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Schlagwortarchiv für: § 823 I BGB

Dr. Melanie Jänsch

BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 8. Dezember 2020 (Az.: VI ZR 19/20) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problemkomplex des Deliktsrechts – der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen – geäußert. Konkret hat der BGH entschieden, dass auch bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft dem Schädiger jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich zuzurechnen sind. Da deliktsrechtliche Fragen, insbesondere Kausalitätsprobleme, absolute Dauerbrenner in Studium und Examen sind, soll die Entscheidung im Folgenden ausführlich dargestellt werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Mehrere Polizeibeamte waren wegen einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Cocktailbar im Einsatz. Dabei kam ein deutlich erkennbar und stark alkoholisierter Beteiligter einem Platzverweis auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nach; er setzte sich gegen seine nachfolgend durchgeführte Ingewahrsamnahme heftig zur Wehr und verletzte dabei einen Polizeibeamten am Daumen. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Schädiger erlitt der betreffende Polizeibeamte zudem eine psychische Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, die zur dauerhaften Dienstunfähigkeit führte. Er verlangt vom Schädiger Schadensersatz für Behandlungskosten und Verdienstausfall aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch des Polizeibeamten gegen den Schädiger aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein die durch die tätliche Auseinandersetzung herbeigeführte Gesundheitsverletzung in Form der posttraumatischen Belastungsstörung, die zur Dienstunfähigkeit geführt hat. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 204) beschränkt.
 
Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 205). Der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht, dass durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen, die einen realen Krankheitswert haben, Gesundheitsverletzungen i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. nur Senatsurteile vom 21.5.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125, Rn. 7; v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451, Rn. 6; v. 20.5.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263, Rn. 8). Ohne Zweifel können die psychisch vermittelten Beschwerden des Polizeibeamten nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden.
 
Anmerkung: Resultieren die psychischen Beschwerden nicht aus einer unmittelbaren Beteiligung am schädigenden Ereignis, sondern ist die psychische Beeinträchtigung mittelbar auf die Verletzung eines Dritten zurückzuführen, stellt sich bereits beim Prüfungspunkt „Rechtsgutsverletzung“ die sog. Schockschaden-Problematik. Der BGH verlangt in diesen Fällen für die Annahme einer deliktsrechtlich relevanten Gesundheitsverletzung, dass die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind, und eine persönliche Nähe zwischen dem unmittelbar Verletzten und dem mittelbar Geschädigten besteht (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 und die Ausweitung auf fehlerhafte ärztliche Behandlung in BGH, Urt. v. 21.5.2019 – VI ZR 299/17, NJW 2019, 2387, besprochen in unserem Beitrag).
 
Die Handlung des Schädigers müsste aber auch haftungsbegründend kausal für die psychische Gesundheitsverletzung gewesen sein. Der Prüfungspunkt „haftungsbegründende Kausalität“ betrifft die Ursächlichkeit der Verletzungshandlung für die Rechtsgutsverletzung. Die Kausalitätsprüfung erfolgt stets in drei Schritten: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob Äquivalenz im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Auf dieser Stufe ist also zu klären, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung des Geschädigten entfiele. Als zweiter Filter der Kausalität ist Adäquanz insofern erforderlich, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Im vorliegenden Fall war revisionsrechtlich zu unterstellen, dass bei dem Polizeibeamten infolge der schädigenden Handlung eine Traumafolgestörung von Krankheitswert eingetreten ist, für die das Verhalten des Schädigers sowohl äquivalent als auch adäquat kausal war.
Auf dritter Stufe erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit aber zusätzlich unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich ausschließlich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. An dieser Stelle stellen sich vorliegend zwei Problemkreise, die ausführlicherer Erörterung bedürfen:
I. Zum einen bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer besonderen Prüfung der Zurechnung:

„Sie soll der Eingrenzung einer sonst ausufernden Haftung für normale Belastungen in den Wechselfällen des Zusammenlebens dienen, auf die sich der Mensch im Leben einrichten muss (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 11), darf aber nicht der gegenüber körperlichen Verletzungen oft als erschwert angesehenen Objektivierbarkeit psychischer Beeinträchtigungen geschuldet sein. Dabei wird berücksichtigt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist.“ (Rn. 11)

