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Schlagwortarchiv für: § 7 StVG

Gastautor

OLG Koblenz zur Betriebsgefahr nach § 7 StVG

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Lukas Piroth veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wiss. Mitarbeiter am Institut für deutsches und internationales Zivilverfahrensrecht der Universität Bonn bei Prof. Dr. Moritz Brinkmann.
Mit Beschluss vom 05.08.2019 hat das OLG Koblenz sich zur Reichweite der Betriebsgefahr im Rahmen des § 7 StVG geäußert (Az. 12 U 57/19, BeckRS 2019, 18385). Wird ein Fahrzeug bei ausgeschaltetem Motor von einem automatischen Förderband durch eine Waschstraße gezogen, sei es nicht „in Betrieb“, sodass die Gefährdungshaftung des § 7 StVG ausscheide.
Geht es in Examensklausuren um die StVG-Haftung, spielen Probleme häufig im Bereich der Betriebsgefahr. Die Subsumtion kann schwer fallen, zumal die Betriebsgefahr in der Rechtsprechung bisweilen erstaunlich freigiebig bejaht wird. Die Entscheidung gibt Anlass, sich die Anforderungen an die Betriebsgefahr nochmals zu vergegenwärtigen.
I. Sachverhalt
Die Beklagte und hinter ihr der Kläger befanden sich am Steuer ihrer Fahrzeuge in einer automatischen Waschstraße. Die Motoren der Wagen waren ausgeschaltet, die Fahrzeuge wurden von Rollen durch die Anlage gezogen. Der PKW der Beklagten wurde durch ein „Hindurchziehen“ der Mitnehmrolle unter dem Rad gestoppt, was wiederum den Kläger veranlasste, durch ein Betätigen der Bremse eine Kollision zu vermeiden. Hierdurch blieb sein Fahrzeug in der Gebläsetrocknung der Anlage stehen, die am Heck des Wagens Schäden i. H. v. rund 4 500 € verursachte. Diese verlangte der Kläger neben § 823 BGB auch aus § 7 StVG ersetzt. Das LG Koblenz verneinte Schadensersatzansprüche.
II. Entscheidung des OLG Koblenz
Das OLG Koblenz wies mit dem Beschluss die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Koblenz vom 10.12.2018 (Az. 5 O 373/16) zurück. Ein Anspruch aus § 823 BGB scheiterte nach den tatsächlichen Feststellungen am Verschulden der Beklagten. In rechtlicher Hinsicht interessant sind allein die Ausführungen zu § 7 StVG und dort zur Frage, ob das Fahrzeug des Klägers „bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs“ der Beklagten beschädigt wurde.
Hierzu wiederholt das OLG die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach das Merkmal zwar weit auszulegen ist, es sich aber bei dem Schaden stets um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln muss, um deren Willen die Haftungsvorschrift erlassen worden sei. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebsvorrichtung des Kfz stehe. Spiele hingegen die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle, scheide eine Haftung nach § 7 StVG aus.
Nach diesen Maßstäben verneint das OLG eine Rechtsverletzung „bei Betrieb des Kfz“. Ein Kfz sei nicht „in Betrieb“, wenn es ohne eigene Motorkraft durch eine automatische Waschanlage gezogen werde. Weder die Fortbewegungs- noch die Transportfunktion komme zum Tragen. Vielmehr sei das Fahrzeug vollständig abhängig von den Vorgängen in der Waschstraße wie jeder andere Gegenstand, der automatisch bewegt werde. Die besonderen Gefahren des Kfz-Betriebs (Geschwindigkeit, Ausmaße, Gewicht) blieben ohne Relevanz.
III. Einordnung der Entscheidung
Bei unbefangener Betrachtung scheint die Entscheidung wenig überraschend – das Fahrzeug wurde schließlich nicht „betrieben“. Bezieht man jedoch Urteile mit ein, in denen die Schadensentstehung „bei Betrieb des Kfz“ bejaht wurde, kann sich die Perspektive verschieben.
Der BGH nahm eine Haftung erst kürzlich an, obwohl zwischen dem Unfall und der Verletzung des Eigentums in Form eines Brandes, der durch einen Kurzschluss in der Batterie des Kfz entstand, eineinhalb Tage lagen  (vgl. Urt. v. 26.03.2019 – VI ZR 236/18 und unseren Beitrag hier). Damit folgte er seiner Linie einer immer ausufernderen Bejahung des Merkmals „bei Betrieb“, die sich bereits im Urteil v. 21.01.2014 (VI ZR 253/13) abzeichnete. Damals hatte der BGH klargestellt, dass sich die Betriebsgefahr eines Kfz bereits dann verwirklicht, wenn ein bereits mehrere Stunden abgestelltes Fahrzeug durch eine Selbstentzündung der Batterie in Brand gerät, auch wenn der Batteriedefekt nicht auf die letzte Fahrt zurückgeführt werden kann. Auf eine etwaige Relevanz der Fortbewegungs- und Transportfunktion für das Merkmal „bei Betrieb“ ging er nicht ein.
In der Folge hatte bspw. auch das OLG Köln (Urt. v. 06.04.2017 – 3 U 111/15) eine Schadensentstehung „bei Betrieb des Kfz“ bejaht, wenn in einer Kfz-Werkstatt ein Brand entsteht, der auf einen Defekt in der Primärelektrik des in Reparatur befindlichen Fahrzeugs zurückzuführen ist – und das obwohl ein Reifen demontiert war, sodass die Fortbewegungsfunktion mindestens ebenso wenig zum Tragen kommen dürfte wie bei einer Fahrt durch eine Waschstraße. Gerade deshalb hatte das LG Köln den Schaden „bei Betrieb des Fahrzeugs“ auch noch verneint (Urt. v. 19.06.2015 – 17 O 224/14). Wie das OLG Koblenz hatte das LG Köln hierfür die Kontrollüberlegung bemüht, dass statt dem Fahrzeug unter denselben Umständen auch eine andere Maschine (ohne theoretische Transportfunktion) den Schaden verursacht hätte.
Der Rechtsprechung seit dem Jahr 2014 lässt sich der Trend entnehmen, einen Zusammenhang mit der Fortbewegungs- und Transportfunktion nur noch als eine Variante der Betriebsgefahr aufzufassen („Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang“) und daneben großzügig einen bloßen „Zusammenhang des Schadens mit einer Betriebseinrichtung“ des Kfz ausreichen zu lassen. Den Wandel veranschaulichen zwei Entscheidungen des OLG Karlsruhe, das in einem Urteil v. 28.04.2014 (13 U 15/14) eine Betriebsgefahr noch verneinte, wenn ein auf ein Abschleppfahrzeug aufgeladenes Kfz in Brand gerät, später in einem Beschluss v. 09.03.2015 (9 W 3/15) aber eine Haftung bei einem zwei Tage abgestellten Fahrzeug bejahte.
Das OLG Koblenz vollzieht insoweit durchaus einen Schritt zurück, indem es stärker die Verknüpfung zwischen Schaden und Fortbewegungs- und Transportfunktion in den Fokus nimmt. Ob der BGH genauso entschieden hätte, darf bezweifelt werden. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen war das Durcheinander in der Waschstraße durch ein kurzzeitiges Blockieren der Vorderräder der Fahrzeugs der Beklagten entstanden, stand also durchaus mit einer Betriebseinrichtung des Fahrzeugs (Räder) in Zusammenhang und hat – in den Worten des BGH – das Schadensgeschehen „entscheidend (mit)geprägt“.
IV. Fazit
Das Merkmal der Betriebsgefahr bleibt in der Examensklausur ein Punkt, bei dem es entscheidend auf eine überzeugende Argumentation ankommt. Ob mit dem BGH die Voraussetzungen niedrig angelegt werden oder mit dem OLG Koblenz der Zusammenhang der Rechts(guts)verletzung mit der Transport- und Fortbewegungsfunktion des Fahrzeugs ins Zentrum gestellt wird, dürfte gleichermaßen vertretbar sein.
Von der Haftung nach § 7 StVG zu trennen ist selbstverständlich die Frage, inwieweit der Betreiber der Waschstraße für entstandene Schäden haftet. Zu den Schutzpflichten eines Waschanlagenbetreibers für einen Autounfall hat der BGH letztes Jahr Stellung bezogen, unseren Beitrag dazu findet ihr hier.

