Wir danken Nicolas für die Zusendung eines weiteren Gastbeitrags zu einer gestern veröffentlichten Entscheidung des BGH vom 28.01.2011.
In einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 28.01.2011 – BGH V ZR 141/10) hat der BGH zum Verhältnis von § 1004 BGB zu § 902 Abs.1 S.1 BGB Stellung genommen und damit seine bisherige Rechtsprechung (BGHZ 60, 235, 238) im Grundsatz bestätigt. Es war die Frage zu klären, ob ein Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB nach § 902 Abs.1 BGB unverjährbar ist und sich zudem aufgrund der Verjährung dauerhaft eine Duldungspflicht des Eigentümers betreffend der Störung ergibt.
Sachverhalt
E ist seit 1986 Eigentümer eines Grundstücks mit Gebäude, das an eine Straße mit starkem Gefälle angrenzt. Die Straße wird seit 1987 von einer Mauer aus Stahlbeton abgestützt, die durch den Beklagten B errichtet worden ist. Die Mauer ist aus statischen Gründen u.a. durch eine Deckenplatte, die über das Grundstück verläuft, mit dem Gebäude verbunden. Zusätzlich befindet sich auf der Mauer ein Geländer, das bis zum Haus der E verläuft oder in diesem verankert ist. Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass die von der Mauer ausgehenden statischen Kräfte so ungünstig sind, dass das Haus des E dadurch Risse erhält und Schäden entstehen.
E verlangt im Jahr 2010 von B die Beseitigung der Beeinträchtigung durch entsprechende bauliche Maßnahmen an der Mauer. B dagegen macht geltend, ein solcher Beseitigungsanspruch sei längst verjährt.
Unverjährbarkeit nach § 902 Abs.1 S.1 BGB gilt nicht für § 1004 BGB
E hatte angeführt, ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs.1 BGB sei schon aufgrund § 902 Abs.1 S.1 BGB nicht verjährt. Der BGH sieht das anders.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs findet die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach Ansprüche aus eingetragenen Rechten nicht der Verjährung unterliegen, auf den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB keine Anwendung; dieser verjährt daher innerhalb der regulären Frist (Senat, Urteil vom 23. Februar 1973 – V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 238; Urteil vom 8. Juni 1979 – V ZR 46/78, LM § 1004 BGB Nr. 156; …).
§ 902 Abs.1 S.1 BGB schützt den Bestand des eingetragenen dinglichen Rechts an sich. Solche Ansprüche, die unmittelbar zur Verwirklichung des dinglichen Wesensgehalts eines Rechts dienen (z.B. § 985 BGB), sind nach allgemeiner Auffassung unverjährbar, weil sonst von dem dinglichen Recht nichts übrig bliebe (MüKo/Kohler § 902 Rz.2f).
Die h.M. sieht überdies auch negatorische Ansprüche, wie z.B. § 1004 BGB und vergleichbare Rechte von § 902 Abs. 1 S.1 BGB erfasst (MüKo/Kohler § 902 Rz.5), da auch diese unmittelbar zur Verwirklichung des Wesensgehalts dienen würden. Der BGH vertritt hinsichtlich § 1004 BGB folglich einen anderen Standpunkt.
Anspruch muss nicht unmittelbar aus dem Grundbuch hervorgehen
In diesem Punkt weicht der BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung ab und konkretisiert den Anwendungsbereich des § 902 Abs.1 S.1 BGB bezüglich des Merkmals „eingetragene Rechte“.