Ausgehend hiervon kann bei einem geringfügigen schädigenden Ereignis angenommen werden, dass eine extreme psychische Reaktion außer Verhältnis steht und daher nicht mehr zugerechnet werden kann; vielmehr bewege sich diese im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos. Dagegen realisiere sich dann nicht mehr das allgemeine Lebensrisiko, wenn „der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte“ (vgl. Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14; v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242, Rn. 14), was im vorliegenden Fall anzunehmen sei.  
II. Hinzu kommt hier aber noch ein zweiter Aspekt: Bei professionellen Rettungskräften oder Polizeibeamten wird zuweilen erwogen, dass im Falle der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen zur Vermeidung uferloser Ausdehnung der Haftung des Schädigers unterbleiben muss. Letzteres hat etwa das Berufungsgericht – das OLG Celle – in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2019 angenommen: Bei dem betreffenden Sachverhalt habe es sich um eine für einen Polizeibeamten alltägliche Situation gehandelt, mit der im Rahmen der Berufstätigkeit ständig zu rechnen sei. Sofern eine solche Situation zu einer schweren psychischen Gesundheitsverletzung mit der Folge der Dienstunfähigkeit führe, könne dies dem Schädiger nicht zugerechnet werden (OLG Celle, Urt. v. 12.12.2019 – 5 U 116/19, BeckRS 2019, 43669, Rn. 33). Dieser Auffassung ist der BGH – in strikter Gleichsetzung physischer und psychischer Primärschäden – entschieden entgegengetreten:

„Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 20), gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen. Es ist bereits nicht zu erklären, weshalb zwischen physischen und psychischen Primärschäden unterschieden werden sollte. Für den Bereich der Sekundärschäden und der haftungsausfüllenden Kausalität geht der Senat vielmehr regelmäßig von einer grundsätzlichen Gleichstellung der psychischen mit den physischen Schäden aus.“ (Rn. 16 f.)

Zudem lasse die entgegengesetzte Argumentation außer Acht, dass bei ausgebildeten Einsatzkräften die Gefahr des Eintritts psychischer Schäden im Vergleich zu Laien bereits vermindert sei. Komme es trotz professioneller Vorbereitung im Einzelfall dennoch zu psychischen Schäden, rechtfertige dies keine Risikoverlagerung auf den Geschädigten (Rn. 18). Um die Haftung des Schädigers in diesen besonderen Fällen einzugrenzen, knüpft der BGH die Zurechnung gleichwohl an verschiedene Kriterien: Neben dem Erfordernis, dass die psychische Beeinträchtigung realen Krankheitswert aufweist, muss der Schädiger – in Abgrenzung zu Fällen bloßer Anwesenheit des Polizeibeamten am Unfallort – dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbar (Unfall-)Beteiligten aufgezwungen haben. Darüber hinaus muss sich auch der Verschuldensvorwurf gegen den Verursacher auf die Folgeschäden erstrecken, was bei psychischen Erkrankungen als Folge von Routineeinsätzen nicht zwangsläufig der Fall ist. Auf dieser Grundlage hat der BGH die Sache letztlich unter Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Festzuhalten bleibt: Bei der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos sind psychische Gesundheitsverletzungen mit Krankheitswert von Polizeibeamten oder ähnlichen professionellen Rettungskräften dann dem Schädiger zuzurechnen, wenn der Schädiger dem Geschädigten die Beteiligung an dem traumatisierenden Geschehen unmittelbar aufgezwungen hat. Die Grundsätze, die der BGH in seinem Amoklauf-Urteil (Urt. v. 17.4.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220, besprochen in unserem Beitrag) aufgestellt hat, werden damit auf polizeiliche „Standardsituationen“ ausgeweitet. Für eine Zurechnung entscheidend ist damit nicht, dass es sich wie bei einem Amoklauf um ein vorsätzliches schweres Gewaltverbrechen eines besonders aggressiven Täters handelt, sondern vielmehr insbesondere, ob der Geschädigte lediglich am Tatort anwesend oder unmittelbar in das Geschehen involviert war.
 
