Es ist ein Dauerbrenner im Examen: Die NPD (oder eine andere radikale Partei) möchte eine Wahlkampfveranstaltung durchführen. Darf sie dazu die Einrichtungen einer Gemeinde nutzen?
Diesmal hatte sich das VG Neustadt mit dieser Frage zu befassen. In seinem Beschluss (es war ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz) v. 17.10.2011 – Az. 3 L 904/11.NW, BeckRS 2011, 55241 hat das Gericht einen Anspruch der NPD auf Nutzung der Bürgerhalle Herschberg verneint. Das ist eine gute Gelegenheit, noch einmal die entsprechenden Rechtsfragen zu rekapitulieren.
I. Materiell-rechtliches: Anspruch auf Nutzung der Stadthalle?
Ein Anspruch aus Nutzung der Stadthalle kann sich aus zwei Normen des einfachen Rechts ergeben: § 5 Abs. 1 S. 1 ParteiG oder § 8 Abs. 2 GO NRW sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG (Selbstbindung der Verwaltung) bzw. aus einer förmlichen Widmung.
1. § 8 Abs. 2 GO NRW: Anspruch auf Nutzung
Dabei fokussiert sich die Prüfung auf § 8 Abs. 2 GO NRW (oder den entsprechenden Normen anderer Gemeindeordnungen), denn grundsätzlich unterfällt die Stadthalle dem Begriff der gemeindlichen Einrichtung (=jeder tatsächlich benutzbare Gegenstand, den die Gemeinde durch Widmung für den öffentliche Gebrauch durch ihre Einwohner zur Verfügung gestellt hat).
Anderes gilt allerdings, wenn die Einrichtung nicht der lokalen Bevölkerung dienen soll, sondern einen überörtlichen Benutzerkreis anspricht (VG Arnsberg v. 20.8.2007 – 14 K 274/07, juris Rn. 29).
Außerdem bedarf es der Kontrolle der Gemeinde über die Einrichtung. Gegeben ist diese, wenn die Gemeinde selbst die Stadthalle betreibt, die Rspr. bejaht sie aber auch, wenn die Stadthalle von einer GmbH betrieben wird, auf die die Gemeinde einen beherrschenden Einfluß ausüben kann – auch dann kann sie ihren Willen letztlich durchsetzen. Ein Minderheitsanteil reicht daher grds. nicht (VG Arnsberg v. 20.8.2007 – 14 K 274/07, juris Rn. 30ff.). In der weiteren Prüfung stellen sich dann jedoch üblicherweise zwei Probleme:
– Ist die Partei Einwohner i.S.d. § 8 Abs. 2 GO NRW? Grds. können auch Personenvereinigungen (wie Parteien bzw. ihre Untergliederungen) „Einwohner“ i.S.d. § 8 Abs. 2 GO NRW sein, vgl. § 8 Abs. 4 GO NRW. Dem Einwohnerbegriff unterfallen sie allerdings nur, soweit sie ihren Sitz im Gemeindegebiet haben (VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Auch dann können sie grundsätzlich nur Zulassung für Veranstaltungen mit örtlichem Bezug beanspruchen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Mai 1988 – 1 S 1746/88 -, NVwZ-RR 1988, 43; VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241).
Die Bundes- oder Landespartei kann daher keine Zulassung nach § 8 GO NRW beanspruchen. Ein solcher Anspruch ist verfassungsrechtlich auch im Hinblick auf Art. 21 GG nicht erforderlich (vgl. Sächsisches OVG v. 12.4.2001 – 3 BS 10/01 -, NVwZ 2002, 615). Zu Recht: Durch die staatliche Parteienfinanzierung steht den Parteien die Möglichkeit offen, für überregionale Veranstaltungen eine nicht städtische Halle anzumieten und so ihre Bedürfnisse zu decken. Außerdem deckt Art. 28 Abs. 2 GG die Freiheit der Gemeinden, ihre Einrichtungen für ihre Einwohner und für die von ihnen definierten Zwecke vorzubehalten.
