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Schlagwortarchiv für: § 573 BGB

Carlo Pöschke

Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mietrecht, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Schuldrecht, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Die Ausbreitung des COVID-19-Virus und die gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten staatlichen Maßnahmen haben Unternehmen und Verbraucher wirtschaftlich hart getroffen. Zur Eindämmung der nachteiligen Folgen der Pandemie hat der Bundestag das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVG) beschlossen. Der erste Teil dieses Beitrags hat sich mit den vorübergehenden Änderungen im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht auseinandergesetzt. Der zweite Teil behandelt nun die besonders klausur- und examensrelevanten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts.
 
 C. Allgemeines Zivilrecht
Infolge der gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten Maßnahmen haben zahlreiche Unternehmen ihr Geschäft beschränkt oder eingestellt, sodass deren Mitarbeiter erhebliche Einkommensverluste erleiden. Ist das verbleibende Einkommen, z.B. das Kurzarbeitergeld, zu niedrig und verfügen die Betroffene nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen, können sie in eine Situation geraten, in der sie nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. In letzter Konsequenz kann dies bedeuten, dass sie ihre Wohnung verlieren und von Leistungen der Grundversorgung wie Strom, Gas oder Telekommunikation abgeschnitten werden. Dem will der durch Art. 5 COVG neu in das EGBGB eingefügte Art. 240 mit einem Leistungsverweigerungsrecht (I.), einer Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (II.) sowie einer Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers (III.) entgegenwirken.
 
I. Leistungsverweigerungsrecht
Herzstück des neuen Corona-Vertragsrechts ist das in Art. 240 § 1 EGBGB geregelte Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen. Für Verbraucher sind dessen Voraussetzungen in Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB geregelt, während die Voraussetzungen für Kleinstunternehmen in Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB zu finden sind. Die Prüfungsstruktur ist bei Verbrauchern und Kleinstunternehmen jedoch dieselbe, sodass die Voraussetzungen (1.) und Rechtsfolgen (2.) des Zahlungsmoratoriums im Folgenden gemeinsam betrachtet werden sollen.
 
1. Voraussetzungen
a) Verbraucher oder Kleinstunternehmen
In persönlicher Hinsicht umfasst Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher. Art. 240 § 1 I 1 EGBGB spricht zudem von einem Anspruch, der in einem Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht. § 310 III BGB wiederum legaldefiniert einen Verbrauchervertrag als einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Liest man die Voraussetzungen „Verbraucher“ und „Verbrauchervertrag“ zusammen, sind vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher erfasst, deren Vertragspartner ein Unternehmer ist. Auch die Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ sind im BGB definiert. So ist Verbraucher nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen Tätigkeit zugerechnet werden können. § 14 I BGB wiederum versteht unter einem Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
Von Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB umfasst werden Kleinstunternehmen i.S.d. Empfehlung 2003/361 EG der Kommission vom 06.05.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124 vom 20.05.2003,  36). Demnach sind Kleinstunternehmen Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu zwei Millionen Euro.
 
b) Wesentliches Dauerschuldverhältnis
In sachlicher Hinsicht beziehen sich Art. 240 § 1 I 2 EGBGB und Art. 240 § 1 II 2 EGBGB auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse i.S.d. Art. 240 § 1 I 2 EGBGB sind gem. Satz 3 solche Dauerschuldverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind. Hierzu zählen ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18110, 34) etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste sowie Verträge über die Wasserver- und -entsorgung, soweit diese zivilrechtlich geregelt sind. In Art. 240 § 1 II 3 EGBGB ist eine ganz ähnliche Legaldefinition des wesentlichen Dauerschuldverhältnisses i.S.d. Art. 240 § 1 II 2 EGBGB zu finden. Dass nur Dauerschuldverhältnisse erfasst werden, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden, liegt daran, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nach diesem Zeitpunkt die pandemieartige Ausbreitung des Virus absehbar war und die Vertragschließenden mit tiefgreifenden Veränderungen des Wirtschaftslebens rechnen mussten und daher nicht mehr schutzwürdig sind (BT-Drucks. 19/18110, S. 34).
 
c) Umstände, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind
Weiterhin erfordert ein Leistungsverweigerungsrecht das Vorliegen von Umständen, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Solche Umstände können für Kleinstunternehmen beispielsweise in Einnahmeverlusten durch behördlich angeordnete Geschäftsschließungen oder durch Kaufzurückhaltung der Kunden sowie in zusätzlichen Kosten liegen, die zur Einhaltung der erhöhten Hygienestandards anfallen, liegen. Bei Verbrauchern kann ein solcher Umstand im Beziehen von Kurzarbeitergeld statt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts oder einer betriebsbedingten Kündigung liegen.
 
d) Gefährdung des Schuldners oder Unvermögen des Kleinstunternehmens
Des Weiteren muss die Erbringung der Leistung den angemessenen Lebensunterhalt des Schuldners gefährden oder den angemessenen Lebensunterhalt der unterhaltsberechtigten Angehörigen des Schuldners unmöglich machen (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB). Das Pendant zur Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts ist für Kleinunternehmen die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs (Art. 240 § 1 II 1 Nr. 2 EGBGB). Um zu bestimmen, wann eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage vorliegt, könne man sich, so wird vorgeschlagen, aufgrund der Insolvenznähe des Art. 240 § 1 EGBGB an den Eröffnungsgründen des Insolvenzrechts orientieren. Eine Gefährdung sei daher bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie Überschuldung (§ 19 InsO) anzunehmen. Bei Verbrauchern genüge auch, wenn nach Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust das monatliche Haushaltseinkommen den Grundbedarf unterschreitet und nennenswerte liquide Reserven nicht vorhanden sind (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104). Für Kleinstunternehmen nennt Art. 240 § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB zusätzlich den Fall, dass das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann. Dadurch werden Kleinstunternehmer davon entbunden, sich Liquidität zum Beispiel durch Aufnahme von Darlehen zu beschaffen oder den Ausfall von Personal oder die Nichtbeschaffbarkeit von Material und Infrastruktur zu kompensieren (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104).
 