 

28.01.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-01-28 09:00:472021-01-28 09:00:47BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit Urteil vom 21. Mai 2019 (Az.: VI ZR 299/17) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problembereich des Deliktsrechts geäußert. Konkret ging es um die Problematik des sog. „Schockschadens“ – einem deliktsrechtlichen Klassiker, der jedem Examenskandidaten ein Begriff sein sollte. Nunmehr hat der BGH festgestellt, dass die Grundsätze zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ auch in dem Fall anzuwenden sind, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Gerade vor dem Hintergrund des am 27.7.2017 in Kraft getretenen § 844 Abs. 3 BGB, der unter engen Voraussetzungen einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährt und einen Sonderbereich des Schockschadens regelt (BeckOK BGB/Spindler, 51. Ed. 2019, § 844 BGB Rn. 42), hat die deliktsrechtliche Problematik in den letzten beiden Jahren erhöhte Aufmerksamkeit erlangt – die gesteigerte Prüfungsrelevanz liegt damit auf der Hand. Angesichts dessen sollen die Grundzüge der Entscheidung im Folgenden dargestellt und erläutert werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Patient P ließ in einem von K betriebenen Krankenhaus eine Operation durchführen. Bei dieser unterlief dem Arzt – wie es spätere Gutachten feststellten – ein Behandlungsfehler, welcher zu einer lebensgefährlichen Entzündung führte. Aus den Gutachten ergab sich, dass die Operation verspätet und unter Anwendung einer fehlerhaften Operationstechnik durchgeführt wurde. P einigte sich schließlich mit dem Haftpflichtversicherer der K auf eine Abfindungszahlung. In der Folgezeit verstarb P. Nunmehr nimmt die Ehefrau des P, die E, die K auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch – im Wesentlichen mit der Behauptung, P sei in dem von K betriebenen Krankenhaus grob fehlerhaft behandelt worden und habe deshalb mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt, weshalb sie massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten habe.
 
Die erste Instanz, das LG Köln (Urt. v. 26. Oktober 2016, Az.: 25 O 326/15), hat die Klage abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung der K hatte auch vor dem OLG Köln (Urt. v. 12. Juli 2017, Az.: 5 U 144/16) keinen Erfolg. Der BGH hat die vorinstanzlichen Urteile nunmehr aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch der E gegen die K aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein eine durch die fehlerhafte ärztliche Behandlung herbeigeführte Gesundheitsverletzung. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615). Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 178).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 177) beschränkt.
 
Zweifelsohne können die von der E geschilderten psychisch vermittelten Beschwerden nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden. Problematisch ist indes, dass nicht die E die fehlerhafte ärztliche Behandlung erfahren hat, sondern ihr Ehemann P. Insofern erörtert der BGH bereits auf der Ebene der Rechtsgutsverletzung die Schockschaden-Problematik, namentlich welche Anforderungen an das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung zu stellen sind, wenn ein Dritter betroffen ist, der zu dem unmittelbar Geschädigten in besonderer Verbindung steht:

„Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB darstellen (…). Im Bereich der so genannten „Schockschäden“ erfahren diese Grundsätze allerdings eine gewisse Einschränkung. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Denn die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 I BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch nach den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen. Psychische Beeinträchtigungen können in diesen Fällen deshalb nur dann als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.“ (Rn. 7)

Der BGH beruft sich hierbei also auf seine ständige Rechtsprechung zu Schockschäden bei Unfallereignissen (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246), nach der für eine relevante Gesundheitsverletzung verlangt wird, dass (1) die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und (2) über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Diese Rechtsprechung beschränke sich nicht nur auf Unfallereignisse, sondern sei vielmehr auf fehlerhafte ärztliche Behandlungen zu übertragen:

„Es ist kein Grund erkennbar, denjenigen, der eine (psychische) Gesundheitsverletzung im dargestellten Sinne infolge einer behandlungsfehlerbedingten Schädigung eines Angehörigen erleidet, anders zu behandeln als denjenigen, den die (psychische) Gesundheitsverletzung infolge einer auf einem Unfallereignis beruhenden Schädigung des Angehörigen trifft.“ (Rn. 8)

