Das VG Berlin hat am 24.4.2012 einen Fall (24 L 113.12) entschieden, dessen Ergebnis zwar auf jeden Fall eindeutig und richtig ist, dessen dogmatische Herleitung aber zumindest zweifelhaft wirkt.
I. Sachverhalt
Es ging kurz gesagt um die Frage, ob die Tötung zweier Hundewelpen mittels Kabelbinder zulässig oder unzulässig sei. Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar:
„Die Antragstellerin teilte dem Veterinäramt des Antragsgegners mit Schreiben vom 17. Februar 2012 mit, dass sie die Aufführung ihrer Performance „Der Tod als Metamorphose“ am 30. April 2012 im S… plane. Sie verwies auf ihre Internetseite und auf anliegende „screenshots“, aus denen hervorging, dass sie im Rahmen einer auch musikalisch an traditionelle thailändische Kunstformen orientierten Veranstaltung im Anschluss an eine 15-minütige Meditation zunächst einen und sodann einen zweiten Hundewelpen mittels eines Kabelbinders töten wolle. Nach 2 Minuten trete jeweils die Bewusstlosigkeit eines Tieres ein und nach 5 Minuten seien die Tiere tot. Mit einem Gong und Trauermusik schließe die Performance nach weiteren 10 Minuten. Das Kunstwerk solle provozieren und erregen. Denn in Alaska würden ausgediente Schlittenhunde und in Spanien leistungsschwache Jagdhunde auf gleiche Weise zu Tode stranguliert. Das gleiche Schicksal erlitten Millionen von Hunden in China vor ihrer Schlachtung.“
II. Dogmatisch problematische Lösung des Gerichts
Die Problemlage liegt hier auf der Hand – das Töten von Wirbeltieren ist nach §§ 3 und 4 TierSchG unzulässig; jedenfalls müssen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten für ein schmerzfreies Töten vorliegen. Insbesondere ist es nach § 3 Nr. 6 TierSchG verboten, „ein Tier zu einer Filmaufnahme, Schaustellung, Werbung oder ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind“. Dem entgegen steht aber die Kunstfreiheit, die nach § 5 Abs. 3 GG geschützt ist. Nach dem offenen Kunstbegriff (siehe hierzu unseren Beitrag) muss wohl auch die hier durchzuführende Performance als Kunst anzusehen sein.
Es stellt sich damit die Frage, welche Folgen aus der Verortung der Kunstfreiheit im Grundgesetz resultieren, insbesondere weil auch der Tierschutz den Niederschlag in Art. 20a GG gefunden hat. Klausurtechnisch korrekt müsste man hier zunächst prüfen, ob der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet ist, sodann einen Eingriff durch das Verbot bejahen und schließlich auf der Rechtfertigungsebene die Abwägung mit Art. 20a GG nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz vornehmen.
Das VG Berlin scheint hier einen anderen Weg zu gehen: Es legt nur kurz dar, dass die geplante Handlung gegen den Tierschutz und insbesondere gegen das TierSchG verstößt und betrachtet sie damit als unzulässig:
„Die geplante Tötung als solche verstößt gegen die Regelung des § 1 Satz 2 TierSchG, wonach niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Der Verstoß ist gemäß § 17 Nr. 1 TierSchG strafbewehrt. Ein vernünftiger Grund für die geplante Tötung der Welpen ist auch unter Berücksichtigung der in Anspruch genommenen Kunst- und möglicherweise der Religionsfreiheit nicht anzuerkennen.“
Klarer wird diese Sichtweise des Gerichts noch, wenn man ein weiteres Urteil des KG Berlin vom 24.07.2009 ((4) 1 Ss 235/09 (150/09)) betrachtet. Auch dieses hatte einen vergleichbaren Sachverhalt zum Inhalt. Das Gericht legte hierzu dar:
„Der Senat lässt dahinstehen, ob angesichts der Regelung in § 3 Nr. 6 TierSchG, der untersagt, ein Tier zu einer Schaustellung, Werbung oder ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind, überhaupt eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Tierschutz geboten oder ob eine solche – wie teilweise vertreten wird (vgl. Caspar aaO; Ort/Reckewell Rn 160; Pfohl Rn 36; wohl auch Metzger Rn 28 – alle aaO; LG Köln NuR 1991, 42; zur Bedeutung des Verbotskatalogs des § 3 TierSchG für die Frage der Sozialadäquanz s. auch OLG Hamm NStZ 1985, 275) – wegen dieser ausdrücklichen gesetzlichen Grenzziehung entbehrlich ist.“
Lies das Gericht hier noch offen, ob die Tötung von Tieren aufgrund der Regelung in § 3 Nr. 6 TierSchG bereits aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit herausgelöst werden sollte, so scheint das VG Berlin diese Ansicht nun zu teilen. Dies erscheint insbesondere deshalb problematisch, weil die offene Definition des Kunstbegriffs gemeinhin anerkannt ist und das Grundrecht schrankenlos gewährt wird.
III. Normative Begrenzung der Kunstfreiheit?
Eine vergleichbare Wertung ist dem deutschen Recht aber nicht fremd. Auch im – zu Recht – viel gescholtenen Graffiti-Urteil des BVerfG von 19854 – 2 BvR 1/84) wurde festgestellt, dass das Verfassen von Graffitis auf Grund des Verstoßes gegen diverse Strafnormen nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG erfasst ist. Auch dies ist problematisch, wird doch auch hier die Grundrechtsdogmatik entscheidend verändert und bekommt Art. 5 Abs. 3 GG einen stark normativ geprägten Inhalt, der sonst nur von Art. 14 GG bekannt ist. Aus diesen Gründen wurde das Urteil, nicht vom Ergebnis her, wohl aber von der Herleitung, stark kritisiert.
IV. Klausurtipp
Wie sollte nun also in der Klausur verfahren werden, wenn eine mögliche Verletzung der Kunstfreiheit zu prüfen ist. Optimal ist es natürlich, wenn man die hier gezeigten Problemkreise kennt. Dennoch empfiehlt es sich, der bekannten Dogmatik zu folgen und zunächst den (weiten) Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG(und zu bejahen) und danach Eingriff und Rechtfertigung zu prüfen und hierbei die praktische Konkordanz mit weiteren Grundrechten zu beachten. Hier wird man zum selben Ergebnis wie in den gezeigten Urteilen kommen, der Weg dorthin ist aber auf jeden Fall dogmatisch sauberer und wird in der Klausur auch honoriert werden.