e) Zusammenhang zwischen den auf die Pandemie zurückzuführenden Umständen und der Gefährdung des Schuldners oder dem Unvermögen des Kleinstunternehmens („infolge“)
Die Gefährdung bzw. das Unvermögen des Kleinstunternehmens zur Leistung muss „infolge“ von Umständen, die auf die Ausbreitung der Pandemie zurückzuführen sind, eingetreten sein (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Es muss also ein Zusammenhang zwischen den beiden Tatbestandsmerkmalen bestehen. Ähnlich wie beim „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG stellt sich die Frage, wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist. Insb. in Bezug auf Kleinstunternehmen wird es Fälle geben, in denen die Pandemie nicht der einzige Grund für die Gefährdung oder das Unvermögen des Kleinstunternehmen sein, sondern weitere Umstände wie Managementfehler oder Veränderungen im Marktumfeld hinzutreten. Zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals gibt die Gesetzesbegründung keine Hinweise. Aufgrund des Telos des Gesetzespakets und der in Frage stehenden Norm, die Folgen der Pandemie abzumildern sowie Verbrauchern und Kleinstunternehmen Zeit zu verschaffen, ist dieses Tatbestandsmerkmal großzügig auszulegen. Es ist keine Monokausalität, sondern lediglich Kausalität i.S.d. der Äquivalenztheorie erforderlich (zum gleichen Ergebnis im Zusammenhang mit dem „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG kommt Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290).
 
f) Keine Verteidigung des Gläubigers
Die Gewährung eines temporären Leistungsverweigerungsrechts durch Gesetz stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit dar, die grundrechtlich über Art. 2 I GG hergeleitet wird. Um die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs zu wahren, eröffnet Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB dem Gläubiger eine Verteidigungsmöglichkeit (BT-Drucks. 19/18110, 35). Das Leistungsverweigerungsrecht des Verbrauchers gilt nach Art. 240 § 1 III 1 EGBGB nicht, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrecht für den Gläubiger unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs gefährden würde. Das Leistungsverweigerungsrecht des Kleinstunternehmens gilt nach Art. 240 § 1 III 2 EGBGB ebenfalls bei Unzumutbarkeit für den Gläubiger nicht. Eine solche Unzumutbarkeit kann in einer Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts oder der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs liegen. Befinden sich Schuldner und Gläubiger also in vergleichbar schwierigen wirtschaftlichen Lagen, hat sich der Gesetzgeber zugunsten des Gläubigers entschieden. Bei Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts nach Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB steht dem Schuldner nur noch ein Kündigungsrecht gem. Art. 240 § 1 III 3 EGBGB zu.
 
g) Kein Ausschluss des Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB
Schließlich darf das Leistungsverweigerungsrecht nicht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB ausgeschlossen sein. Ausgeschlossen ist ein Leistungsverweigerungsrecht für Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Darlehensverträgen (Nr. 1) sowie arbeitsrechtliche Ansprüche (Nr. 2).
 
2. Rechtsfolgen
Das Leistungsverweigerungsrecht ist als Einrede konzipiert. Der Schuldner muss sich im Prozess also auf diese Einrede berufen und dessen Voraussetzungen belegen. Hat sich der Schuldner erfolgreich auf die Einrede berufen, entfällt die Durchsetzbarkeit des Anspruchs bis zum 30.06.2020 (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB), wobei Art. 240 § 4 I Nr. 1 EGBGB die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Dauer des Leistungsverweigerungsrechts bis längstens zum 30.09.2020 zu verlängern. Allerdings steht dem Schuldner das Leistungsverweigerungsrecht nur solange zu, wie er wegen der Pandemie an seiner Leistungserbringung gehindert ist. Das Leistungsverweigerungsrecht ändert nichts an der primären Leistungspflicht, diese ist bloß später zu erfüllen. Es hindert die Vollstreckbarkeit der vereinbarten Leistung und damit zugleich die Entstehung von Sekundäransprüchen, die an die Nichterbringung von Leistungspflichten geknüpft sind, z.B. Verzug (§§ 286 ff. BGB), Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 281 BGB) und Rücktritt (§ 323 I BGB) (BT-Drucks. 19/18110, 35).
 
II. Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen
Durch die Pandemie ist damit zu rechnen, dass einige Mieter und Pächter vorübergehend nicht in der Lage sind, die fälligen Mieten und Pachten fristgerecht zu zahlen. Gem. § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (beim Pachtvertrag i.V.m. § 581 II BGB) steht dem Vermieter bzw. Verpächter ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung zu, wenn der Mieter bzw. Pächter für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete bzw. Pacht oder eines nicht unerheblichen Teils davon in Verzug ist.
Um zu verhindern, dass Mieter ihren Wohnraum bzw. Gewerbemieter oder -pächter die Grundlage ihrer Erwerbstätigkeit verlieren, schließt Art. 240 § 2 I EGBGB (bei Pachtverhältnissen i.V.m. Art. 240 § 2 III EGBGB) nun ein Kündigungsrecht für Miet- und Pachtverhältnisse über Grundstücke oder über Räume aus dem alleinigen Grund, dass der Mieter bzw. Pächter die Miete bzw. Pacht im Zeitraum vom 01.04.2020 bis zum 30.06.2020 trotz Fälligkeit nicht leistet, aus, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Somit stellen Mietrückstände weder einen wichtigen Grund nach § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB), noch ein berechtigtes Interesse nach § 573 I, II Nr. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB) dar. Auch bei der Kündigungsbeschränkung wird die Bundesregierung ermächtigt, die Anwendung dieser Bestimmung zeitlich zu verlängern (Art. 240 § 4 I Nr. 2 EGBGB). Zentrales Tatbestandsmerkmal der Kündigungsbeschränkung ist das Beruhen der Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie. Dieser Zusammenhang ist – wie beim Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB (Genaueres hierzu unter Gliederungspunkt C.I.1.e)) – großzügig auszulegen, was auch dadurch deutlich wird, dass die Gesetzesbegründung als Beispiel, bei dem die Nichtleistung nicht auf den Auswirkungen der Pandemie beruht, die Zahlungsunwilligkeit des Mieters anführt (BT-Drucks. 19/18110, S. 36).
Die Kündigungsbeschränkung von Miet- und Pachtverhältnissen nach Art. 240 § 2 EGBGB unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten vom allgemeinen Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB: Einerseits eröffnet sie nicht wie Art. 249 § 1 III EGBGB dem Vermieter bzw. Verpächter eine Verteidigungsmöglichkeit, die ihn letztendlich doch zur Kündigung aufgrund des Zahlungsverzugs berechtigt, wenn der Ausschluss der Kündigung seinerseits unzumutbar ist. Andererseits bleiben die Mieter bzw. Pächter nach den allgemeinen Grundsätzen zur Leistung verpflichtet und können auch in Verzug geraten, sodass der Vermieter bzw. Verpächter beispielsweise gem. § 288 I 1 BGB Verzugszinsen fordern kann. Dieser Unterschied ggü. Art. 240 § 1 III EGBGB kann als Ausgleich zur fehlenden Verteidigungsmöglichkeit des Vermieters bzw. Verpächters aufgefasst werden und begrenzt die Intensität des Eingriffs in die Rechte des Vermieters bzw. Verpächters.
 
III. Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers
Auf Corona beruhende Einnahmeverluste können nicht nur dazu führen, dass Verbraucher ihre Miete oder Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen nicht rechtzeitig begleichen können, sondern auch dazu, dass sie vorübergehend Darlehensrückzahlungen nicht leisten können. Der Zahlungsverzug des Darlehensnehmers kann im schlimmsten Fall zur Kündigung des Darlehensvertrags und zur Verwertung der eingeräumten Sicherheiten führen. Die neuen Regelungen zum Darlehensrecht in Art. 240 § 3 EGBGB sollen durch eine vorübergehende ipso iure eintretende Stundung der Ansprüche des Darlehensgebers den Verbrauchern Luft zum Atmen geben.
 
1. Voraussetzungen
Einige der Voraussetzungen der Stundung nach Art. 240 § 3 EGBGB gleichen den Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts des Art. 240 § 1 EGBGB. Die Voraussetzungen der Stundung sollen daher nur kurz angesprochen werden.
 
a) Verbraucherdarlehensvertrag
Erste Voraussetzung für die Stundung ist das Vorliegen eines Verbraucherdarlehensvertrags, der vor dem 15.03.2020 geschlossen wurde. Nach der Legaldefinition des § 491 I 2 BGB fallen unter Verbraucherdarlehensverträge sowohl Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge als auch Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge. Entsprechende Legaldefinitionen finden sich wiederum in § 491 II 1 BGB bzw. § 491 III 1 BGB, wobei die in § 491 II 2 BGB bzw. § 491 III 2, 4 BGB normierten Ausnahmen unbedingt zu beachten sind.
 
b) Unzumutbare pandemiebedingte Ausnahmefälle
Weiter fordert Art. 24o § 3 I EGBGB, dass der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der Leistung nicht mehr zumutbar ist. Erforderlich ist somit ein doppelter Kausalzusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und den außergewöhnlichen Verhältnissen sowie zwischen außergewöhnlichen Verhältnissen und der Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Auch hier genügt Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie. Art. 240 § 3 I 2 EGBGB enthält Regelbeispiele, wann die Erbringung der Leistung als nicht zumutbar anzusehen ist. Demnach ist die Erbringung der geschuldeten Leistung insb. bei Gefährdung eines angemessenen Lebensunterhalts unzumutbar, was insoweit mit der Formulierung in Art. 240 § 1 I 1 EGBGB übereinstimmt (s. Gliederungspunkt C.I.1.d)). Lühmann (NJW 2020, 1321, 1322) schlägt vor, der Begriff des angemessenen Lebensunterhalts könne in Anlehnung an den Begriff des notwendigen Lebensunterhalts in § 850f I lit. a) ZPO konkretisiert werden. Dieser Vorschlag kann indes nicht richtig sein: Zunächst spricht der Wortlaut des Art. 240 § 3 I 2 EGBGB ausdrücklich vom „angemessenen“ und nicht vom „notwendigen“ Lebensunterhalt. § 850 I lit. a) ZPO verweist zu unterschiedlichen Vorschriften des SGB II und des SGB XII. Notwendiger Lebensunterhalt i.S.d. § 850 I lit. a) ZPO i.V.m. § 27a I 1 SGB XII ist damit der „für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt“, der gem. § 28 I SGB XII im Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) bestimmt ist. Es würden damit die für Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger geltenden Regelsätze Anwendung finden. Ausgaben, die über dem für das Existenzminimum Notwendigem liegen, sind allerdings nicht per se auch unangemessen. Im Gegenteil: Wer vor Corona ein auskömmliches Einkommen gehabt und einen entsprechenden Lebensstandard gepflegt hat, kann die Kosten – v.a. die Unterkunftskosten – nicht innerhalb von kürzester Zeit auf ein dem notwendigen Lebensunterhalt im sozialrechtlichen Sinn entsprechendes Niveau senken. Auch der gesetzgeberische Wille spricht gegen den Vorschlag Lühmanns: Die Schwelle der relevanten Einnahmeminderung sei nicht pauschal festgelegt, sondern vom individuellen Einzelfall abhängig (BT-Drucks. 19/18110, 39). Das Abstellen auf § 850 I lit. a) ZPO läuft jedoch im Ergebnis auf die Anwendung pauschaler Werte hinaus. Hätte dies der Gesetzgeber gewollt, hätte er es im Gesetzestext oder zumindest in der Gesetzesbegründung erwähnt.
 
c) Keine Verteidigung des Darlehensgebers
Nach Art. 240 § 3 VI wird die Forderung nicht gestundet, wenn dem Darlehensgeber die Stundung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist. Diese Bestimmung soll eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Rechte des Darlehensgebers verhindern und Raum für eine einzelfallbezogene Interessenabwägung lassen. Grds. geht der Gesetzgeber allerdings von einer überwiegenden Schutzbedürftigkeit der Verbraucher aus, sodass eine Stundung nur in extremen, meist im Verhalten des Darlehensnehmers begründeten, Fällen ausgeschlossen ist. Beispielhaft führt die Gesetzesbegründung „gravierende oder sich über einen längeren Zeitraum hinziehende schuldhafte Pflichtverletzungen des Verbrauchers wie zum Beispiel betrügerische Angaben oder vertragswidrige Veräußerungen von Sicherheiten“ (BT-Drucks. 19/18110, 40) an. Drohende Liquiditätsprobleme eines Kreditinstituts, die durch die Stundung der Rückzahlungen einer Vielzahl von Kunden entstehen, dürften damit nicht zu einem Ausschluss der Stundung nach Art. 240 § 3 VI EGBGB führen. Hier könnte sich der einzelne Kunde zudem stets darauf berufen, dass die Aussetzung der Rückzahlungen eines einzelnen (Privat-)Kunden ein Kreditinstitut nicht in Liquiditätsschwierigkeiten bringt und etwaige Liquiditätsprobleme vielmehr vom Gesetzgeber durch Verabschiedung des COVG in Kauf genommen wurden.
 