Auch nach diesen Maßstäben muss eine im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB relevante Gesundheitsverletzung angenommen werden; die mittelschwere Depression der E ist pathologisch fassbar und geht nach den gutachterlichen Feststellungen auch hinsichtlich Dauer und Intensität über das hinaus, was ein Angehöriger in vergleichbarer Lage erleidet.
Die fehlerhafte Behandlung müsste aber auch kausal für die Gesundheitsverletzung gewesen sein. Die Kausalitätsprüfung – sowohl im haftungsbegründenden als auch im haftungsausfüllenden Tatbestand – erfolgt in drei Schritten: Zunächst ist festzustellen, ob Ursächlichkeit im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Es ist also zu fragen, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung der E entfiele. Dies kann hier offensichtlich bejaht werden: Ohne die grob fehlerhafte ärztliche Behandlung des P hätte die E keine psychischen Beeinträchtigungen erfahren. Weiterhin bedarf es zur Feststellung der Kausalität einer Adäquanz insofern, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Da es sich aber regelmäßig als psychisch belastendes Ereignis darstellt, wenn ein Angehöriger in Lebensgefahr schwebt, ist die fehlerhafte ärztliche Behandlung auch als adäquat kausal für die Gesundheitsverletzung anzusehen. Schließlich erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit in einem dritten Schritt unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. Gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen bedarf dies – so betont es der BGH – einer gesonderten Prüfung:

„Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (…). Für den auch im Streitfall betroffenen Bereich der so genannten „Schockschäden“ ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (…) anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen Tod oder schwere Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein ein – dem Schädiger nicht zurechenbares – allgemeines Lebensrisiko (…)“ (Rn. 11 f.)

Im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs nimmt der BGH bei Schockschäden also noch eine weitere Einschränkung (3) vor, indem er verlangt, dass der Anspruchsteller eine besondere persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweisen muss – die bei nahen Angehörigen gegeben ist. Legt man diese Rechtsprechung zugrunde, ist der Zurechnungszusammenhang zu bejahen: Die E war die Ehefrau des P, sie weist insofern die erforderliche persönliche Nähe auf. Zudem konnte die psychische Beeinträchtigung auch bei wertender Betrachtung nicht ihrer Sphäre zugeordnet werden. Auch an dieser Stelle hat der BGH betont, dass insofern kein Unterschied erkennbar sei, der es rechtfertige, von den Rechtsprechungsgrundsätzen zu „Schockschäden“ bei Unfallereignissen abzuweichen. Auf dieser Grundlage hat der BGH das Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt also: Die Grundsätze zum Schockschaden, die der BGH in Bezug auf Unfallereignisse entwickelt hat, gelten ausweislich des aktuellen Urteils auch für fehlerhafte ärztliche Behandlungen. Das heißt, eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen Dritter kommt dann in Betracht, wenn

  • die psychische Beeinträchtigung pathologisch messbar ist,
  • sie über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene in vergleichbarer Situation regelmäßig ausgesetzt sind und
  • der Anspruchsteller eine persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweist.

In einer Klausur sollte dabei beachtet werden, dass die Problematik zum einen bereits an der Stelle der Rechtsgutsverletzung anzusprechen, zum anderen aber auch im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs zu erörtern ist.
 
 

04.11.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-11-04 09:08:372019-11-04 09:08:37BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung
Maria Lohse