– Ist die Nutzung für parteipolitische Zwecke vom Widmungszweck gedeckt? Die Begrenzung des Zulassungsanspruchs auf die Zwecke, denen die Einrichtung gewidmet ist, ergibt sich schon aus der Definition der „öffentliche Einrichtung“. Zusätzlich verweist die Rspr. (eigentlich überflüssigerweise) noch darauf, dass § 8 Abs. 2 GO NRW die Wendung „im Rahmen des geltenden Rechts“ enthält (vgl. VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241).
Es kommt auf die Auslegung der Widmung im Einzelfall an. Klar ist der Fall, wenn es eine Benutzungsordnung gibt, die andere Zwecke vorgibt. Fehlt es an einem förmlichen Widmungsakt, ergibt sich die Widmung aus der Vergabepraxis der Gemeinde, an welche diese nach Art. 3 Abs. 1 GG fortan gebunden ist.
„Hat sie also eine ihrer öffentlichen Einrichtungen bisher nicht nur zu sportlichen, kulturellen und sozialen Zwecken Dritten zur Verfügung gestellt, sondern auch Parteien zu politischen Veranstaltungen überlassen, so darf sie nicht verbotene politische Parteien nicht wegen deren politischer Ziele von der Nutzung der Einrichtung ausschließen. (VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241)“
Jedoch darf die Gemeinde ihre Vergabepraxis ändern (BayVGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 4 CE 11.287 -, juris, Rn. 23; VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Dies gilt jedoch nur für die Zukunft; einen bis zur Änderung der Vergabepraxis eingegangen Antrag der NPD darf die Gemeinde daher nicht mit der Begründung ablehnen, sie wolle in Zukunft ihre Praxis ändern (VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241; Anm: Hier kann man auch anderer Ansicht sein, also diskutierten).
– Ist ein Anspruch dem Grunde nach gegeben, kann sich das Folgeproblem begrenzter Kapazitäten stellen. Ein Anspruch kann grundsätzlich nur im Rahmen der Kapazitäten der Einrichtung bestehen. Hier bedarf es dann einer ermessenfehlerfreien Entscheidung nach Art. 3 Abs. 1 GG.
2. (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m.) Widmung
Neben bzw. auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 GO NRW kann ein Anspruch aus der Widmung selbst bzw. aus der Widmung i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG folgen. Widmet die Gemeinde eine Einrichtung allgemein für den öffentlichen Gebrauch, auch durch Nicht-Einwohner, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dieser Widmung ein Anspruch für jedermann, die Einrichtung unter den in der Widmung gesetzten Voraussetzungen zu nutzen.
(Anm: Man kann überlegen, ob die Widmung selbst nicht bereits den Anspruch vermittelt. Das ist der Fall bei der förmlichen Widmung, sie ist nämlich eine Allgemeinverfügung, § 35 S. 2 VwVfG, so dass sie unmittelbar ein Nutzungsrecht begründet. Art. 3 Abs. 1 GG braucht man daher nur, wenn man keine Allgemeinverfügung hat, etwa weil es an einem förmlichen Widmungsakt fehlt.)
Für diesen Anspruch gelten nicht die Grenzen des § 8 GO NRW – der Anspruchssteller muss also nicht Einwohner der Gemeinde sein und der Zweck muss nicht auf die örtliche Gemeinschaft bezogen sein.
3. § 5 ParteiG: Anspruch auf Gleichbehandlung
Ebenfalls ein Gleichbehandlungsgebot enthält § 5 Abs. 1 S. 1 ParteiG: Er setzt voraus, dass anderen Parteien die Nutzung entsprechender Einrichtungen bereits gewährt wurde. Es handelt sich also nicht um einen Anspruch auf Nutzung als solche, sondern lediglich um einen Anspruch auf Gleichberechtigung im Vergleich zu anderen Parteien. Ist – wie meist – nicht vorgetragen, dass eine andere Partei die Einrichtung nutzen konnte, scheidet § 5 ParteiG als Anspruchsgrundlage aus.