24.10.2019/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-10-24 09:08:472019-10-24 09:08:47OLG Koblenz zur Betriebsgefahr nach § 7 StVG
Redaktion

Gefährdungshaftung

Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Gefährdungshaftung” von Prof. Dr. Anne Röthel

befasst sich mit einem besonderen Bereich der deliktischen Haftung. Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) und Fahrzeughalterhaftung (§ 7 StVG) sind die wohl examensrelevantesten Anwendungsfälle der Gefährdungshaftung und sollten unbedingt beherrscht werden. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der beiden Tatbestände.
Ihr findet den Beitrag hier.

15.10.2013/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-10-15 09:00:132013-10-15 09:00:13Gefährdungshaftung
Dr. Stephan Pötters

LG Köln: Verkehrsunfall – Zum Mitverschulden eines Motorradfahrers wegen Nichttragens von Schutzkleidung

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht, ZPO

Verkehrsrecht im Examen
Das Verkehrsrecht ist vor allem für das 2. Staatsexamen schon allein aufgrund der Fallzahl in der Praxis ein absoluter Dauerbrenner. Zudem lassen sich hier ideal materiell-rechtliche Probleme mit prozessualen Klassikern (z.B. Widerklage und Drittwiderklage gegen Versicherung) und Fragen des Beweisrechts (Anscheinsbeweise, Beweislastfragen, Beweiswürdigung von Zeugenaussagen etc.) verbinden. Neue Fälle und Entwicklungen im Verkehrsrecht sollten daher von Referendaren besonders aufmerksam beobachtet werden.
Aktuelles Urteil des LG Köln
Ein aktuelles Urteil des LG Köln eignet sich dabei gut für eine Klausur im 2. Staatsexamen. Das LG Köln entschied hier, dass das Nichttragen einer ausreichenden Schutzkleidung regelmäßig dazu führt, dass sich der geschädigte Motorradfahrer ein anspruchsminderndes Mitverschulden allein aus diesem Umstand entgegenhalten lassen muss (LG Köln, 15.05.2013 – 18 O 148/08; im Anschluss an OLG Brandenburg, 23.07.2009 – 12 U 29/09; entgegen OLG Nürnberg, 09.04.2013 – 3 U 1897/12). Dies gilt jedoch nicht, wenn sich die fehlende Schutzkleidung nicht kausal auf die von dem Motorradfahrer bei einem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen ausgewirkt hat.
Sachverhalt
Dem Fall lag (vereinfacht) folgender Sachverhalt zugrunde: Der Motorradfahrer M fuhr auf einer innerstädtischen Straße, als ihm der Pkw-Fahrer P bei einem Wendemanöver aus einer Parktasche der gegenüberliegenden Fahrbahnseite die Vorfahrt nahm. Der Pkw stieß mit dem vorderen Stoßfänger gegen den linken Außenknöchel bzw. das Sprunggelenk des M, der dadurch eine Sprunggelenksfraktur mit Weichteilschaden zweiten Grades erlitt. M trug zum Unfallzeitpunkt keine Motorradstiefel und keine Schutzkleidung, sondern eine Jeanshose mit normalen, halbhohen Schuhstiefeln.
Kernproblem: Mitverschulden
Knackpunkt der Entscheidung war, ob die Ansprüche des M (Schadensersatz und Schmerzensgeld, §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2 StVG, 253 BGB) nach § 254 Abs. 2 BGB wegen Mitverschuldens zu kürzen waren. Alle anderen rechtlichen Gesichtspunkte waren unstreitig. In der Klausur wären Ansprüche nach §§ 7, 18 StVG und (jedenfalls im 1. Staatsexamen zusätzlich auch) § 823 I und II BGB ausführlich zu erörtern.
Hinsichtlich der Haftung nach dem StVG war es wichtig zu erkennen, dass das Nichttragen der Schutzkleidung nicht unter dem Gesichtspunkt der Haftungsverteilung nach § 17 StVG zu diskutieren ist, sondern dass es um die Frage der Schadensminderungspflicht i.R.v. § 9 StVG i.V.m. § 254 Abs. 2 BGB geht. § 17 StVG ist gegenüber § 254 Abs. 1 BGB lex specialis, wenn es um die Frage der Anspruchskürzung wegen eines Mitverschuldens bei der Entstehung des Schadens geht. Bei der Frage eines Mitverschuldens hinsichtlich des Schadensumfangs greift hingegen § 254 Abs. 2 BGB i.V.m. § 9 StVG, da § 17 StVG insoweit keine vorrangige Regelung enthält. Vorliegend geht es um die zweite Konstellation: Das Tragen oder Nichttragen von Schutzkleidung hat hier nicht mit der Unfallverursachung zu tun, sondern hat allenfalls die Verletzung als Unfallfolge beeinflusst.
Lösung des LG Köln
Das LG Köln verneint im vorliegenden Fall im Ergebnis eine Kürzung wegen Mitverschuldens. Hierzu geht es argumentativ überzeugend in zwei Schritten vor:
1. Grundsatz: Nichttragen von Schutzkleidung als Mitverschulden zu berücksichtigen
Eine gesetzliche Pflicht zum Tragen von Schutzkleidung gibt es nicht. Nach § 21a II StVO besteht für Motorradfahrer lediglich eine Helmpflicht. Nach dieser Norm muss einen Helm tragen, „wer Krafträder oder offene drei- oder mehrrädrige Kraftfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h führt sowie auf oder in ihnen mitfährt.“ Zum Teil wird hieraus in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung im Umkehrschluss gefolgert, dass das Nichttragen von Schutzkleidung und Motorradstiefeln auch nicht im Rahmen des Mitverschuldens berücksichtigt werden dürfe. Hiergegen wendet sich zu Recht das LG Köln:

