen.
Daneben besteht natürlich auch ein Schutzinteresse der Verwandten. Durch die Nennung der gezeigten Informationen bzgl. des Co-Piloten wird auch ihr Persönlichkeitsrecht verletzt, da auch für sie ein normales Weiterleben offenkundig nicht mehr möglich ist.
II. Legitimes Informationsinteresse und Pressefreiheit
Dagegen streitet aber das legitime Informationsinteresse der Bevölkerung, welches letztlich durch die Pressefreiheit nach Art. 5 GG erfüllt wird.
III. Abwägung
Entscheidend muss im Ergebnis eine Abwägung sein welches Interesse überwiegt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass es sich im aktuellen Ermittlungsstadium allein um einen – wenn auch gravierenden und verhältnismäßig konkreten – Verdacht handelt.
1. Erwiesene Verantwortlichkeit
Jedenfalls anders wäre die Situation zumindest dann, wenn tatsächlich der Beweis (im Sinne einer über allen Zweifeln erhabenen Wahrscheinlichkeit) des aktuell diskutierten Geschehens vorliegen würde. Hier wäre ein überwiegendes Informationsinteresse zu bejahen, sodass es auch zulässig wäre, dieses Interesse mit sachlichen und der Information dienenden Fakten zu befriedigen. Dann wäre sowohl die Nennung des Namens, als auch von Fotos und persönlichen – im Zusammenhang mit dem Absturz stehenden – Informationen zulässig. Auch das verletzte Persönlichkeitsrecht der Verwandten müsste dahinter zurücktreten. Es würde sich um ein besonderes Ereignis der Zeitgeschichte handeln.
2. Erwiesene Nichtverantwortlichkeit
Demgegenüber würde das Persönlichkeitsrecht jedenfalls dann überwiegen, wenn sich herausstellen würde, dass der Co-Pilot (wider Erwarten) doch nicht für den Absturz verantwortlich war.
3. Probleme bei bestehenden (Rest)Zweifeln
Aktuell scheint es aber äußerst wahrscheinlich, dass der Co-Pilot für den Absturz verantwortlich war, wobei die konkreten Umstände noch unklar sind. Eine absolute Sicherheit besteht – schon aufgrund der gerade erst anlaufenden Ermittlungen – aber noch nicht. Wie ist also in einem solchen Stadium zu verfahren? Hätte der Co-Pilot den Absturz überlebt, so würde für ihn – strafrechtlich – bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung gelten. Diese scheint in der aktuellen Diskussion aufgehoben zu sein. Allerdings – und auch dies muss beachtet werden – könnten natürlich bei einem zweifellos bestehenden Anfangsverdacht Ermittlungen gegen ihn aufgenommen werden, bei einem dringenden Tatverdacht (und weiteren Gründen) wäre die Verhängung von Untersuchungshaft möglich. All dies knüpft an einen Verdacht und nicht an eine erwiesene Verantwortlichkeit an. Demnach ist auch nicht auszuschließen, dass bereits bei einem Verdacht das Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegt. Dabei ist allerdings eine striktere Prüfung als bei der erwiesenen Verantwortlichkeit geboten. Entscheidende Bedeutung hat hier, dass die Eingriffe in das Persönlichkeitsrechts nicht mehr reversibel sind. Die Folgen bei einer sich herausstellenden Unschuld wären damit gravierend. Dies würde jedenfalls bei einem noch lebenden Verdächtigen gelten. Eine (Re)Sozialisierung wäre kaum noch möglich.
Bei einem verstorbenen Verdächtigen mag dieses Argument zwar keine direkte Rolle spielen, dennoch muss auch hier beachtet werden, dass eine Reparatur des Persönlichkeitsbilds bei sich herausstellender Unschuld kaum mehr möglich wäre.
IV. Ergebnis im konkreten Fall
Diese Aspekte wären bei der Abwägung zwingend zu beachten. Hier spricht dennoch viel für eine Veröffentlichung persönlicher Informationen. Die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung wie vermutet ist sehr hoch; ebenso hoch ist das Informationsinteresse der Bevölkerung zur Klärung dieses schrecklichen Vorfalls. Das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen ist dagegen hier weniger stark als wenn er überlebt hätte. Zudem findet auch eine Verzerrung seiner Persönlichkeit nicht statt.
Eine Veröffentlichung persönlicher Informationen wäre damit zulässig. Allerdings muss hier sorgsam ausgewählt werden, welche Informationen zu veröffentlichen sind. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass auch das Persönlichkeitsrecht der Eltern massiv betroffen ist. Fotos von deren Wohnhaus oder aber Informationen über ihren Beruf etc. sollten damit nicht veröffentlicht werden. Gleiches gilt auch für Informationen bzgl. des Co-Piloten, die keinen direkten Bezug zur Tat aufweisen. Die Nennung des vollständigen Namens wäre daher m.E. unzulässig. Hier überwiegt das Schutzinteresse des Verstorbenen und der Angehörigen. Die vollständige Nennung dient hier allein dem Voyeurismus der Adressaten, die damit den vollständig Namen googeln etc., um weitere Informationen zu finden. Hingegen erscheint die Veröffentlichung zumindest eines öffentlichen Fotos zulässig, da damit der mutmaßliche Täter „ein Gesicht bekommt“ und damit das Geschehen fassbarer wird, wobei hierbei aber auch an eine Anonymisierung zu denken ist.
Im Einzelnen verschwimmt der Bereich zwischen zulässig und unzulässig hier aber wie man erkennen kann sehr stark.
V. Zum Schluss
Ein Fall der bewegt – so viel steht fest. Die Menschen haben ein Interesse, das nicht Begreifliche durch nähere Informationen begreifbar zu machen. Und dennoch darf bei allem Verständnis hierfür das Interesse der Verwandten des Co-Piloten und auch dessen eigenes postmortales Interesse nicht vollständig vernachlässigt werden. Der Status des Menschseins kann und darf auch einem „Amok-Piloten“ (so heute der Titel der Bild-Zeitung) nicht abgesprochen werden. Den Pranger auf dem Marktplatz haben wir zurecht seit dem Mittelalter abgeschafft. Eine Rückkehr zu diesem Denken wäre – auch wenn die menschlichen Instinkte bei einem solchen schier unfassbaren Vorfall etwas anderes sagen mögen – fatal.