2. Rechtsfolgen
Liegen die Voraussetzungen vor, werden Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 01.04.2020 und dem 30.06.2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten ipso iure gestundet. Unter einer Stundung versteht man dabei seit jeher das Hinausschieben der Fälligkeit bei fortbestehender Erfüllbarkeit (BGH, NJW 1998, 2060, 2061; MüKo-BGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, § 271 Rn. 22). Insofern ist der Hinweis in Art. 240 § 4 I 3 EGBGB, dass der Verbraucher berechtigt ist, seine vertraglichen Zahlungen zu den ursprünglich vereinbarten Leistungsterminen weiter zu erbringen, rein deklaratorischer Natur. Art. 240 § 3 IV 1 EGBGB fordert von dem Darlehensgeber, dem Verbraucher ein Angebot über die Möglichkeit einer einverständlichen Regelung und über mögliche Unterstützungsmaßnahmen anzubieten. Kommt der Darlehensgeber dieser Pflicht nicht nach oder kommt eine einverständliche Regelung für den Zeitraum nach dem 30.06.2020 nicht zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate und die Fälligkeit der vertraglichen Leistungen wird um diese Frist hinausgeschoben (Art. 240 § 3 V 1, 2 EGBGB). Durch diese Regelung soll eine Situation vermieden werden, in der die Darlehensnehmer zwar einen Aufschub erhalten, nach dessen Ablauf sie aber dennoch ganz erheblich überfordert sind (BT-Drucks. 19/18110, 40). Wie alle Regeln des COVG sind auch die Regelungen zum Darlehensrecht mit einer Verordnungsermächtigung zur Verlängerung des zeitlichen Anwendungsbereichs verbunden (Art. 240 § 4 I Nr. 3 EGBGB).
 
IV. Ein letztes Zwischenfazit
Im Vordergrund der Corona-bedingten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts steht der Schutz des Verbrauchers. Es soll verhindert werden, dass der Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen wird, seine Wohnung verliert oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Letztendlich belastet Art. 240 EGBGB diejenigen stärker, bei denen der Gesetzgeber davon ausgeht, sie kämen mit den Folgen der COVID-19-Pandemie besser zurecht als die Verbraucher; das sind Unternehmer, Vermieter und Banken. Letztendlich ist Art. 240 EGBGB Ausdruck von sozialstaatlicher Solidarität. Ohne Risiken und Nebenwirkungen ist diese Strategie freilich nicht:  Wenn Banken über einen längeren Zeitraum ohne einen nicht unerheblichen Teil der Darlehensrückzahlungen auskommen müssen und dazu im schlimmsten Fall noch eine kollektive Verunsicherung der Anleger hinzukommt, können auch die vermeintlich Stärksten in Liquiditätsschwierigkeiten kommen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Liquiditätsprobleme einzelner Kreditinstitute aufgrund ihrer vielfältigen Verknüpfungen schnell eine Kettenreaktion auslösen können. Sollte dies bevorstehen, müssen rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, wird die Wirtschaft in der Zeit nach Corona doch besonders auf eine rege Kreditvergabe angewiesen sein.
 
D. Fazit
Während die Änderungen durch das COVG im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht dem Examenskandidaten sicherlich nicht en détail bekannt sein müssen, ist eine vertiefte Befassung mit den vorübergehenden Änderungen des allgemeinen Zivilrechts aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Pflichtfachstoff ratsam. Zusammenfassend lässt sich festhalten:

  • Das COVInsAG soll Unternehmen, die Corona-bedingt in Schwierigkeiten geraten sind, vor der Insolvenz bewahren und Geschäftspartnern Anreize schaffen, die Geschäftsbeziehungen mit betroffenen Unternehmen aufrechtzuerhalten und ihnen Liquidität zuzuführen.
  • Die in Art. 2 COVG Änderungen des Gesellschaftsrechts sichern die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften und Vereinen, indem sie die Regeln für die Durchführung von Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen lockern.
  • Im Vordergrund des neuen Art. 240 EGBGB steht der Schutz der Verbraucher. Es soll verhindert werden, dass Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen werden, ihre Wohnung verlieren oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Im Einzelnen wird dies durch ein Leistungsverweigerungsrecht (Art. 240 § 1 EGBGB), die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (Art. 240 § 2 EGBGB) und der Stundung von Darlehensrückzahlungen (Art. 240 § 3 EGBGB) erreicht.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der volle Titel des Gesetzes „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie […]“ hält, was er verspricht: Das Gesetz wird einen Beitrag zur Reduzierung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie leisten. Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass insb. die Änderungen im allgemeinen Zivilrecht und im Insolvenzrecht nicht ohne Risiken sind und erheblich in die Rechte anderer eingreifen. Daher sollten die Änderungen zwar solange wie nötig, aber keinesfalls länger als nötig gelten.

20.05.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-05-20 09:30:252020-05-20 09:30:25Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht
Gastautor

Die Eigenbedarfskündigung im Lichte der aktuellen Rechtsprechung

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Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Subir Banerjee veröffentlichen zu können. Der Autor hat in Gießen und Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt Steuerrecht und internationalem Recht studiert und ist seit 2011 wissenschaftlicher MA bei einer international ausgerichteten Großkanzlei in Frankfurt am Main im Bereich Steuerrecht.
Die Eigenbedarfskündigung
Sowohl in der anwaltlichen Praxis als auch in der juristischen Ausbildung spielt das Mietrecht eine wichtige Rolle. Herausragende Bedeutung kommt damit auch der Eigenbedarfskündigung gem. § 573 Abs.1 S.1, Abs.2 Nr. 2 BGB als ordentliches Kündigungsrecht des Vermieters zu. Demnach steht dem Vermieter ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, „wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.“ Ein solches berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt nach dem Gesetzeswortlaut insbesondere dann vor, wenn

„der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt“.

