Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Tom Stiebert zum neuen Urteil in der causa Gäfgen veröffentlichen zu dürfen. Nachdem wir uns bereits kurz zu diesem Fall und seinen rechtspolitischen Implikationen geäußert haben, folgt nun eine ausführliche Darstellung zu dem gewährten Anspruch und seiner dogmatischen Herleitung.
Rechtliche Grundsätze des Urteils des LG Frankfurt v. 4.8.2011 – 2-04 O 521/05, Magnus Gäfgen
Der Fall Magnus Gäfgen hat wieder ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald hervorgerufen. Vielerorts in der Bevölkerung ist die Entscheidung auf Unverständnis gestoßen. Gerade durch ihre Bekanntheit eignet sie sich sehr gut für ein Prüfungsgespräch in der mündlichen Prüfung, da der Fall sehr gut zur Überprüfung von dogmatischem Grundwissen geeignet ist. Das Problem hierbei sollte nicht sein, ob ein Anspruch auf Zahlung besteht (aus juristischer Sicht ist das wohl unproblematisch gegeben und bedarf keiner ausschweifenden Diskussion), vielmehr ist interessant, auf welcher Anspruchsgrundlage dieser Anspruch fußt.
In den Medien liest man hierbei oft, es sei kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Entschädigungsanspruch gewährt wurden, so dass der Kläger nur teilweise obsiegt hat. Der Beitrag auf beck-online aktuell spricht hingegen davon, ein Schadensersatzanspruch werde nicht gewährt, ein Schmerzensgeldanspruch dagegen schon. Worin bestehen aber hierbei die Unterschiede – und was ist überhaupt ein Entschädigungsanspruch im Zivilrecht?
Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 iVm. 249 ff. BGB
Erforderlich für einen solchen Anspruch wäre eine Rechtsgutsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB, welche auf einer Handlung des Beklagten beruht. Hier könnte an eine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit gedacht werden. Gegeben ist dies dann, wenn ein pathologischer Zustand hervorgerufen wird – ausreichend sind dabei auch psychische Schädigungen beispielsweise Angstpsychosen o.ä.. Der Kläger Magnus Gäfgen brachte hierzu vor, er leide an extremen Angtszuständen etc. Auch ein solcher psychologischer Zustand stellt eine Verletzung des Körpers dar. Zusätzlich muss aber die Handlung (hier die Drohung der Polizeibeamten mit Folter o.ä.) kausal für diesen Zustand gewesen sein. Nach Ansicht der Richter des LG Frankfurt lag dies nicht vor, ist doch eher zu erwarten, dass die Psychosen von der Tötung des Jungen Jakob von Metzler selbst und nicht von der Bedrohung herrühren. Ein Zusammenhang zwischen den Drohungen der Polizisten und den Erkrankungen besteht damit nicht.
Der Anspruch auf Schadensersatz scheitert damit bereits an einer Rechtsgutsverletzung. Die Frage, wie und in welcher Höhe dann ein solcher Schaden zu ersetzen wäre, braucht damit nicht mehr geklärt zu werden. Nur hilfsweise sei hier aber nochmals auf die entsprechende Berechnungsmethode hinzuweisen. Ein Schmerzensgeldanspruch würde sich dabei aus § 253 Abs. 1 und 2 BGB ergeben – die psychischen Beschwerden sind gerade kein materieller Schaden, sondern ein immaterieller und damit auch nur so zu ersetzen. Zusätzlich könnten evtl. Behandlungskosten etc. auch noch als materieller Schaden nach § 249 Abs. 1, abs. 2 S. 1 BGB erstattet werden.
Klar sein muss aber – auch der Ersatz des immateriellen Schadens nach § 253 BGB ist ein Schadensersatz und kein Entschädigungsersatz. Schmerzensgeld stellt sich als eine Form des Schadensersatzes dar und soll gerade den erlittenen Schaden in Form der Schmerzen – also in Form des körperlichen Unbehagens – ersetzen; Zweck ist eine Kompensation. Aus diesem Grund wird dieser Ersatzanspruch nach besonderen festen Regeln berechnet (in der Praxis erfolgt die Berechnung anhand fester Schmerzensgeldtabellen um ein angemessenes Verhältnis zur Art und Dauer der Verletzung) und orientiert sich an der Höhe der Verletzung, das heißt der Stärke der erlittenen Schmerzen. Ziel ist eine Kompensation des erlittenen Schadens – wie sich gerade aus dem Grundsatz des § 249 BGB ergibt.