„Grundsätzlich gilt für den Einwand des Mitverschuldens, dass sich im Straßenverkehr für die Verkehrsteilnehmer die einzuhaltenden Schutzvorschriften nicht ausschließlich anhand der vom Gesetzgeber positiv formulierten Vorschriften ergeben. Vielmehr bemisst sich die einzuhaltende Sorgfaltspflicht der Straßenverkehrsteilnehmer an denjenigen Sorgfaltsanforderungen, die ein verständiger und ordentlicher Mensch zur Vermeidung eines Schadenseintritts generell anzuwenden pflegt. In diese Fragestellung ist im Wesentlichen entscheidend, ob ein sogenanntes Selbstverschulden gegeben ist, den erkannten Gefahren durch geeignete Schutzmaßnahmen zu begegnen. Für den Bereich der Teilnahme am Straßenverkehr ist mithin nicht lediglich die Frage nach der gesetzlich normierten Helmpflicht (§ 21a StVO) entscheidend. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, dass – wie die eingereichten Empfehlungen verschiedener Fachverbände unstrittig belegen – bei der Fahrt mit einem Motorrad eine angemessene Schutzkleidung bei jeder Fahrt zu fordern ist. Nach dem – auch dem Kläger zu unterstellenden Wissensstand – verringert das Tragen einer angemessenen Motorradschutzkleidung in Form von Stiefeln und Schutzkleidung die Verletzungsgefahren und -folgen eines Sturzes oder Unfalls in erheblicher Weise, wobei nicht verkannt wird, dass sämtliche Verletzungserscheinungen naturgemäß nicht zu vermeiden sind. Gleichwohl führt das Nichttragen einer ausreichenden Schutzkleidung regelmäßig dazu, dass sich der geschädigte Motorradfahrer ein anspruchsminderndes Mitverschulden allein aus diesem Umstand entgegenhalten lassen muss (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 23.07.2009 – 12 U 29/09 [Rn. 18]; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.02.2006 – 1 U 137/05 [Rn. 27] – jeweils nach juris).
Nach einer Gegenansicht folgt aus dem fehlenden Schutz durch Tragen geeigneter Schuhe während der Motorradfahrt nicht generell ein minderndes Mitverschulden, weil es mangels ausdrücklicher gesetzlicher Normierung kein allgemeines Verkehrsbewusstsein gäbe (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.04.2013 – 3 U 1897/12 [Rn. 20 ff.] – nach juris). Soweit nach dieser Ansicht ein allgemeines Verkehrsbewusstsein aufgrund diverser Unsicherheiten über den einzuhaltenden Mindestschutz verneint wurde, vermag sich das Gericht dieser Einschätzung nicht anzuschließen. Denn die eingereichten Unterlagen verschiedener Verkehrs- und Motorradeinrichtungen im vorliegenden Rechtsstreit über die Empfehlung zu den Mindestanforderungen der Schutzkleidung belegen gerade dieses vom OLG Nürnberg verneinte Verkehrsbewusstsein. Die mit Schriftsätzen vom 12.06.2008 bzw. 17.11.2008 von der Beklagten zur Akte gereichten Stellungnahmen des „ADAC“, „VIS Bayern“ und „ifz“ benennen für die einzuhaltende Schutzkleidung allesamt Stiefel als angemessen, wobei insbesondere die Broschüre der „ifz“ die einzuhaltenden Anforderungen an die Stiefel hinreichend konkretisiert. Soweit das OLG Nürnberg in seiner Entscheidung indessen auf die Vielfalt von erhältlichen Modellen und Ausführungen und damit einhergehender Unsicherheiten abstellt, vermag dieses nicht zu überzeugen. Nachdem auch nach den Ausführungen des OLG Nürnberg jedenfalls die gesetzlichen Vorschriften nach § 21a Abs. 2 StVO hinsichtlich der Schutzhelme uneingeschränkt einzuhalten sind, muss diesem daher entgegengehalten werden, dass die gesetzliche Vorschrift ebenfalls nur „geeignete Schutzhelme“ vorschreibt und auch in diesem Bereich eine Vielzahl von Modellen und Ausführungen angeboten werden. Gleichwohl hat sich diesbezüglich trotz der abstrakten Gesetzesfassung ein ausreichendes Verkehrsbewusstsein an die einzuhaltenden Mindestanforderungen der Schutzhelme herausgebildet.“

2. Ausnahme: Fehlende Schutzkleidung nicht ursächlich für Schadensausmaß
Für den vorliegenden Fall war jedoch nach Ansicht des LG Köln nachgewiesen, dass die Verletzungen des M („Sprunggelenksfraktur mit Weichteilschaden zweiten Grades“) nicht ausgeblieben bzw. weniger stark gewesen wären, wenn er Motorradstiefel getragen hätte.
Auch dieser zweite Prüfungspunkt eignet sich hervorragend für eine Examensklausur im Assessorexamen, denn hier könnte man Probleme zur Beweiswürdigung, insbesondere von Gutachten einbauen. Im Fall war ein gerichtliches Sachverständigengutachten seitens des P mithilfe eines Privatgutachtens angegriffen worden. Das LG Köln würdigt dementsprechend ausführlich die Ausführungen des Sachverständigen:

„Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand zu vollen Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) fest, dass die eingetretenen Verletzungen nicht durch das Tragen spezieller Schutzkleidung oder -stiefel hätte vermieden werden können. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen des interdisziplinären Gutachtens konnte anhand der eigens durchgeführten Testreihe eine Schutzwirkung von Motorradstiefeln nur bei einer unterhalb der konkret beim Unfall entstandenen Kollisionsgeschwindigkeit nachgewiesen werden. Die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Ing. C2, Dipl.-Ing. N2 und Prof. Dr. med. F bestätigen unter Darstellung der gesamten technischen Details, die in sich nachvollziehbar in der Anhörung der Sachverständigen N2 und F im Einzelnen im Termin vom 04.10.2011 erläutert wurden, dass die beim Unfall auf das Bein des Klägers einwirkende Kraft deutlich oberhalb derjenigen Krafteinwirkung lag, in welcher in den Versuchsreihen eine Schutzwirkung von Motorradstiefeln nachgewiesen werden konnte. […]
Die Überzeugungsbildung des Gerichts kann auch durch die von der Beklagten zur Akte gereichten Privatgutachten von Prof. Dr. C3 nicht entkräftet werden. Soweit die privatgutachterlichen Stellungnahmen überwiegend die Feststellungen des gerichtlichen Gutachtens in Frage stellen und dieses mit den Unterschieden zwischen den tatsächlichen Begebenheiten und den klinischen Versuchsbedingungen erklärt, vermag dieses nicht zu überzeugen. Denn naturgemäß kann in klinischen Versuchsreihen der tatsächliche Unfall nicht bis in das kleinste Detail nachgestellt werden, wie sich bereits aus den einleitenden Ausführungen des ersten Gutachtens über den Versuchsaufbau erkennen lässt. Insofern sind auch die weitergehenden medizinischen Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen F nachvollziehbar und überzeugend, dass für die sachverständige Begutachtung nicht unbedingt auf die gleichartigen Verletzungserscheinungen abzustellen ist, sondern es auf die festgestellten weitgehend entsprechenden Verletzungen an den verwendeten Schweinebeinen ankommen musste. Diese Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen vermögen insbesondere vor dem Hintergrund zu überzeugen, dass bei der Versuchsreihe nicht auf menschliche Beine zurückgegriffen werden konnte, sondern auf anatomisch weitgehend vergleichbare Schweinebeine abgestellt werden musste. Zudem waren auch bei diesen noch altersbedingte Unterschiede in Form einer beim Kläger bereits verknöcherten Wachstumsfuge zu berücksichtigen. Vor diesen Ausführungen wurden die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen zur Überzeugungsbildung des Gerichts nicht erschüttert.
Soweit die Beklagte den weitergehenden Einwand erhob, dass die Ergebnisse des Gerichtsgutachtens nicht verwertbar seien, weil nicht das geeignete Material in Form von Motorradstiefeln mindestens mittlerer Art und Güte verwendet worden sei, vermochte das Gericht auch dieser Einschätzung nicht zu folgen. Dabei kann sich das Gericht vollständig auf die Ausführungen des TÜV-Gutachtens des Sachverständigen B beziehen und sich den dortigen Ausführungen gänzlich anschließen. Der Sachverständige B beschreibt in seinem Gutachten in nachvollziehbarer Weise, dass es mit Ausnahme für professionelle Fahrer keine verbindlichen Normen über den einzuhaltenden Standard von Schutzschuhen für Motorradfahrer gibt. Unter kritischer Einbeziehung der für den professionellen Einsatz gültigen Norm EN 13634 unterteilt der Sachverständige sechs verschiedene Kategorien von ungenügender bis sehr hohe Art und Güte. Dabei klassifiziert er Schuhe mittlerer Art und Güte mit den Kriterien eines Schuhs aus verstärkten Materialien mit einem hohen Schaft und ordnet die im Rahmen der Versuchsreihe verwendeten Stiefel dieser Stufe zu. Diesen nachvollziehbaren Ausführungen, denen die Parteien nicht weiter entgegengetreten sind, vermag sich das Gericht nach kritischer Würdigung mithin vollständig anzuschließen. Weitergehend kann das Gericht sich angesichts des vorstehenden Beweisergebnisses auch der Auffassung der Beklagten nicht anschließen, dass die Qualitätsstandards der Schutzkleidung mit der Qualität oder Leistungsstärke des gefahrenen Motorrads einhergingen und ggf. zu erhöhten Anforderungen gelangen müssten. Nachdem außerhalb des professionellen Einsatzes keine verbindlichen Normen existieren und das Tragen von Schutzkleidung von dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein abhängig ist, sind über das mittlere Maß hinausgehende Anforderungen keinesfalls zu stellen. Dieses ergibt sich im Übrigen auch aus dem Umstand, dass sich der konkrete Unfall bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von ca. 40 km/h im innerstädtischen Verkehr ereignet hat, und diese auch von deutlich leistungsschwächeren Motorrädern erreicht werden konnte und mithin von der tatsächlichen Leistungsstärke und Art des Motorrads nicht abhängig waren.“

01.10.2013/3 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2013-10-01 08:02:302013-10-01 08:02:30LG Köln: Verkehrsunfall – Zum Mitverschulden eines Motorradfahrers wegen Nichttragens von Schutzkleidung
Christian Muders