Die Intention des Gesetzgebers hierbei ist verständlich: Wenn jemand Eigentümer einer Immobilie ist, dann sollte es ihm auch möglich sein, nach Wunsch darin zu wohnen. Dieses Recht des Vermieters steht allerdings – wie so oft – im Spannungsfeld mit den Rechten des Mieters.
Diesen trägt der Gesetzgeber durch § 574 BGB Rechnung. Hiernach kann

„der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.“

Die Begründungspflicht des Vermieters gem. § 573 Abs.3 BGB und das Widerspruchsrecht des Mieters, entspringen dem Gedanken, dass Mieter eines Wohnobjektes dieses regelmäßig über einen langen Zeitraum genutzt und ein hohes Alter erreicht haben und deshalb besonderes schutzbedürftig sind. Sie können oft aufgrund ihrer Krankheit oder ihres Alters kaum dazu gezwungen werden, ihre vertraute Umgebung zu verlassen und einen strapaziösen Umzug auf sich zu nehmen.
Die Abwägung dieser widerstreitenden Interessen im Einzelfall macht dieses Thema überaus beliebt für die Einschaltung eines Anwalts in der Praxis und die Anfertigung von juristischen Examensklausuren in der Theorie.
Da die Vielfalt der vorstellbaren Konstellationen zu diesem Themenkomplex nicht nur anhand der Gesetzlektüre und –auslegung behandelt werden können, ist es wichtig, die aktuelle Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex im Auge zu behalten.
Im Folgenden soll eine zusammenfassende Übersicht über die aktuellen Entscheidungen zu diesem Thema geboten werden.
Übersicht aktueller Urteile zur Eigenbedarfskündigung
Unzumutbarkeit aufgrund fortgeschrittenen Alters
Verschiedene Gerichte haben sich schon mit der Frage befasst, ob ein fortgeschrittenes Alter und erhebliche körperliche Beschwerden eines Mieters im Zusammenhang mit einer langen Wohndauer in der streitgegenständlichen Immobilie eine Härte im Sinne des § 574 BGB darstellen kann.
Das AG Dieburg (Az. 20 C 29/12) stufte es in diesem Zusammenhang als unzumutbar ein, einer 83-jährigen Frau wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Die Betroffene konnte durch mehrere ärztliche Gutachten belegen, dass sie in ihrer Bewegungsfähigkeit derart eingeschränkt wurde, dass ein Aus- und Umzug unmöglich war. Das Gericht sah es weiterhin als entscheidend an, dass die klagende Eigentümerin bereits beim Erwerb gewusst hatte, dass die Immobilie seit vielen Jahren von der beklagten älteren Dame bewohnt wird.
Das LG Frankfurt/Main (Az. 2-11 S 110/11) mutete dagegen einem 84-jährigen Mieter einen Umzug zu. Das Gericht stufte dabei die Interessen des Vermieters als schutzwürdiger ein. Dieser wollte seiner vierköpfigen Familie eine größere Wohnung und damit insbesondere seinen Kindern bessere Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Die widrigen Umstände des Beklagten, der seit vier Jahrzehnten in der streitgegenständlichen Wohnung lebte und teilweisen körperlichen Behinderungen unterworfen war, sah das Gericht als nicht maßgeblich an, da er trotzdem noch ausreichend mobil für einen Umzug sei.
Begünstigter Personenkreis
Wie geschildert, hat der Vermieter gem. § 573 Abs.2 Nr.2 BGB ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn er die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Fraglich ist jedoch, welche Personen zu diesem Kreis der Angehörigen des Vermieters zählen. Bei Kindern und Eltern des Eigentümers gibt es keine Zweifel. Nach einem klarstellenden Urteil des BGH (Az. VII ZR 159/09) zählen daneben auch Nichten und Neffen dazu. Der BGH erkannte zwar die fehlende Gesetzesbegründung in dieser Hinsicht, urteilte aber, dass

„die generelle Einbeziehung von Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen“

