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Schlagwortarchiv für: § 823 Abs. 1 BGB

Carlo Pöschke

OLG Frankfurt am Main zur deliktsrechtlichen Haftung im Mannschaftssport

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Fußball ist der Nationalsport Nummer eins in Deutschland. Mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern in 2019 ist der Deutsche Fußball-Bund der größte Sportverbund Deutschlands. Aber auch andere Mannschaftssportarten erfreuen sich großer Beliebtheit. So hatte der Deutsche Handball-Bund in 2019 fast 750.000 Mitglieder und der Deutsche Basketball-Bund brachte es immerhin auf deutlich über 200.000 Mitglieder. Schon allein aufgrund der großen Popularität dieser Sportarten dürfte es wenig überraschend sein, dass Mitspielerverletzungen an der Tagesordnung stehen und nicht selten juristische Streitigkeiten um Schadensersatz und Schmerzensgeld daraus entstehen. In seinem Urteil vom 14.11.2019 – 22 U 50/17, BeckRS 2019, 29048 beschäftigte sich das OLG Frankfurt am Main mit der Ersatzfähigkeit von Personenschäden, die eine Handballspielerin beim Torwurf erlitt. Da Kenntnisse rund um den Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu den absoluten Basics im Zivilrecht gehören, erscheint es nicht nur für Examenskandidaten, sondern auch für Jura-Studenten in unteren Semestern lohnenswert, sich mit dem Urteil des OLG Frankfurt auseinanderzusetzen.
 
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K und B waren Spielerinnen gegnerischer Mannschaften bei einem Handballspiel. Kurz vor Schluss machte K im Rahmen eines Tempo-Gegenstoßes einen Sprungwurf. B, Torfrau der Gegnerinnen, versuchte den Wurf abzuwehren. Dabei trafen beide zusammen. K stürzte beim Aufkommen und erlitt einen Kreuzbandriss im linken Knie. Der Schiedsrichter erteilte der B eine rote Karte, allerdings ohne Bericht, sodass diese lediglich für das fragliche Spiel weiter gesperrt war. K wurde daraufhin operiert. Es stellt sich heraus, dass sie dauerhaft nicht mehr Handball spielen kann.
K verlangt von B Schmerzensgeld und Schadensersatz. Zu Recht?
Auszüge aus den Internationalen Hallenhandballregeln:
Regel 8:2:

Es ist nicht erlaubt:
a) dem Gegenspieler den Ball aus der Hand zu entreißen oder wegzuschlagen.
b) den Gegenspieler mit Armen, Händen oder Beinen zu sperren, ihn durch Körpereinsatz wegzudrängen oder wegzustoßen, dazu gehört auch ein gefährdender Einsatz von Ellbogen in der Ausgangsposition und in der Bewegung.
c) […]
d) […]

Regel 8:5:

Ein Spieler, der seinen Gegenspieler gesundheitsgefährdend angreift, ist zu disqualifizieren […]. Die hohe Intensität der Regelwidrigkeit oder die Tatsache, dass diese den Gegenspieler unvorbereitet trifft und er sich deshalb nicht schützen kann, machen die besondere Gefahr aus (siehe nachstehenden Kommentar zu Regel 8:5).
[…]
Kommentar: Auch Vergehen mit geringem Körperkontakt können sehr gefährlich sein und zu schweren Verletzungen führen […]. In diesem Fall ist die Gefährdung des Spielers und nicht die Intensität des Körperkontakts maßgebend für die Beurteilung, ob auf Disqualifikation zu entscheiden ist. Dies gilt auch, wenn ein Torwart den Torraum verlässt, um den für den Gegenspieler gedachten Ball abzufangen. […]

 
II. Gutachterliche Falllösung
K könnte gegen B einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB haben.
1. Handlung
Ausgangspunkt des Anspruchs gem. § 823 Abs. 1 BGB ist ein menschliches Verhalten in Form eines Handelns oder pflichtwidrigen Unterlassens. Der Versuch, den Wurf der Gegnerin abzuhalten, stellt ein positives Tun dar. Mithin liegt eine Handlung der B vor.
2. Rechtsgutsverletzung
Weiterhin müsste B ein durch § 823 Abs. 1 BGB absolut geschütztes Rechtsgut der K verletzt haben. Vorliegend kommt sowohl eine Verletzung des Körpers als auch der Gesundheit der K in Betracht. Eine Körperverletzung umfasst dabei jeden Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit einschließlich der bloßen Schmerzzufügung. Unter einer Gesundheitsverletzung versteht man jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands. Durch den Versuch, den Wurf abzuwehren, erlitt K einen Kreuzbandriss im linken Knie. Eine solche Verletzung verursacht typischerweise starke Schmerzen und greift daher in die körperliche Integrität der K ein. Gleichzeitig ist mit der Verletzung ein Zustand eingetreten, der negativ vom körperlichen Normalzustand abweicht. Somit liegt sowohl eine Körper- als auch eine Gesundheitsverletzung vor.
3. Haftungsbegründende Kausalität
Darüber hinaus müsste zwischen der Handlung der B und der Rechtsgutsverletzung ein haftungsbegründender Kausalzusammenhang bestehen. Zur Feststellung des Kausalzusammenhangs wird auf die Äquivalenztheorie, die Adäquanztheorie und den Schutzzweck der Norm zurückgegriffen.
Eine Handlung ist kausal für den Eintritt des Erfolgs (die Rechtsgutsverletzung) i.S.d. Äquivalenztheorie, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Hätte K nicht versucht, den Wurf abzuwehren, dann wäre B nicht gefallen und sie hätte sich nicht verletzt. Die Handlung der B ist äquivalent kausal für den Erfolgseintritt.
Die Handlung ist kausal nach der Adäquanztheorie, wenn sie im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges der eingetretenen Art geeignet ist. Vorliegend ist kein atypischer Kausalverlauf eingetreten. Vielmehr liegt es innerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass ein Mitspieler im Handball durch die beschriebene Handlung stürzt und sich verletzt. B hat die Rechtsgutsverletzung daher adäquat kausal verursacht.
Auch liegt die eingetretene Rechtsgutsverletzung (Körper- und Gesundheitsverletzung) nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 823 Abs. 1 BGB.
Somit ist die haftungsbegründende Kausalität gegeben.
4. Rechtswidrigkeit
Nach der ganz herrschenden Lehre vom Erfolgsunrecht indiziert die Verletzung eines in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsguts die Rechtswidrigkeit.
5. Verschulden
Fraglich ist, ob B auch schuldhaft handelte. Eine vorsätzliche Handlung scheidet aus. In Betracht kommt allein fahrlässiges Handeln. § 276 Abs. 2 BGB definiert Fahrlässigkeit als die Missachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.
Im Kontext der Kontrahentenverletzungen im Mannschaftssport hat der BGH den Sorgfaltsmaßstab präzisiert und klargestellt, dass nicht jede geringfügige (objektive) Verletzung einer dem Schutz der Spieler dienende Spielregel bereits als fahrlässiges Verhalten zu werten ist. Ein die Gefahr vermeidendes Verhalten müsse im konkreten Fall zumutbar sein. Dies sei insb. für Sportarten von Bedeutung, bei denen eine gewisse Gefährlichkeit meist nicht ganz ausgeschaltet werden kann. Daher sei für die Beurteilung, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet wurde, ein durch die Eigenart des Spiels geprägter Maßstab anzulegen (BGH NJW 1976, 957, 958; NJW 1976, 2161, 2161 f.).
Das OLG Frankfurt führte aus, dass die vom BGH aufgestellten Grundsätze in ausgeprägter Weise beim Hallenhandball gelten würden, bei dem der körperliche Einsatz erlaubt ist und dies notwendigerweise zu körperlichem Kontakt von Gegenspielern führt. Regel 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln verbietet es u.a., dem Gegenspieler den Ball aus der Hand zu entreißen oder wegzuschlagen sowie den Gegenspieler mit Armen, Händen oder Beinen zu sperren, ihn durch Körpereinsatz wegzudrängen oder wegzustoßen. Nach Ansicht der Frankfurter Richter genüge zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs jedoch eine Verletzung der Regel 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln nicht. Diesbezüglich führt das Gericht aus:

Für eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB kommt es […] darauf an, dass die Verletzung eines Spielers auf einen Regelverstoß eines Gegenspielers zurückzuführen ist, der über einen geringfügigen und häufigen Regelverstoß – wie sie in Ziffer 8:2 der Internationalen Hallenhandballregeln erfasst sind – deutlich hinausgeht und auch einen Grenzbereich zwischen gebotener kampfbedingter Härte und unzulässiger Unfairness klar überschreitet […]. Voraussetzung für ein haftungsbegründendes Verhalten ist mithin das Vorliegen einer groben Verletzung einer zum Schutz von Spielern bestimmten Wettkampfregel […]. Zu solchen zum Schutz der Gesundheit der Spieler bestimmten Wettkampfregeln gehört Regel 8:5 der Internationalen Hallenhandballregeln.

In diesem Zusammenhang erlange die Frage, ob eine rote Karte mit oder ohne Bericht erteilt wurde, Bedeutung. Erst ein Bericht liefere die Basis für die spielleitende Stelle, um später über Sanktionen zu entscheiden. Nach dem Regelwerk sei bei schwerwiegenden Regelverstößen eine rote Karte mit Bericht vorgesehen. Der Bericht ermögliche eine eindeutige Tatsachenfeststellung. Fehle hingegen der Bericht wie im vorliegenden Fall, sei davon auszugehen, dass die Regelwidrigkeiten sich im Rahmen des körperbetonten Spielbetriebs halten.
Hinsichtlich des Verstoßes gegen die Regel 8:5 sei nach der Kommentierung zu unterscheiden, ob es sich um die Torfrau oder eine Spielerin handelt. Der Raum im 6m-Bereich gehöre der Torfrau; springt ein Spieler dort hinein, sei ein Zusammenstoß sein Risiko. In der Kommentierung zu der Regelung 8:5 werde im zweiten Teil davon gesprochen, dass der Torwart den Torraum verlässt, um den für den Gegenspieler gedachten Ball abzufangen. In diesem Fall treffe ihn die Verantwortung, dass keine gesundheitsgefährdende Situation entsteht. Dies sei so zu verstehen, dass ein Zusammenprall im Torraum keine Regelwidrigkeit des Torwarts darstellt. Zwar dürfe auch der Torwart keine besonders aggressive Aktion vornehmen. Eine solche könne aber der Beschreibung des Schiedsrichters nicht entnommen werden.
Folglich verletzte B nicht die Regel 8:5 und handelte damit nicht fahrlässig i.S.d. §§ 823 Abs. 1, 276 Abs. 2 BGB.
6. Ergebnis
Ein Schadensersatzanspruch der K gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB besteht damit nicht.
 