Im Übrigen sollte man M.E. § 5 Abs. 1 S. 1 ParteiG als lex specialis zu der allgemeine Selbstbindung der Verwaltung nach Art. 3 Abs. 1 GG prüfen. Soweit man den Zulassungsanspruch auf § 8 GO NRW stützt, kann man dort § 5 ParteiG hineinlesen (so das VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Letztlich ist hier vieles vertretbar, einfach ansprechen und sinnvolle Lösung finden. Nur beachten, dass aus § 5 ParteiG selbst kein Anspruch auf Zulassung an sich folgt, sondern auf Gleichbehandlung. Ein Anspruch auf Zulassung folgt daraus nur, wenn eine andere Partei zugelassen wurde.
II. Prozessuale Durchsetzung
– Rechtsweg: § 40 VwGO: Hier die 2-Stufen-Theorie: Auch wenn das Nutzungsverhältnis privatrechtlich ist, ist die Entscheidung über das „Ob“ öffentlich-rechtlich“, Arg. § 8 Abs. 2 GO NRW Sonderrecht. Wichtig vor allem, wenn die Stadthalle von einer GmbH der Gemeinde betrieben wird.
– Statthafte Klage-/Antragsart:
Der Zulassungsakt bzw. die Ablehnung ist ein VA (Subsumtion § 35 S. 1 VwVfG). Daher in der Hauptsache Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO.
Häufig wird hier im einstweiligen Rechtsschutz vorgegangen. Einschlägig ist dann üblicherweise § 123 Abs. 1 VwGO. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO wird auf keinen Fall helfen, soweit der Antragssteller noch nichts oder einen ablehenden VA hat, daher nach § 123 Abs. 5 VwGO Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO.
Über § 80 Abs. 5 VwGO kann man nur dann nachdenken, wenn dem Antragssteller zunächst Zugang gewährt wurde und dieser VA dann aufgehoben wird. Dann kann man überlegen, ob durch die Suspensivwirkung des § 80 Abs. 5 VwGO nicht der ursprüngliche „gewährende“ VA wieder auflebt, weil der aufhebende VA seinerseits durch § 80 Abs. 5 VwGO „unwirksam“ wird (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Das ist jedoch nach der hM nicht der Fall, denn § 80 Abs. 5 VwGO hemmt nur die Vollstreckung des VA, macht ihn aber nicht unwirksam. Der Antragssteller erhält durch § 80 Abs. 5 VwGO deshalb nach hM seine Begünstigung nicht zurück – der begünstigende VA bleibt daher unwirkam.
§ 80 Abs. 5 VwGO gilt daher nur in extremen Ausnahmefällen, nämlich dort, wo der Antragssteller bereits die Halle nutzt. Diese Nutzung bleibt ihm dann durch den Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 5 VwGO unbenommen.
– Klage-/Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)
Hier auf die Möglichkeit eines Anspruchs hinweisen. Bei einstweiligem Rechtsschutz: Möglichkeit von Anordnungsanspruch und -grund. Hier dann darauf eingehen, ob ein Anspruch gegen die Gemeinde überhaupt in Betracht kommt, wenn die Stadthalle von einer GmbH betrieben wird.
– Vorwegnahme der Hauptsache
Noch eine Ergänzung: Häufig stellt sich im einstweiligen Rechtsschutz das Problem der Vorwegnahme der Hauptsache. Wegen des Sinn des einstweiligen Rechtsschutzes, die Hauptsache entscheidungsfähig zu halten, kann dieser problematisch sein. Aber wegen Art. 19 Abs. 4 GG trotzdem zulässig, wenn sonst wichtige Rechte endgültig vereitelt wurden. Hier (+) wegen drohender Grundrechtsverletzung der Parteien (vgl. VG Neustadt, BeckRS 2011, 55241). Es ist umstritten, ob die Betätigungsfreiheit der Parteien aus Art. 21 GG oder aus anderen Grundrechten (z.B. Art. 9 bzw. Einzelgrundrecht+Art. 19 Abs. 3 GG) folgt, vgl. Beck’scherOK-GG/Kluth, Art. 21 GG Rn. 83ff.