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Du bist hier: Startseite1 > § 263 StGB

Schlagwortarchiv für: § 263 StGB

Alexandra Ritter

Abgrenzung von Betrug und Diebstahl

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Allgemein

Betrug, § 263 StGB Diebstahl, § 242 StGB
a) Selbstschädigungsdelikt
b) Bewusste Vermögensverfügung
  Exklusivitätsverhältnisa) Fremdschädigungsdelikt
b) Wegnahme, Gewahrsamsbruch

II. Abgrenzungsfälle

1. Freiwilligkeit der Weggabe

a) Abgrenzungskriterium zwischen Verfügung und Wegnahme:

Innerer Willensrichtung des Opfers

b) Beispiel: Vorgetäuschte Beschlagnahmung

Mangels Freiwilligkeit keine Verfügung, sondern Wegnahme

2. Unmittelbarkeit

Keine Weggabe, wenn noch gelockerter Gewahrsam besteht

3. Abgrenzung von Trickdiebstahl und Dreiecksbetrug: Zurechenbarkeit einer Wegnahme durch einen Dritten

a) BefugnistheorieDritter zur Übertragung des Gewahrsams ermächtigt
b) Faktische NähetheorieTatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Dritten ausreichend
c) LagertheorieDritter steht im Näheverhältnis zu Opfer, Dritter glaubt zudem, im Interesse des Opfers zu handeln

4. Verfügungsbewusstsein:

a) Das Verfügungsbewusstsein muss sich nach h.M. auf einen bestimmten Gegenstand beziehen – kein generelles Verfügungsbewusstsein

b) Täuschung des Opfers über Objekt der Verfügung?

Bsp.: T legt wertvolles Parfüm in einen Karton für günstige Handtücher, die er bezahlt – nach h.M. trotzdem Wegnahme

17.10.2022/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 15:51:212022-12-23 08:50:23Abgrenzung von Betrug und Diebstahl
Alexandra Ritter

Betrug (§ 263 StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Täuschung:

Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel der Irreführung über Tatsachen
Tatsachen: Zustände und Ereignisse der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind

b) Irrtum (str. ob Zweifel einem Irrtum entgegenstehen)

c) Vermögensverfügung

Jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt

d) Vermögensschaden

Minderung des Vermögens durch Vergleich vor und nach der Vermögensverfügung

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz bzgl. aller obj. Tatbestandsmerkmale

b) Absicht stoffgleicher und rechtswidriger Bereicherung

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafzumessung

V. Ggf. Strafantragserfordernis nach § 263 IV, 247, 248a StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:33:372022-10-17 14:33:39Betrug (§ 263 StGB)
Gastautor

BGH: Schadensersatz bei Kauf eines gebrauchten VW-Diesels nach Bekanntwerden der Abgasmanipulation

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Ansgar Kalle veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wiss. Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Lehrstuhl Prof. Dr. Stefan Greiner.
 
Die hier zu besprechende Entscheidung des BGH (Urt. v. 30. Juli 2020 – Az. VI ZR 5/20 = NJW 2020, 2798) stellt die bislang jüngste Entscheidung des BGH zum Abgasskandal dar. Rechtsfragen des Abgasskandals werden seit Jahren intensiv erörtert und berühren mit dem Kauf- und dem Deliktsrecht Kernthemen des Zivilrechts. Dies macht das gesamte Thema äußerst examensrelevant.
Die hier zu erörternde Entscheidung rückt mit § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB zwei examensrelevante Normen in den Vordergrund, die wegen ihrer Wertungsoffenheit viel Streit- und Argumentationspotential bergen. Sie enthält viel Lehrreiches zur Prüfung dieser Paragraphen.
 
1. Sachverhalt (verkürzt und vereinfacht)
Der Kläger erwarb im August 2016 einen gebrauchten VW Touran von der S-GmbH, die ein Autohaus betrieb. Der Dieselmotor des Fahrzeugs, Typ EA189, war von der beklagten VW-AG mit einer illegalen technischen Vorrichtung ausgestattet worden, die den Motor speziell für Messungen auf dem Prüfstand in einen besonders schadstoffarmen Modus schaltete. Nur in diesem Modus, also nicht im alltäglichen Fahrbetrieb, hielt das Fahrzeug die Grenzwerte der Euro 5-Norm ein.
Bereits im September 2015 hatte die Beklagte Mitteilungen veröffentlicht, in denen sie eingestand, dass der Motor des Typs EA189 mit der beschriebenen Vorrichtung ausgestattet war und dass man sich bemüht, den Vorfall in Kooperation mit den Behörden rasch aufzuklären. Im Oktober 2015 hatte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Beklagte dazu aufgefordert, bei den Fahrzeugen, die mit dem betroffenen Motor ausgestattet waren, in Zukunft einen rechtmäßigen Betrieb zu gewährleisten. Zu diesem Zweck entwickelte die VW-AG ein Software-Update, das die Vorrichtung deaktivierte. Dieses spielte sie u.a. beim Touran des Klägers auf.
Der Kläger begehrt nun von der VW-AG Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises zzgl. Zinszahlung Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs.
 
2. Anspruch auf Schadensersatz iHd. Kaufpreises aus § 823 Abs. 2 BGB wegen Schutzgesetzverletzung
Der erste Schwerpunkt des Falls liegt auf einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB. Diese Vorschrift knüpft an den Verstoß gegen ein Schutzgesetz an. Der BGH zog drei Schutzgesetze in Betracht.
 
a. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV
Zunächst stellte das Gericht auf zwei Normen aus der Kraftfahrzeuggenehmigungsverordnung ab: §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
 
aa. Vorwort
In einer Klausur wird keinesfalls erwartet, dass diese exotischen Vorschriften bekannt sind. Sie wären abgedruckt, damit sie in der Klausur (erstmals) gelesen und ausgelegt werden (Beispiel bei Pohlmann/Scholz JA 2020, 574).
Zusammengefasst ordnen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV an, dass ein Fahrzeug nur dann veräußert werden darf, wenn bescheinigt ist, dass es mit allen einschlägigen Vorschriften übereinstimmt. Zu den einschlägigen Vorschriften zählt insbesondere Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007, wonach Kraftfahrzeuge nicht mit Abschalteinrichtungen ausgestattet werden dürfen, die Emissionskontrollsysteme täuschen.
Die Prüfung des § 823 Abs. 2 BGB wirft regelmäßig drei Fragen auf, die in einer Klausur in aller Regel nacheinander gutachterlich beantwortet werden sollten.

  1. Liegt eine Schutznorm vor?
  2. Wurde die Schutznorm verletzt?
  3. Hat der Anspruchssteller einen Schaden erlitten, der kausal auf die Schutzgesetzverletzung zurückzuführen ist?

 
bb. Kausaler Schaden
Der BGH ging nicht auf die Fragen Nr. 1 und 2 ein, sondern wandte sich in seiner Entscheidung direkt der Frage Nr. 3 zu.
 
(1) Schaden
Um diese zu beantworten, ist zunächst zu prüfen, ob ein Schaden vorliegt. Der Kläger macht als Schaden den Abschluss des Kaufvertrags geltend. Er rügt also die Verletzung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in ihrer speziellen Ausprägung als wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht.
Als Schaden kommt jede unfreiwillige Einbuße an schadensersatzrechtlich geschützten Rechten, Gütern und Interessen in Frage. Ob eine Einbuße vorliegt, ist im Ausgangspunkt nach der Differenzhypothese zu ermitteln. Es ist also die gegenwärtige Vermögenslage mit der zu vergleichen, die ohne das schädigende Ereignis bestünde. Der Kläger müsste also darlegen, dass er den Kaufvertrag über den Touran nicht abgeschlossen hätte, wenn es nicht zur Schutzgesetzverletzung gekommen wäre.
Ob dies gelang, ließ der BGH offen, weil es aus seiner Sicht hierauf nicht ankam.
 
(2) Kausalität, insb. Schutzzweck der Norm
Stattdessen befasste sich das Gericht ausführlich mit dem Schutzzweck der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Beim Schutzzweck der Norm liegt häufig der Schwerpunkt von Klausuren zu § 823 Abs. 2 BGB. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB kommt nur dann in Frage, wenn das verletzte Schutzgesetz genau vor der Art von Schaden schützen will, die der Anspruchssteller geltend macht. Um dies zu klären, ist der Zweck der Schutznorm durch Auslegung präzise herauszuarbeiten.
Der BGH ging davon aus, dass §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV keinen Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts bezweckten. Hierfür fehlte es an Anhaltspunkten im Gesetz. Dementsprechend hielt das Gericht den geltend gemachten Schaden für nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Dieses Ergebnis hielt das Gericht für so eindeutig, dass es nach der Acte-claire-Doktrin auf eine Vorlage an den EuGH verzichtete. Zur Begründung verwies das Gericht auf seine vorangegangene Diesel-Entscheidung aus Mai 2020. Bereits dort hatte es den Anspruch am Schutzzweck §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitern lassen (BGH, Urt. v. 25. Mai 2020 – Az. VI ZR 252/19 Rn. 76; s. auch unsere Urteilsbesprechung hier ). Leider hatte der BGH auch dort seine Sichtweise nicht näher erläutert.
Dies enttäuscht ein wenig, da in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum Gegenteiliges ausführlich begründet vertreten wird: Zum einen solle die von §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV geforderte Übereinstimmungsbescheinigung dem Käufer versichern, dass das Fahrzeug betrieben werden darf. Sie habe den Charakter einer Garantieerklärung. Daher schütze das Verbot des Handelns mit Fahrzeugen, denen diese Bescheinigung fehlt, Käufer davor, ein Fahrzeug zu erwerben, das nicht betrieben werden darf (LG Ingolstadt, Urt. v. 15. Mai 2018 – Az. 42 O 1199/17 = BeckRS 2018, 33798 Rn. 25-37; Artz/Harke NJW 2017, 3409, 3412 f.). Zum anderen sei wegen des Effektivitätsgebots (effet utile) und der großen Bedeutung der Übereinstimmungsbescheinigung für das europarechtlich geprägte Typgenehmigungsverfahren ein Individualschutz durch § 27 Abs. 1 EG-FGV gar nicht erforderlich. Nach den Grundsätzen der EuGH-Entscheidung in der Rs. Muñoz (EuGH, Urt. v. 17. September 2002 – Rs. C-253/00 = Slg. I 2002, 7289) müsse es für den Anspruch genügen, dass das Unionsrecht eine privatrechtliche Sanktion gebietet (Harke VuR 2017, 83, 84 f.).
Für die Sichtweise des BGH lässt sich jedoch anführen, dass es in der Tat schwer ist, dem § 27 Abs. 1 EG-FGV konkrete Anhaltspunkte für einen Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Käufers zu entnehmen. Das EG-FGV regelt das öffentlich-rechtliche Typengenehmigungsverfahren, in das der Käufer nicht eingebunden ist. Auch hätte die beschriebene Deutung der Rs. Muñoz einen beachtlichen Eingriff in die Dogmatik des § 823 Abs. 2 BGB zur Folge, dessen Notwendigkeit fraglich ist (ablehnend auch Armbrüster ZIP 2019, 837, 839 f.; Lorenz NJW 2020, 1924; Riehm DAR 2019, 247, 248 f.; skeptisch ebenfalls Gutzeit JuS 2019, 649, 656).
Folgt man an dieser Stelle dem BGH, scheiden §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze aus.
 
b. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007
Im Anschluss wandte sich der BGH der Frage zu, ob Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 als Schutzgesetz dem Kläger zu einem Anspruch verhelfen konnte.
Auch dies verneinte er, was angesichts der Bewertung der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV konsequent ist. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass sie das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers schützen will. Ausweislich ihrer Erwägungsgründe diene die Richtlinie dem Umwelt- und Gesundheitsschutz. Das Effektivitätsgebot ändere hieran nichts. Laut der Rs. Muñoz könne dieses zwar gebieten, dass die Verletzung von Unionsrecht in einem Zivilprozess geltend gemacht werden kann, allerdings müsse der Betroffene hierfür durch die Norm geschützt werden. Die Rs Muñoz zwinge also nicht dazu, auf den Individualschutz des Schutzgesetzes zu verzichten. Da die VO keinen Individualschutz bezwecke, könne deren Verletzung daher keinen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen.
Schließt man sich dem an, eröffnet auch Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 dem Kläger keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB.
 