III. Einordnung und Stellungnahme
Die Thematik, mit der sich das OLG Frankfurt zu befassen hatte, ist nicht neu, sondern erweist sich vielmehr als „alter Wein in neuen Schläuchen“. Denn bereits vor ca. 45 Jahren hat der BGH mehrere Grundsatzurteile zu diesem Themenkomplex gefällt (NJW 1975, 109 – 112; NJW 1976, 957 – 958; NJW 1976, 2161 – 2162). Die Entscheidung des OLG Frankfurt führt dabei im Wesentlichen die BGH-Rechtsprechung fort: Die Herbeiführung einer Verletzung des Kontrahenten begründet nur dann eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, wenn der Verstoß über einen geringfügigen und häufigen Verstoß hinausgeht.
Das OLG Frankfurt hat zwar richtig erkannt, dass „[d]ie Beurteilung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eines Schädigers bei Sportverletzungen – insbesondere solchen bei Ausübung von Mannschafts-Kampfsportarten – […] in der dogmatischen Einordnung problematisch“ ist. Terminologisch erweist sich das Urteil dennoch als inkonsequent: Während das Gericht anfangs problematisiert, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet wurde, kommt es am Ende zu dem Ergebnis, dass kein „so erheblicher Regelverstoß vorlag, der nicht mehr von der Einwilligung der Klägerin gedeckt war“. Obwohl die dogmatische Verortung des Problems in den allerwenigsten Fällen auf materieller Ebene entscheidungserheblich sein dürfte, ist Prüflingen dringend zu raten, die übliche Prüfungsstruktur des § 823 Abs. 1 BGB konsequent einzuhalten. Es ist dann entweder unter dem Prüfungspunkt „Rechtswidrigkeit“ zu erörtern, ob sich das fragliche Verhalten im Rahmen einer wirksam erteilten Einwilligung bewegt und damit gerechtfertigt ist, oder ob der Verstoß gegen die Spielregeln so schwerwiegend ist, dass ein Verschuldensvorwurf begründet werden kann.
Prozessrechtlich kann die dogmatische Einordnung jedoch sehr wohl von Bedeutung sein. Schließlich wird die Rechtswidrigkeit, folgt man der ganz herrschenden Meinung, bei Verletzung eines in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsguts indiziert, während es dem Kläger i.R.d. § 823 Abs. 1 BGB (anders als beim Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB, wo das Vertretenmüssen gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird) obliegt, das Verschulden des Anspruchsgegners zu beweisen. Mit der Aufnahme des Spiels nehmen die Spieler spielordnungsgemäß zugefügte Körperverletzungen in Kauf. Dieses Risiko muss auch die Übernahme des Risikos der Unaufklärbarkeit des Regelverstoßes beinhalten, da die Möglichkeit der Unaufklärbarkeit von Regelverstößen im entscheidenden Augenblick blitzschnellen Kampfspielen wie Fußball oder Handball immanent ist. Müsste nun der Beklagte das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds beweisen, würde die beschriebene Risikoentlastung auf dem Wege der Beweislastverteilung praktisch entwertet. Es spricht daher viel dafür, die Besonderheiten bei Schädigungen, die bei der Ausübung von Mannschaftskampfsportarten entstehen, dogmatisch als ein Problem auf Ebene des Verschuldens zu behandeln (in diese Richtung tendenziell auch BGH NJW 1975, 109, 111).
 
IV. Zusammenfassung für den eiligen Leser
Verletzt bei Mannschaftskampfsportarten ein Spieler einen Kontrahenten, steht häufig ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB im Raum. Bei der Prüfung desselben ist dabei eine Besonderheit zu beachten: Die Herbeiführung einer Verletzung des Kontrahenten begründet nur dann eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, wenn der Verstoß über einen geringfügigen und häufigen Verstoß hinausgeht. Häufig bilden die Verbandsregeln bei der Beurteilung der Verhaltensanforderungen einen ersten Anhaltspunkt. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eines Schädigers bei Sportverletzungen ist umstritten: Denkbar ist einerseits, die beschriebenen Besonderheiten im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu prüfen, andererseits könnte darauf im Rahmen der Verschuldensprüfung eingegangen werden. Materiellrechtlich hat dieser Disput in aller Regel keinen Einfluss, prozessrechtlich können sich jedoch durchaus Implikationen i.R.d. Beweislastverteilung ergeben. Für Prüflinge ist es wichtig, die bekannte Prüfungsstruktur des § 823 Abs. 1 BGB einzuhalten und terminologisch sauber zu arbeiten.

06.01.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-01-06 10:00:472020-01-06 10:00:47OLG Frankfurt am Main zur deliktsrechtlichen Haftung im Mannschaftssport
Gastautor