auch in anderen Rechtsgebieten deutlich für eine Einbeziehung auch in diesem Fall spreche. Ausdrücklich nennen die Richter in dem Zusammenhang das Zeugnisverweigerungsrecht, das die Geschwisterkinder haben.
Eigenbedarfskündigung aufgrund beruflicher Zwecke
Der Personenkreis des Eigenbedarfes ist nicht das einzige auslegungsbedürftige Merkmal der zitierten Norm. Fraglich ist ebenso, ob der Vermieter das Mietverhältnis auch dann ordentlich kündigen darf und „die Räume als Wohnung […] benötigt“, wenn dort ausschließlich berufliche Zwecke verfolgt werden sollen. Im konkret zu entscheidenden Fall kündigte der Vermieter das Mietverhältnis mit der Begründung, dass seine Ehefrau beabsichtige, ihre Anwaltskanzlei in die von den Beklagten gemietete Wohnung zu verlegen. Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten Härtegründe geltend.
Der BGH (Az. VIII ZR 330/11) hielt fest, dass auch dann, wenn der Vermieter die vermietete Wohnung ausschließlich für seine berufliche Tätigkeit oder die eines Familienangehörigen nutzen will, ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses gemäß § 573 Abs.2 Nr.2 BGB vorliegen kann. Zur Begründung führte der BGH aus, dass dieser Fall aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit nicht geringer zu bewerten sei, als der in § 573 Abs.2 Nr.2 BGB ausdrücklich geregelte Eigenbedarf des Vermieters zu Wohnzwecken. Das gelte umso mehr, wenn sich wie vorliegend die selbst genutzte Wohnung des Vermieters und die vermietete Wohnung in demselben Haus befinden. Der BGH betonte jedoch auch, dass dieses berechtigte Interesse andere Umstände, insbesondere das Vorliegen einer Härte im Sinne des § 574 BGB nicht automatisch ausschließen würde. Eine solche Härte könne jedoch im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden.
Vorgetäuschter Eigenbedarf
Aufgrund der weitläufigen Bekanntheit des Eigenbedarfs als Kündigungsgrund hat es nicht lange gedauert bis „clevere“ Vermieter auf die Idee kamen, einen Eigenbedarf vorzutäuschen und nach dem Auszug des Mieters die Wohnung für eine deutlich höhere Miete neu vermietete oder zu einem besseren Preis zu verkaufen. In einem solchen Fall wehrte sich im Räumungsprozess der Mieter und machte Zweifel an dem vorgetragenen Eigenbedarf geltend. Daraufhin schlossen die Parteien einen Vergleich, wonach sich der Mieter zum Auszug Zug-um-Zug gegen Zahlung von Umzugskostenhilfe und dem Verzicht auf den Anspruch der Durchführung von Schönheitsreparaturen durch den Mieter verpflichtete.
Es kam wie es kommen musste: Nach Auszug des Mieters wurde die Immobilie verkauft. Als der Mieter dies bemerkte verlangte er Schadenersatz von dem ehemaligen Vermieter. Er trug vor, dass es jetzt schließlich klar sei, dass der Eigenbedarf nur vorgetäuscht gewesen sei. Da er nunmehr mehr Miete bezahle und auch höhere Umzugskosten gehabt habe, wolle er einen Ausgleich dafür.
Der ehemalige Vermieter weigerte sich zu bezahlen. Der Mieter habe schließlich den Eigenbedarf stets bestritten und sich trotzdem auf den Vergleich eingelassen. Daher wäre selbst eine Täuschung nicht kausal für den Schaden.
Das AG München (Az. 474 C 19752/11) entschied, dass ein Mieter grundsätzlich vom Vermieter Schadensersatz verlangen kann, wenn dieser wegen Eigenbedarfs kündigt, obwohl kein Eigenbedarf besteht. Zwischen der Täuschung durch den Vermieter und dem Auszug des Mieters muss jedoch ein Kausalzusammenhang bestehen. Allein der Abschluss eines Räumungsvergleiches führe noch nicht zwangsläufig zur Unterbrechung der Kausalität. Es komme dabei insbesondere darauf an, welchen Sachverhalt die Vertragsparteien zugrunde gelegt hätten. Wollten sie mit dem Vergleich auch den Streit darüber beseitigen, ob der Eigenbedarf bestehe, könne darin ein Verzicht auf Schadenersatzansprüche gesehen werden. Entscheidungserheblich sei es daher, ob die Parteien durch den Abschluss des Vergleichs einen „Schlussstrich“ unter die Vertragsbeziehung setzen wollten oder ob die Annahme des tatsächlichen Bestehens eines Eigenbedarfs als Grundlage für den Vergleich diente.
Vorliegend habe der Mieter bis zuletzt den Eigenbedarf bestritten und trotzdem seine Vergleichsbereitschaft signalisiert. Der Vergleich diente daher auch dazu, den Streit über die Frage des Vorliegens eines Eigenbedarfs zu beseitigen. Die umfangreichen Regelungen des Vergleichs (Umzugskostenbeihilfe, Verzicht auf Schönheitsreparaturen) zeigten, dass das Ver-tragsverhältnis endgültig beendet werden sollte. Ein Kausalzusammenhang zwischen einer etwaigen Täuschung durch den Vermieter und dem Auszug des Mieters bestehe daher nicht mehr.
Angebot einer Alternativwohnung
In der Praxis ist vor allem folgende Konstellation relevant: Der Vermieter ist Eigentümer mehrerer Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus. Diese hat er auch alle vermietet. Fraglich ist, ob diesen Vermieter im Falle einer Eigenbedarfskündigung eine Anbietpflicht hinsichtlich einer anderen leerstehenden Wohnung im gleichen Haus trifft.
Im vorliegenden Fall kündigte der Vermieter mehrerer Wohnungen eines Hauses aufgrund Eigenbedarfs einem seiner Mieter. Allerdings wurde nach Kündigung und vor Auszug eine identische Wohnung in demselben Mehrfamilienhaus frei. Die Wohnung wurde modernisiert. Der Beklagte zog aus, bevor die Modernisierungsarbeiten fertig gestellt wurden. Dann wurde die Wohnung neu vermietet. Während dieses ganzen Zeitraums bot der Vermieter die neu zur Vermietung stehende Wohnung den beklagten Mietern nicht an. Dies führte dazu, dass die Mieter zu der Ansicht kamen, dass die Kündigung rechtsmissbräuchlich sei.
Das AG Köln (Az. 205 C 3/12) urteilte, dass eine Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich wird, wenn der Vermieter dem Mieter keinen während der Kündigungsfrist frei werdenden Alternativwohnraum anbietet.
Nach den gerichtlichen Ausführungen besteht eine solche Anbietpflicht dann, wenn eine Wohnung im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs frei steht. Gleiches gelte aber auch in Fällen, in denen diese nach dem Ausspruch der Kündigung frei wird. In diesem Fall müsse der Vermieter dem Mieter unverzüglich ein Mietangebot hinsichtlich dieser Wohnung unterbreiten. Dabei handele es sich nicht nur um eine Obliegenheit, sondern eine echte nachvertragliche Pflicht, aus der sich unter Umständen auch Schadensersatzansprüche ergeben können.
Somit muss der wegen Eigenbedarfs berechtigt kündigende Vermieter dem Mieter eine andere freie Wohnung im gleichen Haus zur Anmietung anbieten, sofern diese vermietet werden soll.Geschieht dies nicht, ist die Kündigung rechtsmissbräuchlich gem. § 242 BGB.
Weiterhin stellt das Gericht fest, dass eine Anbietpflicht auch für solche Wohnungen bestehe, die der Vermieter dem Wohnungsmarkt dadurch entziehen will, dass er sie in Eigenregie sanieren möchte. Ein Eingriff in Art. 14 GG liege jedenfalls nicht vor, wenn hierfür ein Zeitfenster von 8 Monaten besteht.
Anders würde es sich nur dann verhalten, wenn auch diese freigewordene Wohnung durch den Eigentümer selbst oder durch einen Angehörigen genutzt werden sollte.
Kurzfristige Kündigung wegen Eigenbedarfs
Das Gesetz sieht keinen Ausschluss der Geltendmachung eines Eigenbedarfs in zeitlicher Hinsicht vor. Demzufolge könnte ein Vermieter eine Woche nach Einzug eines Mieters dessen Auszug aufgrund Eigenbedarfs fordern. Dies könnte dem Mieter einen rechtsmissbräuchlichen Gestaltungsspielraum eröffnen. Der BGH (Az. VIII ZR 233/12) hat sich mit der Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Wohnungsvermieter in einer derartigen Konstellation wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gehindert sein kann, das Mietverhältnis gemäß § 573 Abs.1, Abs.2 Nr.2 BGB wegen Eigenbedarfs zu kündigen.
Die Beklagten bewohnten seit drei Jahren eine Wohnung der Klägerin als diese das Mietverhältnis mit der Begründung kündigte, das Haus werde für ihren Enkel und dessen Familie benötigt. Das sahen die Mieter als rechtsmissbräuchlich, insbesondere weil die Kündigung nur drei Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses ausgesprochen worden sei.
Der BGH urteilte, dass eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nur dann rechtsmissbräuchlich sei, wenn der Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages beabsichtigt oder zumindest erwägt, die Wohnung alsbald selbst zu nutzen oder sie einem Angehörigen seiner Familie oder seines Haushalts zu überlassen. Dies sei hier nicht der Fall, weil bei Abschluss des Mietvertrages für die Klägerin noch nicht absehbar gewesen sei, dass ihr Enkel seine Lebensplanung ändern würde und das vermietete Einfamilienhaus zusammen mit seiner zwischenzeitlich schwangeren Partnerin und späteren Ehefrau und dem gemeinsamen Kind würde bewohnen wollen.
Der Eigenbedarf sei somit erst später aufgrund einer nach der Vermietung eingetretenen Änderung der beruflichen und familiären Verhältnisse des Enkels entstanden und für die Klägerin zuvor nicht absehbar gewesen.
Anforderungen an die Begründung eines Eigenbedarfs (1)
In jüngsten Entscheidungen sich die Rechtsprechung mit den Anforderungen befasst, die an die Begründung eines Eigenbedarfs gem. § 573 Abs.3 BGB zu stellen sind.
Der BGH (Az. VIII ZR 284/13) hatte es dabei mit folgendem Fall zu tun: Im Rahmen einer Eigenbedarfskündigung erklärten die Kläger die Kündigung des Mietverhältnisses mit der Begründung, ihre Tochter benötige die größere Wohnung der Beklagten, um dort mit ihrem Lebensgefährten einen gemeinsamen Hausstand zu begründen. Die Beklagten sahen die Kündigung als unwirksam an, da der Lebensgefährte nicht namentlich benannt worden war. Ihrer Meinung nach sei der Grund der Eigenbedarfskündigung deshalb nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden.
Der BGH entschied, dass es nicht erforderlich sei, den Lebensgefährten in dem Kündigungsschreiben namentlich zu benennen. Das Begründungserfordernis in § 573 Abs.3 BGB solle gewährleisten, dass der Kündigungsgrund derart konkretisiert ist, dass er von anderen Kündigungsgründen unterschieden werden kann. Diese Konkretisierung solle dem Mieter, der die Kündigung nicht hinnehmen will, ermöglichen, seine Verteidigung auf den angegebenen Kündigungsgrund auszurichten. Dies gelte umso mehr, da eine Auswechselung des Kündigungsgrundes dem Vermieter verwehrt sei.
Diese Anforderungen seien erfüllt, wenn im Falle der Eigenbedarfskündigung die Eigenbedarfsperson – vorliegend die Tochter – identifizierbar benannt und das Interesse, das diese Person an der Erlangung der Wohnung hat, dargelegt worden ist. Dabei reiche die Angabe aus, dass die Tochter in die größere Wohnung der Beklagten ziehen wolle, um dort mit ihrem Lebensgefährten einen gemeinsamen Hausstand zu begründen. Zusätzlicher Angaben bedürfe es nicht.
Anforderungen an die Begründung des Eigenbedarf (2)
Das die Begründung allerdings auch nicht ausreichend sein kann, belegt folgender Fall: Der Vermieter einer etwa 100 qm großen Wohnung in Berlin kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Als Kündigungsgrund gab er an, dass er die Wohnung für seine 17-jährige Tochter benötige. Diese beende nächstes Jahr das Abitur und wolle nach Berlin ziehen. Dort sei ein Praktikum vorgesehen. Die Tochter müsse unbedingt in diese Wohnung ziehen, da nur bei dieser Wohnung die Möglichkeit bestehe, einen Zugang zum Garten zu schaffen. Die anderen Wohnungen des Vermieters seien mit nur etwa 70 qm für die Tochter zu klein oder der Zugang zum Garten nicht möglich. Die Mieter lehnten die Kündigung ab, worauf der Vermieter Räumungsklage erhob.
Das AG Köpenick (Az. 14 C 16/13) sah die Kündigung wegen Eigenbedarfs als nicht gerechtfertigt an. Das Tatbestandsmerkmal „benötigen“ sei nicht erfüllt. Hierunter sei zu verstehen, dass der Vermieter die Wohnung braucht, um anderweitige Nachteile zu vermeiden. Der bloße Wunsch, die Wohnung zu nutzen, genüge nicht.
Im konkreten Fall fehle an einem ernsthaften und nachvollziehbaren Erlangungswunsch. Die Tochter des Vermieters habe weder einen Ausbildungsplatz, noch einen Studienplatz und verfüge über kein eigenes Einkommen. Der Praktikumsplatz selbst sei gar nicht in Berlin, sondern in Henningsdorf und beginne erst später. Warum eine einkommenslose Frau, die keinerlei Verpflichtungen habe und alleine wohnen möchte, eine über 100qm große Wohnung zuzüglich Terrasse und Garten „benötige“ im Sinne des § 573 Abs.2 Nr.2 BGB, konnte dem Gericht nach dessen Auffassung nicht ausreichend nachgewiesen werden.
Fazit
Jeder der aufgezeigten Sachverhalte eignet sich bestens für eine Examensklausur. Selbstverständlich kommt es in einer Klausursituation nicht nur auf das Ergebnis, sondern vielmehr auf die Argumentation an. Dieser Eindruck wird durch die teilweise divergierenden Entscheidungen der unterschiedlichen Gerichte belegt. Allerdings kann es von erheblicher Bedeutung sein, durch Lektüre der aufgezeigten Entscheidungen ein Gefühl für die Auslegung der maßgeblichen Tatbestandsmerkmale zu bekommen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die reine Gesetzeslektüre und entsprechende Auslegung in vielen Fällen nicht weiter hilft.