OLG Hamm: 50.000 € Schmerzensgeld bei Versteifung einer Schulter angemessen

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht, ZPO

Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 01.07.2014 (Az.: 26 U 4/13) entschieden, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € angemessen ist, wenn infolge einer fehlerhaften Operation eine Schulter dauerhaft nicht mehr brauchbar ist.
Sachverhalt:
Die Klägerin begab sich im Jahr 2005 bei der Beklagten zu 1), dem Krankenhaus in Soest, in Behandlung, da sie unter Beschwerden an der linken Schulter litt. Am 09.11.2005 wurde sie dort von den Beklagten zu 2) und 3), die im Krankenhaus angestellte Ärzte sind, operiert. Die Operation erfolgte am offenen Schulterdach. Dabei wurden Teile des Schulterdachs entfernt. Während ihres postoperativen Aufenthalts bei der Beklagten zu 1) stürzte die Klägerin am 18.11.2005. Ob sie dabei auch auf die linke Schulter stürzte, ist nicht aufklärbar.
Seit der Operation am 09.11.2005 konnte die Klägerin ihren linken Arm nicht mehr heben. Es kam zu erforderlichen Folgeoperationen. Da keine Besserung der Beschwerden der Klägerin erreicht werden konnte, musste ihr Schultergelenk im Februar 2009 versteift werden. Das führte dazu, dass sie in ihrem alltäglichen Leben seitdem erheblich eingeschränkt ist, den eigenen Haushalt nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Zudem ist die dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln erforderlich. Wegen der anhaltenden Beschwerden leidet die Klägerin auch unter Schlafstörungen.
Sie meint, die Operation sei in der durchgeführten Form nicht indiziert gewesen und zudem fehlerhaft ausgeführt worden. Daher verlangt sie mit der vorliegenden Klage von den Beklagten zu 1), 2) und 3) gesamtschuldnerisch Schadensersatz sowie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 €. Darüber hinaus beantragt sie festzustellen, dass die Beklagten auch für weitere, aus dem Vorfall noch entstehende Schäden haften.
Das LG Arnsberg hat der Klägerin in erster Instanz einen Schadenersatzanspruch sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € zugesprochen. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt, die Klägerin mit dem Verlangen weiterer mindestens 20.000 €, die Beklagten mit dem Antrag auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der Klageabweisung.
Entscheidung:
Das OLG Hamm hat dem Berufungsantrag der Klägerin entsprochen und ihr weitere 20.000 € Schmerzensgeld zugebilligt.
A. Schadensersatzanspruch
I. §§ 280 I, 611 BGB
Ein Schadensersatzanspruch kann der Klägerin zunächst aus §§ 280 I, 611 BGB zustehen.
a) Dienstvertrag, § 611 BGB
Das zwischen den Parteien bestehende Schuldverhältnis stellt einen Dienstvertrag dar. Ein solcher setzt – gerade in Abgrenzung zum Werkvertrag nach § 631 BGB – voraus, dass die Erbringung einer Handlung geschuldet wird, unabhängig davon, ob diese auch zum Eintritt eines Erfolges führt. Der Behandlungsvertrag zwischen Arzt bzw. dessen Anstellungsinstitution und Patient ist ein typischer Fall eines Dienstvertrages. Einen Erfolgseintritt schuldet der Arzt gerade nicht und kann ihn auch nicht versprechen. Das gilt auch, wenn es sich um eine Operation handelt (Anmerkung: Anders kann es ggf. liegen, wenn die Anfertigung eines individuellen Körperersatzteils in Frage steht, etwa einer Zahnprothese).
b) Pflichtverletzung
Eine Pflichtverletzung müsste ebenfalls vorliegen.
Davon ist das Gericht vorliegend nach Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens überzeugt. Danach wäre bei den bei der Klägerin vorliegenden Beschwerden die Vornahme eines arthroskopischen Eingriffs zur Entfernung des Schleimbeutels und eine Dekompression der Enge in der Schulter angezeigt gewesen. Das sei den Beklagten zu 2) und 3) auch erkennbar gewesen aufgrund der zuvor angefertigten MRT-Aufnahmen. Die Einleitung der geschilderten Operationsvariante hingegen stelle einen groben Auswahlfehler dar. Darüber hinaus habe das Sachverständigengutachten auch ergeben, dass die Operation fehlerhaft durchgeführt wurde, mithin grobe Behandlungsfehler begangen wurden, die gegen den ärztlichen Standard verstießen. Das Schulterdach sei durch die Operation zerstört worden, was nicht zwingende Folge des Eingriffs an sich gewesen sei.
Die Pflichtverletzung der Beklagten zu 2) und 3) hat sich die Beklagte zu 1) in entsprechender Anwendung des § 278 BGB zurechnen zu lassen.
Eine Pflichtverletzung lag somit vor.
c) Verschulden
Das Verschulden wird gemäß § 280 I BGB vermutet. Eine Exkulpation der Beklagten kommt nicht in Betracht.
Die Beklagte zu 1) muss sich das Verschulden der Beklagten zu 2) und 3) nach § 278 BGB zurechnen lassen.
d) Kausaler und ersatzfähiger Schaden
Der Klägerin ist daraus auch ein Schaden in Höhe der Behandlungskosten entstanden. Dieser Schaden beruht auch kausal auf der Pflichtverletzung der Beklagten.
Dagegen spreche, so führt das Gericht aus, auch nicht die Tatsache, dass die Klägerin am 18.11.2005 gestürzt sei und möglicherweise auch auf den Arm gefallen sei. Denn bei der Feststellung eines Behandlungsfehlers werde die Kausalität zwischen dieser Pflichtverletzung und der dadurch eingetretenen Rechtsgutsverletzung vermutet. Es trete also eine Beweislastumkehr ein. Ihrer Beweispflicht hinsichtlich einer fehlenden Kausalität haben die Beklagten mithin nicht genügt.
e) Ergebnis
Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspuch gegen die Beklagten nach §§ 280 I, 611 BGB zu.
II.§ 823 I BGB
Auch könnte der Klägerin ein in der Höhe identischer Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB gegen die Beklagten zustehen.
a) Rechtsgutsverletzung
Die Klägerin hat eine Rechtsgutsverletzung in Form der Versteifung ihres Schultergelenks, mithin eine Verletzung an ihrem Körper und ihrer Gesundheit erlitten.
b) Kausale Handlung
Der Eintritt der Rechtsgutsverletzung beruhte auch auf der fehlerhaften Operation durch die Beklagten zu 2) und 3). Hinsichtlich einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch den Sturz der Klägerin gilt das oben bereits im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzanspruchs Dargestellte entsprechend.
Die haftungsbegründende Kausalität besteht somit.
c)Rechtswidrigkeit
Bei Verletzung eines der von § 823 I BGB benannten Rechte und Rechtsgüter ist die Rechtswidrigkeit indiziert.
d)Verschulden
Ein Verschulden der Beklagten liegt ebenfalls vor. Diese haften nach § 276 BGB grundsätzlich für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Da es sich vorliegend um eine grobe Fehleinschätzung durch die Beklagten zu 2) und 3) sowie eine grob fehlerhafte Ausführung handelte, was sich die Beklagte zu 1) abermals über § 278 BGB zurechnen lassen muss, ist jedenfalls Fahrlässigkeit gegeben.
Verschulden liegt vor.
e)Kausaler und ersatzfähiger Schaden
In gleichem Umfang wie bereits hinsichtlich des vertraglichen Schadensersatzanspruches festgestellt, liegt auch hier ein kausaler und von den Beklagten zu ersetzender Schaden vor.
f)Ergebnis
Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB steht der Klägerin gegen die Beklagten zu.