Examensrelevante Anspruchsgrundlagen im Deliktsrecht, § 823 BGB – Teil I

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Ramona Zeh veröffentlichen zu können. Die Verfasserin ist Studentin an der Universität Bonn. Der Beitrag thematisiert die deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage des §823 BGB.
§ 823 BGB als Grundtatbestand der Verschuldenshaftung
I.) Unerlaubte Handlungen / Aufgabe des Deliktsrechts
Grundsätzlich muss jedermann für einen erlittenen Schaden als Teil seines allgemeinen Lebensrisikos selbst aufkommen. Regelungen der Schadensverlagerung enthält das Deliktsrecht in §§ 823 – 853 BGB sowie einer Fülle von Nebengesetzen (examensrelevant vor allem das ProdHG und das StVG).[1] Die Ratio des § 823 BGB bezweckt den Schutz der Unversehrtheit der Rechtsgüter (Integritätsinteresse). Den jeweiligen Bestimmungen liegen als Grundgedanken unterschiedliche Haftungsprinzipien zugrunde. Das im Deliktsrecht Wichtigste ist das sog. Verschuldensprinzip: Es besagt, dass der Schädiger den Schaden rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführt haben muss.[2] Das deutsche Deliktsrecht kennt keine allgemeine deliktische Generalklausel. Das BGB führt deliktische Einzeltatbestände auf, die durch partielle Generalklauseln, wie z.B. §§ 823 II und 826 BGB, ergänzt werden. Der Gesetzgeber wollte damit den ersatzberechtigten Personenkreis klar umreißen.[3]
II.) Anspruch aus § 823 I BGB
Innerhalb der deliktischen Verschuldenshaftung ist streng zwischen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Verschulden zu trennen (klassischer dreistufiger Deliktsaufbau).[4]
1.) Allgemeiner Tatbestand
a.) Rechtsgutsverletzung
Der Mensch ist gem. § 1 BGB erst nach Vollendung seiner Geburt rechtsfähig. Ungeachtet der Rechtsfähigkeit nimmt der BGH bei Schädigungen der Leibesfrucht (nasciturus) und des noch nicht gezeugten Kindes (nondum conceptus) eine Rechtsgutsverletzung im Sinne des § 823 I BGB an. Die Verletzung des Lebens meint grundsätzlich die Tötung, ausnahmsweise kann damit auch die Veranlassung zum Selbstmord gemeint sein, wenn der Betroffene erkennbar akut suizidgefährdet ist.[5] Die Körperverletzung meint das Eingreifen in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen. Der Begriff Körper erstreckt sich allerdings nicht auf die dauerhaft vom Körper getrennten Teile (z.B. eingefrorenes Sperma). Dahingegen bezieht sich die Gesundheitsverletzung auf eine physische oder psychische Erkrankung, ohne dass es dabei auf Schmerzen oder sonstige Krankheitssymptome ankommt. Davon sind ebenfalls bloße Infektionen mit einer Krankheit oder einem Virus umfasst. Entscheidend ist beiderseits, dass der Zustand aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftig ist.[6] Der ärztliche Heileingriff stellt nach h.M. grundsätzlich einen Eingriff im Sinne des § 823 I BGB dar, der jedoch in aller Regel gerechtfertigt ist. Bei psychischen Beeinträchtigungen aufgrund eines erlittenen Schocks ist eine Rechtsgutsverletzung in eng umgrenzten Voraussetzungen anzunehmen (sog. Schockschaden). Der erlittene Schock muss einen pathologischen Zustand begründen und behandlungsbedürftig sein. Zudem muss der Schock aufgrund der Verletzung oder des Todes eines nahen Angehörigen eingetreten sein. Damit soll die uferlose Ausweitung der Ersatzfähigkeit vermieden werden. Die sog. Verfolgungs- oder Herausforderungsfälle betreffen Selbstschädigungen des Opfers, die auf rechtswidriges Vorverhalten des Täters zurückzuführen sind. Trotz dazwischentreten des Opfers wird ein deliktisches Verhalten des Täters bejaht, wenn er eine Situation geschaffen hat, in der das Opfer sich zu seinem Tun herausgefordert fühlen durfte. Dabei darf das Opferverhalten in Anbetracht des eingegangenen Risikos nicht gänzlich unvernünftig erscheinen.[7]
Unter dem Begriff Freiheit i. S. d. § 823 I BGB wird allgemein die Fortbewegungsfreiheit verstanden, also die Möglichkeit, einen bestimmten Ort verlassen zu können (siehe „Fleet–Fall“). Die Einbuße der Fortbewegungsmöglichkeit des Autos in einem Verkehrsstau ist jedoch nicht erfasst, da dem Betroffenen die körperliche Fortbewegungsfreiheit verbleibt.[8]
Die Position des Eigentümers ist dadurch gekennzeichnet, dass er mit seiner Sache nach Belieben verfahren kann, siehe § 903 BGB. Einerseits können Eingriffe die Rechtsstellung des Eigentümers betreffen, andererseits eine Substanzverletzung, d.h. die Zerstörung oder Beschädigung der Sache, beinhalten.[9] Besonders Examensrelevant ist hierbei die Problematik des sog. weiterfressenden Schadens. Dabei tritt ein Defekt an einer bestimmten Stelle der Sache auf, von wo aus dieser sich „weiterfrisst“. Zwecks klarer Funktionstrennung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht hat der BGH in seiner Rechtsprechung das Kriterium der Stoffgleichheit entwickelt. Ist das mangelhafte Teil einer Sache funktionell begrenzt, leicht austauschbar und gegenüber dem Gesamtwert der Sache von geringem Wert, liegt keine Stoffgleichheit und somit eine Eigentumsverletzung vor.[10] Bei der Lieferung einer mangelhaften Sache kann keine Verletzung angenommen werden, da zu keiner Zeit mangelfreies Eigentum an der Sache bestand.[11]
Die Formulierung „Sonstige Rechte“ ist insofern irreführend, dass diese doch entgegen dem Sinn und Zweck des deutschen Deliktsrechts eine Generalklausel vermuten lässt. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kommen deshalb nur absolute Rechte in Betracht, d.h. solche, die gegenüber jedermann wirken.[12] Deshalb ist nicht das Vermögen als solches, sondern insbesondere von beschränkt dinglichen Rechten ( z.B. Grundpfandrecht, Anwartschaftsrecht) die Rede.[13] Weiterhin sind hierunter das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (dabei muss der Eingriff „betriebsbezogen“ sein, d.h. jede unmittelbare Beeinträchtigung des Betriebs als solchen umfassen)[14] und das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verstehen. Letzterem muss eine umfassende Güter – und Interessenabwägung zugrunde liegen, wobei aufsteigendes Schutzinteresse von Individual-, Privats– und Intimsphäre herrscht.[15]
b.) Verletzungshandlung
Neben positivem Tun stellt sich auch pflichtwidriges Unterlassen als taugliche Verletzungshandlung dar. Dazu wird eine Handlungspflicht vorausgesetzt, bei dessen Beachtung der Schaden nach pflichtgemäßen Unterlassen vermieden worden wäre.[16] Die Abgrenzung erfolgt dabei nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit.
c.) Haftungsbegründende Kausalität
Die haftungsbegründende Kausalität soll den kausalen Zusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und dem eingetretenem Erfolg herstellen. Diesbezüglich ist grundsätzlich die Äquivalenztheorie unter Ergänzung der Adäquanztheorie heran zu ziehen. Dies wird häufig durch die Lehre vom Schutzzweck der Norm ergänzt. Dabei muss der geforderte Kausalzusammenhang unter wertender Betrachtung noch vom Schutzzweck der jeweiligen Norm umfasst sein.[17]
d.) Rechtswidrigkeit
Gem. § 823 I BGB muss das geschützte Rechtsgut widerrechtlich verletzt worden sein. Nach herrschender Meinung, der Lehre vom Erfolgsunrecht, wird die Rechtswidrigkeit durch das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung indiziert. Einer anderen Auffassung zufolge, der Lehre vom Handlungsunrecht, bedarf es der positiven Feststellung der Rechtswidrigkeit. Dabei ist der Beweis einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung zu erbringen. Letztere Ansicht ist insbesondere Relevant, wenn die Verletzungshandlung in einem Unterlassen besteht.[18]
e.) Verschulden
Zur Feststellung des Verschuldens muss der Schädiger verschuldensfähig sein und schuldhaft gehandelt haben; sein Verhalten muss vorsätzlich oder fahrlässig zu bewerten sein.[19] Die Verschuldens– bzw. Deliktsfähigkeit begründet den persönlichen Schuldvorwurf. Der Schädiger muss ein bestimmtes Maß an geistig – intellektueller Leistungsfähigkeit besitzen. Bei Minderjährigen schließt die Haftungsprivilegierung des § 828 I BGB die deliktrechtliche Verantwortlichkeit aus, wenn das siebente Lebensjahr nicht vollendet worden ist. Gem. § 828 III BGB ist der Schädiger, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht verantwortlich, wenn er bei der Handlung nicht die zur Erkenntnis erforderliche Einsicht besitzt. Es darauf an, dass der Schädiger erkennen kann, dass sein Verhalten in irgendeiner Weise Verantwortung nach sich ziehen kann.[20]
Besondere Umstände gelten gem. § 828 II BGB für den Minderjährigen im motorisierten Verkehr, der das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat. Bei der gegebenen Fallkonstellation muss sich eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert haben (z.B. Einschätzen von Entfernung und Geschwindigkeit). Der nicht motorisierte Straßenverkehr weist keine vergleichbare Gefahrenlage auf; § 828 II BGB greift nicht ein. Dabei ist an die Aufsichtspflicht der Eltern mit der Haftungsfolge des § 832 BGB als Korrektiv zu denken.[21]
Bezüglich der Verschuldensform spricht § 823 I BGB von Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gem. § 276 II BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dieser Maßstab objektiv zu verstehen, demnach entlasten persönliche Unzulänglichkeiten den Schädiger nicht. Strittig ist, ob dabei äußere und innere Sorgfalt zu unterscheiden sind. Der BGH verwendet diese Differenzierung insbesondere dann, wenn trotz objektiven Sorgfaltsverstoßes ein Verschulden mangels Erkennbarkeit der Sorgfaltspflicht verneint werden muss.
f.) Schaden
Inhalt und Umfang eines erlittenen Schadens beurteilen sich wie gewohnt nach §§ 249 ff BGB. Dies betrifft grundsätzlich Vermögensschäden; die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden gilt ausnahmsweise gem. § 253 II BGB.[22] Zudem gelten deliktsrechtliche Sondervorschriften, siehe §§ 842 ff BGB.[23]
g.) Haftungsausfüllende Kausalität
Die haftungsausfüllende Kausalität bezieht sich auf den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden. Dieser Zusammenhang wird ebenfalls mithilfe der bekannten Theorien hergestellt (siehe oben). Hiervon werden keine Schäden erfasst, die nur aufgrund eines atypischen Kausalverlaufs eingetreten sind.[24] Ebenfalls vom Schutzzweck der Norm nicht mehr umfasste Schäden sind solche, die auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Schädigers entstanden wären.
h.) Schadensersatz als Rechtsfolge
823 I BGB ordnet als Rechtsfolge an, dass der Schädiger zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet ist. Zu ersetzen sind demnach alle benannten Vermögensschäden oder Nichtvermögensschäden (die auf einer Verletzung der in § 253 II BGB benannten Rechtsgüter beruhen).
i.) Ggf. Mitverschulden gem. § 254 BGB
Gem. § 254 BGB ist der Ersatzanspruch des Geschädigten um seinen Mitverschuldensanteil zu kürzen. Dies kann sich dadurch ergeben, dass der Geschädigte nicht in dem geforderten Umfang dazu beigetragen hat, die drohenden Nachteile auf ein Mindestmaß zu beschränken, § 254 I BGB. Grundsätzlich bestimmt § 254 II, dass dem Geschädigten ein Mitverschulden anzulasten ist, wenn er die Rechtsgutsverletzung mitverursacht hat.[25] Nach h.M. ist der § 254 II S. 2 BGB jedoch als III zu lesen, der einerseits einen Rechtsgrundverweis auf § 278 BGB enthält und deshalb im Deliktsrecht nicht anwendbar ist. Andererseits soll ebenfalls ein Verweis auf § 831 BGB enthalten sein, sodass Regelungen über die Verantwortlichkeit für Dritte nicht gesperrt worden sind.
III.) Anspruch aus § 823 II BGB i. v. m. einem Schutzgesetz
Anders als § 823 I BGB verlangt Absatz 2 keine Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes. Vielmehr wird der Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB vorausgesetzt. Deshalb wird auch von einer „kleinen“ deliktischen Generalklausel gesprochen.[26]
1.) Schutzgesetzverletzung
Im Vordergrund des § 823 II BGB steht die Problematik des im Einzelfall anzuwendenden Schutzgesetzes.[27] Die Rechtsprechung hat zur Bestimmung eines tauglichen Schutzgesetzes die im Folgenden dargestellten Kriterien entwickelt. Es soll verhindert werden, dass durch die ausufernde Anwendung der Schutzgehalt des § 823 I BGB ausgehöhlt wird.[28]
a.) Schutznormqualität
Gesetze im Sinne des BGB sind Rechtsnormen gem. Art. 2 EGBGB. Dies meint demnach potenziell sowohl Gesetze im formellen als auch materiellen Sinne. Nach allgemeiner Ansicht stellt der VA jedoch kein Schutzgesetz dar, weil ihm die Gesetzesqualität fehlt: Er beinhaltet gerade keine abstrakt – generellen Regelungen.[29]
b.) Persönlicher Schutzbereich
Entscheidend ist, dass das betreffende Gesetz den Geschädigten zum geschützten Personenkreis zählt. Die ständige Rechtsprechung geht außerdem davon aus, dass bußgeldbewehrte Vorschriften dann nicht in den Schutzbereich fallen, wenn die Interessen des Geschädigten bereits ausreichend abgesichert sind.[30]
c.) Sachlicher Schutzbereich
Vom sachlichen Schutzbereich sind Schutzgesetzte umfasst, die ausdrücklich vor Vermögensschäden schützen wollen.
2.) Rechtswidrigkeit
Bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz wird die Rechtswidrigkeit indiziert.[31]
3.) Verschulden
Grundsätzlich kommt es für das Verschulden auf die Anforderungen des Gesetzes an, dem das Schutzgesetz entstammt. Verlangt die betreffende Norm Vorsatz, so gilt dieser Verschuldensmaßstab. Fordert das Schutzgesetz selbst kein Verschulden, gelten zivilrechtliche Maßstäbe.[32]
 
Fußnoten:
1 Emmerich, BGB – Schuldrecht Besonderer Teil, 13. Auflage, München 2012, S. 260.
2 Emmerich, a. a. O., S. 260 f.
3 Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Auflage 2012, S. 267.
4 Grigoleit/Riehm, in: Neuner/Grigoleit, Schuldrecht IV, München 2011, S. 6.
5 Sprau, in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Auflage, München 2013, § 823, Rn. 3.
6 Emmerich, a. a. O., S. 269.
7 Emmerich, a. a. O., S. 271.
8 Fuchs, Deliktsrecht, 7. Auflage, Ingolstadt 2008, S. 16 f.
9 Wandt, a. a. O., S. 273.
10 Sprau, in Palandt, a. a. O., § 823, Rn. 177 f.
11 Emmerich, a. a. O., S. 282 f.
12 Fuchs, a. a. O., S. 30.
13 Hager, in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 823, Rn. B 126.
14 Musielak/Hau, Examenskurs BGB, 3. Auflage, München 2014, S. 183.
15 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 24. Auflage, München 2013, S. 311 f.
16 Plate, Das gesamte examensrelevante Zivilrecht, 5.Auflage, Hamburg 2011, S. 1230 ff.
17 Emmerich, a. a. O., S. 264.
18 Plate, a. a. O., S. 1253 f.
19 Grigoleit/Riehm, in: Neuner/Grigoleit, a. a. O., S. 43.
20 Wandt, a. a. O., S. 353 f.
21 Fuchs, a. a. O., S. 78 f.
22 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 12. Auflage, München 2013, S. 60.
23 Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, 9. Auflage, München 2014, S. 447.
24 Looschelders, a. a. O., S. 448.
25 Kötz/Wagner, a. a. O., S. 61.
26 Fuchs, a. a. O., S. 127.
27 Medicus/Petersen, a. a. O., S. 315.
28 Fuchs, a. a. O., S. 128.
29 Looschelders, a. a, O. , S. 472 f.
30 Fuchs, a. a. O., S. 130 f.
31 Plate, a. a. O., S. 1262.
32 Hager, in Staudinger, a. a. O., § 823, Rn. G 34 f.
 
