Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Charlotte Schippers veröffentlichen zu können. Die Autorin hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit tätig.
In der Praxis ergehen selten neue Entscheidungen zur Tierhaftung. Ist dies doch einmal der Fall, sind diese Entscheidungen immer examensrelevant, da sich hierbei deliktsrechtliche Fragen mit komplizierten Einzelfragen der Verschuldens- und Gefährdungshaftung verknüpfen lassen. § 833 S. 1 BGB regelt die Gefährdungshaftung des Tierhalters für Schäden, die durch ein sog. Luxustier verursacht werden: Für solche Schäden haftet er unabhängig von seinem Verschulden. Wird der Schaden hingegen durch ein sog. Nutztier verursacht, normiert § 833 S. 2 BGB eine Verschuldenshaftung des Tierhalters, sodass er sich u.U. exkulpieren kann. Das OLG Stuttgart hat sich in seinem Urteil vom 7.6.2018 (Az.: 13 U 194/17) mit der Frage beschäftigt, ob Kamele als Haustiere i.S.d. § 833 S. 2 BGB einzustufen sind, was wir zum Anlass genommen haben, einen Blick auf die Tierhaftung des BGB zu werfen.
A. Prüfungsschema: Schadensersatzanspruch gem. § 833 S. 1 BGB
I. Rechtsgutsverletzung
II. Durch ein Tier
III. Haltereigenschaft
IV. Kein Ausschluss, § 833 S. 2 BGB
V. Rechtsfolge: Schadensersatz
Zunächst muss für den Anspruch gem. § 833 S. 1 BGB eine Rechtsgutsverletzung vorliegen, also ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt worden sein. Insoweit sind die Begriffe so auszulegen wie i.R.v. § 823 BGB.
Diese Schadensverursachung muss durch ein Tier geschehen sein. Erfasst sind nach einem biologischen und funktionellen Begriffsverständnis Tiere jeder Art, unabhängig von ihrer Größe.[1]
Voraussetzung ist zunächst, dass das Tier den Schaden kausal (mit-)verursacht hat. Darüber hinaus ist wichtig, sich zu merken, dass sich auch die spezifische Tiergefahr im Erfolg realisiert haben muss. Diese ist zwar nicht explizit in der Norm genannt, wird aber in den Tatbestand hineingelesen und äußert sich nach der ständigen Rspr. des BGH in „einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres“[2]. Typische Beispiele hierfür sind Fälle, in denen Pferde scheuen, ausschlagen oder durchgehen oder Hunde jemanden anspringen oder beißen.[3] Zu beachten ist, dass keine Realisierung der Tiergefahr gegeben ist, wenn ein Tier unter menschlicher Leitung einen Schaden zufügt, denn in diesem Fall dient es lediglich als Werkzeug.[4]
Eine der zentralen Fragen bei der Prüfung des Anspruchs aus § 833 S. 1 BGB ist, wer Tierhalter ist. Dies erschließt sich aus dem Zweck der Norm, demjenigen, der die tatsächliche Gewalt über das Tier ausübt, also die Kontrolle hat, haftungsrechtliche Anreize zur Beherrschung der Kreatur im Interesse der Schadensvermeidung zu geben.[5] Tierhalter i.S.d. § 833 BGB ist mithin derjenige, dem „die Bestimmungsmacht über das Tier zusteht und [d]er aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt und das wirtschaftliche Risiko seines Verlustes trägt“[6]. Eigentum und unmittelbarer Eigenbesitz sind für die Haltereigenschaft irrelevant, sodass auch mittelbarer Besitz gem. § 868 BGB ausreichend ist.[7]
An diesem Punkt ist außerdem von der Tierhalterhaftung die Haftung des Tieraufsehers gem. § 834 BGB abzugrenzen. Tieraufseher ist, wer die selbstständige Sorge über das Tier übernimmt, ohne aber Halter zu werden, weil er das Tier nicht im eigenen Interesse und auf eigene Rechnung versorgt.[8] Hierbei setzt § 834 BGB die Übernahme der Aufsichtspflichten durch Vertrag voraus, wobei aber auch die konkludente Übernahme ausreichend ist, aber weder die gesetzliche Pflicht zur Führung der Aufsicht noch die rein tatsächliche Übernahme der Aufsicht sind erfasst.[9]