c. Zu § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB
aa. Schwerpunkt: Verletzung des Schutzgesetzes
Im Anschluss stellte der BGH auf § 263 StGB als Schutzgesetz ab. Für § 263 Abs. 1 StGB ist anerkannt, dass es sich um ein Schutzgesetz handelt. Auch war der geltend gemachte Schaden zweifellos vom Schutzzweck der Norm umfasst. Daher kam es hier entscheidend darauf an, ob der Betrugstatbestand erfüllt war.
An dieser Stelle wäre in einer Klausur eine vollständige, gutachterliche Inzidentprüfung des § 263 Abs. 1 StGB geboten.
 
bb. Objektiver Tatbestand
Zu Täuschung und Irrtum gibt der Sachverhalt keine Informationen. Es sei an dieser Stelle unterstellt, dass beide Merkmale vorliegen. In einer Klausur sollte man bei diesen Merkmalen insbesondere an die Problembereiche Täuschung durch Unterlassen, Aufklärungspflichten und sachgedankliches Mitbewusstsein denken (eingehend Berg Jura 2020, 239, 240 f.; Isfen JA 2016, 1, 2 f.).
Die notwendige Vermögensverfügung nahm der Kläger dadurch vor, dass er mit der S-GmbH einen Kaufvertrag abschloss und sich dadurch zur Kaufpreiszahlung verpflichtete (Eingehungsbetrug).
Fraglich ist der Vermögensschaden. Ein solcher liegt vor, wenn die Verfügung nicht durch eine Gegenleistung kompensiert wird. Dies ist im Ausgangspunkt durch eine Saldierung der wechselseitigen Leistungen zu beurteilen. Als Kompensation kommt der Anspruch des Käufers auf Verschaffung des Fahrzeugs (§ 433 I 1 BGB) in Frage. Dieser Anspruch glich die Vermögensverfügung aus, wenn die Kaufsache ihr Geld wert war. Ein Vermögensschaden kann also nicht bereits darin erblickt werden, dass der Käufer einen Vertrag abgeschlossen hat, den er ohne Täuschung nicht abgeschlossen hätte. Das Merkmal „Vermögensschaden“ ist wegen des Bestimmtheitsgebots und des Analogieverbots enger auszulegen als der zivilrechtliche Schadensbegriff. An dieser Stelle wäre etwa zu klären, ob das Update zu einer Wertminderung führte oder ob ein Fall des subjektiven Schadenseinschlags vorlag. Der BGH ließ offen, ob ein Schaden vorlag, da er jedenfalls den subjektiven Tatbestand nicht für erfüllt hielt.
 
cc. Subjektiver Tatbestand
Im subjektiven Tatbestand ist das Merkmal der Bereicherungsabsicht problematisch. Diese liegt vor, wenn der Täter für sich selbst oder einen Dritten nach einem Vermögensvorteil strebt, auf den er keinen Anspruch hat und der mit dem Vermögensschaden stoffgleich ist. Da die Beklagte keinen Bezug zum Kaufvertrag zwischen dem Kläger und der S-GmbH hatte, kommt nur eine Drittbereicherungsabsicht zugunsten der S-GmbH in Frage.
Zweifelhaft ist, ob die Beklagte nach einem stoffgleichen Vorteil der S-GmbH strebte. Stoffgleichheit liegt vor, wenn der Vermögensschaden des Opfers die unmittelbare Kehrseite des angestrebten Vermögensvorteils ist.
Aus Sicht des BGH fehlte es hieran: Die Beklagte wollte durch ihre Manipulation ihre Fahrzeuge günstiger produzieren und dadurch ihren Umsatz steigern. Dieses Ziel wurde bereits durch den Verkauf als Neuwagen erreicht. Ein späterer Weiterverkauf der Wagen als Gebrauchtfahrzeuge war der Beklagten daher egal. Deshalb lag keine Bereicherungsabsicht vor.
 
dd. Ergebnis
Gegen § 263 Abs. 1 StGB wurde nicht verstoßen. Daher fehlt es bereits an einer Schutzgesetzverletzung.
 
d. Ergebnis
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB bestehen nicht.
 
3. § 826 BGB
Schließlich setzte sich der BGH mit einem Anspruch aus § 826 BGB auseinander. § 826 BGB erfordert eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt meistens beim Merkmal der Sittenwidrigkeit. So verhält es sich auch im Fall: Der BGH befasste sich im Wesentlichen damit, ob das oben beschriebene Verhalten der beklagten Herstellerin sittenwidrig war.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das sich also durch eine besondere Verwerflichkeit auszeichnet. Um dies zu beurteilen, ist das gesamte Verhalten des Schädigers zwischen der ersten Schädigungshandlung und dem Schadenseintritt in den Blick zu nehmen.
 
a. Sittenwidrigkeit bei Kauf vor Bekanntwerden der Manipulation
Der BGH hatte bereits im Mai entschieden (BGH, Urt. v. 25. Mai 2020 – Az. VI ZR 252/19 = NJW 2020, 1962 Rn. 13-28), dass das Inverkehrbringen der Fahrzeuge mit einer illegalen Abschalteinrichtung zur Manipulation von Abgastests sittenwidrig ist. Der Hersteller habe zum Zweck der Gewinnerzielung seine arglosen Kunden in großem Umfang vorsätzlich, systematisch und langjährig darüber getäuscht, dass die Fahrzeuge die gesetzlichen Vorgaben einhielten. Dabei habe er die Gefahr in Kauf genommen, dass den Kunden der Betrieb der Fahrzeuge untersagt wird.
 
b. Keine Sittenwidrigkeit bei Kauf nach Bekanntwerden der Manipulation
Diese Bewertung beschränkte der BGH nun im Juli jedoch auf Kunden, die ihre Fahrzeuge vor Bekanntwerden der Manipulationen gekauft haben. Bei Kunden, die ihre Wagen erst später erworben haben, sei eine abweichende Beurteilung geboten, weil bei diesen ein größerer Zeitraum in den Blick genommen werden könne.
Durch die Offenlegung des Vorfalls habe die Beklagte zum einen das Vertrauen der Kunden in die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge zerstört, also deren Arglosigkeit beseitigt. Zum anderen habe sie es aufgegeben, die Manipulation zu verschleiern. Stattdessen habe sie sich – wenn auch nur begrenzt freiwillig – um deren Aufklärung bemüht. Zudem habe sie eine Lösung entwickelt, um in Zukunft einen rechtmäßigen Betrieb der Fahrzeuge zu ermöglichen, um also die Folgen der Manipulation zu minimieren.
Wegen dieser Umstände sei das Verhalten der Beklagten insgesamt als nicht mehr sittenwidrig zu bewerten.
 
c. Zusammenfassung
Kunden, die ihr manipuliertes Fahrzeug vor Bekanntwerden der Manipulation erworben haben, wurden hierzu durch arglistige Täuschung, also durch ein sittenwidriges Verhalten der Herstellerin bewegt. Sittenwidrigkeit liegt vor, weil die Aufklärungs- und Verbesserungsbemühungen der Herstellerin für diese Kunden erst nach Schadenseintritt (Vertragsschluss) kamen, also zu spät, um im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung berücksichtigt zu werden. Deshalb können diese Kunden über § 826 BGB die Rückabwicklung ihrer Verträge erwirken.
Kunden, die ihr Fahrzeug demgegenüber erst nach Bekanntwerden der Manipulation erworben haben, haben keine Ansprüche aus § 826 BGB, weil hier auch die Aufklärungs- und Reparaturbemühungen der Herstellerin zu berücksichtigen sind, die den Sittenwidrigkeitsvorwurf insgesamt entfallen lassen.
 
d. Kritik und Alternativlösung
Es ist gut nachvollziehbar, dass der BGH nach dem Erwerbszeitpunkt unterscheidet. Jedoch tut er dies an einer fragwürdigen Stelle. Aus seiner Sicht hängt es vom Zeitpunkt des Kaufs ab, ob ein und dasselbe Verhalten, das Täuschen über die Manipulation, sittenwidrig ist oder nicht. Dies ist widersprüchlich und überspannt die bei § 826 BGB vorzunehmende Gesamtbetrachtung aller Fallumstände.
Treffender wäre eine Lösung über die Kausalität: Kauft jemand in Kenntnis der Manipulationsfälle ein Fahrzeug, kann er keinen Anspruch auf § 826 BGB darauf stützen, dass er das Fahrzeug gekauft hat, weil er auf das Nichtvorliegen einer Manipulation vertraut hat. Es fehlt also nicht an der Sittenwidrigkeit, sondern an der Kausalität zwischen Täuschung und Schaden (zutr. Arnold JuS 2020, 1076; Heese NJW 2019, 257, 262; Petzold NJW 2020, 1326, 1327).
 
4. Zusammenfassung
Wer einen Gebrauchtwagen nach Bekanntwerden der Dieselmanipulation kauft, kann hieraus keine Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2, 826 BGB ableiten.
Bei § 823 Abs. 2 sieht der BGH das Problem bei den Schutzgesetzen: Weder §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV noch Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 schützen das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht. § 263 Abs. 1 StGB scheitere an der Stoffgleichheit. Bei § 826 BGB fehle es an der Sittenwidrigkeit, weil beim Kauf erst nach Bekanntwerden der Manipulation die Aufklärungs- und Reparaturbemühungen zugunsten der Herstellerin zu würdigen seien.

25.01.2021/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-01-25 09:00:382021-01-25 09:00:38BGH: Schadensersatz bei Kauf eines gebrauchten VW-Diesels nach Bekanntwerden der Abgasmanipulation
Dr. Melanie Jänsch

OLG Hamm: Strafbarkeit bei kontaktloser Zahlung ohne PIN durch den Nichtberechtigten

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Mit Beschluss vom 07.04.2020 (Az.: 4 RVs 12/20) hat sich das OLG Hamm mit einer neuen Konstellation aus dem Bereich der extrem klausur- und examensrelevanten EC-Karten-Fälle, namentlich der Strafbarkeit bei der Verwendung einer EC-Karte im Wege kontaktloser Zahlung ohne PIN-Abfrage durch den Nichtberechtigten, befasst. Angesichts der Vielzahl der zu prüfenden Delikte und der sie betreffenden Streitigkeiten sowie der Erforderlichkeit exakter Subsumtion unter zumeist schwer greifbare Definitionen ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Thematik für jeden Examenskandidaten ohnehin ein Muss. Kommen aktuelle Entscheidungen mit neuen Problemen – wie der Behandlung kontaktloser Zahlungsvorgänge – hinzu, ist der Einzug der Problematik in Klausuren und mündliche Prüfungen umso wahrscheinlicher. Die Entscheidung soll daher im Rahmen des nachfolgenden Beitrags ausführlich besprochen werden.
 
Anmerkung: Für eine ausführliche Übersicht verschiedener EC-Karten-Konstellationen ist auf unseren Grundlagenbeitrag zu verweisen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der O verlor in der Stadt sein Portemonnaie, worin sich unter anderem seine EC-Karte befand. Noch am gleichen Tag gelangte der T in den Besitz des Portemonnaies und begab sich – in dem Wissen, dass ihm die Karte nicht gehörte und er zur Nutzung nicht berechtigt war – sogleich zum Supermarkt S. Dort tätigte er an der Kasse beim Mitarbeiter M nacheinander verschiedene Einkäufe, indem er die zuvor aufgefundene EC-Karte auf das Kartenlesegerät zur Bezahlung auflegte. Da alle Einkäufe jeweils einen Warenwert von unter 25,00 Euro aufwiesen, war die Eingabe der PIN nicht erforderlich, was dem T bekannt war und von diesem bewusst ausgenutzt wurde. Die bei den Einkäufen erhaltenen Waren beabsichtigte er für sich zu behalten.
Strafbarkeit des T nach dem StGB?
 