Exkurs zu den zu stellenden Anträgen aus Anwaltssicht:
Aus prozessualer Sicht interessant ist, welche Anträge hier gestellt werden können/müssen.
Zunächst muss natürlich der entsprechende Schadensersatzantrag von der Klägerin gestellt und in seiner Höhe genau beziffert werden. Nur so genügt er dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 II Nr.2 ZPO.
Zudem kann es unter Umständen angezeigt sein – wie auch hier – einen zusätzlichen Feststellungsantrag zu stellen: Dieser muss auf Feststellung lauten, dass die Beklagten auch für weitere, aus der Rechtsgutsverletzung in Zukunft resultierende Schäden haften. Dieser Antrag ist immer dann zweckmäßig, wenn wegen der Art der eingetretenen Rechts- oder Rechsgutsverletzung weitere Folgeschäden wahrscheinlich, gleichwohl bisher aber nicht eingetreten sind und daher auch noch nicht beziffert werden können. Es handelt sich bei dem Antrag dann um einen Feststellungsantrag nach § 256 I ZPO. Für dessen Zulässigkeit ist ein Feststellungsinteresse erforderlich, das nur dann gegeben ist, wenn tatsächlich eine Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Folgeschäden eintreten werden, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Ist die Wahrscheinlichkeit nur minimal, wird der Antrag abgewiesen. Er sollte dann erst gar nicht gestellt werden.
Zuletzt ist auch ein dritter Antrag möglich, wenn ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung geltend gemacht wird: Dieser ist schlicht auf Feststellung gerichtet, dass der Schadensersatzanspruch aus einer unerlaubten Handlung herrührt.
Das Feststellungsinteresse für diesen Antrag ergibt sich sowohl aus dem Abtretungsverbot des § 393 BGB, wie auch aus den insolvenzrechtlichen Folgen derartiger Ansprüche nach §§ 302 Nr.1, 174 InsO.