OLG Düsseldorf: Schockschaden und Mitverschulden bei Verkehrsunfall

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Anm. zu OLG Düsseldorf, Urteile vom 15.11.2011 – I-1 U 255/10 und 1 U 255/10
1. Worum gehts?
Am 13.12.2006 musste die A miterleben, wie ihre 19-jährige Tochter T, als sie bei Rot einen Fußgängerüberweg überquerte, von einem Auto, gesteuert vom Beklagten B, angefahren wurde. B ist Eigentümer des Wagens und hielt zum Zeitpunkt des Unfalls die zulässige Höchstgeschwindigkeit ein; die T tauchte vor ihm unvermittelt auf der Fahrbahn auf, als sie hinter einem am Fußgängerüberweg parkenden Lkw hervorschoss. Die T verstarb noch an der Unfallstelle. A erlitt aufgrund des Todes ihrer Tochter einen Nervenzusammenbruch und bekam Depressionen. Sie nahm den B daher auf ein Schmerzensgeld in Anspruch. Das LG Düsseldorf verneinte eine Haftung des Autofahrers. Hiergegen hat die A beim OLG Düsseldorf Berufung eingelegt (Sachverhalt leicht verändert).
2. Was sagt das Gericht?
Das OLG Düsseldorf teilte die Haftungseinschätzung des Landgerichts und wies die Berufung zurück.
a) Auswahl der Anspruchsgrundlage:
Bei Schäden, die aus Verkehrsunfällen mit Pkw resultieren, kommen neben dem Deliktsrecht des BGB insbesondere die Anspruchsgrundlagen des StVG, namentlich § 7 StVG (Haftung des Halters eines Pkw) und § 18 StVG (Haftung des Fahrers eines Pkw), in Betracht, um das Schadensersatzbegehren des Anspruchstellers zu begründen. Erstere Norm formuliert einen Tatbestand der sog. „engen“ Gefährdungshaftung, letztere eine Haftung für vermutetes Verschulden. Da beide Vorschriften gegenüber den Anspruchsgrundlagen aus dem BGB, insbesondere § 823 Abs. 1 und 2 BGB, die beide den vollen Schuldbeweis des Schädigers einfordern, geringere Haftungshürden aufstellen, sind sie in der Klausur regelmäßig zuvorderst zu prüfen. Bei Anspruchsgrundlagen, die auf Schadensersatz gerichtet sind, wird dabei generell unter dem Prüfungsschritt 1 (Anspruch entstanden) zwischen dem haftungsbegründenden Tatbestand (den Anforderungen an die Haftung „dem Grunde nach“) und dem haftungsausfüllenden Tatbestand (den Anforderungen an den Umfang der Haftung) differenziert.
b) Haftungsbegründender Tatbestand:
Das OLG Düsseldorf hat zunächst den haftungsbegründenden Tatbestand des § 7 Abs. 1 StVG, also den Tatbestand der Gefährdungshaftung, bejaht.
aa) B war Halter des von ihm gefahrenen Fahrzeugs (ansonsten nur Fahrerhaftung nach § 18 StVG) und damit tauglicher Passivlegitimierter. Weiterhin muss er eine der in § 7 Abs. 1 StVG aufgeführten Rechtsgutsverletzungen verursacht haben, also kausal für den Tod eines Menschen, die Verletzung des Körpers bzw. der Gesundheit eines Menschen oder die Beschädigung einer Sache geworden sein. Die klagende A hat durch den Unfall einen sog. Schockschaden erlitten, da sie aufgrund des Erlebens des Todes ihrer Tochter T von einem Nervenzusammenbruch und depressiven Störungen gepeinigt wurde. Beides stellen gesundheitliche Schädigungen i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG dar:

Grundsätzlich kann ein Schockschaden, der durch das Miterleben oder auch durch die Nachricht vom Tode eines Angehörigen ausgelöst wird, einen Schadenersatzanspruch gegen den Unfallverursacher begründen, wenn dieser hierdurch eine Gesundheitsbeschädigung von beträchtlichem Umfang erleidet. Diese Gesundheitsbeschädigung kann dann ausgleichspflichtig sein, wenn sie über die Auswirkungen hinausgeht, die nahe Angehörige in dieser Situation des Verlustes erfahrungsgemäß erleiden müssen (vgl. grundlegend BGHZ 56, 163; zuletzt aufgegriffen in BGH VersR 2007, 803).

bb) Hinsichtlich der Feststellung der Ursächlichkeit des B für diese Beeinträchtigung wird im Zivilrecht zwischen verschiedenen Zurechnungs-„Filtern“ differenziert, die auch bei den „klassischen“ Deliktstatbeständen (also den §§ 823 ff. BGB) ihre Bedeutung haben:

  • Grundlage der Kausalitätsfeststellung ist dabei zunächst – wie im Strafrecht – das Erfordernis eines „conditio-sine-qua-non“-Zusammenhangs i.S. der Bedingungstheorie; demgemäß ist zu fragen, ob ohne den Beitrag des Schädigers die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung entfallen wäre. Ein solcher Bedingungszusammenhang liegt hier vor, da ohne den Unfall, an dem der B mindestens mitbeteiligt war, die T nicht gestorben und damit die A keine psychischen Beeinträchtigungen erlitten hätte.
  • Weiterhin bedarf es als zweiten „Filter“ einer Adäquanz zwischen der Unfallbeteiligung des B und der daraus resultierenden Folge, d.h. der Eintritt der Rechtsgutsverletzung bei A darf nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen. Auch dies ist bei psychischen Beeinträchtigungen aufgrund des Todes einer anderen Person, was regelmäßig ein einschneidendes Ereignis darstellt, zu bejahen, insbesondere wenn dieses Ereignis (wie vorliegend) unmittelbar miterlebt wird.
  • Schließlich kann als dritter normativ aufgeladener Ursachenfilter noch die Lehre vom Schutzzweckzusammenhang angeführt werden. Entscheidend ist danach, ob die für das Schadensersatzbegehren herangezogene Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Auswirkungen, wie sie durch die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung beim Anspruchssteller eingetreten sind, schützen will. Dabei werden vom Schutzzweck der Norm erfasste Verletzungen von solchen Beeinträchtigungen abgegrenzt, die dem „allgemeinen Lebensrisiko“ zuzurechnen sind und damit keine Ausgleichspflicht des Schädigers begründen. Für Fälle mit sog. Schockschäden wird dabei von einer bloßen Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos insbesondere dann ausgegangen, wenn der durch den Unfall unmittelbar Getötete oder Verletzte in keiner näheren (verwandtschaftlichen) Beziehung zu der hierdurch psychisch beeinträchtigten Person stand (vgl. dazu auch unseren Artikel hier). Ist dies hingegen der Fall, wird der mittelbar Beeinträchtigte in den Kreis der durch die Norm geschützten Personen aufgenommen. Vorliegend ist diese Bedingung erfüllt: Die mittelbar durch den Unfall betroffene A war als Mutter der T eine enge Verwandte der Verstorbenen, außerdem hat sie den Tod ihrer Tochter unmittelbar miterlebt.
  • Zuletzt muss sich speziell bei den Tatbeständen der sog. „engen“ Gefährdungshaftung, zu denen § 7 StVG zu zählen ist (anders etwa § 1 ProdHaftG), gerade die erhöhte Gefährlichkeit der tatbestandsspezifischen Verhaltensweise, die Grund für die Statuierung der Gefährdungshaftung ist (hier: Betrieb eines Kfz), in der Rechtsgutsverletzung ausgewirkt haben. Dies ist bei der Halterhaftung des § 7 Abs. 1 StVG dann, wenn das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls bestimmungsgemäß als Fortbewegungsmittel genutzt wird, der Fall.