B) Rechtsausführungen
I. Betrug, §§ 263 Abs. 1, 4, 248a StGB
In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß §§ 263 Abs. 1, 4, 248a StGB.  
1. Dies erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine Täuschung über Tatsachen, die kausal einen Irrtum auf Seiten Vermögensverfügenden erregt oder aufrechterhalten hat. Vorliegend könnte der T den Mitarbeiter M konkludent über seine Berechtigung zur Zahlung mit der EC-Karte getäuscht haben, sodass dieser den T irrig für den berechtigten Karteninhaber hielt. Eine Täuschung liegt in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen. Dabei genügt jedes Verhalten, durch das im Wege einer Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsbild eines anderen eine Fehlvorstellung über die Realitäten erregt oder unterhalten werden kann (Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB § 263 Rn. 6). Dieses Verhalten müsste kausal zu einem Irrtum, also einem Widerspruch zwischen subjektiver Vorstellung und der Wirklichkeit, geführt haben (BeckOK StGB/Beukelmann, 46. Ed. (Stand: 01.05.2020), StGB § 263 Rn. 23). Nicht ausreichend ist hierfür der Fall, dass sich der Getäuschte überhaupt keine Gedanken macht; dagegen genügt sogenanntes sachgedankliches Mitbewusstsein in Form eines ständigen Begleitwissens (exemplarisch BGH, Urt. v. 09.06.2009 – 5 StR 394/08, NJW 2009, 2900, 2901, Rn. 17; BeckOK StGB/Beukelmann, 46. Ed. (Stand: 01.05.2020), StGB § 263 Rn. 25). Im vorliegenden Fall hat das OLG Hamm indes sowohl das Vorliegen einer Täuschung als auch eines Irrtums vor dem Hintergrund der besonderen Modalität des kontaktlosen Bezahlens ohne PIN-Abfrage verneint:

„Die Berechtigung […] zur Verwendung der ec-Karte war aus der objektiven Perspektive des an den Zahlungsvorgängen beteiligten Betreibers des H-Marktes bzw. den in seinem Lager stehenden Kassenmitarbeitern bei der kontaktlosen ec-Zahlung ohne PIN-Abfrage ohne rechtliche Relevanz, weil der Zahlungsausgleich des Händlers unabhängig von der Berechtigung des Angeklagten durch die [Bank] garantiert war. […] Anders als bei der herkömmlichen Bezahlung im POS-Verfahren, bei welcher die ec-Karte durch ein Lesegerät gezogen wird, muss bei der kontaktlosen Bezahlung mittels near field communication-Technologie („NFC“) die Karte nicht in das Kartenlesegerät eingesteckt, sondern nur in dessen Nähe gehalten werden, um den elektronischen Zahlungsvorgang auszulösen. Zudem kann die kartenausgebende Bank […] bei kontaktlos ausgelösten Transaktionen unter bestimmten Voraussetzungen davon absehen, eine starke Kundenauthentifizierung zu verlangen […]. Das bedeutet, dass die Bank darauf verzichten kann, die zu der ec-Karte gehörige PIN (personal identification number) abzufragen. […] Wird mit einer ec-Karte kontaktlos ein Zahlungsvorgang ausgelöst, werden die Zahlungsdaten an die Autorisierungszentrale der kartenausgebenden Bank übermittelt. Dort überprüft ein Computer der kartenausgebenden Bank, ob die verwendete ec-Karte in keine Sperrdatei eingetragen ist, der Verfügungsrahmen nicht überschritten wird und ob die Voraussetzungen für das Absehen von einer PIN-Abfrage im konkreten Fall vorliegen (vgl. Altenhain JZ 1997, 752). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erteilt der Bankencomputer eine elektronische Autorisierung des Umsatzes, die dem am Zahlvorgang beteiligten Händler […] übermittelt wird. Mit der positiven Autorisierung gibt das kartenausgebende Kreditinstitut zugleich die Erklärung gegenüber dem Händler ab, dass es die Forderung in Höhe des am ec-Terminal autorisierten Betrages begleichen werde (vgl. Nr. 5 der Händlerbedingungen für die Teilnahme am electronic cash-System der deutschen Kreditwirtschaft, Stand Oktober 2016).“ (Rn. 10 ff.)

Kurz zusammengefasst erlangt der Händler bei der kontaktlosen Bezahlung ohne PIN-Abfrage also nach erfolgreicher Autorisierung unmittelbar eine einredefreie Forderung gegen die Bank, sodass für die Entstehung des Zahlungsanspruchs die Berechtigung des kartenvorlegenden Kunden unerheblich ist. Angesichts dessen besteht kein Anlass für die Mitarbeiter, sich Gedanken über die Berechtigung zur Kartenverwendung zu machen. Ebenfalls besteht sowohl für den Betreiber des Supermarktes als auch für die Mitarbeiter keine Pflicht, die Berechtigung des Kunden auf andere Weise – etwa durch Ausweiskontrolle – zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund „fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)
2. Mangels Täuschung und korrespondierenden Irrtums der im Lager des Supermarktinhabers stehenden Angestellten scheidet eine Strafbarkeit wegen Betrugs mithin aus.
 
Merke: Eine relevante Täuschung bzw. ein Irrtum fehlen immer dann, wenn sich der Kartenaussteller gegenüber dem Händler verpflichtet, den Rechnungsbetrag zu begleichen, denn dann muss sich der Händler bzw. sein Mitarbeiter keine Gedanken über die Berechtigung des Kartenverwenders machen. Das ist stets der Fall im sog. Drei-Parteien-System bei der Verwendung von Kreditkarten, aber auch in dem angesprochenen Point-of-Sales-Verfahren (POS-Banking, auch electronic cash-System genannt), das hier in Form des kontaktlosen Zahlens ohne PIN-Abfrage vorliegt. Anderes gilt dagegen für das Lastschriftverfahren, denn hier garantiert die Bank nicht die Begleichung der Forderung; vielmehr trägt hier der Händler das Risiko der Lastschriftrückgabe, sodass bei einer Verwendung durch den Nichtberechtigten eine Strafbarkeit nach § 263 StGB in Betracht kommt (Lackner/Kühl/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 263 Rn. 11; Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB § 263 Rn. 30).
 
II. Computerbetrug, §§ 263a Abs. 1, 2, 263 Abs. 4, 248a StGB
Zu prüfen ist ferner eine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs gemäß §§ 263a Abs. 1, 2, 263 Abs. 4, 248a StGB.
1. Hierfür ist im Rahmen des objektiven Tatbestandes erforderlich, dass durch unrichtige Gestaltung des Programms, die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten, die unbefugte Verwendung von Daten oder durch sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst wird. In Betracht kommt vorliegend allein eine unbefugte Verwendung von Daten i.S.v. Var. 3 durch das kontaktlose Zahlen ohne Berechtigung des Verwendenden. Durch das Halten der Karte in die Nähe des Kartenlesegeräts hat T elektronisch den Zahlungsvorgang ausgelöst; eine Verwendung von Daten liegt also vor. Indes müsste es sich aber auch um eine unbefugte Verwendung von Daten handeln. Wie das Merkmal unbefugt zu bestimmen ist, ist in Rechtsprechung und Lehre umstritten.
a) Nach der subjektiven Auslegung ist hierunter das Verwenden gegen den Willen des Berechtigten zu verstehen (so etwa BayOLG, NJW 1991, 438, 440). Unabhängig davon, ob man die kartenausstellende Bank oder den ursprünglichen Karteninhaber O als Berechtigten erachtet, widerspricht eine Zahlung durch einen Nichtberechtigten in jedem Fall dem Willen des Berechtigten. Eine unbefugte Verwendung wäre nach dieser Ansicht gegeben.
b) Nach der computerspezifischen Auslegung ist ein unbefugtes Verwenden dagegen nur dann zu bejahen, „wenn der durch Täterhandeln verletzte Wille in der konkreten Programmgestaltung hinreichend Niederschlag gefunden hat. Aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeschieden werden mit diesem Ansatz insbesondere die Fälle, in denen der Täter den elektronisch gesteuerten Automaten ordnungsgemäß bedient“ (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a  45). Da T den Zahlungsvorgang aus objektiver Perspektive ordnungsgemäß ausgelöst hat – die fehlende Berechtigung also in der Programmgestaltung keinen Niederschlag gefunden hat –, handelt es sich nach der computerspezifischen Auslegung nicht um eine unbefugte Verwendung.
c) Nach der überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen betrugsspezifischen oder auch täuschungsäquivalenten Auslegung ist entscheidend, ob die Handlung gegenüber einem Menschen eine Täuschung i.S.v.  263 StGB darstellen würde (MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, StGB § 263a Rn. 44). Das ist dann der Fall, wenn der Täter jedenfalls konkludent seine Berechtigung zur Inanspruchnahme der Leistung vorspiegelt. Legt man – wie auch das OLG Hamm in der vorliegenden Entscheidung – die betrugsspezifische Auslegung zugrunde, ist die Verwendung ebenfalls nicht als unbefugt zu werten:

„Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es bei den hier vorliegenden kontaktlosen Einsätzen einer ec-Karte im POS-Verfahren, bei denen die PIN bei der Bezahlung gerade nicht abgefragt wird, an der Betrugsähnlichkeit. Denn anders als in den Fällen, in denen der Bankcomputer die PIN vom Kartenverwender abfragt, wird hierbei die Berechtigung desjenigen, der den elektronischen Zahlungsvorgang durch Vorhalten der Karte vor das Lesegerät auslöst, gerade nicht durch Anwendung einer starken Kundenauthentifizierung im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 ZAG überprüft. […] Gegenüber einem an die Stelle des Bankcomputers in der Autorisierungszentrale tretenden Bankangestellten würden also auch nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung erklärt. Nicht erklärt würde hingegen, dass die Voraussetzungen zur vollen Überprüfung der materiellen Berechtigung zur Kartennutzung vorliegen. Damit aber würde ein fiktiver menschlicher Bankangestellter an Stelle des Bankcomputers auch keinem dahingehenden Irrtum bezüglich der Berechtigung unterliegen, womit es an der für die Unbefugtheit erforderlichen Betrugsähnlichkeit fehlt.“ (Rn. 22)

Anmerkung: Das ist also gerade der Unterschied zu dem Fall, dass der Nichtberechtigte ohne Wissen und Wollen des Karteninhabers Zugang zur PIN erhalten hat und bei der Kartenzahlung ebendiese – sich unberechtigt verschaffte – PIN eingibt. Dieser Fall ist nahezu unstreitig von § 263a StGB erfasst (Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl. 2018, § 263a Rn. 14 m.w.N.; MüKoStGB/Mühlbauer, 3. Aufl. 2019, § 263a Rn. 57).
 
d) Da die Meinungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, muss der Streit entschieden werden. Vorzugswürdig erscheint die betrugsspezifische Auslegung, da nur diese den Sinn und Zweck des  263a StGB, einen Auffangtatbestand für die Fälle zu bilden, in denen gerade kein Mensch getäuscht wird, widerspiegelt. Zudem würde etwa die subjektive Auslegung einen Wertungswiderspruch zu § 266b StGB bedeuten. Denn dieser kennt zum einen keine Versuchsstrafbarkeit, zum anderen hat er einen geringeren Strafrahmen als § 263a StGB. Durch die Anwendung des § 263a StGB auf den berechtigten Karteninhaber würden diese bewussten Wertungen des Gesetzgebers unterlaufen werden. Damit handelt es sich nicht um eine unbefugte Verwendung von Daten.
2. Auch nach § 263a StGB hat sich T nicht strafbar gemacht.
 
III. Fälschung beweiserheblicher Daten, §§ 269 Abs. 1, 270 StGB
Weiter hat das OLG Hamm eine Strafbarkeit wegen Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 270 StGB geprüft.
1. Die Strafbarkeit setzt im objektiven Tatbestand zunächst voraus, dass eine Datenurkunde vorliegt. Bereits dies hat das Gericht verneint:

„Ein Speichern oder Verändern beweiserheblicher Daten gemäß § 269 Abs. 1 StGB erfordert nämlich, dass beweiserhebliche Daten so manipuliert werden, dass im Falle ihrer visuellen Wahrnehmbarkeit im Sinne des § 267 StGB eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde (Fischer StGB, 67. Aufl. 2020, § 269 Rn. 5; Heger in Lackner/Kühl-StGB, 29. Aufl. 2018, § 269 Rn. 2). Die betroffenen Daten müssen also bis auf das Erfordernis der visuellen Wahrnehmbarkeit alle Merkmale des Urkundenbegriffs aufweisen. Die hier insofern allein in Frage kommenden Transaktionsdaten erfüllen aber nicht alle Urkundenvoraussetzungen. Zwar werden bei dem Einsatz einer ec-Karte im POS-Verfahren am Kartenlesegerät die Transaktionsdaten (z.B. Kontonummer und Gültigkeitsdatum der ec-Karte) als Gedankenerklärung in das Autorisierungssystem eingelesen. Allerdings ist in Bezug auf die Transaktionsdaten bei den hier vorliegenden kontaktlosen Zahlungen mittels ec-Karte ohne PIN-Abfrage die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs nicht erfüllt. Diese erfordert, dass der vermeintliche Aussteller der Gedankenerklärung erkennbar ist. An einer solchen eindeutigen Identifikationsmöglichkeit fehlt es aber mangels PIN-Abfrage.“ (Rn. 26 f.)

