Das Bundesarbeitsgericht hat am 17. Juli 2012 eine Pressemitteilung zu einem spannenden Urteil vom gleichen Tag (1 AZR 563/11) veröffentlicht, das sehr gut in einer Klausur oder mündlichen Prüfung abgefragt werden könnte.
Es geht hierbei um die Frage, ob und insbesondere mit welcher dogmatischen Herleitung ein Arbeitnehmer bei einer unwirksamen Kündigung Anspruch auf Vergütung hat, obwohl er aufgrund der Kündigung nicht gearbeitet hat. Insofern verbindet dieses Problem arbeitsrechtliche Fragestellungen (insbesondere Wirksamkeit einer Kündigung) mit allgemeinen zivilrechtlichen Fragen.
I. Der Grundsatz
Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht der Grundsatz „Kein Geld ohne Arbeit“. Dies ergibt sich bereits aus § 611 BGB. Allerdings existieren hierzu zahlreiche Ausnahmen – im konkreten Fall relevant ist die Ausnahme des § 615 S. 1 BGB. Ist der Arbeitgeber also im Annahmeverzug, bekommt der Arbeitnehmer sein Entgelt ohne die Tätigkeit erfüllt zu haben.
Maßgeblich zur Ermittlung, ob ein solcher Annahmeverzug vorliegt, sind die §§ 293 ff. BGB. Nach § 293 BGB bedarf es hierzu eines Angebots des Gläubigers (also des Arbeitnehmers). Jedenfalls liegt das vor, wenn der Arbeitnehmer zumindest einmalig am Arbeitsplatz erschienen ist und sich arbeitswillig gezeigt hat (vgl. § 294 BGB).
Im Regelfall wird dies allerdings nicht vorliegen, sodass zu prüfen ist, ob nicht eine Ausnahme nach §§ 295 ff. BGB vorgelegen hat. Ohnehin ist ein solches Angebot nach Ansicht des BAG deshalb entbehrlich, da der Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung zu erkennen gegeben habe, er wolle eine Leistung des Arbeitnehmers nicht annehmen. Gleiches gelte auch für ein wörtliches Angebot nach § 295 BGB.
Begründet wird dies damit, dass der Arbeitgeber seinerseits verpflichtet ist, eine Handlung vorzunehmen, da es ihm obliegt den Betrieb zu organisieren und für den Arbeitnehmer zu öffnen (BAG v. 19.1.1999 – 9 AZR 979/97). Er muss also den Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Ein solches Erfordernis wird aus § 296 BGB hergeleitet. Der Arbeitnehmer muss damit von sich aus nichts unternehmen, um den Arbeitgeber in Annahmeverzug zu versetzen. Handelt der Arbeitgeber nicht, so tritt damit automatisch Annahmeverzug ein, mit der Folge, dass das Entgelt nach § 615 S. 1 BGB zu gewähren ist.
Auch die Literatur teilt dieses Ergebnis, wendet aber § 242 BGB an – eine Handlung des Arbeitnehmers sei überflüssige Förmelei, wenn der Arbeitgeber nicht deutlich mach, dass er trotz Kündigung den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen möchte.
II. Ausnahme § 297 BGB
Allerdings tritt der Annahmeverzug dann nicht ein, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitsfähig oder nicht arbeitswillig ist. Dies ergibt sich aus § 297 BGB.
Nach Ansicht des BAG ist diese Voraussetzung aber streng auszulegen. So lässt eine Krankheit des Arbeitnehmers die Voraussetzungen des § 297 BGB nicht vorliegen; vielmehr ist ein objektiver Maßstab anzusetzen. Es wird vermutet, dass der Arbeitnehmer nach der Genesung automatisch wieder arbeitsfähig oder arbeitswillig ist (Palandt, § 296 BGB Rn. 2).
III. BAG: Streikteilnahme während Annahmeverzug
Einen speziellen Fall hatte das BAG jetzt zu entscheiden: Der gekündigte Arbeitnehmer beteiligte sich an einem Streik. Fraglich ist, ob er trotzdem einen Anspruch aus § 615 BGB wegen des Annahmeverzugs hat.
Entscheidend muss auch hier die Auslegung von § 297 BGB sein. Grundsätzlich suspendiert eine rechtmäßige Streikteilnahme die Arbeitspflichten des Arbeitnehmers. Aus diesem Grund ist eine Entgeltzahlung auch ausgeschlossen. Allerdings tritt hier die Besonderheit auf, dass der Arbeitnehmer aus seiner damaligen Sicht bereits gekündigt war und mithin nicht mehr am Streik teilnehmen konnte. Allerdings zeigt sich durch die erfolgreiche Kündigungsschutzklage, dass ein Arbeitsverhältnis nachträglich betrachtet, doch vorlag. Der Arbeitnehmer kann sich nicht einerseits auf die Wirksamkeit und andererseits auf die Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses berufen. Das LAG als Vorinstanz betont dazu:
„…maßgeblich für den Arbeitsausfall ist für diesen Fall der erkennbar gewordene Wille des Arbeitnehmers zur Beteiligung am Arbeitskampf, um so einen Beitrag zur Erreichung des Kampfziels erbringen.
Maßgeblich ist vielmehr, mit welcher Erklärung der Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt. Mit der Freizeitnahme erklärt der Arbeitnehmer, sich gerade nicht durch Vorenthaltung der Arbeitsleistung am Streik beteiligen zu wollen. Demgegenüber gibt der Arbeitnehmer, welcher sich während fortbestehender Arbeitsunfähigkeit an Arbeitskampfmaßnahmen – z. B. einer Streikkundgebung – beteiligt, zu verstehen, dass er sich auch bei Arbeitsfähigkeit am Arbeitskampf beteiligt und seine Arbeit niedergelegt hätte (BAG, 26.07.2005, a.a.O. Rn 27). Diese Grundsätze sind entsprechend auf die vorliegende Fallgestaltung anzuwenden, wenn also der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung deshalb nicht erbringen kann, weil der Arbeitgeber nach ausgesprochener Kündigung zur Entgegennahme der Arbeitsleistung nicht bereit ist.“
Ob sich der Arbeitnehmer in diesem Sinne am Arbeitskampf beteiligt, hängt von seinem nach außen erkennbaren Verhalten ab (BAG, 09.02.1982, 1 AZR 567/79, AP BUrlG § 11 Nr. 16; BAG, 26.07.2005, 1 AZR 133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 2005, 1402 ff.).
Damit lag eine wirksame Beteiligung des Arbeitnehmers am Streik vor. Er hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er Teilnehmender des Streiks ist. Aus diesem Grund war er nicht willens seine Tätigkeit zu erfüllen. Damit ist § 297 BGB anwendbar mit der Folge, dass ein Annahmeverzug des Arbeitgebers ausscheidet. Ein Entgeltanspruch bestand damit nicht.
IV. Fazit
Der Fall ist sehr gut geeignet, die Fragen der Entgeltzahlung bei unwirksamer Kündigung abzuprüfen, insbesondere weil hier die Ausnahme des § 297 BGB relevant wird. Sowohl in einer mündlichen als auch in einer schriftlichen Prüfung kann sich dieses Problem stellen. Die Entscheidung des BAG überzeugt hier auch – jedes andere Ergebnis würde den Arbeitnehmer hier unzulässig privilegieren. Der Arbeitnehmer hat hier den Willen deutlich gezeigt, am Streik teilzunehmen. An diesem Willen muss er sich nun auch festhalten lassen, mit der Folge, dass der Entgeltanspruch entfällt.