Des Weiteren dürfte der Anspruch nicht gem. § 833 S. 2 BGB ausgeschlossen sein. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Unterscheidung von Luxus- und Nutztieren an, denn gem. § 833 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht dann nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist. Darüber hinaus ist für den Ausschluss erforderlich, dass der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde: § 833 S. 2 BGB stellt also auf ein vermutetes Verschulden des Nutztierhalters ab, sodass es hier auch nicht auf die Realisierung einer typischen Tiergefahr ankommt. Folglich wird der gewerbliche Tierhalter privilegiert – er kann sich exkulpieren. In dieser Hinsicht wird § 833 S. 2 BGB allerdings auch kritisiert, da schwer einzusehen sei, warum jemand, der sein Tier regelmäßig besser unter Kontrolle habe und die Kosten eher abwälzen könne als eine Privatperson, privilegiert werden solle.[10]
Entscheidender für die Fallbearbeitung im Examen ist unabhängig davon jedenfalls die Einordnung als Haus- und Nutztier i.S.d. § 833 S. 2 BGB in Abgrenzung zu Luxustieren: Haustiere sind zahme Tiere, die zur Nutzung gezogen und gehalten werden, wie Hund, Katze, Schaf, Rind etc.,[11] wobei insb. die inländische Verkehrsauffassung entscheidend ist,[12] wie sich auch an der Entscheidung des OLG Stuttgart zeigt (s.u.). Darüber hinaus müsste das Tier dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sein. Maßgeblich ist die allgemeine Widmung bzw. Zweckbestimmung des Tieres: Danach zählen zu den Nutztieren bspw. Tiere, die zur Milch- und Fleischproduktion gehalten werden, aber auch Blindenhunde.[13] Bei sog. „doppelfunktionalen“ Tieren, die sowohl dem Erwerbsstreben als auch der Freizeitgestaltung dienen, kommt es nicht darauf an, welchem Bereich die im Zeitpunkt der Schadensverursachung ausgeübte Tätigkeit zuzuordnen ist, sondern es ist auf die allgemeine Widmung des Tieres abzustellen.[14]
Liegt nun ein Haus- und Nutztier vor, kann der Tierhalter sich entlasten, wenn er entsprechend seiner Sorgfaltspflichten, deren Umfang und Intensität sich allgemein nach Größe des drohenden Schadens und Wahrscheinlichkeit seines Eintritts richten, dafür gesorgt hat, dass das Tier nicht außer Kontrolle gerät, wobei eine Begrenzung auf zumutbare Anstrengungen gilt.[15]
B. Entscheidung des OLG Stuttgart vom 7.6.2018 (Az.: 13 U 194/17)
In diesen Kontext reiht sich nun die o.g. Entscheidung des OLG Stuttgart vom 7.6.2018 ein, der (in Kurzfassung) folgender Sachverhalt zugrunde lag:
I. Sachverhalt
Die Klägerin unternahm mit ihrer Mutter bei der Kamelfarm des Beklagten einen Kamelausritt, wobei die Tiere vom Beklagten geführt wurden. Wegen der vorhergehenden Aussage des Beklagten, dass die meisten Kunden keinen Helm tragen würden, hatten die Klägerin und ihre Mutter sich auch dagegen entschieden. Als die Kamele beim Ausritt durch bellende Hunde erschreckt wurden, hielt der Beklagte sie kurz an. Nachdem das Bellen nachließ, führte er sie weiter, aber die Hunde bellten erneut los, sodass die Reittiere nach vorne liefen und eine plötzliche Linkswendung vollzogen. Die Klägerin fiel aufgrund dessen kopfüber zu Boden und zog sich schwere Kopfverletzungen zu.
II. Lösung
Das OLG bejahte hier nun zunächst unproblematisch Rechtsgutsverletzung, die Realisierung einer spezifischen Tiergefahr durch die Schreckreaktion der Kamele, die zu dem Sturz führte, sowie die Tierhaltereigenschaft des Beklagten. Zentral in der Entscheidung war schließlich die Frage, ob es sich bei dem Kamel um ein Haus- und Nutztier handelt und der Beklagte sich demnach auf den § 833 S. 2 BGB berufen konnte.