Anders die Eingabe der PIN, die nur dem berechtigten Karteninhaber mitgeteilt wird, erlaube der kontaktlose Bezahlvorgang ohne PIN-Eingabe also keinen Rückschluss darauf, dass der Verwender der berechtigte Karteninhaber sei. Der bloße unmittelbare Besitz könne hierfür nicht genügen. Insofern fehle es an einer Zuordnung der Gedankenerklärung zu dem berechtigten Karteninhaber als Aussteller.
2. Mangels Datenurkunde scheitert also auch eine Strafbarkeit nach §§ 269 Abs. 1, 270 StGB.
 
IV. Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, § 266b Abs. 1 StGB
Eine Strafbarkeit wegen Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nach § 266b Abs. 1 StGB kommt nicht in Betracht, da T kein berechtigter Karteninhaber ist und daher kein tauglicher Täter sein kann.
 
V. Ausspähen von Daten, § 202a Abs. 1 StGB
Ebenso wenig ergibt sich eine Strafbarkeit wegen Ausspähens von Daten gemäß § 202a Abs. 1 StGB. Denn hierfür ist erforderlich, dass sich der Täter die auf der Karte gespeicherten Daten unter Überwindung einer Zugangssicherung verschafft (hierzu Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, StGB, § 202a Rn. 5). Zum einen sind die Daten indes schon nicht besonders gesichert, soweit sie auf der ec-Karte mittels herkömmlichen Lesegeräts auslesbar sind. Jedenfalls hat sich der T aber keinen Zugang zu etwaig gesicherten Daten unter Überwindung einer Sperre verschafft.
 
VI. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB
Bleibt als letzter Straftatbestand die Unterdrückung beweiserheblicher Daten als Unterfall der Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu prüfen.
1. Vorliegen müssen dafür beweiserhebliche Daten, über die der Täter nicht ausschließlich verfügen darf. Entsprechend der Legaldefinition in § 202a Abs. 2 StGB werden ausschließlich elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherte oder übermittelte Daten erfasst (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB, § 274 Rn. 22c m.w.N.). Hier bestehen die beweiserheblichen Daten nach den Ausführungen des OLG Hamm in der Höhe des Verfügungsrahmens sowie den Umständen der bisherigen Karteneinsätze seit der letzten PIN-Abfrage (Anzahl der bisherigen Einsätze im kontaktlosen Bezahlverfahren ohne PIN-Abfrage und Höhe der jeweiligen Zahlbeträge nach den Vorgaben von Art. 11 lit. b), c) der Technischen Regulierungsstandards), die im Computer der Autorisierungszentrale bzw. auf dem Chip der ec-Karte gespeichert werden.
 
Anmerkung: Ob die Daten wie i.R.d. § 269 StGB urkundengleich sein müssen, hat das OLG Hamm offen gelassen; nach seinen Ausführungen ist hier Urkundengleichheit jedenfalls anzunehmen, denn der Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage würden Gedankenerklärungen darstellen, die durch die Speicherung hinreichend perpetuiert seien. Weiterhin seien diese Daten beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der Karte Relevanz erlangen würden. Im Gegensatz zu den Transaktionsdaten (s.o.) ergebe sich eindeutig die kartenausstellende Bank als Aussteller der Daten, sodass auch die Garantiefunktion gegeben sei (ausführlich Rn. 37).
 
2. Mit der Verwendung der Karte hat der T diese Daten überschrieben, also gelöscht bzw. verändert i.S.d. Norm, sodass der objektive Tatbestand vorliegt.
3. T handelte auch wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich. Darüber hinaus handelte er nach den Feststellungen des Gerichts auch in dem Bewusstsein, dass die notwendige Folge seines Handels der Nachteil des Berechtigten ist, mit der Urkunde keinen Beweis mehr erbringen zu können (s. hierzu auch BGH, Urt. v. 08.10.1953 – 4 StR 395/53, NJW 1953, 1924).
4. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
5. T hat sich nach § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht.
 
Anmerkung: Ebenfalls schuldig gemacht hat sich der T wegen Datenveränderung gemäß § 303a Abs. 1 StGB. Die Datenveränderung tritt aber im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter dem ebenfalls verwirklichten § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB zurück (Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl. 2019, § 303a Rn. 14).
 
C) Fazit
Kurz zusammengefasst gilt nach der Entscheidung des OLG Hamm also:

  • Wer als Nichtberechtigter mit einer EC-Karte kontaktlos ohne PIN-Abfrage bezahlt, der macht sich mangels Täuschung und Irrtums nicht nach § 263 StGB und mangels unbefugten Verwendens auch nicht nach § 263a StGB strafbar. Denn anders als in Fällen, in denen die PIN abgefragt wird, wird bei der kontaktlosen Zahlung die Berechtigung des Kunden nicht durch Anwendung einer starken Kundenauthentifizierung überprüft – und damit fehlt es in dieser Konstellation an der Betrugsähnlichkeit.
  • Ebenso scheitert eine Strafbarkeit nach § 269 Abs. 1, 270 StGB sowie nach § 266b Abs. 1 StGB.
  • Ein solches Verhalten kann aber als Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie nachrangig als Datenveränderung gemäß § 303a Abs. 1 StGB strafbar sein.

 

14.09.2020/3 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-09-14 08:30:052020-09-14 08:30:05OLG Hamm: Strafbarkeit bei kontaktloser Zahlung ohne PIN durch den Nichtberechtigten
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft

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Im Rahmen des unmittelbaren Ansetzens i.S.v. § 22 StGB findet die Abgrenzung zwischen – grundsätzlich straflosen – Vorbereitungshandlungen und dem Eintritt ins Versuchsstadium statt, die insbesondere im Fall der mittelbaren Täterschaft, in dem der Täter den Geschehensablauf zwar aktiv anstößt, aber die unmittelbare Ausführung einem nicht volldeliktisch handelnden Werkzeug überlässt, auf besondere Schwierigkeiten stößt. Mit Urteil vom 23.10.2019 (Az.: 2 StR 139/19) hat sich der BGH unter anderem nun wieder einmal mit dem Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft auseinandergesetzt und auf die Feinheiten seiner Rechtsprechung hingewiesen. Eine sichere Beherrschung der Versuchsvoraussetzungen ist nicht nur für Strafrecht AT-Klausuren unentbehrlich, wobei neben dem Vorliegen des Tatentschlusses oder einer Rücktrittsproblematik auch immer wieder das unmittelbare Ansetzen als beliebter Schwerpunkt einer Versuchsprüfung Einzug findet. Zur Erhöhung des Schwierigkeitsgrades eignet sich die Kombination mit der mittelbaren Täterschaft hervorragend. Die Entscheidung soll daher zum Anlass genommen werden, um sich mit der Problematik und den zum Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft vertretenen verschiedenen Auffassungen eingehender auseinanderzusetzen und die Thematik gutachterlich aufzuschlüsseln.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der T erwarb den gestohlenen Pkw des Halters H. Das Fahrzeug wurde auf den T zugelassen. Dabei hatte er schon von Beginn an den Eindruck, dass mit dem Kilometerstand des Fahrzeugs und – nach den landgerichtlichen Feststellungen und Wertungen – „auch darüber hinaus“ etwas „nicht stimmte“. Dennoch entschloss sich der T dazu, das Fahrzeug zeitnah zu veräußern. Nach einem erfolglosen Verkaufsangebot im Internet nahm er Kontakt zu dem gutgläubigen W auf, der einen Autohandel betrieb. T beauftragte W damit, das Fahrzeug „im Kundenauftrag“ für etwa 75.000 Euro zu verkaufen und versprach ihm dafür eine Provision von 2000 Euro. Der T legte dem Zeugen S eine Kopie des Fahrzeugbriefs, einen Untersuchungsbericht der Firma Bentley und einen TÜV-Bericht über das Fahrzeug vor. Dabei war ihm bewusst, dass es sich bei dem Fahrzeug um eine „Doublette“ handelte, deren Fahrzeugidentifikationsnummer auch bei einem Fahrzeug vorhanden war, das in den USA existierte. Der W bot das Fahrzeug über eine Internet-Plattform an und nannte – unbewusst wahrheitswidrig – eine Erstzulassung im Jahre 2008 sowie einen Kilometerstand von 17.000 km. Daraufhin meldete sich der Interessent I, der aber letztlich keinen Kaufvertrag abschloss.
Strafbarkeit des T nach §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB?  
 
B) Rechtsausführungen
Die Vorinstanz, das LG Wiesbaden, hat eine Strafbarkeit des T unter anderem wegen versuchten Eingehungsbetrugs in mittelbarer Täterschaft nach §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch Einschaltung des W angenommen. Der BGH kritisierte  die Feststellungen zu der auch als versuchter Betrug gewerteten Tat als lückenhaft; diese könnten den Schuldspruch nicht tragen. Denn den Urteilsgründen sei nicht zu entnehmen, dass der Betrug bereits das Versuchsstadium i.S.v. § 22 StGB erreicht hatte. Im Folgenden ist daher die Versuchsprüfung en détail nachzuzeichnen.
 
I. Vorprüfung
Unstreitig lag mangels Erfolgseintritts keine vollendete Tat vor. Die Strafbarkeit des Betrugs ergibt sich aus § 263 Abs. 2 StGB.
 
II. Tatentschluss
Dass der T Tatentschluss, mithin Vorsatz hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestandes des § 263 Abs. 1 StGB sowie Bereicherungsabsicht als subjektives Merkmal, aufwies, war ebenfalls nicht zu bezweifeln. Die Tat sollte auch im Wege mittelbarer Täterschaft i.S.v. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch Einschaltung des W ausgeführt werden. Von mittelbarer Täterschaft wird gesprochen, wenn der Täter „die Straftat (…) durch einen anderen begeht“. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn der Tatmittler ein Strafbarkeitsdefizit aufweist, aufgrund dessen er nicht volldeliktisch handelt, und das der Täter planvoll lenkend für seine Zwecke ausnutzt, sodass der tatbestandliche Erfolg letztlich als sein Werk anzusehen ist (BeckOK StGB/Kudlich, 45. Ed. 2020, § 25 Rn. 20). Vorliegend sollte der W, der unbewusst wahrheitswidrige Informationen über den Pkw auf der Internetplattform veröffentlichen sollte, nach der Vorstellung des T als vorsatzlos handelnder Tatmittler agieren. Dies wollte der T für seine Zwecke ausnutzen, sodass auch Vorsatz bezüglich der Tatbegehung im Wege mittelbarer Täterschaft bestand.
 
III. Unmittelbares Ansetzen
Hinsichtlich der Strafbarkeit des T wegen versuchten Betrugs in mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist also allein problematisch, ob er bereits ins Versuchsstadium eingetreten ist. Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Dies ist zwar jedenfalls dann der Fall, wenn der Täter bereits mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt begonnen hat, dass bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht wurde. Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch eine „frühere, vorgelagerte Handlung […] die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen. Das ist der Fall, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet“ (BGH, Urt. v. 16.9.1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 203). Dies bedeutet, dass der Täter nach der Formel der herrschenden gemischt subjektiv-objektiven Theorie „subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreiten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzen [muss], sodass sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht“ (vgl. bereits BGH, Urt. v. 16.9.1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 202 f.).
 
Anmerkung: Die Bestimmung des Versuchsbeginns ist auch bezogen auf den Alleintäter mitunter noch umstritten. Eine ausführliche Darstellung verschiedener Ansätze findet sich in LK-StGB/Hillenkamp, § 22 Rn. 63 ff.
 