Richtig an der Kritik [der Klägerin] ist allerdings, dass die Anwendbarkeit von § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht davon abhängen kann, ob sich der jeweilige Anspruch aus dem Inhalt des Grundbuchs ergibt (so noch Senat, Urteil vom 23. Februar 1973 – V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 239). Denn das Grundbuch verlautbart nur das dingliche Stammrecht, nicht dagegen die aus diesem Recht folgenden Ansprüche […]. Auch der Herausgabeanspruch des Grundstückseigentümers nach § 985 BGB[…] lässt sich nicht aus dem Grundbuch ersehen; aus diesem ergibt sich nämlich nicht, wer Besitzer des Grundstücks ist und ob ein den Anspruch hinderndes Recht zum Besitz nach § 986 BGB besteht. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Anwendung oder Nichtanwendung der Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB ist vielmehr deren Zweck, den Bestand der im Grundbuch eingetragenen Rechte dauerhaft zu sichern […]. Unverjährbar sind deshalb alle Ansprüche, die der Verwirklichung des eingetragenen Rechts selbst dienen und sicherstellen, dass die Grundbucheintragung nicht zu einer bloßen rechtlichen Hülse wird. Geht es dagegen nur um eine Störung in der Ausübung des Rechts, welche die dem Grundstückseigentümer zustehende Rechtsmacht (§ 903 BGB) unberührt lässt, steht der Schutzzweck des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB der Möglichkeit der Verjährung eines auf Beseitigung der Störung gerichteten Anspruchs nicht entgegen (Senat, Urteil vom 22. Oktober 2010 – V ZR 43/10, NJW 2011, 518 Rn. 21).
Der Anspruch des E aus § 1004 Abs.1 BGB ist demnach gemäß §§ 194, 195 BGB i.V.m Art. 229
§ 6 Abs.4 S.1 EGBGB (SMG!) am 31.12.2004 verjährt.
Verjährung begründet keine Pflicht des Eigentümers zur Duldung der Störung
Zwar besteht ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB nicht mehr, E darf dennoch die Störung auf eigene Kosten beseitigen.
Denn der von dem Störer geschaffene Zustand bleibt auch nach der Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB rechtswidrig, muss also von dem Eigentümer nicht geduldet werden. Sind auf dem Grundstück beispielsweise fremde Leitungen verlegt, deren Beseitigung der Eigentümer nach § 1004 BGB verlangen konnte, entsteht nach Verjährung des Anspruchs nicht etwa ein Recht des Störers, die Leitungen auf dem Grundstück zu halten (verkannt von Vollmer, ZfIR 1999, 86, 88). Der Eigentümer ist vielmehr berechtigt, diese von seinem Grundstück zu entfernen; einen damit verbundenen Eingriff in seine Sachen muss der Störer dulden. Die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB hat lediglich zur Folge, dass der Grundstückseigentümer die Störung auf eigene Kosten beseitigen muss. Die Gefahr, dass das eingetragene Recht infolge der Verjährung des Beseitigungsanspruchs „inhaltslos“ (so Picker, JuS 1974, 357, 358) oder ein „Rechtskrüppel“ (vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2008], § 902 Rn. 1) wird, besteht daher nicht; ebensowenig wird das Grundstückseigentum faktisch mit einer aus dem Grundbuch nicht ersichtlichen Duldungsdienstbarkeit belastet (so aber Baur, JZ 1973, 560, 561).
Ergebnis des BGH:
Die Klägerin ist ungeachtet der Verjährung des Beseitigungsanspruchs berechtigt, die auf ihr Grundstück ragende Deckenplatte zu entfernen und die Verankerung des Geländers in der Außenwand ihres Gebäudes zu lösen (wegen der damit verbundenen Folgen für die Statik der Stützmauer allerdings nur nach entsprechender Ankündigung gegenüber dem Beklagten). Es ist dann Sache des Beklagten, für eine neue, das Eigentum der Klägerin nicht beeinträchtigende Abstützung der Straße zu sorgen.
Fazit
Entgegen der wohl h.M. lässt der BGH den Anspruch aus § 1004 BGB nach der regulären Frist verjähren. Als Argument wird vorgebracht, § 1004 BGB diene nicht unmittelbar der Verwirklichung des Eigentumsrechts, sondern nur der Befreiung von Beeinträchtigungen desselben. Rechtsmacht nach § 903 BGB sei weiterhin gegeben. Jedoch müsse sich der jeweilige Anspruch nicht im Grundbuch eingetragen sein; es reicht aus, wenn sich ein solcher unmittelbar aus dem eingetragenen (!) Stammrecht ableitet. Aber auch unter dieser Lesart träfe dies nicht auf § 1004 BGB zu.
Für die Klausur ebenso interessant ist die Frage, ob E nun nichts mehr gegen die Beeinträchtigung durch die Mauer des B tun kann (z.B. als Zusatzfrage). Nein, denn das würde seine Eigentümerrechte endgültig entwerten, sodass ein Wertungswiderspruch zu § 902 Abs.1 S.1 BGB vermieden wird.