19.05.2014/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-05-19 15:00:472014-05-19 15:00:47Die Eigenbedarfskündigung im Lichte der aktuellen Rechtsprechung
Dr. Johannes Traut

BGH: Eigenbedarfskündigung auch für berufliche Zwecke

Mietrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Zivilrecht, Zivilrecht

Gestern (Urteil v. 26.9.2012, VIII ZR 330/11) hat der BGH entschieden, dass der Vermieter ein berechtigtes Interesse gem. § 573 Abs. 1 BGB an der Kündigung eines Mietvertrages über Wohnraum auch dann hat, wenn er seiner Frau in der Wohnung eine Rechtsanwaltskanzlei einrichten möchte. Hier Pressemitteilung, auf der diese Mitteilung beruht.
Dieses Interesse ist „aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit nicht geringer zu bewerten als der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gesetzlich geregelte Eigenbedarf des Vermieters zu Wohnzwecken.“
Darüber hinaus sichert der BGH sein Ergebnis mit dem Hinweis ab, dass dies umsomehr gelte, als dass sich „die selbst genutzte Wohnung des Vermieters und die vermietete Wohnung in demselben Haus befinden.“
Einordnung und Klausurtechnik
Eine Entscheidung mit Examensgarantie. Lässt sich ohne weiteres in jede mietrechtliche Klausur einbauen. Wichtig ist dann, sauber die Auslegung hinzubekommen. Das könnte etwa wie folgt geschehen:
Wortlaut: Spricht weder für noch gegen den Vermieter. „Berechtigtes Interesse“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in beide Richtungen ausgelegt werden kann.
Systematik: Spricht prima facie gegen den Vermieter, Umkehrschluss aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt nahe. Aber lässt sich mit dem Argument abschwächen, dass er ersichtlich nicht abschließend ist, sondern nur Regelbeispiel. Als solches kann man dann aber auch vergleichbare Fälle von § 573 Abs. 1 BGB erfasst sehen. Gelingt also der Nachweis, dass der hiesige Fall vergleichbar ist, so hilft die Systematik sogar dem Vermieter.
Telos: In diesem Sinne ist der Telos besonders relevant. § 573 Abs. 1 BGB soll einen Ausgleich zwischen den Interessen von Vermieter und Mieter ermöglichen. Die  Interessen des Vermieters sind insbesondere dann berechtigt, wenn sie sich auf Wertungen der Rechtsordnung zurückführen lassen; gleichermaßen kann der Mieter auch nur anerkannte Interessen entgegenhalten.
Das „berechtigte“ Interesse i.S.d. § 573 Abs. 1 BGB ist daher als unbestimmter Rechtsbegriff Einfallstor für die mittelbare Wirkung der Grundrechte, da diese als objektive Wertordnung von der Rechtsordnung anerkannte Interessen bereitstellen. Diese müssen dann in der Klausur offengelegt und diskutiert werden.