B. Schmerzensgeld, § 253 II BGB
Auch ein Schadensersatzanspruch könnte der Klägerin gegen die Beklagten wegen der erlittenen Verletzungen zustehen.
Dieser ist gemäß § 253 II BGB gegeben, wenn wegen einer Verletzung unter anderem des Körpers und der Gesundheit Schadensersatz verlangt werden kann. Das ist hier nach den obigen Darstellungen der Fall.
Die Höhe der Entschädigung hat nach dem Wortlaut des Gesetzes billig zu sein. Das richtet sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles.
Das Gericht hat vorliegend einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 50.000 € als angemessen erachtet. Bei der Bemessung sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Klägerin in ihrem alltäglichen Leben stark eingeschränkt und vielfach auf Hilfe angewiesen sei. Zudem müsse sie fortwährend Schmerzmittel einnehmen und leide unter Schlafstörungen. Auch nicht außer Acht gelassen werden dürfe, dass sie langwierige Behandlungen und weitere Operationen über sich habe ergehen lassen müssen. All dies führe insgesamt zu einer Angemessenheit des beantragten Schmerzensgeldanspruchs in Höhe von 50.000 €.
Der Klägerin steht ein Anspruch in dieser Höhe mithin zu.

Exkurs zum Antrag:
Der Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld muss nicht gesondert aufgeführt werden, sondern kann auch mit dem Schadensersatzantrag verbunden werden. Wie man es macht, ist Geschmackssache.
Besonderheit des Schmerzensgeldantrages ist dabei, dass er entgegen dem oben bereits erwähnten Bestimmtheitsgebot aus § 253 II Nr. 2 ZPO gerade nicht genau beziffert zu werden braucht. Vielmehr braucht lediglich ein Richtwert angegeben werden, der eine Untergrenze darstellen sollte. Auch dies muss nicht zwingend im Antrag selbst geschehen, sondern kann auch erst in der Antragsbegründung erfolgen. Im Übrigen ist die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts zu stellen, § 287 ZPO.
Gleichwohl sollte die Höhe der Untergrenze des Schmerzensgeldes nicht zu hoch angesetzt werden. Denn wenn das Gericht in seiner Entscheidung um mehr als 20% von der beantragten Höhe nach unten abweicht, hat der Kläger einen Teil der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Höhe des jeweils angemessenen Schmerzensgeldes bestimmt das Gericht unter Zugrundelegung bestimmter Schmerzensgeldtabellen.

Die vollständigen Sachanträge könnten im vorliegenden Fall also lauten:

(…) werde ich in der mündlichen Verhandlung beantragen,

1. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 10.000,- € (fiktiver Wert Schadensersatz) nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 02.01.2012 (fiktives Datum, etwa der Rechtshängigkeit nach § 291 BGB) zu zahlen,
2. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Bemessung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 50.000 € betragen sollte,
3. festzustellen, dass die Beklagten auch für zukünftige, der Klägerin aus der eingetretenen Rechtsgutsverletzung noch entstehende Schäden haften,
4. festzustellen, dass die Haftung der Beklagten aus einer unerlaubten Handlung herrührt.

Stellungnahme:
Das Urteil eignet sich als Ausgangsentscheidung sowohl für das erste wie zweite Staatsexamen. Es bietet Gelegenheit, Altbekanntes zu den Ansprüchen aus § 823 BGB und § 280 I BGB darzustellen und Kenntnisse hinsichtlich prozessrechtlicher Besonderheiten zu demonstrieren.
Rechtlich enthält es letztlich nichts Neues. Auch wenn zunächst die zugesprochene Schmerzensgeldsumme sehr hoch erscheinen mag, so stellt auch dies keine grundsätzliche Neuerung dar. So hat in einem ähnlichen Fall etwa schon das Landgericht München I einen ähnlich hohen Betrag zuerkannt (Urteil vom 24.7.1997 – 19 O 20421/96).
 

15.09.2014/5 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-09-15 14:00:392014-09-15 14:00:39OLG Hamm: 50.000 € Schmerzensgeld bei Versteifung einer Schulter angemessen

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