Wir berichteten erst vor einigen Monaten zu einem äußerst examensrelevanten Urteil des OLG Hamm, wo es um die analoge Anwendung von § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ging (s. den ausführlichen Beitrag zur Prüfung dieses Anspruchs hier). Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kommt äußerst häufig in Klausuren für das erste sowie zweite Staatsexamen vor, da in jedem Einzelfall mit argumentativer Auseinandersetzung zu prüfen ist, ob die analoge Anwendung der Norm überhaupt statthaft ist (fraglich war die Anwendbarkeit etwa bei Schäden, die durch Feuerwerksraketen auf einem Grundstück verursacht wurden, s. dazu hier). Insbesondere im ersten Staatsexamen fällt die Prüfung dieses Anspruchs schwer, da sich aus dem Gesetz ohne Zuhilfenahme eines Kommentares nur wenig Anhaltspunkte für die Prüfung herleiten lassen. Ein gewisser Grundstock an Wissen und Verständnis muss daher vorhanden sein.
Ausgleichsanspruch auch zwischen Wohnungseigentümern bzw. den Mietern
In einem aktuellen Urteil hatte sich der BGH nun mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auch zwischen Wohnungseigentümern, sprich Inhabern von Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG), anwendbar ist (Urteil vom 25.10.2013 – V ZR 230/12). Im zu entscheidenden Sachverhalt ging es um Schäden, die durch einen Wasserschaden in einer Eigentumswohnung im dritten Stock in einer darunter liegenden Wohnung verursacht wurden. Ein Verschulden des Mieters der Wohnung mit dem Wasserschaden konnte nicht nachgewiesen werden (bzw. wurde von den entscheidenden Gerichten offen gelassen).
Der BGH bejahte nämlich das Vorliegen des verschuldensunabhängigen Anspruchs analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Die durch den Wasserschaden entstandenen Nachteile im unteren Geschoss waren somit auch ohne Verschulden des Bewohners des dritten Stockwerks ersatzfähig. Die Rechtsprechung erkennt seit je her an, dass ein solcher Anspruch zwischen benachbarten Grundstücken besteht. Gleiches gilt nach dem aktuellen Urteil des BGH auch im Verhältnis von Sondereigentümern (bzw. deren Mietern), weil es sich bei dem Sondereigentum um „echtes Eigentum“ handele, das dem Wohnungseigentümer alleine zusteht, und mit dem dieser grundsätzlich nach Belieben verfahren und jeden anderen von Einwirkungen hierauf ausschließen kann. Da das Sondereigentum als eine Art Ersatzgrundstück fungiere, seien die Wohnungseigentümer insoweit wie Eigentümer benachbarter Grundstücke zu behandeln.
Examensrelevanz
Die Examensrelevanz des aktuellen BGH-Urteils ist als extrem hoch einzustufen. Wer im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen und die Begründung der Analogie in diesem Kontext noch nicht sicher ist, sollte den vorgenannten Beitrag zu dem vom OLG Hamm entschiedenen Sachverhalt einmal lesen (s. dazu hier). Darüber hinaus bietet etwa Fritzsche, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand: 01.05.2013, § 906 BGB, Rn. 74 ff. einen guten Überblick über die Anspruchsvoraussetzungen sowie die an den Anspruch geknüpften Rechtsfolgen. Da in der aktuell vom BGH entschiedenen Fallkonstellation auch Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetz (WEG) zu prüfen waren, sei im Übrigen die Lektüre unseres Beitrags zu examensrelevanten Vorgaben des WEG empfohlen (s. dazu hier).
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Entscheidung
Der BGH (Urteil vom 18. September 2009 – V ZR 75/08) hat entschieden, dass dem Eigentümer eines Grundstücks (bzw. dessen Versicherer aus übergegangenem Recht) kein Anspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zusteht, wenn der Nachbar in der Neujahrsnacht eine Feuerwerksrakete zündet und diese ohne Verschulden des Nachbars ein auf dem Nachbargrundstück stehendes Gebäude in Brand setzt.
Sachverhalt
Der Beklagte zündete am Abend des 1. Januar 2006 auf dem Grundstück des von ihm bewohnten Hauses eine Leuchtrakete. Diese stieg zunächst ca. 5 m gerade nach oben, schwenkte dann zur Seite und drang durch eine ca. 67 bis 87 mm breite Spalte zwischen Außenwand und Dach in eine etwa 12 m entfernte Scheune ein. Dort explodierte sie und setzte nicht nur die Scheune, sondern den ganzen Gebäudekomplex in Brand (Scheune, Getreidelager, Schweinestall, Wohnhaus, Garagen) (vgl. BGH-Pressemitteilung Nr. 188/09). Die Versicherung des Geschädigten nahm den Beklagten aus einem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB aus übergegangenem Recht in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage ab, das OLG gab ihr statt. Die Revision hatte Erfolg, der BGH lehnt einen Anspruch ab.
Zur Begründung führt er aus, dass der Ausgleichanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB an die Stelle eines Unterlassungsanspruches trete, der aus tatsächlichen Gründen nicht durchgesetzt werden könne. Zwar bestehe hier ein solcher Unterlassungsanspruch, jedoch sei weitere Voraussetzung des verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruches, dass „das zu einer Gefährdung führende Verhalten auf dem Nachbargrundstück dem Bereich der konkreten Nutzung dieses Grundstücks zuzuordnen ist und einen sachlichen Bezug zu diesem aufweist.“ Daran fehlt es nach Auffassung des 5. Senates, der auf die Sozialadäquanz eines Feuerwerks in der Silvesternacht abstellt.
Bewertung
Der Fall ist außerordentlich examensrelevant, da ein einfacher und anschaulicher Sachverhalt mit schwierigen Rechtsfragen verknüpft ist. Erste Vorfrage – die in einer Examensklausur durchausd abgefragt werden kann – ist die Aktivlegitimation des klagenden Versicherers. Dieser erhält den geltend gemachten Anspruch kraft Legalzession nach § 86 Abs. 1 VVG.
Sodann stellt sich die Frage, ob ein Anspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gewährt werden soll. Dazu sind die Voraussetzungen einer Analogie zu prüfen. Die Lücke lässt sich bejahen, fraglich ist die Vergleichbarkeit des geregelten mit dem nicht geregelten Sachverhalt.
Hier eröffnen sich Spielräume für Wertungen, die die Umstände des Einzelfalles mit einbeziehen müssen. Der BGH hat auf die Sozialadäquanz abgestellt und einen Anspruch verneint, weil das Feuerwerk keinen Grundstücksbezug aufweise. Je nach Sachverhaltsangaben kann man auch anders werten. Der Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog setzt regelmäßig eine unzumutbare, nicht ortsübliche Beeinträchtigung eines Grundstücks voraus (Säcker, in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2009, § 906 Rn. 141 m.z.w.N.). Das kann bei einem Feuerwerk im Einzelfall auch zu bejahen sein. Hier kann man sich mit einer sachverhaltsnahen Argumentation Punkte verdienen.
Nachtrag (30.10.2009): Der Fall wurde inzwischen in der mündlichen Prüfung im 2. Staatsexamen in NRW geprüft. Was folgt daraus? juraexamen.info lesen!!!