Entschädigungsanspruch aus § 823BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG
Worauf gründet sich dann aber die im Urteil gewährte Zahlung der 3000 Euro, wenn hierin keine Schmerzensgeldzahlung zu erblicken ist? Klar ist, dass hier weder ein Vermögensschaden – ein solcher ist nicht ersichtlich – erstattet wird, noch ein Schmerzensgeldanspruch wie gezeigt besteht. Vielmehr gründet sich der Anspruch speziell auf die Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) des Klägers. Nicht allein die Folter, sondern auch bereits die entsprechende Androhung von Gewalt führt zu einer entsprechenden Verletzung, denn bereits hierdurch wird der Mensch in seinem Menschsein eingeschränkt und als Objekt angesehen (Objekts-Formel). Das Gericht führt aus: „Durch die Androhung der Schmerzzufügung […], angeordnet von Daschner und gebilligt vom Innenministerium, wurde planvoll, vorsätzlich und in Kenntnis der Rechtswidrigkeit dieses Tuns und der Gefahr der Unverwertbarkeit der Aussage in die Menschenwürde, die das höchste Verfassungsgut darstellt […], eingegriffen“. Die hier bejahte Verletzung der Menschenwürde ist damit parallel zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu behandeln. Auch hier sind Ersatzansprüche anerkannt (vgl. Caroline-Urteil) – die aber nicht mit Schadensersatzansprüchen zu verwechseln sind und damit auch nicht mit Schmerzensgeldzahlungen vergleichbar sind. Ein solcher Anspruch passt sich damit schwer in die Reihe der Anspruchsgrundlagen des BGB ein, wird aber aus § 823 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet. Für die Rechtsfolgen selbst passen dann freilich §§ 249 ff BGB nicht; vielmehr ist dieser Anspruch aus den Grundrechten selbst herleitbar.
Unterschied zu Schadensersatz – Dogmatische Herleitung
Es besteht zudem auch in praktischer Hinsichtr ein zentraler Unterschied zum Schmerzensgeldanspruch aus § 253 BGB – während hier ein konkreter Schaden (wenn auch in immaterieller Hinsicht) ersetzt wird, liegt dies bei einem Entschädigungsersatz nicht vor. Zentrale Unterschiede bestehen im Sinn und Zweck des Ersatzes: Dient der Schadensersatzanspruch der Kompensation eines Schadens und soll damit die entstandenen Verluste ausgleichen und den status quo ohne die schädigende Handlung wiederherstellen, so steht beim Entschädigungsanspruch die Genugtuung des Geschädigten im Vordergrund – die Verletzung der Menschenwürde soll geahndet werden. Ein Schaden – auch in immaterieller Hinsicht – ist hier gerade nicht ersichtlich, muss aber auch nicht bestehen. Damit ist eine Nähe – wenn auch keine Übereinstimmung – zu den angloamerikanischen punitive damages gegeben. Gestützt ist der Entschädigungsanspruch auf drei Grundlagen: der Genugtuungsfunktion, der Prävention und der Kompensation. Eine Bestrafung, wie bei punitive damages soll aber nicht erreicht werden. Dennoch soll verhindert werden, dass der Entschädigungsanspruch zu weitgehend gewährt wird. Ein Anspruch auf Entschädigung soll damit nur dann vorliegen, wenn eine Erheblichkeitsschwelle überschritten ist – nicht jede Verletzung der Menschenwürde führt damit automatisch zur Gewährung eines Entschädigungsanspruchs. Auch bei der Ermittlung der Höhe der Entschädigungsleistungen sind entsprechende Grundsätze und Ziele des Anspruchs zu beachten.
Der BGH führt dazu in seiner Entscheidung vom 4.11.2004 – BGH III ZR 361/03 aus:
Die solchermaßen festgestellte Menschenrechtsverletzung fordert indessen nicht in jedem Fall eine zusätzliche Wiedergutmachung durch Geldentschädigung. Der Senat sieht vielmehr keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen Anspruch auf Geldentschädigung von dem weiteren Erfordernis abhängig zu machen, daß die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Dies hängt – insoweit nicht anders als beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, auch wenn die Erheblichkeitsschwelle bei Verletzungen der Menschenwürde generell niedriger anzusetzen ist – insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlaß und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 128, 1, 12).
Die Zubilligung einer Geldentschädigung beruht auf dem Gedanken, daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktionen blieben mit der Folge, daß der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund (BGHZ 128, 1, 15 m.w.N.; BVerfG NJW 2000, 2187 f).
Ein solcher Entschädigungsanspruch ist auch nicht neu, sondern wurde bereits im Urteil des BGH vom 4. November 2004 für die menschenunwürdige Unterbringung von Strafgefangenen (in zu kleinen Gefängniszellen; unzureichende Sanitäranlagen etc.) bejaht und vom Bundesverfassungsgericht vom 22.02.2011 bestätigt. (https://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg11-020.html) Er lässt sich nicht exakt in die dogmatische Struktur der Schadensersatzansprüchen einfügen, sondern begründet faktisch eine eigenständige Kategorie.