 
 

28.11.2014/8 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-11-28 08:00:132014-11-28 08:00:13Examensrelevante Anspruchsgrundlagen im Deliktsrecht, § 823 BGB – Teil I
Maria Lohse

LG Coburg: Keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei Schädigung durch umfallende Tür

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Mit rechtskräftigem Urteil vom 04.03.2014 hat das LG Coburg (Az.: 22 O 619/13) entschieden, dass Schadensersatz wegen einer Verletzung durch eine ordnungsgemäß abgestellte, umgefallene Tür nicht verlangt werden kann.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist in einem Kindergarten als Raumpflegerin angestellt. Der Beklagte ist Handwerker. Er führte in dem betreffenden Kindergarten Baumaßnahmen durch. Im Rahmen dessen hatte er selbst oder einer seiner Mitarbeiter die Zugangstür zu einem Waschraum ausgehängt und in dem Waschraum an eine Wand gelehnt. Als die Klägerin den Waschraum reinigen wollte, stellte sie fest, dass durch die angelehnte Tür der Zugang zu einer Toilettenkabine versperrt war. Bei dem Versuch, die angelehnte Tür beiseite zu schieben, fiel diese der Klägerin auf den Arm. Dadurch kam die Klägerin zu Fall und geriet teilweise unter die Tür. Bei der anschließenden Untersuchung im Krankenhaus stellte sich heraus, dass der linke Oberarm der Klägerin gebrochen war. Sie wurde daraufhin 5,5 Monate krankgeschrieben.
Die Klägerin verlangte in dem gegenständlichen Verfahren vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von 3000,- € für die entstandenen Heilbehandlungskosten und den Verdienstausfall sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000,- €.
Entscheidung:
Das LG Coburg hat die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen.
A. Schadensersatz
Zunächst könnte der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 3000,- € gegen den Beklagten zustehen.
I. § 823 Abs. 1 BGB
Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten könnte gemäß § 823 Abs. 1 BGB bestehen.
1. Rechtsgutsverletzung
Eine Rechtsgutsverletzung der Klägerin ist eingetreten. Sie hat sich durch den Vorfall den linken Oberarm gebrochen. Insofern ist eine Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit eingetreten.
2. Kausale Handlung/pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten
Diese Rechtsgutsverletzung müsste durch ein kausales Handeln oder Unterlassen des Beklagten eingetreten sein.
a) Handeln des Beklagten
Ein Handeln des Beklagten, das unmittelbar zur Verletzung der Klägerin führte, ist nicht ersichtlich.
b) Pflichtwidriges Unterlassen
Allerdings käme ein pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten in Betracht. Das setzte voraus, dass er durch das Anlehnen der ausgehängten Tür an die Wand des Waschraumes eine Gefahrenquelle geschaffen hätte, deren Sicherung ihm deswegen oblegen hätte. Es geht hier damit um die Frage, ob eine Verkehrssicherungspflicht des Beklagten bestanden hat, die er durch fehlende Sicherungsmaßnahmen verletzte.
Nach ständiger Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine naheliegende Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Entscheidend ist dabei aber, dass nicht jeder abstrakten Gefährdung vorbeugend begegnet werden kann und muss. Es geht nur um die Verhinderung von Schädigungen Dritter, die im typischen Gefahrenbereich der jeweiligen Gefahrenquelle liegen und dem Verkehrssicherungspflichtigen unmittelbar ersichtlich sind oder sein müssen. Nicht jede eingetretene, noch so abgelegene Eventualität kann von der Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen erfasst sein. Zu den allgemeinen Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichten siehe auch hier, hier und hier.
Das LG Coburg verneinte das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflicht in der konkreten Situation. Dabei betonte es, dass kein allgemeiner Grundsatz existiere, dass Dritte vor Selbstgefährdungen zu schützen seien. Das Aushängen einer Tür im Rahmen handwerklicher Arbeiten stelle kein sorgfaltswidriges Verhalten dar. Auch die an eine benachbarte Wand angelehnte Tür sei für sich genommen keine Gefahrenquelle. Für eine unsachgemäße Aufstellung der Tür sei nichts vorgetragen worden. Daher konnte die Gefahr, die sich hier durch die Verletzung der Klägerin realisiert hat, erst dadurch eintreten, dass das Verhalten der Klägerin – nämlich das Wegschieben der angelehnten Tür – hinzutrat.
Zwar könnte eine Haftung ausnahmsweise auch bei sorgfaltswidrigem Verhalten des Geschädigten anerkannt werden, dies jedoch nur, sofern dessen Fehlverhalten vorhersehbar und naheliegend sei. Das mag zwar beim Beiseiteschieben der Tür zum Zwecke der Reinigung des kompletten Waschraums der Fall gewesen sein. Hinzu kommen müsste aber für eine Haftung des Beklagten, dass der Geschädigte selbst die Gefahr nicht erkennen und infolgedessen ihr nicht begegnen konnte. Das sei nach Ansicht des Landgerichts hier nicht der Fall gewesen. Der Klägerin habe die Gefahr des Umfallens der nicht befestigten, sondern nur angelehnten Tür durchaus ersichtlich sein müssen. Dann aber hätte sie Schutzvorkehrungen zu ihrer eigenen Sicherheit treffen müssen. Da sie dies nicht getan habe, könne das Fehlverhalten der Geschädigten dem Beklagten nicht zugerechnet werden.
Mangels Bestehens einer Verkehrssicherungspflicht kommt eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB besteht nicht.
II. § 831 BGB
Auch eine Haftung des Beklagten aus § 831 BGB wegen einer etwaigen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch einen seiner Mitarbeiter kommt nicht in Betracht. Zwar handelt es sich bei den Mitarbeitern des Beklagten um dessen Verrichtungsgehilfen, da sie von ihm zu einer Verrichtung in weisungsabhängiger Stellung bestellt wurden. Unabhängig von der offenbar unaufklärbaren Frage, wer die Tür tatsächlich ausgehängt und an die Wand gelehnt hat, käme aber selbst dann, wenn der Beklagte daran in Person nicht beteiligt war, eine Haftung aus § 831 BGB nicht in Betracht. Nach den obigen Ausführungen bestand nämlich eine Verkehrssicherungspflicht wegen der angelehnten Tür nicht – weder für den Beklagten, noch für einen seiner Mitarbeiter.
III. Ergebnis
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht nicht.
B. Schmerzensgeld
Darüber hinaus besteht ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gemäß § 253 Abs. 2 BGB nicht. Dieser scheitert schon an der fehlenden Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz.
C. Ergebnis
Die Klägerin hat weder Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes, noch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.
Stellungnahme:
In der vorliegenden Entscheidung des Landgerichts wird die begrüßenswerte Tendenz der Rechtsprechung abermals erkennbar, die an sich anerkannten Grundsätze zur Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, die im Falle ihres Vorliegens sowohl über das fehlende Erfordernis einer verletzenden Handlung, wie auch über die Schwierigkeiten der Konstruktion eines Verschuldens in derartig gelagerten Fällen hinweg hilft, nicht ausufern zu lassen. Erfasst sein soll ja gerade nicht jede noch so fernliegende Gefahr, die sich aber gleichwohl realisiert hat.
Sehr schön lässt sich an der Begründung des Gerichts ersehen, dass die Bestimmung der Existenz einer Verkehrssicherungspflicht stets denselben Argumentationssträngen folgt. Auch in der vorliegenden Entscheidung ist eine stringente Weiterführung der längst etablierten Grundsätze erkennbar, die eine konsequente Aufteilung der jeweiligen Risikosphären in den Mittelpunkt stellen.
Für die Prüfungspraxis lässt sich daraus folgendes ziehen: Die Thematik rund um die Verkehrssicherungspflichten ist von nach wie vor hoher Relevanz. Entsprechende Aufgabenstellungen können sicher gelöst werden, indem der Examenskandidat die bekannten und stets von den Gerichten wiederholten Grundsätze darstellt und sie auf den individuellen Fall anwendet.
 
 

22.08.2014/3 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-08-22 14:00:502014-08-22 14:00:50LG Coburg: Keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei Schädigung durch umfallende Tür
Maria Lohse

OLG Oldenburg: Zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers alter Schlossanlagen