Fällt die Subsumtion unter diese abstrakte Formel schwer, so hat der BGH mitunter Konkretisierungen vorgenommen, indem er Kriterien, die zur Beurteilung des Versuchsbeginns herangezogen werden können, in verschiedenen Entscheidungen ausdrücklich benannt hat. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium sollen unter anderem „die Dichte des Tatplans oder der Grad der Rechtsgutsgefährdung, der aus Sicht des Täters durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird“ (BGH, Beschl. v. 29.5.2018 – 1 StR 28/18, BeckRS 2018, 16394, Rn. 9), sein. Gelten diese Grundsätze für den Alleintäter, so kommen besondere Schwierigkeiten hinzu, wenn ein Fall mittelbarer Täterschaft vorliegt, in dem sich der Täter wie in der vorliegenden Konstellation zur Tatausführung eines nicht volldeliktisch handelnden Werkzeugs bedient. Wann der mittelbare Täter ins Versuchsstadium eintritt, ist wiederum umstritten.
 
1. Einwirkungstheorie
Eine Mindermeinung in der Literatur (s. etwa Bockelmann, JZ 1954, 468, 473; Meyer, ZStW 87 (1975), 598, 609; Puppe, GA 2013, 514, 530) nimmt den Versuchsbeginn für den mittelbaren Täter bereits mit der Einwirkung auf das Werkzeug an. Der Ausgangspunkt dieser Ansicht ist eine isolierte Betrachtung von Täter und Tatmittler, die in der Konsequenz ausschließlich auf das maßgebliche eigene Tun des Täters abstellt. Argumentiert wird damit, dass der Tatbeitrag des mittelbaren Täters ja gerade in seinem Einwirken auf den Tatmittler besteht und angesichts dessen die versuchte Tatbegehung schon dann angenommen werden muss, wenn er diese Einwirkung vornimmt oder vorzunehmen versucht.
Nach diesen Maßstäben müsste ein Eintritt ins Versuchsstadium schon in dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem der T den W mit der Veräußerung des Fahrzeugs beauftragt und ihm hierzu eine Kopie des Fahrzeugbriefs, einen Untersuchungsbericht der Firma Bentley und einen TÜV-Bericht über das Fahrzeug vorgelegt hat, obwohl ihm bewusst war, dass es sich bei dem Fahrzeug um eine „Doublette“ handelte. Folgt man der Einwirkungstheorie, ist mithin ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen.
Gegen die Einwirkungstheorie ist indes einzuwenden, dass sie das Versuchsstadium bedenklich weit nach vorn verlagert, sodass die Gefahr besteht, den Grundsatz der grundsätzlichen Straflosigkeit von Vorbereitungshandlungen auszuhöhlen. Dies ist unvereinbar mit dem gesetzgeberischen Willen, der sich in dem Erfordernis der Unmittelbarkeit ausdrückt. Diesem liegt der Gedanke zugrunde, dass nur derjenige wegen Versuchs strafbar sein soll, der sich vorstellt, die Tatbestandsverwirklichung stehe als Folge seines Handelns unmittelbar bevor (hierzu MüKoStGB/Hoffmann-Holland, 3. Aufl. 2017, § 22 Rn. 135).
 
2. Gesamtlösung
Das andere Extrem, die Gesamtlösung, betrachtet dagegen mittelbaren Täter und Tatmittler als Einheit, die nur ganzheitlich unmittelbar ansetzen kann. Ein Versuchsbeginn ist nach dieser Ansicht auch für den mittelbaren Täter erst dann gegeben, wenn unmittelbar (durch das Werkzeug) zur eigentlichen Tatausführung angesetzt wird (hierzu Erb, NStZ 1995, 424, 426; Krack, ZStW 110 (1998), 611, 625 ff.; Kühl, JuS 1983, 180, 181 f.; Küper, JZ 1983, 361, 369). Es muss also im konkreten Fall die Frage beantwortet werden, ob der W seinerseits durch das Einstellen des Fahrzeugs auf der Verkaufsplattform  sowie die Interessenbekundung des I unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung insofern angesetzt hat, als keine wesentlichen Zwischenschritte mehr erforderlich gewesen wären. Dies ist wohl dann zu verneinen, wenn der I letztlich nur sein Interesse bekundet, der W ihm aber noch kein konkretes Angebot unterbreitet hat. Da die Feststellungen keine klare Einschätzung zulassen, ist ein unmittelbares Ansetzen durch den W und damit bei Zugrundelegung der Gesamtlösung auch ein unmittelbares Ansetzen des T zu verneinen.
Auch die Gesamtlösung stößt aber auf berechtigte Kritik: Eine einheitliche Betrachtung von mittelbarem Täter und Tatmittler erscheint insofern sachwidrig, als der mittelbare Täter oftmals bereits vorher alles seinerseits zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat. Damit wird der Versuchsbeginn von Zufälligkeiten abhängig gemacht und das Versuchsstadium zu weit nach hinten verschoben.
 
3. Entlassungstheorie (h.M.)
Sachgerecht erscheint vor diesem Hintergrund die sog. Entlassungstheorie: Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Lehre geht zu Recht davon aus, dass der mittelbare Täter dann unmittelbar ansetzt, wenn er nach seiner Vorstellung von der Tat die erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, sodass dieser dem Tatplan nach im unmittelbaren Anschluss die Tat ausführen soll und das geschützte Rechtsgut bereits in diesem Zeitpunkt konkret gefährdet ist (s. etwa BeckOK StGB/Cornelius, 45. Ed. 2020, § 22 Rn. 65; MüKoStGB/Hoffmann-Holland, 3. Aufl. 2017, § 22 Rn. 129 m.w.N.). „Denn wer die Tat durch einen anderen begehen will (§ 25 I StGB), setzt zur Verwirklichung des Tatbestandes der geplanten Straftat unmittelbar an (§ 22 StGB), wenn er den Tatmittler zur Tatausführung bestimmt hat und ihn aus seinem Einwirkungsbereich in der Vorstellung entläßt, daß er die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr vornehmen werde.“ (BGH, Urt. v. 26.01.1982 – 4 StR 631/81, NJW 1982, 1164). Diese Maßstäbe legt der BGH auch in der hier zu besprechenden Entscheidung an, betont aber die Wichtigkeit der zeitlichen Nähe zwischen Entlassung des Tatmittlers und Tatbestandsverwirklichung sowie der hiermit einhergehenden konkreten Gefährdung des Tatobjekts für den Versuchsbeginn:

„Bezieht der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan ein, so liegt ein Ansetzen des Täters zur Begehung der Tat (hier: eines Eingehungsbetrugs) im Allgemeinen zwar schon dann vor, wenn er seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat. Jedoch fehlt es an einem unmittelbaren Ansetzen durch abgeschlossene Einwirkung auf den Tatmittler, wenn dies erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann es die gewünschte Folge hat, also wann eine konkrete Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts eintritt; in diesen Fällen der Verzögerung oder Ungewissheit der Tatausführung durch den Tatmittler beginnt der Versuch erst, wenn der Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Erfüllung des Tatbestands ansetzt.“ (Rn. 22)

Der Eintritt ins Versuchsstadium erfordert also nach der h.M. als notwendige Bedingung, dass der mittelbare Täter nach seiner Vorstellung von der Tat die erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, ihn also aus seinem Machtbereich entlassen hat. Als hinreichende Bedingung – und dies wird bei der Darstellung der Entlassungstheorie in der Klausur oft vergessen – muss aber hinzukommen, dass der Tatmittler dem Tatplan nach im unmittelbaren Anschluss (also in zeitlicher Nähe) die Tat ausführen soll und das Tatobjekt zu diesem Zeitpunkt bereits konkret gefährdet ist. Ist dies bei Entlassung des Tatmittlers noch nicht der Fall, beginnt der Versuch auch für den mittelbaren Täter erst, wenn der Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt.  An dieser Stelle führte der BGH aus, den Urteilsgründen der Vorinstanz könne nicht entnommen werden, ob nach diesen Maßstäben ein Eintritt ins Versuchsstadium erfolgt sei, sodass die Revision insoweit begründet sei:

„Die Voraussetzungen des Versuchsbeginns hat das LG nicht geprüft. Es hat zum Vorstellungsbild des Angekl. vom weiteren Geschehensablauf keine Feststellungen getroffen. Auch bleibt unklar, ob mit der Bekundung des Kaufinteressenten […] als eigentliches Tatgeschehen eine konkrete Rechtsgutsgefährdung vorlag. Das Urteil teilt nicht mit, ob nur eine Sondierung der Lage durch den Kaufinteressenten stattgefunden oder ob der [W] ihm bereits ein konkretes Kaufangebot unterbreitet hatte und wie danach aus der Sicht des Angekl. ein Vertragsschluss […] hätte zustande kommen sollen.“ (Rn. 21)

 
Anmerkung: Scheitert eine Versuchsstrafbarkeit am unmittelbaren Ansetzen, ist bei Verbrechen auch stets an § 30 Abs. 2 StGB zu denken – dieser wird oft übersehen.
 
C) Fazit
Mit seiner Entscheidung folgt der BGH konsequent seiner bisherigen Rechtsprechungslinie, hebt aber die Erforderlichkeit einer präzisen Prüfung der einzelnen Voraussetzungen besonders hervor: Der Eintritt ins Versuchsstadium bei der Einschaltung eines nicht volldeliktisch handelnden Werkzeugs erfolgt, wenn der Täter seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat. Dies gilt aber nur dann, wenn der Tatmittler der Vorstellung des Täters entsprechend auch im unmittelbaren Anschluss die Tat ausführen soll und das geschützte Rechtsgut bereits in diesem Zeitpunkt konkret gefährdet ist. Fehlt es hieran, beginnt auch für den mittelbaren Täter der Versuch erst in dem Zeitpunkt, in dem das Werkzeug seinerseits unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt. In einer Klausur bedarf es also einer genauen Betrachtung der konkreten Umstände; vorschnell den Versuchsbeginn nach abgeschlossener Einwirkung auf den Tatmittler anzunehmen, wäre verfehlt.

09.03.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-03-09 09:00:452020-03-09 09:00:45BGH: Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft
Carlo Pöschke

Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle

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Zu den Fallkonstellationen, die Jura-Studenten von den ersten Semestern bis zum Examen begleiten, gehören die sog. Tankstellenfälle. Hierbei betankt der Täter sein Fahrzeug an einer Selbstbedienungstankstelle, ohne den Kaufpreis an der Kasse zu entrichten. Die Komplexität dieser Fälle wird bereits deutlich, wenn man das Stichwort in die Google-Suche eingibt. So stellt eine Rechtsratgeber-Seite fest: „Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten.“ Und genau deshalb erfreuen sich die Tankstellenfälle sowohl in universitären Klausuren als auch im Examen größter Beliebtheit: Zu prüfen sind Straftatbestände wie Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB), die bereits in frühen Semestern zum Standard-Repertoire eines jeden Prüflings gehören (sollten), Vieles ist juristisch umstritten und durch kleine Abwandlungen lassen sich leicht neue Fallkonstellationen erzeugen. Bei genauem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass sich solche Prüfungsaufgaben häufig auf einige wenige Grundfälle zurückführen lassen. Wer diese typischen Fallgestaltungen im Hinterkopf behält, kann auch bei unbekannten Abwandlungen mit der entsprechenden Argumentation und einem guten systematischen Verständnis der Vermögensdelikte in der Klausur punkten.
A. Fallgestaltung 1: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird nicht beobachtet oder geht irrig davon aus, nicht beobachtet zu werden
Beispielsfall: T, der ständig knapp bei Kasse ist, aber trotzdem mit seinem Sportwagen auf der Straße prahlen möchte, betankt an der Selbstbedienungstankstelle des S seinen fast leeren Tank mit Benzin im Wert von 70 Euro mit der zuvor gefassten Absicht, das Tankstellengelände ohne Entrichten des Kaufpreises wieder zu verlassen. T hat bewusst die Tankstelle des S ausgewählt, da diese noch nicht über moderne Überwachungssysteme verfügt und das Kassenpersonal insb. zu Stoßzeiten mit dem Abkassieren so beschäftigt ist, dass das Geschehen im Außenbereich unbeachtet bleibt. So geschieht es:  Tankstellenmitarbeiter M bekommt von dem Tankvorgang zunächst nichts mit und nimmt von dem Vorfall erst Kenntnis, als T bereits unbehelligt davongefahren ist und ein Kunde ihn über die Sperrung der betreffenden Zapfsäule informiert. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB zunächst, dass es sich bei dem Benzin um eine fremde bewegliche Sache handelt. Benzin stellt (unabhängig vom Aggregatzustand) einen körperlichen Gegenstand i.S.d. § 90 BGB dar, der auch tatsächlich fortgeschafft werden kann, mithin eine bewegliche Sache.
Fraglich ist, ob das Benzin für T auch fremd ist. Fremd ist eine Sache, wenn sie zumindest auch im Eigentum eines anderen steht. Insbesondere in der älteren Literatur und Rechtsprechung wurde die Fremdheit des Benzins jedoch abgelehnt: Der Tankstellenbetreiber unterbreite dem sich selbst bedienenden Kunden bereits mit Aufstellen der Tanksäule ein Angebot auf Übereignung des Benzins, das vom Kunden durch Einfüllen des Kraftstoffs in den Tank angenommen werde. Insofern vollziehe sich die Übereignung bereits an der Tanksäule gem. § 929 S. 1 BGB (OLG Düsseldorf NJW 1982, 249; Herzberg, NJW 1984, 896, 898). Nach der Gegenansicht sei die Fremdheit der Sache sehr wohl zu bejahen. Ganz überwiegend wird argumentiert, dass sich – sofern nicht ohnehin ein Eigentumsvorbehalt gem. § 449 BGB vereinbart wurde – die dingliche Einigung wie beim Kauf in Selbstbedienungsläden erst nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse vollziehe (OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 17). Denkbar wäre auch, einen gesetzlichen Eigentumserwerb des Tankenden gem.  § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB anzunehmen. Da der Tankende über § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB jedoch bloß Miteigentümer der Sache wird, wäre das Benzin für T immer noch fremd. Die Ansicht, die einen Eigentumsübergang bereits an der Tanksäule nach Maßgabe des § 929 S. 1 BGB annimmt, vermag nicht zu überzeugen, weil sie den Anschauungen des täglichen Lebens zuwiderläuft und mit einer Auslegung von Willenserklärungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB nicht zu vereinbaren ist. Denn es wird regelmäßig nicht dem Willen des Tankstelleninhabers entsprechen, an seine Kunden vorzuleisten. Vielmehr soll die Leistung Zug-um-Zug, d.h. Ware gegen Geld, erfolgen. Ob sich die Übereignung rechtsgeschäftlich nach § 929 S. 2 BGB an der Kasse oder gesetzlich nach § 948 Abs. 1 BGB i.V.m. § 947 Abs. 1 BGB vollzieht, ist nicht zu entscheiden, da beide Ansichten zu dem Ergebnis kommen, dass das Benzin eine für T fremde Sache ist.
Somit stellt das Benzin ein taugliches Tatobjekt dar.
b) Weiterhin müsste T dem S das Benzin weggenommen haben. Unter Wegnahme versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Dabei ist Gewahrsam die tatsächliche Herrschaft eines Menschen über eine Sache, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen und in ihrer Reichweite von der Verkehrsanschauung begrenzt wird. Vor Beginn des Betankungsvorgangs lag der Gewahrsam am Benzin bei S. Durch Befüllung des Tanks wurde dem S der ungehinderte Zugriff auf das Benzin entzogen, während T fortan – auch unter Zugrundlegung der Verkehrsanschauung – über das Benzin verfügen konnte. Insoweit hat er neuen Gewahrsam am Benzin begründet. Fremder Gewahrsam wird jedoch nur dann gebrochen, wenn der Täter gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers handelt. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Begründung des neuen Gewahrsams am Benzin von einem tatbestandausschließenden Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers (hier S) gedeckt wäre. Nach h.M. beinhaltet die Eröffnung einer Selbstbedienungstankstelle das generelle Einverständnis in die Entnahme von Kraftstoff. Wer die Zapfsäule ordnungsgemäß bediene, nehme selbst dann nicht weg, wenn er von vornherein nicht vorhat, das Benzin zu bezahlen (MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 108 m.w.N.). Dies wird von einer Mindermeinung bestritten, die das Einverständnis nicht nur an die ordnungsgemäße Bedienung, sondern zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt. Letztgenannte Ansicht führt jedoch dazu, dass die Abgrenzung zwischen Wegnahme i.S.v. § 242 Abs. 1 StGB und Täuschung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB verwischt und ist daher abzulehnen (so auch Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 36a). Damit ist auch im vorliegenden Fall von einem unbedingten Einverständnis des S in den Gewahrsamsübergang auszugehen, das eine Wegnahme ausschließt.
2. Ergebnis
T hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der Betrugstatbestand erfordert im objektiven Tatbestand zunächst eine Täuschung über Tatsachen, worunter jedenfalls jedes Verhalten mit Erklärungswert fällt, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Weil T jedoch bis Beendigung des Tankvorgangs vom Tankstellenpersonal unberücksichtigt blieb, konnte er bereits gar nicht auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirken. T hat sich nicht gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Anmerkung: Gäbe es im Sachverhalt nicht den Hinweis darauf, dass die Tankstelle über keine Überwachungssysteme verfügt und die Mitarbeiter regelmäßig nicht das Außengelände überwachen, müsste geprüft werden, ob sich T gem. § 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB wegen versuchten Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht hat. Hier könnte bspw. angeführt werden, dass bei realitätsnaher Betrachtung stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen ist und deshalb mit bedingtem Täuschungsvorsatz gehandelt wurde (OLG Köln NJW 2002, 1059, 1060).
III. § 246 Abs. 1 StGB durch Befüllen des Tanks
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a) Dass das Benzin eine fremde bewegliche Sache ist, wurde bereits zuvor ausgeführt.
b) Des Weiteren müsste sich T das Benzin zugeeignet haben. Erforderlich ist die objektive Manifestation eines Selbst- oder Drittzueignungswillens. T wollte das Benzin der Einwirkungssphäre des S dauerhaft entziehen, um es selbst zu behalten. Er handelte also mit Zueignungswillen. Problematisch erscheint hingegen, ob auch ein über den bloßen Zueignungswillen hinausgehender objektiver Zueignungsakt vorliegt.
Die sog. enge Manifestationstheorie der h.L. stellt darauf ab, ob ein nach außen erkennbares Verhalten des Täters verlässlich zum Ausdruck bringt, dass der Täter die Sache behalten will. Dies sei aus der Sicht eines objektiven Beobachters zu beurteilen, der abgesehen vom Zueignungswillen des Täters alle tatsächlichen Umstände des Falls kennt. Der Tankvorgang stellt sich dabei als ein „an sich neutrale[r] Vorgang“ (Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799, 2800) dar. Zu diesem Zeitpunkt kann ein objektiver Beobachter ohne Kenntnis des Täterwillens nämlich noch nicht sagen, ob der sich ansonsten unauffällig verhaltende Tankende die Tankstelle ohne Bezahlung des Kaufpreises verlassen wird oder ordnungsgemäß bezahlen wird und an der Kasse das Eigentum am Benzin erwerben wird. Nach dieser Ansicht wurde der Zueignungswille mithin nicht manifestiert.
Nach der sog. weiten Manifestationstheorie, die insb. von der Rspr. vertreten wird, kann hingegen jede beliebige Handlung als Ausdruck des Zueignungsinteresses verstanden werden, soweit ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Verhalten als Bestätigung des Willens ansieht. Vorliegend würde ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens das Betanken des Fahrzeugs bereits als Manifestation des Willens betrachten.
Die vorgestellten Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass der Streit zu entscheiden ist. Würde man der Ansicht der Rspr. folgen, hätte dies zur Konsequenz, dass eine Abgrenzung zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung nahezu unmöglich würde. Außerdem lässt sich aus § 22 StGB, wonach eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung unmittelbar zu ihr ansetzt, e contrario ableiten, dass die Vorstellungen des Täters im Rahmen des objektiven Tatbestands keine Berücksichtigung finden soll. Die weite Manifestationstheorie führt aber gerade dazu, dass der objektive Tatbestand vom subjektiven Tatbestand her interpretiert wird (vgl. MüKo-StGB/Hohmann, 3. Aufl. 2017, § 246 Rn. 18). Aus den genannten Gründen verdient die enge Manifestationstheorie den Vorzug. T hat durch das Befüllen des Tanks den Zueignungswillen nicht manifestiert hat.
2. Ergebnis
T hat sich durch das Befüllen des Tanks nicht gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. § 246 Abs. 1 StGB durch Wegfahren
Dadurch, dass T unbehelligt davonfuhr, könnte er sich jedoch gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Wegfahren wird vorliegend auch nach der engen Manifestationstheorie der Zueignungswille des T nach außen manifestiert.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich, indem er unbehelligt davonfuhr, gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
IV. Gesamtergebnis
T hat sich gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
B. Fallgestaltung 2: Anfänglich zahlungswilliger Täter fasst mit Abschluss des Tankvorgangs den Entschluss, die Tankstelle ohne Bezahlung des Kraftstoffs zu verlassen
Beispielsfall: T hat im vergangenen Monat mit seinem Geld gut gehaushaltet und hat sich 70 Euro beiseitegelegt, um seinen Sportwagen endlich wieder einmal vollzutanken. Er fährt zu der Selbstbedienungstankstelle des S in der Absicht, den Wagen vollzutanken und den Kaufpreis nach Beendigung des Tankvorgangs zu bezahlen. Er befüllt den Tank seines Sportwagens mit Benzin im Wert von 70 Euro. Auf dem Weg zur Kasse regt er sich jedoch über die Gewinnsucht der großen Ölkonzerne auf und sieht es gar nicht ein, die Reichen noch reicher zu machen. Um nicht aufzufliegen, entnimmt er deshalb aus dem Kühlregal des Tankstellenshops eine Dose Bier und bezahlt diese (aber nicht die Tankfüllung) an der Kasse. Wie von T erhofft geht die Tankstellenmitarbeiterin M irrig davon aus, dass T nur die Dose Bier bezahlen möchte und nicht getankt hat. Daraufhin fährt T unbehelligt davon. Strafbarkeit des T?
I. § 242 Abs. 1 StGB
Indem T den Tank seines Sportwagens an der Selbstbedienungstankstelle des S befüllte, könnte er sich gem. § 242 Abs. 1 StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist eine für T fremde bewegliche Sache (s.o.).
T müsste den Kraftstoff auch weggenommen haben. Dass T eigenen Gewahrsam am Benzin begründet hat, steht außer Frage. Jedoch ist die Aufhebung des Gewahrsams des S von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt, da es Sinn und Zweck einer Selbstbedienungstankstelle ist, Benzin in den eigenen Tank zu füllen. Auch die bereits dargestellte Mindermeinung, die das Einverständnis zusätzlich an die ordnungsgemäße Bezahlung geknüpft sieht und insofern auf einen rein innerlich gebliebenen Vorbehalt abstellt, kommt zu keinem anderen Ergebnis. Denn hier hatte T anfänglich vor, den Kaufpreis an der Kasse zu bezahlen. K hat den Kraftstoff nicht weggenommen.
Er hat sich nicht gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
II. § 263 Abs. 1 StGB
T könnte sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht haben, indem er nur die Bierdose an der Kasse vorlegte.
1. Objektiver Tatbestand
a) T müsste M getäuscht haben. Eine Täuschung ist jedes Verhalten mit Erklärungswert, das irreführend auf das Vorstellungsbild eines anderen einwirkt. Ausdrücklich hat T hier nicht getäuscht. Jedoch hat T dadurch, dass er nur die Bierdose vorlegte, zu erkennen gegeben, dass dies alles sei, was er bezahlen müsse. M wurde also konkludent von T getäuscht.
b) Aufgrund dieser Täuschung müsste bei M ein Irrtum hervorgerufen worden sein. Ein Irrtum liegt bei einem Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit vor. Hier liegt die Abweichung darin, dass M aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des T glaubte, T müsse nur die Bierdose und nicht auch für getankten Kraftstoff bezahlen. Es liegt ein Irrtum vor.
c) Dieser Irrtum müsste zu einer Vermögensverfügung geführt haben. Eine Vermögensverfügung wird definiert als jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln, Dulden oder Unterlassen, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinn führt. Vorliegend hat es M unterlassen, die Kaufpreisforderung des S i.H.v. 70 Euro gegen T geltend zu machen. Dass Verfügender (M) und Geschädigter (S) nicht übereinstimmen, stellt grds. kein Problem dar, da im Rahmen des § 263 StGB der Dreiecksbetrug allgemein anerkannt ist. Damit M und S eine Zurechnungseinheit bilden, müssten sich die beiden Personen aber in einem besonderen Näheverhältnis befinden. Streitig ist in diesem Zusammenhang, welche Anforderungen an die Qualität der Nähebeziehung zu stellen sind. Die strengste Ansicht, die sog. objektive Ermächtigungstheorie, fordert, dass der Getäuschte zur Vornahme der Verfügung ermächtigt ist. Für gewöhnlich werden Mitarbeiter zu solchen Verfügungen ausdrücklich oder zumindest konkludent bevollmächtigt. Jedenfalls kann aber auf die Vermutung für das Bestehen von Vertretungsmacht aus § 56 HGB („Ladenvollmacht“) abgestellt werden, die sich anhand der Sachverhaltsangaben nicht widerlegen lässt. Da M und S bereits nach der strengsten Ansicht eine hinreichende Nähebeziehung aufweisen, ist nach allen Ansichten eine Vermögensverfügung anzunehmen.
d) Die Vermögensverfügung müsste auch zu einem Vermögensschaden auf Seiten des S geführt haben. Ob ein Vermögensschaden vorliegt, ist durch Vermögensvergleich zu ermitteln und liegt demnach vor, wenn die Vermögensminderung nicht im Wege der Saldierung durch die Gegenleistung ausgeglichen wird. Hier fließt keine Gegenleistung, die die Vermögensleistung kompensieren könnte. Dass S zwar gegen T einen schuldrechtlichen Anspruch hat, ändert daran nichts, da eine Forderung wertlos ist, wenn der Schuldner unbekannt ist. Folglich hat S auch einen Vermögensschaden erlitten.
2. Subjektiver Tatbestand
a) T handelte vorsätzlich bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale.
b) T handelte in der Absicht, sich zu bereichern. Der Vorteil des T (ersparte 70 Euro) erweist sich auch als Kehrseite des Schadens (Nichtgeltendmachung der 70 Euro). T handelte in der eigennützigen Absicht stoffgleicher Bereicherung.
3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung und entsprechender Vorsatz
Die Bereicherung des T war zudem rechtswidrig, was er auch wusste. T handelte bzgl. der Rechtswidrigkeit der Bereicherung also ebenfalls vorsätzlich.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Eingreifen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen war die Tat rechtswidrig und schuldhaft.
5. Ergebnis: Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht.
III. § 246 Abs. 1 StGB durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse
Durch dieselbe Handlung könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Durch das Vorspiegeln an der Kasse, er müsse nur für die Bierdose bezahlen, hat T (auch nach der engen Manifestationstheorie) nach außen zum Ausdruck gebracht, dass er sich das Benzin zueignen will.
T hatte keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf das Benzin, sodass die Zueignung rechtswidrig war.
T handelte vorsätzlich.
Die Tat war auch rechtswidrig und schuldhaft.
T hat sich durch das Vorlegen der Bierdose an der Kasse gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 IV. § 246 Abs. 1 StGB durch das Wegfahren
Durch das Wegfahren von der Tankstelle könnte sich T gem. § 246 Abs. 1 StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben.
Das Benzin ist ein taugliches Tatobjekt (s.o.).
Im Davonfahren ist eine erneute Manifestation des Zueignungswillens zu sehen.
Fraglich ist, wie sich das Verhältnis zur bereits bejahten Strafbarkeit wegen Betrugs und der vorangegangenen Unterschlagung gestaltet. Nach der von Teilen der Literatur vertretenen Konkurrenzlösung (Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 246 Rn. 19) würden wiederholte Manifestationen des Zueignungswillens bezüglich derselben Sache jeweils eine weitere tatbestandsmäßige Zueignungshandlung darstellen, die im Konkurrenzfall als mitbestrafte Nachtat zurücktrete. Als Argument für diese Auffassung wird angeführt, dass auf diese Weise Verurteilungen bei nicht strafbarer Erstzueignungshandlung sowie wegen Teilnahme an späteren Zueignungshandlungen ermöglicht würden. Letztgenanntes Argument vermag jedoch nicht zu überzeugen, wenn man bedenkt, dass Anschlussstraftaten wie §§ 257, 259 StGB abschließende Regelungen für Verwertungshandlungen vorsehen. Diesem Einwand trägt die Tatbestandslösung (BGH NJW 1960, 684, 685; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 246 Rn. 38; Rengier, BT I, 20. Aufl. 2018, § 5 Rn. 51 f.) Rechnung, nach der sich ein Täter nach erfolgter Erstzueignung die Sache schon tatbestandlich nicht noch einmal zueignen kann. Für diese Ansicht streitet schon der Wortsinn des § 246 Abs. 1 StGB: Wer sich eine Sache einmal zugeeignet hat, kann sich die gleiche Sache nicht erneut zueignen. Nicht zuletzt würden durch die Konkurrenzlösung die für die Vortaten geltenden Verjährungsfristen (§§ 78 ff. StGB) faktisch aufgehoben. Es hat sich gezeigt, dass die besseren Argumente für die Tatbestandlösung sprechen, sodass sich im vorliegenden Fall T mangels Erfüllung des Tatbestands nicht erneut gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
V. Gesamtergebnis und Konkurrenzen
T hat sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betrugs gegenüber M zu Lasten S strafbar gemacht. Der durch Vorlegen der Bierdose an der Kasse verwirklichte § 246 Abs. 1 StGB tritt im Wege der ausdrücklich in der Vorschrift geregelten Subsidiarität gegenüber § 263 Abs. 1 StGB zurück.
C. Fallgestaltung 3: Von vornherein zahlungsunwilliger Täter wird vom Tankstellenperson beobachtet
Am einfachsten stellt sich der Fall dar, wenn ein von Anfang an zahlungsunwilliger Täter davon ausgeht, beobachtet zu werden und sich deshalb wie ein redlicher Kunde verhält. Hier wäre die Betrugsstrafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGB lehrbuchmäßig zu prüfen, ohne dass sich neue Probleme ergäben. Durch das Auftreten wie ein redlicher Kunde täuscht der Täter konkludent über seine Zahlungsbereitschaft, wodurch er beim Tankstelleninhaber bzw. dessen Personal den Irrtum hervorruft, er werde den Kaufpreis für den Kraftstoff entrichten. Im Rahmen der Vermögensverfügung wäre dann kurz anzusprechen, dass die Vermögensverfügung nach einer Ansicht in der dinglichen Einigung nach § 929 S. 1 BGB liegt, nach der (überzeugenden) Gegenansicht in der Gestattung des Besitzwechsels, wobei dieser Streit nicht entscheidungserheblich ist. Für den Fall, dass die Täuschung gegenüber einem Angestellten verübt wurde, wäre kurz darauf einzugehen, ob getäuschter Verfügender und Geschädigter eine fiktive Zurechnungseinheit bilden, indem zwischen ihnen eine hinreichende Nähebeziehung besteht. Im Ergebnis ist nach einhelliger Ansicht eine Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB oder im Falle fehlender Beobachtung wegen versuchten Betrugs nach §§ 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB zu bejahen (zu dieser Fallkonstellation s. auch Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 46).
D. Fazit
Der eilige Leser wird die längeren Ausführungen wahrscheinlich nur rasch überflogen haben und im Fazit nach der Antwort auf die Frage suchen, wie sich ein Täter strafbar macht, der an einer Selbstbedienungstankstelle tankt ohne zu bezahlen. Die wenig erfreuliche Antwort lautet: Inwieweit hier eine Strafbarkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und unter Juristen umstritten. Die vorgestellten Fallgruppen können jedoch bei einer Ordnung der ersten Gedanken hilfreich sein und können verhindern, dass wichtige Probleme übersehen werden. Nichtdestotrotz sollte man nicht in ein allzu starres „Schubladendenken“ verfallen. Das kann dazu führen, dass eingebaute Probleme übersehen werden oder schlimmstenfalls ein Fall gelöst wird, der so gar nicht zur Bearbeitung steht. Insgesamt sollte der Bearbeiter bei Tankstellenfällen seinen Blick verstärkt auf die Straftatbestände der §§ 242, 263 sowie 246 StGB einschließlich Versuchsstrafbarkeiten richten.