Dies macht auch der BGH in seiner Entscheidung vom 4.11.2004 klar, indem er feststellt:
Der geltend gemachte Schaden des Klägers ist einerseits kein Vermögensschaden, andererseits jedoch auch kein (bloßes) Schmerzensgeld im Sinne des hier noch anwendbaren § 847 BGB a.F (jetzt 253 BGB). Es geht vielmehr um den Ausgleich einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und des aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Für die Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist anerkannt, daß es sich im eigentlichen Sinne nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB a.F. (jetzt: § 253 Abs. 2 BGB n.F.) handelt, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zurückgeht.
Berechung im konkreten Fall
Fraglich ist abschließend noch, ob die gewährte Entschädigung im Fall Gäfgen nicht zu hoch gewesen ist und nicht auch – wie teilweise vorgebracht bspw. durch den Strafrechtler Franz Salditt https://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,778394,00.html – auch eine symbolische Entschädigung von einem Euro ausreichend gewesen wäre. Nach Aussage des Gerichts seien die 3000 Euro „angemessen, aber auch ausreichend“. Maßgeblich müssen auch hier wider die Ziele der Entschädigung sein: Genugtuung, Kompensation und Prävention. Sowohl Präventionsgedanken als auch Genugtuungsgedanken greifen hier wohl kaum – handelt es sich doch um einen absoluten Einzelfall und auch die Genugtuung wird durch die vorangegangene Tat weitestgehend verdrängt. Der Gedanke der Kompensation greift freilich schon – wurde doch wie gezeigt die Menschenwürde verletzt und muss dieser Verstoß auch geahndet werden. Eine nur symbolische Entschädigung würde der Bedeutung der Menschenwürde nicht gerecht und ist damit abzulehnen. Ob dagegen eine (deutlich) niedrigere Höhe des Anspruchs noch angemessen wäre, ist allein Tatfrage und für das Studium oder Examen irrelevant.
Damit gilt folgende Prüfungsreihenfolge:
- Handlung (+) Drohung der Polizeibeamten
- Rechtsgutsverletzung (+) Menschenwürde Art 1 GG; Art. 3 EMRK
- haftungsbegründende Kausalität (+)
- Rewi + Schuld (+)
- Schaden (-) ABER dennoch Ausgleich aus Gründen der Genugtuung und aus dem Schutzauftrag des Art. 1 GG(+)
- haftungsausfüllende Kausalität (+)
Siehe auch § 15 AGG
Sehr gut deutlich wird eine solche Unterscheidung zwischen Schadensersatzansprüchen und Entschädigungsansprüchen auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 15 Abs. 1 und 2. Auch hier wird unterschieden zwischen einem Schadensersatzanspruch (Abs. 1) und einem Entschädigungsanspruch (Abs. 2). Letzterer gründet sich nach h.M. gerade auf eine Verletzung des Menschenwürde durch die Vornahme eine Diskriminierung. Auch hier gilt dann das oben Gesagte zur Berechnung der Anspruchshöhe.
Fazit:
Zusammenfassend ist festzustellen, dass zwischen Ansprüchen auf Entschädigung und Schadensersatzansprüchen in dogmatischer Hinsicht zentrale Unterschiede bestehen. Diese zeigen sich gerade in der Herleitung dieses Anspruchs. Während Schmerzensgeld gerade eine spezielle Form des (immateriellen) Schadensersatz (§ 253 BGB) darstellt, trifft dies auf den Entschädigungsanspruch nicht zu. Dieser wird unabhängig davon aus den verletzen (Menschen)rechten selbst iVm. § 823 BGB hergeleitet. Kurz gesagt: Ein Entschädigungsanspruch setzt keinen Schaden voraus; ein Schmerzensgeldanspruch dagegen schon.
Hinweis
Verzichtet wurde hier darauf, den Anspruch auf den Ersatz anhand des Amtshaftungsanspruchs aus Art. 34 S. 1 GG iVm § 839 BGB zu prüfen und darzustellen. Vielmehr wurde nur die Anspruchsgrundlage des Ersatzanspruchs als solchem problematisiert, da hier das zentrale Problem liegt. In der Klausur wäre dieser Punkt dann bei der Amtspflichtverletzung zu prüfen. Insofern eignet sich der Fall sowohl für ein Prüfungsgespräch im Zivilrecht, ist aber durch den öffentlich-rechtlichen Aufhänger des Amtshaftungsanspruchs auch auf dieses Rechtsgebiet übertragbar.