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Mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 28.02.2014 (Az.: 11 U 75/13) hat das OLG Oldenburg entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch beim Sturz in einer alten Schlossanlage nicht schon dadurch gegeben ist, dass sich am Unfallort eine Stolperfalle befand.
Sachverhalt:
Die Klägerin besuchte im Mai 2012 im Rahmen einer Gartenausstellung das Schloss Ippenburg in Bad Essen. Im Rahmen dieses Besuchs stürzte sie im Eingangsbereich des Ausstellungsgeländes und verletzte sich schwer. Grund für den Sturz war ein Stolpern der Klägerin über einen sog. Auflaufbock gewesen, eine Art Stütze aus Metall, auf der das Eingangstor im geschlossenen Zustand aufliegt. Da das Tor offen stand, stellte der Auflaufbock durch eine nicht unmittelbar sichtbare Erhöhung im Boden eine Stolperfalle dar.
Die Klägerin verlangt vom beklagten Schlosseigentümer und Veranstalter der Ausstellung Schadensersatz für die eingetretenen Verletzungen.
Das LG Osnabrück lehnte den Schadensersatzanspruch in erster Instanz ab. Das Urteil wurde vom OLG Oldenburg nun bestätigt.
Entscheidung:
Das OLG hielt den Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB nicht für gegeben.
I.  Haftungsbegründender Tatbestand
Der Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass eine Rechts- oder Rechtsgutsverletzung kausal durch ein Handeln oder Unterlassen des Schädigers eingetreten ist, das Handeln oder Unterlassen rechtswidrig und schuldhaft erfolgte.
1. Rechts- oder Rechtsgutsverletzung
Eine Rechtsgutsverletzung ist in Form der Körper- und Gesundheitsverletzung bei der Klägerin eingetreten.
2. Handlung oder pflichtwidriges Unterlassen
Dies müsste auf ein Handeln oder Unterlassen des Beklagten zurückgehen.
Handlung meint schon nach dem allgemeinen Wortverständnis ein aktives Tätigwerden auf Seiten des Schädigers. Vorliegend ist jedoch keine Handlung des Schlosseigentümers ersichtlich, an welche zur Zurechnung der Rechtsgutsverletzung angeknüpft werden könnte.
In Betracht kommt daher nur ein sorgfaltswidriges Unterlassen, das zur Rechtsgutsverletzung geführt haben könnte. Jedoch ist nicht jedes Unterlassen tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Rechtsgutsverletzung. Das Unterlassen ist vielmehr nur dann haftungsbegründend, wenn eine Handlungspflicht bestand. Eine solche besteht, wenn den Unterlassenden eine Verkehrssicherungspflicht trifft.
Exkurs: 
a) Wann besteht eine Verkehrssicherungspflicht?
Die Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht scheint dort gerechtfertigt, wo erhöhte Sicherungsmaßnahmen vom Verantwortlichen gefordert werden können. Das kann aus verschiedenen Gründen der Fall sein, etwa bei der Übernahme einer Obhutspflicht hinsichtlich des gefährdeten Rechtsguts oder Rechtsgutsträgers oder aufgrund der Schaffung und Unterhaltung einer Gefahrenquelle. Die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht selbst und die Bestimmung ihres Umfangs hat sich an verschiedenen Kriterien wie der wirtschaftlichen Zuordnung der Gefahrenquelle und der Beherrschbarkeit der Gefahr, der Zumutbarkeit von Maßnahmen für den Verantwortlichen, der Möglichkeit Dritter, Maßnahmen zum Selbstschutz zu ergreifen und der Sicherheitserwartungen selbiger zu orientieren.
Daraus resultieren einige Fallgruppen von Tätigkeiten oder Betrieben, in deren Zusammenhang die Auferlegung von Verkehrssicherungspflichten anerkannt ist. Allen Fallgruppen gemeinsam ist, dass sie eine Steigerung des allgemeinen Lebensrisikos durch den Betrieb oder die Tätigkeit voraussetzen.
b) Welche anerkannten Fallgruppen gibt es?
aa) Schaffung und Betrieb einer Gefahrenquelle
In Fällen der Schaffung und Erhaltung von Gefahrenquellen etwa ist die Auferlegung von Verkehrssicherungspflichten gerechtfertigt durch den wirtschaftlichen Nutzen, den der Berechtigte daraus zieht. Ein Extrembeispiel für diese Fallgruppe wäre etwa der Betrieb eines Atomkraftwerks. Die Verkehrssicherungspflicht, die dem Betreiber aufgebürdet wird, kann quasi als Kehrseite der erteilten Genehmigung für den Betrieb betrachtet werden.
bb) Verkehrseröffnung
Ein weiterer anerkannter Anwendungsfall ist die Öffnung einer Anlage für den Verkehr. Der Betreiber der Anlage zieht ebenso wie derjenige, der die Gefahrenquelle eröffnet und betreibt, einen wirtschaftlichen Nutzen aus ihr. Gemeint sind hier etwa die typischen Fälle des Betriebs eines Schwimmbades oder eines Kinderspielplatzes. Die Haftung kann jedoch nur angemessen sein für solche Schäden, die typischerweise mit der bestimmungsgemäßen Eröffnung der Anlage einhergehen. Das heißt, dass Schäden, welche aus einer Zweckentfremdung der Anlage durch die Besucher entstehen, nicht kompensierbar sind.
cc) Inverkehrbringen von Sachen
Darüber hinaus ist auch das Inverkehrsbringen von Sachen als Fallgruppe der Verkehrssicherungspflichten anerkannt. Hier erscheint die Statuierung einer Verkehrssicherungspflicht aus Gründen der Zustandsverantwortlichkeit und abermals wegen des wirtschaftlichen Nutzens auf Seiten des Vertreibenden verhältnismäßig. Der Distributor von Spülmaschinen etwa hat nicht nur für deren Funktionsfähigkeit zum bestimmungsgemäßen Gebrauch, sondern auch dafür zu sorgen, dass ein Gebrauch der Maschine möglich ist, ohne dass sie oder andere Sachen beschädigt werden.
dd) Haftungsübernahme
Verkehrssicherungspflichten können zudem aus einer Haftungsübernahme resultieren. Dazu muss der Pflichtige Sicherungspflichten etwa aufgrund seiner beruflichen Stellung oder aus einer persönlichen Vereinbarung heraus übernommen haben. Die Rechtfertigung einer Haftungsbegründung für ein Unterlassen ist hier sowohl die fehlende Selbstschutzmöglichkeit Dritter wie auch deren Sicherungserwartung gegenüber dem Pflichtigen.
All diesen Fällen der Konstruktion von Verkehrssicherungspflichten ist gemein, dass sich der Haftungsumfang nach den gleichen Kriterien bemisst. Er ist jeweils im Einzelfall zu bestimmen und orientiert sich daran, was dem Pflichtigen in der konkreten Situation zumutbar ist und vom schutzbedürftigen Dritter erwartet werden kann. Der Umfang der Sicherungspflicht kann von Warnung und Instruktion zum Zwecke des Ergreifens von Selbstschutzmaßnahmen bis hin zu Gefahrverhütungs- und –beseitigungspflichten reichen. Auch objektive Kriterien wie der Umfang eines etwaig zu erwartenden Schadens und der Wert der bedrohten Rechtsgüter fließen in die Bestimmung des Umfangs im Einzelfall mit ein.
Für die vorliegende Konstellation hat das OLG Oldenburg das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Auflockbocks verneint.
Zwar handelt es sich hier um einen Fall der Öffnung einer Anlage für den Verkehr, sodass die Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht aus dieser Fallgruppe naheliegen könnte. Die Besucher einer solchen alten Schlossanlage träfen jedoch gesteigerte Sorgfaltspflichten. Insbesondere wäre ihnen erkennbar, dass keine Barrierefreiheit im Bereich von Eingängen und Toren solcher Anlagen gewährleistet sein könne. Die Klägerin hätte bei erhöhter Aufmerksamkeit erkennen können, dass eine Erhöhung im Bodenbereich besteht. Der Sturz wäre somit vermeidbar gewesen.
Die geforderte Sorgfalt habe sie hingegen nicht beachtet, sodass der Unfall ihr selbst und nicht dem Anlagenbetreiber und Schlosseigentümer wegen dessen pflichtwidrigen Unterlassens zuzurechnen sei.
II. Ergebnis
Die Beklagte trifft nach Ansicht des Gerichts keine Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der Stolperfalle. Der haftungsbegründende Tatbestand ist damit schon nicht erfüllt.
Fazit:
Mit dem vorliegenden Urteil werden die Anwendungsfälle der Verkehrssicherungspflicht weiter konkretisiert.
Deutlich wird daraus zunächst, dass es sich bei der Konstruktion von Verkehrssicherungspflichten nicht um eine Art Automatismus handelt, der aus Zweckmäßigkeitserwägungen immer dort herangezogen wird, wo die Anknüpfung an eine aktive Handlung nicht denkbar ist. Dies gilt auch dann, wenn die Gestaltung im Einzelfall grundsätzlich einer zuvor definierten Fallgruppe unterfällt. Betont wird hier vielmehr die Wichtigkeit der Vornahme einer Bewertung und Abwägung im Einzelfall.
Im Ergebnis ist der Entscheidung des Gerichts zuzustimmen. Richtig ist, dass bei derartigen Anlagen aufgrund vormals geltender Standards zur Zeit der Errichtung der Maßstab für die Sicherung nicht zu streng angelegt werden darf. Anderenfalls entstünde nämlich – und hier ist ein Rückbezug zu den oben benannten Kriterien möglich – eine unzumutbare Belastung für den Anlagenbetreiber.
Die Entscheidung ist von Relevanz für das Examen, da sie eine optimale Verknüpfung zwischen der Darstellung erlernten Wissens zur Verkehrssicherungspflicht überhaupt und der Möglichkeit zur Argumentation am konkreten Einzelfall bietet.
 

07.03.2014/0 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-03-07 14:00:482014-03-07 14:00:48OLG Oldenburg: Zur Verkehrssicherungspflicht des Betreibers alter Schlossanlagen
Dr. Jan Winzen

OLG Hamm: Zur Verkehrssicherungspflicht des Baumarktbetreibers

Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Klassischer (im prüfungstechnischen Sinne) hätte die Fragestellung, die einer jüngst veröffentlichten Entscheidung des OLG Hamm (9 U 187/12) zugrunde lag, kaum sein können: Haftet der Betreiber eines Baumarkts dem Grunde nach für Schäden, die einer Kundin in Folge des Ausrutschens auf einer verunreinigten Stelle im Kassenbereich des Baumarkts entstanden sind und möglicherweise zukünftig noch entstehen werden?
A. Rechtliche Würdigung
I. Richtige Anspruchsgrundlage: §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB
Der richtigen Anspruchsgrundlage sollte man sich hier unbedingt systematisch nähern (zur Erinnerung: vertraglich – quasi vertraglich – GoA – dinglich – deliktisch/bereicherungsrechtlich, zur Wiederholung dieser wichtigen Zusammenhänge sei an dieser Stelle auf die gut verständliche Darstellung bei Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23. Auflage, Rn. 7 ff. verwiesen). Anders als in zahlreichen Fällen zur Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (siehe etwa hier, hier und hier) liegt nämlich eine vertragliche Beziehung zwischen den Parteien vor, denn

Indem die Klägerin die Geschäftsräume der Beklagten betreten hat, um Waren zu erwerben, ist gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB entstanden.