cc) Schließlich ist vorliegend auch der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 2 StVG nicht gegeben. Danach ist eine Ersatzpflicht „dem Grunde nach“ dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird. Die Rechtsprechung definiert „höhere Gewalt“ als ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist. Da sich der für die psychische Beeinträchtigung der A verantwortliche Unfall vorliegend im Verkehr mit einem anderen Verkehrsteilnehmer ereignete, kann von einem „betriebsfremden Ereignis“ nicht gesprochen werden.
b) Haftungsausfüllender Tatbestand:
Im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestands hat das Gericht allerdings eine Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens zu Lasten der A vorgenommen und diese auf 100% taxiert.
aa) Hierbei ist zunächst zu beachten, dass die hinsichtlich eines Mitverschuldens bei Unfällen mit Kfz grundsätzlich als lex specialis zu beachtende Vorschrift des § 17 Abs. 2, 3 StVG vorliegend nicht eingreift, da diese ein Zusammentreffen mehrerer Kfz beim Unfall voraussetzt. Am vorliegenden Zusammenstoß waren aber nur der Wagen des B und die T als Fußgängerin beteiligt.
bb) Demgemäß ist in unserem Fall – ebenso wie bei Unfällen mit sonstigen nicht motorisierten Verkehrseilnehmern, etwa Radfahrern – allein die Regelung des § 9 StVG einschlägig, die für die Frage des Mitverschuldens im Wesentlichen auf die vertraute Norm des § 254 BGB verweist. Wendet man letztgenannte Norm allerdings unbefangen an, ist eine Anspruchskürzung zu Lasten der A zunächst nicht ersichtlich: Denn diese selbst trägt keine Verantwortung für den Unfall, da sie lediglich auf der anderen Straßenseite gewartet hat. Allein ihre Tochter hat den Unfall dadurch (maßgeblich) mitverschuldet, dass sie bei Rot über den Fußgängerüberweg gelaufen ist, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten. Dieses Mitverschulden der T bei der „Verursachung des Schadens“ i.S.d. § 254 Abs. 1 BGB ist der A aber grundsätzlich nicht zuzurechnen, namentlich nicht über die Norm des § 254 Abs. 2 S. 2 BGB. Diese Vorschrift verweist bekanntlich für die Zurechnung eines Mitverschuldens Dritter auf die Regelung zur Haftung des Schuldners für Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB). Geht man aber mit der h.M. und unter Anwendung des Gleichstellungsgedankens davon aus, dass auch für die Anwendung des § 278 BGB auf Gläubigerseite ein bereits bestehendes Schuldverhältnis mit dem Schuldner zum Zeitpunkt der Obliegenheitsverletzung durch den Dritten zu fordern ist (§ 254 Abs. 2 S. 2 BGB als Rechtsgrundverweisung), kann ein solches z.Zt. des maßgeblichen Sorgfaltsverstoßes der T, nämlich der Mitverursachung des Verkehrsunfalls, nicht bejaht werden.
cc) Dennoch kommt das OLG Düsseldorf für den vorliegenden Fall eines mittelbaren Schockschadens zu einer Zurechnung des Mitverschuldens der unmittelbar betroffenen Näheperson, also der getöteten T:

Da somit die rechtlich anerkannte psychisch vermittelte Schädigung nur auf einer besonderen persönlichen Bindung an den unmittelbar Verletzten beruht, muss sich der Angehörige das fremde Mitverschulden des unmittelbar Verletzten analog §§ 254, 242 BGB aus Billigkeitserwägungen anrechnen lassen (vgl. BGH a.a.O.). Dieses ist hinsichtlich geltend gemachter Schmerzensgeldansprüche auch deswegen zu bejahen, weil das Schmerzensgeld eine nach den Gesamtumständen billige Entschädigung sein soll. Wird aber die Gesundheitsbeschädigung und auch die Möglichkeit eines Ersatzanspruchs durch das Näheverhältnis zu dem unmittelbar Geschädigten hervorgerufen, kann dessen Mitverschulden, das bei eigenen Ansprüchen gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen ist, nicht außer Acht gelassen werden. Anderenfalls käme man zu unannehmbaren Ergebnissen.

Die vorgenannte Wertung des OLG kann dabei mit unterschiedlichen Begründungsansätzen unterfüttert werden. Neben dem vom Gericht selbst vorgenommenen, allerdings etwas farblosen Verweis auf die Vorschrift des § 242 BGB kommen auch konkretere normative Anknüpfungspunkte in Betracht. So ist an die Regelung des § 846 BGB zu denken, wonach bei gem. gesetzlicher Regelungen zu ersetzenden, mittelbaren Vermögensschäden Dritter – namentlich Beerdigungskosten der Erben, verlorenen Unterhaltsansprüchen des Ehepartners oder entgangenen Diensten, die der unmittelbar Verletzte einem Dritten zu leisten hatte (vgl. §§ 844, 845 BGB) – eine Mitverschulden desselben bei der Bemessung des Ersatzes für den Dritten ebenfalls zu berücksichtigen ist. Vorliegend geht es zwar nicht um einen kraft Gesetzes zu ersetzenden, lediglich mittelbar verursachten Vermögensschaden, da die A hier eine direkt über die deliktische Norm selbst zu regulierende Rechtsgutsverletzung geltend macht; allerdings kann der Vorschrift des § 846 BGB der Grundgedanke entnommen werden, dass bei Abhängigkeit eines geltend gemachten Schadens von einer weiteren, unmittelbaren Verletzung, die eine andere Person trifft – hier der getöteten T, deren besondere Nähebeziehung zu A erst die Zurechenbarkeit des Schockschadens an B begründet –, deren Mitverschulden ebenso wie eine eigene Obliegenheitsverletzung des Anspruchstellers bei der Bemessung der Forderungshöhe zu berücksichtigen ist.
dd) In Konsequenz des danach anzurechnenden Mitverschuldens der T hat das OLG Düsseldorf schließlich eine Kürzung der Schadensersatzforderung der A auf 100% vorgenommen. Das OLG begründet dies damit, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des B gegenüber dem gravierenden Fehlverhalten der Tochter nicht sonderlich ins Gewicht falle:

Auf Seiten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass ihre Tochter schuldhaft den Verkehrsunfall verursacht hat. Diese hat ihre Sorgfaltspflichten als Fußgängerin aus § 25 Abs. 3 S. 1 StVO missachtet. Sie ist bei Rotlicht auf die Fahrbahn gelaufen, ohne den Verkehr auf der (…) Straße und damit auch das Fahrzeug des Beklagten zu 1. zu beachten. Damit ist der Tochter der Klägerin nicht nur ein einfacher Sorgfaltsverstoß, sondern ein grob fahrlässiges Fehlverhalten vorzuwerfen. (…) Dass Fußgänger an einer durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung die Fahrbahn nur bei Grünlicht überqueren dürfen, ist eine elementare Verhaltensregel. (…) Angesichts dieser Gesamtumstände ist es gerechtfertigt, die lediglich beim Beklagten zu 1. verbleibende Betriebsgefahr hinter dem schwerwiegenden Mitverschulden der Tochter der Klägerin vollständig zurücktreten zu lassen

Mit dieser Konstruktion im Rahmen des Mitverschuldens wird auf der Ebene des haftungsausfüllenden Tatbestandes allerdings ein Ergebnis erreicht, was auf der Ebene des haftungsbegründenden Tatbestandes, wo nur höhere Gewalt den Halter entlastet (§ 7 Abs. 2 StVG, s.o.), ausgeschlossen ist. Dies stellt sich allerdings nicht als Umgehung der vom Gesetzgeber statuierten Gefährdungshaftung dar, da für einen solchen Haftungsausschluss auf Rechtsfolgenseite immerhin ein besonders gravierendes Mitverschulden des anderen Unfallbeteiligten vonnöten ist. Für Unfälle mit mehreren Kfz normiert der Gesetzgeber sogar in § 17 Abs. 3 StVG ausdrücklich, dass bei einem „unabwendbaren Ereignis“, nämlich bei dem sich einer der Unfallbeteiligten wie ein „Idealfahrer“ verhalten hat, dessen Haftung vollständig ausgeschlossen ist, ohne dass es auf besonders gravierende Verstöße der übrigen Beteiligten ankommt. I.Ü. ist auch bei solchen Unfällen anerkannt, dass bei einem groben Sorgfaltsverstoß eines der beteiligten Pkw die Halter der anderen Wagen ggf. überhaupt nicht haften, also ihre allgemeine Betriebsgefahr ebenso unberücksichtigt bleibt.
3. Warum ist die Entscheidungen wichtig?
Das OLG bleibt, wie bereits seine Verweise auf ergangene Rspr. belegen, mit seiner Entscheidung auf vertrautem Terrain, so dass seine Urteile nichts spektakulär Neues bieten. Indes behandeln sie mit dem „Dauerbrenner“ Verkehrsunfall eine Konstellation, die im ersten wie auch zweiten Staatsexamen beständig abgeprüft wird. Der im Fall behandelte Zurechnungs-„Klassiker“, nämlich die Ersatzfähigkeit lediglich mittelbar verursachter Schockschäden, wird hierbei gepaart mit der wohl weniger bekannten Problematik einer Mitverschuldenszurechnung in dieser Konstellation. Insoweit sollte man sich in der Fallbearbeitung nicht darauf beschränken, lediglich knapp auf die „Billigkeit“ einer solchen Zurechnung, ggf. unter Hinzuziehung des § 242 BGB, zu verweisen. Vielmehr ist es empfehlenswert, zur Stütze dieses Ergebnisses auch Wertungen speziellerer gesetzlicher Regelungen, namentlich des § 846 BGB einfließen zu lassen, auch wenn dieser vorliegend nicht unmittelbar einschlägig ist. Im Originalfall des OLG Düsseldorf war übrigens – wie regelmäßig in der Praxis – auch die Kfz-Versicherung des Fahrzeughalters B verklagt. Die Anspruchsgrundlage für deren Haftung ergibt sich dann aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG (Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer), früher § 3 PflVG a.F.

09.08.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-08-09 10:00:182012-08-09 10:00:18OLG Düsseldorf: Schockschaden und Mitverschulden bei Verkehrsunfall
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Herausforderungsfälle – Polizeiliche Verfolgungsfahrt

BGH-Klassiker, Deliktsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Zivilrecht, Zivilrecht

Eine kürzlich ergangene Entscheidung des BGH (Urteil vom 31.01.2012 – VI ZR 43/11) hat sich u.a. mit der Frage beschäftigt, ob der Halter eines Fahrzeugs, das von der Polizei verfolgt wird und durch Rammen durch ein Polizeifahrzeug zum Stehen gebracht wird, für den entstandenen Sachschaden an den Polizeifahrzeugen aufkommen muss. Rechtlich bewegt man sich hier im Bereich des Deliktsrechts bzw. der in diesem Zusammenhang diskutierten sog. Herausforderungsfälle.
Sachverhalt (vereinfacht)
A fährt in seinem Pkw, dessen Halter er ist, und wird von der Polizei angehalten. Da er aus verschiedenen Gründen keine Interesse an einer Kontrolle hat, gibt er unvermittelt Gas, um sich der Maßnahme zu entziehen. Dabei wird eine Beamtin leicht verletzt. Die Polizei nimmt sogleich die Verfolgung auf und es entwickelt sich eine regelrechte Verfolgungsjagd über die Autobahn mit Geschwindigkeiten zwischen 150 bis 200 km/h. Dabei versucht A durch schnelles Wechseln der Fahrstreifen und durch Befahren des Standstreifens seine Verfolger abzuhängen.
Da die Polizei keine andere Möglichkeit sieht, A zum Anhalten zu bewegen, beschließt sie, den Verkehr auf der Autobahn durch eigene Fahrzeuge einige Kilometer vor A zu verlangsamen und dann ein Straßensperre bestehend aus mehreren Polizeifahrzeugen einzurichten. Zusätzlich soll ein großer Lkw den Standstreifen befahren. A nähert sich der Straßensperre, bremst ab und entschließt sich, zwischen den beiden mittleren Polizeifahrzeugen hindurchzufahren. Im gleichen Moment rammt ihn ein Polizeiwagen von hinten und schiebt ihn zwischen den beiden Fahrzeugen hindurch, die leicht beschädigt werden. Dann kommt ein weiteres Polizeifahrzeug von der Seite und drückt A an die Leitplanke, sodass dieser letztendlich zum Stehen kommt.
Es ist ein erheblicher Sachschaden an insgesamt vier Polizeiwagen in Höhe von 17.271,84 Euro entstanden. Das Land L verlangt von A Schadensersatz. A beruft sich darauf, dass er nicht damit habe rechnen können, dass die Polizei „so hart durchgreift“ und ihre Fahrzeuge als „Rammböcke“ einsetzt. Den Ausgang der Verfolgungsjagd habe er jedenfalls nicht gewollt.
Kann das Land L von A Schadensersatz verlangen?
Die Rechtsprechung des BGH zu den Herausforderungsfällen im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB
Das Gericht umreißt zunächst lehrbuchhaft die Grundsätze für eine deliktische Haftung, wenn der Schädiger die Situation provoziert hat, die letztendlich in den Schaden mündet.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist. Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der (vorläufigen) Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben. […]
Voraussetzung für eine deliktische Haftung ist in solchen Fällen stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat. Dabei muss sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich bewusst gewesen sein oder zumindest fahrlässig nicht erkannt und bei der Einrichtung seines Verhaltens pflichtwidrig nicht berücksichtigt haben, dass sein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen Schaden erleiden könnte.

