Der BGH (Großer Senat für Strafsachen) hat am vergangenen Freitag entschieden, dass sich Kassenärzte, die von Pharmafirmen Provisionen für das Verschreiben bestimmter Medikamente erhalten, nicht wegen Korruptionsdelikten strafbar machen (hier geht es zur Pressemitteilung). Das vom Großen Senat zu beurteilende, zweifelhafte Vorgehen weckt dabei Erinnerungen an die zuletzt auf dem 115. Deutschen Ärztetag im Mai in Nürnberg hochgekochte Praxis, dass Ärzte „Fangprämien“ kassieren, wenn sie Patienten zu bestimmten Krankenhäusern lotsen (s. dazu etwa hier und hier).
1. Um was geht es?
Im Ausgangsverfahren des LG Hamburg waren eine Pharmareferentin, die Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 € übergeben hatte, wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) und ein von diesen Schecks begünstigter Arzt wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB) jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Übergabe des Schecks hatte ein als „Verordnungsmanagement“ bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens zugrunde gelegen. Dieses sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des betreffenden Unternehmens 5 % des Herstellerabgabepreises erhalten sollten.Während der Arzt das Urteil der Eingangsinstanz unangefochten ließ, legte die Pharmareferentin Revision beim zuständigen BGH-Senat ein. Dieser rief den Großen Senat für Strafsachen an, um folgende zwei Fragen klären zu lassen:
1. Handelt ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt bei Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V; hier: Verordnung von Arzneimitteln) als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB?
2. Hilfsweise für den Fall der Verneinung von Frage 1: Handelt ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt bei Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V; hier: Verordnung von Arzneimitteln) im Sinne des § 299 StGB als Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs im geschäftlichen Verkehr?
2. Was sagt der BGH dazu?
Der BGH hat in seinem Beschluss beide Fragen verneint und damit i.E. eine Strafbarkeit der Pharmareferentin wegen Bestechung (§ 334 StGB) bzw. Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) ausgeschlossen:
a) Bestechung und Bestechlichkeit sind in den §§ 332, 334 StGB im Rahmen des 30. Abschnitts (Straftaten im Amt) geregelt und erfassen sowohl denjenigen, der einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt (Bestechung) als auch – spiegelbildlich – denjenigen, der den Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt (Bestechlichkeit). Täter des letzteren Delikts kann dabei nur eine bestimmte Gruppe von Personen, insbesondere „Amtsträger“ oder ein „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ sein, so dass es sich hierbei um ein (echtes) Sonderdelikt handelt. Entsprechend ist aber auch bei dem spiegelbildlichen Allgemeindelikt der Bestechung, welches bzgl. der Pharmareferentin allein in Rede stand, zwingend erforderlich, dass der Adressat der Beeinflussung einer der soeben genannten Personengruppen angehört. Wer als „Amträger“ oder „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ anzusehen ist, ist nun nicht (wie so oft) der freien Begriffsbildung des Rechtsanwenders überlassen, sondern im Gesetz in § 11 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StGB geregelt. Der BGH hat vorliegend, entsprechend der 1. Vorlagefrage, untersucht, ob die die Provisionen empfangenden Kassenärzte i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB Amtsträger sind, namentlich ob sie im „Auftrag“ einer Behörde „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“ wahrnehmen. Er hat dies verneint:
Die gesetzlichen Krankenkassen sind zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne der Amtsträgerdefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB. Auch erfüllt das System der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes eine aus dem Sozialstaatsgrundsatz folgende, in hohem Maße der Allgemeinheit dienende Aufgabe. Die Kassenärzte sind aber nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Er wird auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Versicherten, der ihn regelmäßig individuell auswählt, wird – ungeachtet der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung – wesentlich vom persönlichen Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist. Innerhalb des Behandlungsverhältnisses konkretisiert die Verordnung eines Arzneimittels zwar den gesetzlichen Leistungsanspruch des Versicherten auf Sachleistungen; sie ist aber untrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und vollzieht sich innerhalb des personal geprägten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Versicherten und seinem Arzt, der die Verordnung nach seiner aus § 1 BÄO folgenden Verpflichtung auszurichten hat. Die Einbindung des Vertragsarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleiht der vertragsärztlichen Tätigkeit danach nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung. Dies entspricht auch der zivilrechtlichen Betrachtungsweise.