25.09.2019/4 Kommentare/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-09-25 09:30:312019-09-25 09:30:31Klassiker des Strafrechts: Tankstellenfälle
Dr. Yannik Beden, M.A.

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)

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Sowohl während des Studiums, als auch in der Vorbereitung auf Examensklausuren oder die mündliche Prüfung: Nur wer die aktuelle Rechtsprechung im Blick hat, ist auf neue Sachverhaltskonstellationen gut vorbereitet. Für das dritte Quartal 2018 haben wir euch im Zivilrecht und Öffentlichen Recht bereits die prüfungsrelevantesten Gerichtsentscheidungen präsentiert. Zur Vervollständigung unseres Quartalsberichts werden im nachstehenden Beitrag die wichtigsten Urteile und Beschlüsse zum materiellen Strafrecht und Strafprozessrecht besprochen:
I. Materielles Strafrecht
1. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 201/18 zu den Rücktrittsanforderungen bei beendetem Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB
Die Entscheidung des Ersten Senats betraf den Rücktritt vom versuchten Mord, §§ 211, 22, 23 StGB sowie der versuchten Brandstiftung mit Todesfolge, §§ 306c, 22, 23 StGB. Im zu entscheidenden Fall setzte der Angeklagte – ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – ein mehrstöckiges Wohnhaus in Brand, um dadurch einen Feuerwehreinsatz auszulösen und im Anschluss an der Bekämpfung des Feuers mitzuwirken. Damit wollte der Täter die auszulobende Einsatzvergütung erlangen, um seine schlechte finanzielle Situation aufzubessern. Der Täter wirkte dabei nicht vor Ort, sondern verrichtete seine Dienste in der Funkzentrale. Der BGH sah hierdurch die Voraussetzungen des Rücktritts vom beendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB nicht erfüllt. Eine – für einen wirksamen Rücktritt notwendige – eigene Kausalkette, die für die Nichtvollendung der Tat zumindest mitursächlich ist, habe der Täter durch sein Verhalten nicht in Gang gesetzt:

„Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein Rücktritt vom Versuch gem. § 24 Absatz I 1 Var. 2 StGB schon dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gem. § 24 Absatz I 2 StGB gilt für diesen Fall nicht. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten.“

2. BGH Beschl. v. 7.8.2018 – 3 StR 47/18 zum Totschlag in besonders schwerem Fall
Die bisherige Rechtsprechung zur Frage, wann von einem besonders schweren Fall eines Totschlags i.S.v. § 212 Abs. 2 StGB ausgegangen werden kann, wurde vom BGH nochmals bestätigt. Es handelt sich um ein Problem der Strafzumessung, welches grundsätzlich eine Würdigung und Abwägung aller Einzelfallumstände bedarf. Im Ausgangspunkt nimmt die Rechtsprechung erst dann einen besonders schweren Fall an, wenn das Verschulden des Täters ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders nach § 211 StGB. Dieses Verständnis liegt bereits aufgrund des gleichen Strafmaßes (lebenslange Freiheitsstrafe!) nahe. Im Einzelnen führte das Gericht aus:

„Ein besonders schwerer Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind“

Sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht bedarf es jedoch mehr als einer bloßen Möglichkeit, dass der Täter gleichermaßen wie ein Mörder hätte handeln können. Für den vom Dritten Senat zu entscheidenden Fall bedeutete das:

„Daraus, dass „zahlreiche, nicht fernliegende Handlungsalternativen und Motivationslagen in Betracht“ kommen, die Mordmerkmale ausfüllen könnten, ergibt sich indes noch keine Nähe zu diesen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die subjektive Tatseite. So vermochte die Strafkammer keine Feststellungen zu den „Vorstellungen und Motiven“ des Angeklagten zu treffen. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, dass eine Nähe zu den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe oder der Verdeckungsabsicht bestehe. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Mordmerkmal der Heimtücke. Da die Strafkammer nicht ausschließen konnte, dass das Kind zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mehr arglos war, kann nicht ohne Weiteres von einer Nähe zu heimtückischem Handeln ausgegangen werden.“