  • Art. 14 GG des Mieters auf der einen Seite – dazu die Rspr. des BVerfG, BVerfG WM 1993, 377, die auch dem Mieter einen grundrechtlichen „Eigentumsschutz“ angedeihen lässt). Ergänzend vielleicht noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), weil Frage der persönlichen Lebensgestaltung.
  • Art. 14 GG des Vermieters sowie hier auch noch Art. 12 GG (auch für nahe Angehörige, insofern ist wegen Art. 6 GG auch das Berufen auf „fremde“ Interessen zulässig). Bei Wohnnutzung kann man auch hier noch ergänzend das APR, ebenso wie bei Mieter Frage der persönlichen Lebensgestaltung.

Im Ergebnis sollte man dann dem BGH folgen und die Kündigung zulassen. Dafür spricht insbesondere das vom BGH angebrachte Argument, die Berufsfreiheit sei nicht geringer zu werten als das Eigentumsrecht. M.E. kann man dann auch anführen, dass man schon aus Gründen der Gleichbehandlung die in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB niedergelegte Wertentscheidung des Gesetzgebers auch auf § 573 Abs. 1 BGB für den Fall  der Berufsfreiheit übertragen muss.

27.09.2012/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2012-09-27 16:44:102012-09-27 16:44:10BGH: Eigenbedarfskündigung auch für berufliche Zwecke
Tom Stiebert

BGH: Wohnraumkündigung durch juristische Person des öffentlichen Rechts

Mietrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Der BGh hat mit Urteil vom 9.5.2012 (VIII ZR 238/11) die Frage entschieden, ob die Kündigung von Wohnraum durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts auch denn zulässig ist, wenn nicht sie selbst, sondern eine „nahestehende“ juristische Person Bedarf an der Nutzung der Räumlichkeiten hat.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

„In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall beansprucht der Kläger, der als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte Evangelische Kirchenkreis Düsseldorf, als Vermieter die Räumung einer von dem Beklagten innegehaltenen Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Das Mietverhältnis wurde dem Beklagten mit Schreiben vom 23.01.2009 gekündigt. Die Kündigung wurde darauf gestützt, dass das gesamte Anwesen, einschließlich der vom Beklagten genutzten Wohnung, für die Unterbringung der von der Diakonie Düsseldorf e.V. betriebenen Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe-, und Lebensfragen benötigt werde.“

Die Lösung dieses Falls stellt sich nach Ansicht des BGH wie folgt dar:
Eine Anwendung von § 573 Abs. 2 BGB ist nicht möglich, liegt doch keiner der dort aufgeführten Fälle vor. Die Kündigung kann sich damit allenfalls auf einen sachlichen Grund nach § 573 Abs. 1 BGB stützen. Ein solches „berechtigtes Interesse“ an einer Kündigung liegt dann vor, wenn „ein Kündigungsgrund von „gleichem Gewicht“ wie die in Abs 2 aufgezählten gegeben ist  “ (BeckOK, § 573, Rn. 103). Dies liegt insbesondere dann vor, wenn die Wohnung für einen anderen benötigt wird, schließlich kann sich eine juristische Person nicht auf den Wohnbedarf aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB berufen, sodass hierfür parallel die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB anzuwenden ist. Problematisch ist im konkreten Fall, dass hier nicht der Kirchenkreis, sondern nur die Diakonie Bedarf an der Nutzung der Räumlichkeiten hat. Diese ist aber – unstrittig – im Verhältnis zum Kirchenkreis eine selbständige juristische Person.
Dennoch hat der BGH hier die Zulässigkeit der Kündigung unter strengen Voraussetzungen bejaht. Dazu wird dargelegt:

Der BGH hat entscheidend darauf abgestellt, dass die Kündigung des Mietverhältnisses nicht nur der Verwirklichung fremder Interessen, sondern auch der Durchsetzung eigener Interessen des Klägers dient. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erfülle die Diakonie Düsseldorf e.V., die ebenso wie der Kläger zum Gesamtkomplex der Evangelischen Kirche im Rheinland gehöre, für die Düsseldorfer Kirchengemeinden diakonische Aufgaben, unter anderem durch die Unterhaltung von Beratungsstellen. Es handele sich daher bei ihr um eine dem Kläger „nahestehende“ juristische Person, deren Tätigkeit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben auch des Klägers diene. Dieser Umstand begründe ein eigenes berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses über die von dem Beklagten innegehaltene Wohnung.

Ein berechtigtes Interesse liegt also bereits dann vor, wenn eine nahestehende juristische Person die Räumlichkeiten nutzen will. Dieses Erfordernis liegt dann vor, wenn für die juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben aus deren Aufgabenbereich erfüllt werden.
Fazit: Ein Urteil aus dem Mietrecht, von dem man zumindest in der Examensvorbereitung gehört haben sollte. Zusätzlich hierzu sollten zwei weitere aktuelle Urteile aus diesem Spektrum bekannt sein, die auch bereits im Examen gepüft wurden: Die Kündigung wegen Eigenbedarfs einer BGB-Gesellschaft sowie die Kündigung wegen Eigenbedarfs einer GmbH und Co KG. Hier sollten die Unterschiede zwischen den einzelnen Fallgestaltungen beherrscht werden.

10.05.2012/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-05-10 15:33:332012-05-10 15:33:33BGH: Wohnraumkündigung durch juristische Person des öffentlichen Rechts

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