Da eine Verletzung dieser Pflichten in Rede steht, ist die Anspruchsgrundlage folglich nicht, wie sonst häufig, § 823 Abs. 1 BGB, sondern §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB zu entnehmen.
II. Tatbestandsvoraussetzungen
1. Schuldverhältnis
Die Entstehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses zwischen der Kundin und dem Betreiber des Baumarkts (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) wurde bereits dargelegt.
2. Pflichtverletzung
Der Betreiber des Baumarkts müsste eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben. Einem Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB erwachsen insoweit nur die Schutzpflichten des § 241 Abs. 2 BGB. Gegenstand der Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB ist u.a. die Pflicht zur Erhaltung des Integritätsinteresses und folglich – soweit möglich – die Vermeidung von Verletzungen potentieller Vertragspartner.
Zur Konkretisierung der Reichweite dieser Pflicht werden die zu den insoweit inhaltsgleichen Verkehrssicherungspflichten im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen (siehe etwa BGH, Urteil vom 09.09.2008 – VI ZR 279/06 Rz. 9 (juris)). § 241 Abs. 2 BGB ist folglich verletzt, wenn der Baumarktbetreiber eine ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.
Es empfiehlt sich bei der weiteren Bearbeitung eine zweistufige Prüfung: Zuerst sollte man abstrakt den genauen Inhalt der Verkehrssicherungspflicht bestimmen, um dann im zweiten Schritt die Anwendung auf den konkreten Fall vornehmen zu können.
a) Inhalt der Verkehrssicherungspflicht
Der Prüfungsmaßstab richtet sich nach den zu § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Kriterien:

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.

Einzelhandelsunternehmen sind – das ist in der Rechtsprechung schon lange anerkannt – grundsätzlich Adressaten von Verkehrssicherungspflichten. Dem folgt auch das OLG Hamm:

Diese Verpflichtung trifft auch ein Einzelhandelsunternehmen in Bezug auf seine Geschäftsräume.

 
Im Hinblick auf die Bestimmung der Reichweite der Verkehrssicherungspflicht hat das Einzelhandelsunternehmen

in den Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass die Kunden durch die angebotene Ware und den Zustand der Geschäftsräume – insbesondere auch des Fußbodens – keine Schäden erleiden.

Der Umfang der damit korrespondierenden Kontrollpflichten

hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab – u.a. von der Kundenfrequenz, der Witterung sowie dem von den zum Verkauf angebotenen Waren ausgehenden Gefahrenpotential.

Verschiedenartige Einzelhandelsunternehmen sind, wie das OLG Hamm ausführt, bereits Gegenstand der Rechtsprechung zu Verkehrssicherungspflichten gewesen:

  • Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarktes: große Rutschgefahr – Reinigung des Bodens durch eine bestimmte Person in kurzen Abständen (15 bis 20 Minuten) + Überwachung durch die Laden- und Abteilungsaufsicht  (OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 158).
  • Selbstbedienungs-Drogeriemarkt: nur ausnahmsweise Rutschgefahr – regelmäßige Kontrolle (alle 30 Minuten) (OLG Hamm, NJW-RR 2002, 171).
  • Warenhaus: ständige Anwesenheit eines mit der Ladensicherheit betrauten Mitarbeiters + Anweisung aller Mitarbeiter, auf Verunreinigungen zu achten und diese zu beseitigen oder zu melden (OLG Köln, VersR 2009, 233).
  • Lebensmittelmarkt mit einer Größe von 650 m²: Anweisung aller Mitarbeiter, den Zustand des Bodens regelmäßig zu kontrollieren und Verunreinigungen sogleich zu beseitigen + regelmäßige Kontrolle der Einhaltung dieser Weisungen durch den Filialleiter (wobei diese Kontrolle im Kassenbereich alle 10 bis 15 Minuten erfolgt) (OLG Köln, VersR 1997, 1113)

Bei der Bestimmung der Verkehrssicherungspflicht des Betreibers eines Selbstbedienungsbaumarkts ist vor diesem Hintergrund zu berücksichtigen:

dass ihr Warensortiment zwar nicht das Gefahrenpotential des Warensortiments eines Lebensmittelmarktes, insbesondere einer Obst- und Gemüseabteilung, hat. Die meisten Artikel sind verpackt, so dass eine Rutschgefahr durch den Inhalt der Verpackungen nur bei geöffneten oder beschädigten Verpackungen besteht. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass in dem von der Beklagten betriebenen Baumarkt auch Pflanzen verkauft werden, die üblicherweise nicht verpackt sind. Von diesen Pflanzen geht die Gefahr aus, dass sie Teile – wie z.B. Blätter – verlieren und dass aus der bewässerten Erde Wasser austritt. Insbesondere auch im Hinblick auf diese Gefahr muss der Betreiber eines Baumarktes für regelmäßige Kontrollen sorgen. Diese Verpflichtung betrifft im besonderen Maße den Kassenbereich, den die Kunden mit Waren aller Art passieren und in dem die Aufmerksamkeit durch die ggf. mit sich geführten Waren, das Warensortiment sowie die Verkaufsvorgänge abgelenkt ist. Die Abstände der Kontrollen hängen von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere auch dem Kundenaufkommen.

Daraus ergibt sich nach Ansicht der Gerichts das folgende Pflichtenprogramm:

Bei einem durchschnittlich starken Kundenaufkommen ist eine Kontrolle im Abstand von 30 Minuten erforderlich und ausreichend. Die generelle Anweisung an alle Mitarbeiter, auf Verunreinigungen insbesondere im Kassenbereich zu achten, ist nur dann ausreichend, wenn eine Person für die regelmäßige Kontrolle dieser Anweisung verantwortlich ist und diese auch in kurzen Abständen durchführt.

b) Einhaltung der so besitmmten Verkehrssicherungspflicht durch den Baumarktbetreiber
Der Baumarktbetreiber hat nach Ansicht des OLG Hamm seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, denn:

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist der im Rahmen der sekundären Darlegungslast erfolgte Vortrag der Beklagten, Sichtkontrollen im Kassenbereich hätten in Intervallen von 15 bis 30 Minuten stattgefunden und seien von der Filialleitung regelmäßig überprüft worden, so dass 10 Minuten vor dem Sturz der Zeuge M den Bereich vor der Kasse Nr. 1 überprüft und dabei keine Bodenverunreinigungen festgestellt habe, nicht bewiesen.

In einer Klausur des ersten Staatsexamens würde man hier freilich eher mit einem unstreitigen Sachverhalt konfrontiert werden, dessen Subsumtion dann vermutlich auch keine größeren Schwierigkeiten bereiten dürfte.
c) Zwischenergebnis
Eine Pflichtverletzung im Sinne des §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB liegt in Form der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vor.
3. Kausalität – Anscheinsbeweis
Die entstandenen Schäden müssten kausal auf die Pflichtverletzung zurück zu führen sein. Ein typischer Beklagteneinwand ist insoweit die Behauptung, es sei nicht aufgrund der Verkehrssicherungspflichtverletzung, sondern aufgrund einer anderen Ursache zu dem Sturz gekommen.
Auch im ersten Examen können Sachverhalte mitunter so gestaltet sein, dass die Kausalität nicht mit Sicherheit feststeht. Das ist aber nicht weiter problematisch, wenn und weil dann zumindest feststehen wird, dass zur Zeit des Unfalls eine Flüssigkeit auf dem Boden befand und dass die Klägerin an genau dieser Stelle gestürzt ist. So kann die Entscheidung nämlich auf Grundlage eines Anscheinsbeweises getroffen werden:

Aufgrund des Anscheinsbeweises ist weiter davon auszugehen, dass die Klägerin wegen des verkehrssicherungswidrigen Zustands des Fußbodens gestürzt und sich am Knie verletzt hat. Kann festgestellt werden, dass sich zur Zeit des Unfalls eine Flüssigkeit auf dem Boden befand und dass die Klägerin an dieser Stelle gestürzt ist, so streitet der Anscheinsbeweis dafür, dass die auf der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht beruhende Glätte eine Bedingung für den Sturz der Klägerin war, es bei Beachtung der Verkehrssicherungspflicht also nicht zu dem Unfall gekommen wäre.
Weiter ist das Landgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte als Betreiberin des Baumarktes in diesem Fall die tatsächliche Vermutung erschüttern muss, indem sie darlegt und beweist, dass es nicht aufgrund der Verkehrssicherungspflichtverletzung, sondern aufgrund einer anderen Ursache zu dem Sturz gekommen ist. Daran fehlt es vorliegend.

Die Kausalität ist damit im Ergebnis zu bejahen.
4. Verschuldensvermutung (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB)

Die Beklagte hat sich nicht gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB entlastet. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, dass ihr die Einhaltung der objektiv erforderlichen Verkehrssicherungspflichten subjektiv in der konkreten Situation nicht möglich oder zumutbar war.

5. Mitverschulden (§ 254 BGB)
Das OLG Hamm nimmt schließlich aber noch ein Mitverschulden seitens der Klägerin an, denn:

Die Klägerin hat durch ihre Unaufmerksamkeit dazu beigetragen, dass es zu dem Sturz gekommen ist. Insoweit ist der vom Landgericht angeführte Gesichtspunkt zu berücksichtigen, dass in einem Selbstbedienungs-Baumarkt eine völlige Gefahrlosigkeit von den Kunden nicht erwartet werden kann. Deshalb sind die Kunden eines Selbstbedienungsgeschäftes veranlasst, sich auf die für das Selbstbedienungssystem typischen und vom Betreiber nie völlig auszuräumenden Risiken einzustellen und durch entsprechende Aufmerksamkeit für die eigene Sicherheit zu sorgen. Die danach erforderliche Aufmerksamkeit hat die Klägerin nicht aufgebracht. Dies folgt bereits aus ihren eigenen Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Dort hat die Klägerin erklärt, sie habe die Lache nicht gesehen, weil sie beim Gehen ja nicht permanent auf den Boden schaue. Des Weiteren hat die Klägerin den Durchmesser der Lache mit 15 bis 20 cm angegeben – einer Größe, die bei gehöriger Sorgfalt ohne weiteres erkennbar ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass – wenn die Klägerin aufmerksam auf den Boden geschaut hätte – sie die Lache erkannt hätte und es nicht zu dem Sturz gekommen wäre.