b) Neben diesem Tatbestand wird Korruption auch von der Vorschrift des § 299 StGB geahndet, nämlich wenn diese „im geschäftlichen Verkehr“ stattfindet. Dessen Abs. 1 und 2 stellen dabei wiederum spiegelbildlich das Annehmen/Versprechenlassen/Fordern (Abs. 1) und Anbieten/Versprechen/Gewähren (Abs. 2) von Vorteilen unter Strafe. Ebenso handelt es sich bei der Bestechlichkeit nach Abs. 1 erneut um ein Sonderdelikt, da der Täter „Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes“ sein muss. Entsprechend ist eine solche Person auch notwendiger Adressat des für die Pharmareferentin in Betracht kommenden Tatbestandes der Bestechung nach Abs. 2. Der BGH hat jedoch auch eine Stellung des Kassenarztes als „Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes“ verneint:
Dem Kassenarzt fehlt es bei der Verordnung eines Arzneimittels auch an der Beauftragteneigenschaft im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB. Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V wirken die Leistungserbringer, also auch die Kassenärzte, mit den gesetzlichen Krankenkassen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zusammen, begegnen sich nach der darin zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung also auf einer Ebene der Gleichordnung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen gesetzlich ausgeschlossen. Dem Begriff des Beauftragten ist aber schon vom Wortsinn her die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers immanent, der sich den Beauftragten frei auswählt und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleitet. Es kommt hinzu, dass die Krankenkasse den vom Versicherten frei gewählten Arzt akzeptieren muss. Dieser wird vom Versicherten als „sein“ Arzt wahrgenommen, den er beauftragt hat und dem er sein Vertrauen schenkt. Eine sachgerechte Bewertung der ärztlichen Verordnung vor dem Hintergrund des sozialrechtlichen Regelungsgefüges führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kassenarzt kein Beauftragter der Krankenkassen ist. Dass die Verordnung von Medikamenten (und Hilfsmitteln) dabei auch Relevanz für die Krankenkasse hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
c) Nicht vom BGH behandelt wurde – entprechend dem begrenzten Vorlagebeschluss – die Frage, ob sich der Kassenarzt, der für eine Provision bestimmte Medikamente verschreibt, wegen Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) oder Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) zu Lasten der Krankenkassen strafbar machen kann. Daran könnte man dann denken, wenn der Arzt aufgrund der lockenden Vergünstigungen Medikamente eines bestimmten Herstellers verschreibt, obwohl Ersatzmedikamente (Generika) existieren, die für die zahlende Krankenkasse billiger wären. Zu beiden Tatbeständen äußert sich allerdings bereits ein Beschluss des BGH vom 5.11.2003 (4 stR 239/03 = BGHSt 49, 17 ff. = NJW 2004, 454 ff.) für den Fall, dass ein Kassenarzt objektiv nicht indizierte Medikamente verordnet. Dessen Aussagen sollen daher im Folgenden, freilich orientiert an dem Kontext der Entscheidung des Großen Senats, kurz vorgestellt werden:
aa) Für den Betrug bedarf es zunächst einer Täuschung über Tatsachen. Von Spiegel Online wurde im letzten Jahr über die Praxis berichtet, dass Ärzte beim Ausstellen von Rezepten die auf den Standardformularen vorgesehene Möglichkeit, dass der ausgebende Apotheker auf billigere Ersatzmittel zurückgreifen darf („aut idem“/“0der ein Gleiches“), per Durchstreichen ausschlossen, um Zuwendungen der hierdurch begünstigten Pharmaunternehmen zu erhalten (hier geht es zu einem entsprechenden Artikel). Wird nun ein allein auf das teurere Medikament beschränktes und damit „exklusives“ Rezept von der annehmenden Apotheke (gutgläubig) der Krankenkasse zur Abrechnung vorgelegt, könnte hierin ggf. eine konkludente Täuschung gesehen werden und zwar dahingehend, dass bei dem empfangenden Patienten die Behandlung mit einem wirkungsgleichen, aber billigeren Ersatzmedikament nicht angezeigt war. Dies gilt umso mehr, als der Arzt nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB V gehalten ist, eine wirtschaftliche und damit kostengünstige Versorgung der Patienten mit Medikamenten durchzuführen (vgl. etwa § 72 Abs. 2 SGB V: „wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“).
Ein weiterhin erforderlicher Irrtum wäre jedenfalls in dem Sinne vertretbar, dass die Krankenkasse glaubt, mit der Arzneivergabe des Arztes habe „alles seine Ordnung“ gehabt (zu diesem weiten Verständnis des Irrtums i.S. einer positiven Fehlvorstellung vgl. nur NK-Kindhäuser, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 174).
Fraglich wäre sodann, worin die tatbestandsmäßige Vermögensverfügung zu erblicken ist: Insofern könnte man zunächst an die Geldzahlung für das verordnete Medikament denken. Allerdings sieht der BGH in seinem 2003-Beschluss diese bereits durch den verschreibenden Arzt selbst, und zwar als Vertreter der Krankenkasse, veranlasst:
Nach §§ 27 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3; 31 Abs. 1 SGB V haben die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf Krankenbehandlung. Als Bestandteil der Krankenbehandlung sind Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln als Sachleistung zu erbringen (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V). Ein derartiger Sachleistungsanspruch kann grundsätzlich nur dadurch begründet werden, daß ein Vertragsarzt das Arzneimittel auf Kassenrezept verordnet und damit die Verantwortung für die Behandlung übernimmt. (…) Bei Verordnung einer Sachleistung handelt der Vertragsarzt also kraft der ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen (vgl. etwa §§ 72 Abs. 1, 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V) als Vertreter der Krankenkasse. (…) Mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse gibt er die Willenserklärung zum Abschluß eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab.