Das OLG hat zur Beantwortung dieser Frage maßgeblich auf die inländische Verkehrsauffassung abgestellt: Auch wenn Kamele andernorts als Haustiere einzuordnen seien, sei dies in Deutschland nicht der Fall. Zwar könnten sich Verkehrsauffassung und in der Folge auch der Haustierbegriff bzgl. einzelner Gattungen im Laufe der Zeit natürlich ändern, bzgl. Kamelen sei das allerdings – anders als beim Beispiel des Meerschweinchens, das das OLG nennt – in Ermangelung einer Verbreitung in Deutschland (noch) nicht geschehen. Vielmehr sei Kamelhaltung in Deutschland sehr selten. Ebenso stünde der gewöhnliche Sprachgebrauch, soweit dieser überhaupt maßgeblich sei (was der Beklagte vorgebracht hatte – damit hat sich das OLG aber nicht weiter befasst), der Ansehung eines Kamels als Haustier in Deutschland entgegen. Dass das Kamel domestiziert wurde, sei ebenfalls irrelevant, denn dies sei nicht in Deutschland geschehen.
Trotzdem prüfte das OLG noch, ob der Beklagte sich hätte exkulpieren können. Maßgeblich sei das Maß an Sorgfalt, das von einem besonnenen und umsichtigen Tierhalter in der jeweiligen Situation verlangt werden müsse. Für das schreckhafte Verhalten der Kamele, mit dem der Beklagte habe rechnen müssen, habe er daher Vorsorge treffen müssen. Insoweit reiche es nicht aus, dass er die beiden Tiere alleine führte. Es sei einleuchtend, dass derjenige, der zwei Kamele führe, weniger Kontrolle über die Tiere habe, als der, der alleine ein Tier führt. Mit einer dann möglichen kürzeren Leine hätte das Kamel auch nicht den großen Bogen gehen können, der zum Sturz der Klägerin führte. Eine Exkulpation des Beklagten war also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht möglich.
Schließlich lehnte das Gericht auch ein Mitverschulden der Klägerin an der Verletzung wegen des fehlenden Helmes ab, da der Beklagte quasi vom Helmtragen abgeraten habe.
Durch diese Entscheidung des OLG wird vor allem deutlich, welche Relevanz der inländischen Verkehrsauffassung i.R.d. Prüfung von § 833 S. 2 BGB zukommen kann: Vorliegend ist sie fallentscheidend, denn der Beklagte konnte sich vor dem Hintergrund der Verkehrsauffassung in Deutschland nicht darauf berufen, dass es sich bei den Kamelen um Haustiere handelt. Das Privileg des § 833 S. 2 BGB war ihm damit verwehrt und folglich auch die Exkulpation durch den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens (den er sowieso nicht führen konnte). Dass die deutsche Verkehrsauffassung insoweit relevant ist, ergibt auch Sinn, denn, wie das OLG selbst klarstellt, es gibt keine gemeinsame internationale Verkehrsauffassung.
C. Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei der Tierhaftung des BGB um ein examensrelevantes Thema handelt, da neben Einzelwissen – wobei es bei den o.g. Abgrenzungsfragen natürlich regelmäßig auf eine gute Argumentation ankommt – auch die Grundlagen zur Gefährdungs- und Verschuldenshaftung abgefragt werden können.
Aus der Entscheidung des OLG Stuttgarts lässt sich jedenfalls mitnehmen, dass die inländische Verkehrsauffassung eine entscheidende Rolle bei der Anspruchsprüfung haben kann!
[1] HK-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 833 Rn. 3.
[2] Vgl. nur BGH, Urt. v. 27.1.2015 – VI ZR 467/13, NJW 2015, 1824 (1825).
[3] Diese und weitere Bsp. aus der Rspr. in MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 13 m.w.N.
[4] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 17 f.
[5] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 2.
[6] BGH, Urt. v. 19.1.1988 – VI ZR 188/87, NJW-RR 1988, 655 (656).
[7] HK-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 833 Rn. 6.
[8] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 834 Rn. 3.
[9] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 834 Rn. 5.
[10] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 BGB Rn. 3.
[11] BeckOK BGB/Spindler, 48. Ed. 2018, § 833 Rn. 27.
[12] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 39.
[13] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 47.
[14]MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 49.
[15] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 54.
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