6. Ergebnis
Der Kundin steht unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB dem Grund nach zu.
B. Fazit
Die Entscheidung des OLG Hamm ist in ihrer gutachterlichen Beurteilung nicht besonders komplex. Die Haftung für aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten entstandene Schäden dürfte wohl den meisten Kandidaten bekannt sein (siehe, neben den eingangs schon genannten, zu weiteren jüngeren Entscheidungen hier, hier und hier). Umso wichtiger ist es sicherlich, präzise zu arbeiten und die wenigen Besonderheiten zutreffend und mit der richtigen Gewichtung zu würdigen. Dass vorliegend eine vertragliche Anspruchsgrundlage und nicht § 823 Abs. 1 BGB zu prüfen ist, sollte deshalb besser nicht übersehen werden (auch wenn die Ergebnisse letztlich nicht von einander abweichen dürften). Der Anscheinsbeweis im Rahmen der Kausalität kommt (insbesondere in der Praxis und im zweiten Examen) regelmäßig bei Verkehrssicherungspflichten und sollte deshalb in seinen Grundzügen auch im ersten Examen bekannt sein (häufiger anzutreffen ist die Figur freilich beim Verkehrsunfall).
Sowohl für die Zusatzfrage im ersten Examen als auch für das zweite Examen (dann prozessual eingekleidet) ist daran zu denken, dass wegen des Schmerzensgeldes ein in der Höhe unbestimmter Klageantrag (Ermessen des Gerichts) gestellt werden sollte. So ist einerseits das Gericht nicht gehindert, ein höheres Schmerzensgeld auszuurteilen (Bindung an den Antrag gem. § 308 Abs. 1 ZPO). Andererseits lässt sich auch das Prozesskostenrisiko vermindern. Die Klage ist freilich nur zulässig, wenn im Hinblick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ein Mindestbetrag angegeben wird. Der Feststellungsantrag (§ 256 ZPO) wegen der Ersatzpflicht für zukünftig noch entstehende Schäden ist nach st. Rspr. nur zulässig, wenn zumindest die Möglichkeit weiterer Schäden besteht, da es andernfalls an dem erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt.
Zuletzt sei noch angemerkt, dass das OLG Hamm hier als Berufungsgericht über das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach durch Teilurteil entscheiden konnte (und musste), § 304 Abs. 1 ZPO. Zur Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Zahlungsansprüche war der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif und daher an das Landgericht zurückzuverweisen.
 

10.06.2013/0 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-06-10 08:00:142013-06-10 08:00:14OLG Hamm: Zur Verkehrssicherungspflicht des Baumarktbetreibers
Dr. Jan Winzen

OLG Hamm: zur Verkehrssicherungspflicht des Saunabetreibers

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In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung des OLG Hamm (Az.: I-12 U 52/12) musste das Gericht über die tödlichen Folgen eines Saunagangs urteilen. Der Entscheidung vom 29.08.2012 lag folgender tragischer Sachverhalt zu Grunde:
Die Erblasserin war seit über zehn Jahren Mitglied in einem Fitnessstudio. Seit einigen Jahren nutzte sie auch regelmäßig (ein bis zweimal die Woche) den dort vorhandenen Saunabereich. Der tragische Vorfall ereignete sich an einem Vormittag im Frühjahr 2011. Die Erblasserin wurde zur Mittagszeit in der 90 Grad heißen Sauna nicht ansprechbar und zusammengesackt aufgefunden. Sie hatte einen Schwächeanfall und Verbrennungen dritten Grades erlitten. Einige Monate später verstarb sie an den Folgen. Die regelmäßige Kontrolle der Sauna war allgemein für 10.00 Uhr, 14.30 Uhr, 17.30 Uhr und 21.00 Uhr vorgesehen.
Die Kläger (als Nachkommen) führten die ursprünglich von der Erblasserin erhobene Klage fort und nahmen die Betreiberin des Fitnessstudios auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 10.000,00 Euro in Anspruch. Zur Begründung verweisen die Kläger im Wesentlichen auf unzureichende Kontrollmaßnahmen durch das Studiopersonal.
Wie auch die Vorinstanz wies das OLG Hamm die Klage ab.

  • Finden der richtigen Anspruchsgrundlage

Zu Beginn der Prüfung muss auf § 1922 Abs. 1 BGB hingewiesen werden. Danach geht ein möglicher Schmerzensgeldanspruch der Erblasserin im Wege der Erbfolge (Gesamtrechtsnachfolge) auf die Kläger (als Erben) über.
Anknüpfungspunkt für die Begründung eines Anspruchs der Kläger ist die Verletzung von Sorgfaltspflichten durch die Betreiberin des Fitnessstudios. Steht ein Unterlassen des Schädigers in Rede geht es häufig um deliktische Verkehrssicherungspflichten und folglich um die Prüfung des § 823 Abs. 1 BGB (siehe dazu etwa hier). Anders aber im vorliegenden Fall: Die Verstorbene war Mitglied in dem Fitnessstudio der Beklagten. Es bestand also eine vertragliche Verbindung zum Schädiger. Nach allgemeinen Grundsätzen ist zunächst eine Verletzung der aus dieser vertraglichen Verbindung resultierenden Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) zu prüfen, bevor man auf § 823 Abs. 1 BGB eingeht (im Ergebnis dürfte freilich meist kein Unterschied bestehen, der methodisch saubere Aufbau demonstriert aber zivilrechtliches Grundverständnis).
§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB
Grundlage für einen Schmerzensgeldanspruch der Kläger könnte demnach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Fitnessstudiovertrag sein.

  • Schuldverhältnis – Fitnessstudiovertrag als Mietvertrag

Dazu müsste zunächst zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien bestanden haben.
Das OLG Hamm qualifiziert den zwischen der Verstorbenen und dem Fitnessstudio geschlossene Vertrag als Mietvertrag. Damit schließt sich das Gericht der Ansicht des BGH an, der einen Fitnessstudiovertrag nicht als typengemischten Vertrag (mit miet- und dienstvertraglichen Elementen) sondern als Mietvertrag ansieht, wenn das Mitglied nach dem Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages lediglich zur Nutzung der Geräte und der Räumlichkeiten berechtigt ist und weitere Verpflichtungen seitens des Studios, etwa zu Unterrichts- oder anderen Dienstleistungen, vertraglich nicht vorgesehen sind (vgl. BGH, Urteil v. 08.02.2012 – XII ZR 42/10 Rz. 17 f. juris; wir berichteten).
Der im vorliegenden Fall als „activ-club Vereinbarung“ bezeichnete Vertrag war als reiner Gebrauchsüberlassungsvertrag im vorbezeichneten Sinne ausgestaltet und umfasste insbesondere auch den Gebrauch der Sauna.

Eine etwaige Einweisung in den Gebrauch der Geräte sowie Beratung und Beaufsichtigung sind dann als bloße vertragliche Nebenleistungen geschuldet.

Ob hier eine genaue Einstufung als Mietvertrag überhaupt erforderlich war, erscheint fraglich, zumal die daran anschließende Prüfung einer Schutzpflichtverletzung davon unabhängig sein dürfte.
Da der Vertrag vor dem 01.01.2002 geschlossen wurde, bedarf es für die Anwendung des neuen Schuldrechts auch noch eines Umweges über  Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB. Danach gilt für vor dem 01.01.2002 geschlossene Dauerschuldverhältnisse ab dem 01.01.2003 nur noch das neue Schuldrecht.

  • Pflichtverletzung

Die Betreiberin des Fitnessstudios müsste eine Pflicht aus dem Fitnessstudiovertrag verletzt haben. Eine solche Pflichtverletzung könnte in einer unzureichenden Kontrolle des Saunabereichs durch das Personal des Fitnessstudios zu sehen sein.

Vertragliche Schutzpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB umfassen als schuldrechtliche Nebenpflicht das Gebot, sich bei Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Körper, Leben, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden. Die (deliktische) Verkehrssicherungspflicht ist innerhalb eines Vertragsverhältnisses zugleich eine solche vertragliche Schutzpflicht.

Es folgen allgemeine Ausführungen zur Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, die das Gericht abschließend stichpunktartig (!) wie folgt zusammenfasst:

  • Es muss eine Gefahrenlage geschaffen worden sein,
  • aus der sich die naheliegende Möglichkeit einer Schädigung anderer ergibt.
  • Die erforderlichen Maßnahmen bestimmen sich sodann
  • nach der herrschenden Verkehrsauffassung
  • und den Umständen des Einzelfalls
  • in den Grenzen des Möglichen und Zumutbaren.

Sodann subsumiert das Gericht unter diese Voraussetzungen:

Eine Gefahrenlage, die mit der naheliegenden Möglichkeit einer Schädigung anderer verbunden ist, ist nach allgemeiner Ansicht bei dem Betrieb eines Fitnessstudios mit Saunabereich gegeben.

Im Hinblick auf die nach der Verkehrsauffassung zu bestimmenden erforderlichen Maßnahmen stellt der Senat zunächst allgemein auf die Erwartungshaltung eines durchschnittlichen Saunagasts ab. Zur Erinnerung: Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist nach st. Rspr. des BGH genügt, wenn im Ergebnis der Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Zu treffen sind die Sicherheitsvorkehrungen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind – deshalb muss man nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadeneintritts Vorsorgemaßnahmen treffen.
Regelmäßige Kontrollen in engeren Zeitabständen

etwa indem an die Saunakabine angeklopft wird oder die Saunagäste auf ihr Wohlbefinden persönlich angesprochen werden

stehen danach gerade nicht im Einklang mit der Erwartungshaltung eines Saunagasts. Diesem kommt es vielmehr darauf an

den Saunabesuch in Ruhe und ohne störende Einflüsse durchführen zu können.

Hinzu kommt, dass ein Saunagast seine gesundheitliche Belastbarkeit nach Ansicht des Gerichts im Grundsatz selbst einzuschätzen vermag. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf regelmäßige Kontrollen ist deshalb nicht anzuerkennen:

Denn die körperlichen Belastungen im Zusammenhang mit der Benutzung einer Sauna sind dem Grunde nach allgemein bekannt. Insoweit muss es dem Einzelnen überlassen bleiben, ob er sich dieser Gefahr aussetzen und das gesundheitliche Risiko eingehen will.

Im Grundsatz genügten die allgemein vorgesehenen regelmäßigen Kontrollen der Sauna um 10.00 Uhr, 14.30 Uhr, 17.30 Uhr und 21.00 Uhr den nach der Verkehrsauffassung zu erwartenden Sorgfaltsmaßnahmen.
Am Ende der Entscheidungsgründe betont das Gericht noch einmal, dass eine umfassende und alle Gefahren erfassende Beaufsichtigung des Saunabereichs weder möglich noch zumutbar ist und führt aus:

Der Gesundheitszustand der Saunanutzer ist dem Betreiber regelmäßig nicht bekannt. Insoweit ist es ihm nicht möglich, Gefahren etwa in Bezug auf Herz/Kreislauf der Saunanutzer verlässlich einzuschätzen. Es bliebe hiernach zur Vermeidung jeglicher Gefahr nur eine durchgehende Beaufsichtigung der Sauna. Selbst die von den Klägern vorgeschlagenen Kontrollintervalle von 30 Minuten wären jedenfalls bei Einzelnutzung der Sauna nicht stets ausreichend, um jeglicher abstrakter Gefahr mit letzter Sicherheit zu begegnen.