Eine etwaige Vermögensverfügung (zzgl. -schadens) wird vom BGH vielmehr darin erblickt, dass es die Krankenkasse ggf. unterlässt, einen Regressanspruch ggü. dem Arzt geltend zu machen (vgl. § 106 SGB V):
Sofern die Krankenkasse überhaupt eine inhaltliche Prüfung auf die medizinische Notwendigkeit verordneter Heilmittel nach Leistungserbringung vornimmt, erfolgt diese – wie ausgeführt – ausschließlich im Hinblick auf eine nachträgliche Korrektur medizinisch nicht indizierter Maßnahmen im Innenverhältnis des Vertragsarztes zur Krankenkasse (…).
Die unterlassene Verfolgung des Regressanspruchs ist allerdings nicht „stoffgleich“ zur Bereicherungsabsicht des Kassenarztes: Stoffgleichheit bedeutet, dass der vom Täter erstrebte Vorteil die Kehrseite der durch die Verfügung bedingten Vermögensminderung bildet, dieser also unmittelbar auf Kosten des Vermögensinhabers erlangt sein muss. Für sich selbst erstrebt der Kassenarzt im vorliegenden Kontext aber allein eine Zuwendung, die ihm aus dem Vermögen des „sponsernden“ Pharmaunternehmens gewährt wird. Eine Drittbereicherungsabsicht bzgl. des Pharmaunternehmens wiederum kann sich nur auf den durch die Verschreibungen bewirkten, höheren Medikamentenumsatz beziehen, der aber unmittelbar (zunächst) durch die ausgebende Apotheke finanziert wird.
bb) Demgegenüber nimmt der BGH an, dass ein Arzt, der eindeutig unzweckmäßige Medikamente verordnet, durchaus den Tatbestand der Untreue verwirklichen kann. Das Gericht sieht dabei namentlich die Alternative des Missbrauchstatbestandes (§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB) als erfüllt an:
Nach den Prinzipien des kassenärztlichen Abrechnungssystems handelt der Vertragsarzt bei Ausstellung einer Verordnung – wie ausgeführt – als Vertreter der Krankenkasse (…). Er darf (…) Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst (…) eindeutig nicht notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, nicht verordnen (§§ 12 Abs. 1 S. 2; 70 Abs. 1 S. 2 SGB V). Verschreibt der Kassenarzt dennoch ein Medikament zu Lasten der Krankenkasse, obwohl er weiß, daß er die Leistung – wie hier – im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V nicht bewirken darf, mißbraucht er diese ihm vom Gesetz eingeräumten Befugnisse.
Zusätzlich sieht der BGH ebenfalls das – von der sog. monistischen Theorie auch im Rahmen der Missbrauchsvariante geforderte – Merkmal der Vermögensbetreuungspflicht beim Arzt ggü. der Krankenkasse als erfüllt an:
Da er bei Erfüllung dieser Aufgabe der Krankenkasse gegenüber kraft Gesetzes (§ 12 Abs. 1 SGB V) verpflichtet ist, nicht notwendige bzw. unwirtschaftliche Leistungen nicht zu bewirken, kommt darin eine Vermögensbetreuungspflicht zum Ausdruck (…). Der Arzt nimmt insoweit Vermögensinteressen der Krankenkasse wahr (…).
d) Nicht zu verhehlen ist, dass die Feststellung des BGH in dem zuletzt zitierten Beschluss, der Kassenarzt handele beim Verschreiben von Arzneimitteln als „Vertreter“ der Krankenkasse, in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der aktuellen Entscheidung des Großen Senats steht. Denn vom „Vertreter“ der Krankenkasse zum „Beauftragten“ einer entsprechenden öffentlichen Stelle (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB) bzw. eines geschäftlichen Betriebes (§ 299 StGB) ist es zwar kein zwingender, aber ebenfalls kein fernliegender Schritt. Entsprechendes hat auch das OLG Braunschweig in einem Beschluss vom 23.2.2010 (Ws 17/10 = NStZ 2010, 392 f.) angenommen:
Der Kassenvertragsarzt ist also auf Grund der ihm durch Gesetz zugewiesenen Aufgabe berechtigt und verpflichtet, für den Betrieb – hier die Krankenkassen – zu handeln. Durch die Art und Menge der von ihm verordneten Medikamente nimmt er damit erheblich auf die betrieblichen Entscheidungen Einfluss. (…) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt er insoweit als Vertreter der Krankenkassen und nimmt deren Vermögensinteressen wahr (BGH a. a. O.). Hat jemand die Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen und macht sich im Falle einer Verletzung dieser besonderen Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 StGB strafbar, so handelt er auch als Beauftragter zumindest im Rahmen dieses Aufgabenfeldes.
Demgemäß darf man auf die weitere Entwicklung gespannt sein.