Verwirklichung dergesteigerten Gefahrenlage durch rammende Polizeifahrzeuge
Nicht nur in einer Klausur drängt sich hinsichtlich des Verhaltens der Polizeibeamten die Frage auf, ob die rigorose Vorgehensweise der Polizeibeamten noch zugerechnet werden kann. Hier könnte man argumentieren, dass es allein in der Entscheidungsgewalt der Polizeibeamten lag, ihre Fahrzeuge zur Ergreifung des A zu beschädigen, und sie auch auf andere Weise den A hätten stoppen können. Der BGH sieht jedoch die Gefahrenlage, die der A unstreitig nach ständiger Rechtsprechung herbeigeführt hat – die Verfolgung durch Polizeibeamten ist ein klassischer Fall – auch dann als verwirklicht, wenn die Polizisten ihre Fahrzeuge auf die geschilderte Weise einsetzten. Ausgangspunkt hierfür ist eine Abwägungsentscheidung anhand der konkreten Situation.

Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den Fliehenden ist insbesondere die angemessene Mittel-Zweck-Relation, nach der die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt. Der Versicherungsnehmer […] hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine Polizeibeamtin verletzt und sich danach über viele Kilometer hinweg mit den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit eine Verfolgungsjagd mit mehrfachem Fahrstreifenwechsel unter Mitbenutzung des Standstreifens geliefert. Da von diesem rücksichtslosen Verhalten eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die Entscheidung, die Flucht durch eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug auf die erfolgte Art zu beenden, nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Beendigung der Flucht und der Ergreifung des Fliehenden.
[…]Die subjektive Seite der Haftung, d.h. der Vorwurf, eine Rechtsgutsverletzung seines Verfolgers schuldhaft herbeigeführt zu haben, setzt voraus, dass der Fliehende damit rechnen musste, verfolgt zu werden, und dass er auch voraussehen konnte, seine Verfolger könnten dabei möglicherweise zu Schaden kommen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wusste der Versicherungsnehmer […], dass er verfolgt wird, und musste auch damit rechnen, dass für seine Verfolger und ihre Fahrzeuge bei seiner Fahrweise nicht nur ein gesteigertes Risiko bestand, während der Verfolgungsfahrt einen Schaden zu erleiden, sondern auch bei einer Beendigung der Flucht durch eine bewusst herbeigeführte Kollision mit dem Fluchtfahrzeug. Bei einer Verfolgungsjagd, wie sie im Streitfall stattgefunden hat, ist es nicht fernliegend, dass die Polizeibeamten erforderlichenfalls auch Schäden an den Polizeifahrzeugen in Kauf nehmen, um den Flüchtenden zu stoppen und Schlimmeres zu verhindern.

Schaden „bei dem Betrieb“ nach § 7 Abs. 1 StVG verwirklicht
Neben § 823 Abs. 1 BGB sollte der Bearbeiter stets auch an die verschuldensunabhängige Haftungsnorm des § 7 Abs. 1 StVG (Haftung des F-Halters) denken, die parallel zur Anwendung kommt. Fraglich war hier, ob der gesamt Vorgang noch unter dem Merkmal „bei dem Betrieb [eines Kfz]“ zu subsumieren ist. Immerhin ließe sich einwenden, die Verfolgungsjagd und alle weiteren Umstände seien dermaßen fernab von dem „üblichen“ Geschehen im Straßenverkehr, dass es sich nicht mehr um die Realisierung der einem Kfz innewohnenden Betriebsgefahr handelte. Der BGH ist anderer Ansicht und bejaht einen weiten Anwendungsbereich dieses Merkmal, denn

[…] die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will d-her alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraft-fahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen werten-den Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist.

So geschehen im vorligenden Fall. Überlegenswert ist dann auch, ob es sich bei der Entscheidung der Polizeibeamten, den A zu rammen, um ein „unabwendbares Ereignis“ im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG handelte.

Im Streitfall ist ein Polizeifahrzeug auf einer Bundesautobahn auf das Fluchtfahrzeug aufgefahren und hat es zwischen den davor fahrenden Polizei-fahrzeugen hindurchgeschoben, wonach ein anderes Polizeifahrzeug das Fluchtfahrzeug gegen die Leitplanke gedrängt und damit die Flucht beendet hat. Dass dies „bei dem Betrieb“ der beteiligten Kraftfahrzeuge im fließenden Verkehr auf einer Bundesautobahn erfolgte, begegnet nach den vorstehenden Grundsätzen ebenso wenig Bedenken wie bei einem „normalen“ Auffahrunfall. Die Tatsache, dass das Auffahren im Streitfall vorsätzlich erfolgte, um das Fluchtfahrzeug zu stoppen, hat lediglich Bedeutung für die Frage, ob der Unfall für einen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.
[…]Die Frage der rechtlichen Unabwendbarkeit in Verfolgungsfällen ist unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns vergleichbar zu beantworten wie die Frage einer Haftung nach § 823 BGB. Wer sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen.

Fazit
Verfolgungsjagden, Straßensperren, rammende Polizeifahrzeuge in der höchstrichterlichen Rechtsprechung – das ist Stoff für Klausuren, vor allem, wenn es um aktuelle Probleme aus dem Deliktsrecht geht. Gerade Ersatzansprüche im Straßenverkehr sind ein Dauerbrenner und laufen regelmäßig in den Examensterminen. Es lohnt sich daher, die sog. Herausforderungsfälle noch einmal durchzugehen.

18.05.2012/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-05-18 14:28:212012-05-18 14:28:21BGH: Herausforderungsfälle – Polizeiliche Verfolgungsfahrt

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