Die Betreiberin hat im Ergebnis ihre aus den Mitgliedschaftsverträgen erwachsenden Sorgfaltspflichten nicht verletzt.

  • Deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

Der Vollständigkeit halber wird ganz am Ende auch noch in der gebotenen Kürze der deliktsrechtliche Anspruch abgehandelt:

Auch ein deliktischer Schmerzensgeldanspruch aus den §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 229 StGB in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB ist hiernach nicht gegeben. Denn der Beklagten ist aus den vorgenannten Gründen eine Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht nicht vorzuwerfen.

  • Fazit

Erneut eine interessante Entscheidung aus dem Themenkreis der Verkehrssicherungspflichten (siehe jüngst hier und hier) – diesmal eingekleidet in die Prüfung eines vertraglichen Anspruchs. Es geht bei der Eröffnung von Gefahrenquellen also nicht immer nur um § 823 Abs. 1 BGB. Vielmehr kann sich die Haftung aus Vertrag (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB), dessen Anbahnung (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) sowie daneben (Anspruchskonkurrenz) aus Delikt nach §§ 823 ff BGB ergeben. Im deliktischen Bereich sind besonders § 31 BGB (Haftung der juristischen Person für das Handeln des Organs) und § 831 BGB (Haftung für Verrichtungsgehilfen – selbstständiger Anspruch gegen den Geschäftsherrn) zu beachten. Der Fall eignet sich also gut, um Fragen dieser Art anzuknüpfen.
Auch Kenntnisse zur Rechtsnatur eines Fitnessstudiovertrages (je nach Ausgestaltung typengemischter Vertrag oder reiner Mietvertrag) sind wegen der erheblichen praktischen Bedeutung sicherlich gerade für die mündliche Prüfung hilfreich.
Prozessual ließe sich auch noch § 239 ZPO problematisieren. Nach dessen Abs. 1 tritt im Falle des Todes einer Partei eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. Dies gilt allerdings nach § 246 Abs. 1 Hs. 1 ZPO nicht, wenn die verstorbene Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wurde. In diesem Fall ist die für das Verfahren notwendige Kontinuität durch die weiter bestehende Prozessvollmacht (§ 86 ZPO) gewährleistet. Zu einer Aussetzung kann es nach Maßgabe des § 246 Abs. 1 Hs. 2 ZPO aber auf Antrag des Prozessbevollmächtigten kommen.
Zur Bestimmtheit eines auf Schmerzensgeld gerichteten Klageantrags hatten wir etwa hier berichtet.
 

29.11.2012/3 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2012-11-29 09:00:542012-11-29 09:00:54OLG Hamm: zur Verkehrssicherungspflicht des Saunabetreibers
Zaid Mansour

BGH: Zur Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat kürzlich den Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht eines Waldbesitzers konkretisiert und dabei die Haftung eines Waldbesitzers für die durch einen herabstürzenden Ast verursachte Verletzung eines Fußgängers verneint (Urteil vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11).
I. Was ist passiert?
Die Klägerin spazierte im Juli 2006 bei gutem Wetter und leichtem Wind auf einem Forstwirtschaftsweg durch ein Waldgrundstück des Beklagten. Während des Spaziergangs brach von einer circa 5 m neben dem Weg stehenden Eiche ein langer Ast ab und traf sie am Hinterkopf. Sie erlitt eine schwere Hirnschädigung und nahm den Waldbesitzer daraufhin wegen Schadensersatzes in Anspruch.
Nachdem das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 3. März 2010 – 12 O 271/06) in erster Instanz die Klage abgewiesen hat, legte die Klägerin Berufung ein. Daraufhin gab das Saarländische OLG dem Feststellungsantrag statt und bejahte einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin dem Grunde nach (Urteil vom 9. November 2011 – 1 U 177/10-46). Der Beklagte legte sodann Revision beim BGH ein.
II. Rechtliche Würdigung
Bei der Prüfung eines vorliegend in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB kam es entscheidend darauf an, ob der Waldbesitzer (legaldefiniert in § 4 BWaldG) eine ihn treffende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat (s. dazu auch hier).
Das Saarländische OLG vertrat zunächst die Auffassung, dass ein privater Waldbesitzer jedenfalls eingeschränkt verkehrssicherungspflichtig sei, wenn er Kenntnis davon hat, dass sein Wald regelmäßig von Spaziergängern aufgesucht wird. Er müsse daher im Rahmen gelegentlicher Begehungen seines Waldes die am Rand der Erholungswege stehenden Bäume kontrollieren und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen ergreifen, wenn ihm konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige besondere Gefährdung auffallen. Das Saarländische OLG bejahte diese Haftungsvoraussetzungen, da von dem Baum schon seit längerer Zeit eine akute Gefahr ausgegangen sei, die ein geschulter Baumkontrolleur bei einer Sichtkontrolle vom Boden aus hätte erkennen müssen.
Der BGH vertrat mit Blick auf § 14 BWaldG und den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften  (vorliegend § 25 LWaldG Saarl) hingegen eine andere Sichtweise.

§ 14 BWaldG
(1) Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet. Das Radfahren, das Fahren mit Krankenfahrstühlen und das Reiten im Walde ist nur auf Straßen und Wegen gestattet. Die Benutzung geschieht auf eigene Gefahr. Dies gilt insbesondere für waldtypische Gefahren.
(2) Die Länder regeln die Einzelheiten. Sie können das Betreten des Waldes aus wichtigem Grund, insbesondere des Forstschutzes, der Wald- oder Wildbewirtschaftung, zum Schutz der Waldbesucher oder zur Vermeidung erheblicher Schäden oder zur Wahrung anderer schutzwürdiger Interessen des Waldbesitzers, einschränken und andere Benutzungsarten ganz oder teilweise dem Betreten gleichstellen.
§ 25 LWaldG Saar
(1) Das Betreten des Waldes zum Zweck der naturverträglichen Erholung ist jedermann gestattet. […]
[…]
(5) Die Benutzung des Waldes erfolgt auf eigene Gefahr. Besondere Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten werden nicht begründet.

Dazu heißt es in der Pressemitteilung des BGH:

Nach den im Einklang mit § 14 BWaldG erlassenen landesrechtlichen Vorschriften (hier: § 25 des Waldgesetzes für das Saarland) ist das Betreten des Waldes zu Erholungszwecken jedermann gestattet. Die Benutzung des Waldes geschieht jedoch auf eigene Gefahr. Dem Waldbesitzer, der das Betreten des Waldes dulden muss, sollen dadurch keine besonderen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten erwachsen. Er haftet deshalb nicht für waldtypische Gefahren, sondern nur für solche Gefahren, die im Wald atypisch sind. Dazu zählen insbesondere die Gefahren, die nicht durch die Natur bedingt sind. Die Gefahr eines Astabbruchs ist dagegen grundsätzlich eine waldtypische Gefahr. Sie wird nicht deshalb, weil ein geschulter Baumkontrolleur sie erkennen kann, zu einer im Wald atypischen Gefahr, für die der Waldbesitzer einzustehen hätte.

Danach lässt sich konstatieren, dass keine Verkehrssicherungspflicht für waldtypische Gefahren im Waldbestand allgemein und auch nicht auf allgemeinen Waldwegen besteht. Zu den natur- und waldtypischen Gefahren zählen vornehmlich solche, die von lebenden und toten Bäumen, sonstigem Aufwuchs oder natürlichem Bodenzustand ausgehen oder aus der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Waldes entstehen (vgl. § 2 Abs. 1 LForstG NRW). Eine Haftung kommt demnach nur für atypische Gefahren, d.h. nicht durch die Natur oder durch die Art der Bewirtschaftung vorgegebene, sondern vom Waldbesitzer selbst geschaffene gefahrbegründende Umstände in Betracht.
III. Fazit
Den vom BGH zur Konkretisierung etwaiger Verkehrssicherungspflichten des Waldbesitzers herangezogenen einfachgesetzlichen Regelungen, wonach den Waldbesitzer keine Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten treffen, liegen im Kern verfassungsrechtliche Erwägungen zugrunde. Eigentum und Besitz an privaten Waldgrundstücken unterfallen mithin dem Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG. Etwaige Einschränkungen dieser verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsposition, wie etwa das Waldbetretungsrecht für Jedermann, hat der Waldeigentümer bzw. Waldbesitzer als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung aus Gründen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinzunehmen. Eine zusätzliche Aufbürdung umfassender Verkehrssicherungspflichten würde Waldgrundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte hingegen in unzumutbarer Weise belasten. Die Entscheidung wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit künftig Gegenstand von Examens,-Übungs- und/oder Semesterabschlussklausuren sein.

05.10.2012/1 Kommentar/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-10-05 08:51:122012-10-05 08:51:12BGH: Zur Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers
Dr. Christoph Werkmeister

OLG Schleswig: Was ist, wenn der Nachbar während des Urlaubs streuen soll?

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Zivilrecht, Zivilrecht

Das OLG Schleswig entschied vor Kurzem einen Sachverhalt, der unverändert in Examensklausuren und mündlichen Prüfungen auftauchen könnte (Az. 11 U 137/11).
Es ging um einen Glätteunfall infolge der Missachtung einer Streupflicht. Das besondere an dem Sachverhalt lag darin, dass die Streupflicht des Eigentümers auf einen Nachbarn delegiert wurde. Das OLG stellte in dieser Konstellation fest, dass der Nachbar faktisch die Aufgabe der Verkehrssicherung in dem Gefahrenbereich übernommen habe. Der Eigentümer habe in diesem Fall lediglich die primäre Verpflichtung zur sorgfältigen Auswahl und fortlaufenden Überwachung des Beauftragten. Bei Unterlassen des Streuens durch den Nachbarn musste im Falle eines dadurch bedingten Unfalls eine Haftung des Eigentümers verneint werden.
Den Sachverhalt und die Kernaspekte der Begründung des OLG Schleswig findet ihr zusammengefasst auf dessen Presseseite.

02.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-02 13:14:382012-03-02 13:14:38OLG Schleswig: Was ist, wenn der Nachbar während des Urlaubs streuen soll?

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