Deutlich wird, dass der BGH für das Merkmal der „Nähe zum Mord“ äußerst hohe Anforderungen stellt. In der Klausur bedeutet das, dass in Ermangelung eines Mordmerkmals tendenziell von einem „normalen“ Totschlag gem. § 212 Abs. 1 StGB und nicht von einem besonders schweren Fall ausgegangen werden sollte.
3. BGH Beschl. v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18 zur Strafvereitelung durch einen Strafverteidiger – § 258 StGB
Im streitgegenständlichen Verfahren teilte der Strafverteidiger der Ermittlungsbehörde wahrheitswidrig mit, dass die gesuchten Unterlagen sich in der Garage seines Mandanten befänden, obwohl sich tatsächlich noch wesentliche Teile der Dokumente in den Räumlichkeiten des Strafverteidigers befanden. Zudem erklärte der Strafverteidiger nach einer Sichtung seiner Büroräume, im Rahmen derer beweiserhebliche Materialien gefunden wurden, dass er über keine weiteren Beweismittel dieser Art verfüge, obwohl er jedenfalls über einen weiteren Ordner mit wichtigen Beweisurkunden verfügte. Der BGH entschied hier:

„Eine Strafvereitelung in diesem Sinn kann auch durch Vereitelung des staatlichen Beschlagnahmezugriffs auf Beweisgegenstände durch einen Strafverteidiger begangen werden. So gehen etwa wahrheitswidriges Bestreiten des Besitzes gesuchter Beweisurkunden und ein falscher Hinweis auf einen anderweitigen Belegenheitsort zur Vereitelung eines bevorstehenden Beschlagnahmezugriffs über die Grenzen zulässiger Strafverteidigung hinaus. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch der Abschluss des staatlichen Strafverfahrens für geraume Zeit verzögert wird und der Strafverteidiger absichtlich oder wissentlich handelt.
[…]
Anders liegt es, wenn durch die Ermittlungsbehörde oder das Strafgericht die Herausgabe solcher Beweismittel, die nicht originär durch die Verteidigung hervorgebracht wurden, verlangt (§ 95 Abs. 1 StPO) oder deren Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO) angestrebt wird. In diesem Fall darf der Verteidiger solche Beweismittel, die nicht spezifisches Verteidigungsmaterial darstellen, nicht dem staatlichen Zugriff entziehen, indem er sie verborgen hält oder falsche Angaben zum Belegenheitsort macht. In Bezug auf solche Beweismittel, namentlich „verfängliche Geschäftsunterlagen“, besteht kein Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO.
[…]
Der Verteidiger darf „Überführungsstücke“, auf die ein staatlicher Beschlagnahmezugriff zielt, nicht in seinen Räumen verstecken. Sein Mandat soll nicht dazu genutzt werden können, gesuchten Beweisgegenständen „Asyl“ zu gewähren. Erst recht gestattet keine der Regelungen zum Schutz des Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 53, 97, 160a, 148 StPO es dem Strafverteidiger, falsche Angaben über seinen Besitz an Beweisgegenständen zu machen.“

4. BGH Urt. v. 15.5.2018 – 2 StR 152/18 zur Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung nach § 228 StGB
Wird in eine Körperverletzung eingewilligt, ist die Tat nur rechtswidrig, wenn sie trotz Einwilligung gegen die „guten Sitten“ verstößt. Dieses äußert weit gefasste Merkmal konkretisierte der BGH erneut. Für die ex-ante zu bestimmende Sittenwidrigkeit sei vordergründig auf die Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen. Die Tat müsse in Anbetracht des Umfangs der Verletzung sowie des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers „nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheinen“. Viel ist damit freilich noch nicht gesagt, da auch der Begriff der Hinnehmbarkeit vieles bedeuten kann. Der BGH grenzt allerdings ein: Ebenso wie die Zwecksetzung der Tat sei unbeachtlich, welche gesellschaftliche Vorstellung über die Tat vorliegen mögen.

„Die Weite und Konturenlosigkeit des Merkmals der guten Sitten in § 228 StGB erfordert, dieses strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu beziehen und auf seinen Kerngehalt zu reduzieren. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann. Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit – über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung – zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie nicht herangezogen werden.“ 

5. BGH Beschl. v. 12.6.2018 – 3 StR 171/17 zum subjektiven Schadenseinschlag beim Betrug (Nachtrag zu Quartal 2/2018)
Besondere Prüfungsrelevanz dürfte die Entscheidung des BGH zu den Grundsätzen des subjektiven Schadenseinschlags bei § 263 StGB haben. Das Gericht konkretisierte die Anforderungen an den persönlichen Schadenseinschlag: Ausgehend vom Grundsatz, dass ein Vermögensschaden trotz objektiver Gleichwertigkeit der Gegenleistung auch vorliegen kann, wenn diese für das Opfer unter Berücksichtigung der individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Verhältnisse subjektiv wertlos ist, stellte der Dritte Senat nun fest:

„Insofern kann als Schaden die gesamte Leistung des Gesch. anzusehen sein, wenn die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden, namentlich ohne besondere Schwierigkeiten wieder veräußern kann“  

Da im streitgegenständlichen Verfahren die verkauften Geräte nur mit „erheblichen Verlusten“ hätten weiterveräußert werden können, nahm der BGH einen persönlichen Schadenseinschlag und mithin einen Vermögensschaden an. Eine ausführliche Besprechung dieses besonders prüfungsrelevanten Urteils findet sich im hierzu erstellen Beitrag von Sebastian Rombey.
II. Strafprozessrecht
1. BGH Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 46/18 zur Verhandlungsunfähigkeit eines Angeklagten
Die Entscheidung behandelt die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit bei einem Angeklagten, dessen geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte eingeschränkt ist. Der 5. Strafsenat geht von einer Verhandlungsunfähigkeit erst aus, wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfe – also insbesondere einem Verteidiger – eine eigenständige, selbstverantwortliche Entscheidungen über die wesentlichen Belange seiner Verteidigung sowie eine sachgerechte Wahrnehmung der ihm zustehenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist. Dabei geht es vor allem um solche Verfahrensrechte, die der Angeklagte selbst, d.h. persönlich wahrnehmen muss. Danach soll es speziell für das Revisionsverfahren ausreichen, wenn der Beschwerdeführer zumindest zeitweilig zur Konsensfindung mit seinem Verteidiger darüber, ob das Rechtsmittel aufrechterhalten oder zurückgenommen werden soll, in der Lage ist.

„Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet, dass der Angekl. in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Angekl. auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Auch bei solchen Angekl., deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, muss die Schuld- und Straffrage in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren geklärt und entschieden werden können. Danach liegt Verhandlungsunfähigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Besch. hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten, wenn dem Angekl. Auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlichen Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist“

2. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 42/18 zur Selbstbelastungsfreiheit, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO
Äußert sich der Angeklagte nicht zu den Gründen seines Aufenthalts am Ort seiner polizeilichen Festnahme und stellt das erkennende Gericht sowohl in seiner Beweiswürdigung, als auch seiner rechtlichen Würdigung ausdrücklich hierauf ab, wird das Schweigen zum Nachteil des Angeklagten gewertet, sein Schweigerecht mithin konterkariert. Dies verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gem. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO:

„Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Absatz 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. So liegt der Fall aber hier.
Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“


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23.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-10-23 09:30:292018-10-23 09:30:29Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)
Dr. Yannik Beden, M.A.

Die 15 wichtigsten Definitionen beim Betrug – § 263 StGB

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes

Für eine gute Klausur im Strafrecht ist es unabdingbar, Definitionen der Tatbestandsmerkmale schnell und sicher abrufen zu können. Insbesondere im schriftlichen Examen kommt den Vermögensdelikten eine hohe Prüfungsrelevanz zu. Dabei steht oftmals der Betrug nach § 263 StGB im Fokus. Hier werden von Prüflingen nicht nur Grundkenntnisse, sondern auch vertieftes Wissen zu Sonderproblemstellungen erwartet. Eine erfolgreiche Fallbearbeitung setzt in jedem Fall voraus, die nachstehenden Begriffe einordnen und definieren zu können:
(1) Tatsachen
sind alle der Vergangenheit oder Gegenwart zugehörigen Zustände und Ereignisse, die objektiv bestimmbar und dem Beweis zugänglich sind. Werturteile (insbesondere Meinungsäußerungen) fallen nicht unter den Tatsachenbegriff.
(2) Täuschung
bedeutet, dass der Täter bewusst irreführend auf das Vorstellungsbild des Opfers einwirkt. Dies kann durch das Vorspiegeln von Tatsachen, aber auch einem Unterdrücken oder Verändern wahrer Gegebenheiten erfolgen (vgl. BeckOK/Beukelmann, StGB, 38. Ed. Stand 01.05.2018, § 263 Rn. 9). Die Täuschung kann sowohl explizit, als auch konkludent erfolgen. Auch eine Täuschung durch Unterlassen ist tatbestandlich möglich.
(3) Irrtum
über Tatsachen ist das Auseinanderfallen von der subjektiven Vorstellung des Täters und der objektiven Wirklichkeit. Zweifel beseitigen die Annahme eines Irrtums solange nicht, wie das Opfer die Wahrheit der behaupteten Tatsachen für möglich hält und deswegen aufgrund der List des Täters trotzdem die Vermögensverfügung trifft (vgl. BGH Urteil v. 5.12.2002 – 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313).
(4) Vermögensverfügung
ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das unmittelbar eine Vermögensminderung bei dem Getäuschten selbst oder einer dritten Person herbeiführt.
(5) Juristischer Vermögensbegriff
ist streng am Zivilrecht orientiert und zählt zum tatbestandlich umfassten Vermögen alle rechtlich geschützten Güter und Rechte einer Person, ungeachtet des wirtschaftlichen Wertes.
(6) Wirtschaftlicher Vermögensbegriff
definiert das strafrechtlich geschützte Vermögen wirtschaftlich faktisch: Geschützt werden alle Rechtspositionen, die in Geld messbar sind, sodass das Vermögen die „Summe aller geldwerten Güter nach Abzug der Verbindlichkeiten“ ist (ausführlich Schilling, NStZ 2018, 316). Vertritt man den wirtschaftlichen Vermögensbegriff in seiner Reinform, ist jedes wirtschaftlich messbare Vermögen geschützt, unabhängig davon, ob es legal oder illegal gehandelt wird. Auch widerrechtlich Erlangtes fällt unter diesen Vermögensbegriff.
(7) Juristisch-ökonomischer Vermögensbegriff
knüpft an den wirtschaftlichen Vermögensbegriff an und schränkt diesen ein: Geschützt ist alles, was in Geld messbar ist und der rechtlichen Verfügungsmacht einer Person unterliegt. Geschützt wird demnach nicht, was nach der (außerstrafrechtlichen) Rechtsordnung missbilligt wird (vgl. K/N/P/Kindhäuser, StGB, 5. Auflage 2017, § 263 Rn. 30 m.w.N.).
(8) Schadensgleiche Vermögensgefährdung
stellt dann einen Vermögensnachteil dar, wenn bereits die konkrete Gefahr des Verlustes das Vermögen mindert, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist.
(9) Stoffgleichheit
zwischen dem Vermögensvorteil des Täters und dem Vermögensschaden des Opfers besteht, wenn Vorteil und Schaden auf der identischen Verfügung beruhen und der Vorteil, der den Täter bereichern soll, unmittelbar zur Schädigung des Vermögens führt.
(10) Individueller Schadenseinschlag
besteht in Fällen, bei denen trotz objektiver Wertgleichheit der entstehenden (vertraglichen) Ansprüche ein Vermögensschaden des individuellen Opfers eintritt. Die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit wird in strafrechtlich relevanter Weise insbesondere geschädigt, wenn:
(a) die angebotene Leistung vom Tatopfer nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann,
(b) das Tatopfer durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder
(c) das Tatopfer infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsmäßigen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschafts- oder Lebensführung unerlässlich sind (grundlegend BGH Beschluss v. 16.8.1961 – 4 StR 166/61, NJW 1962, 309)
(11) Soziale Zweckverfehlung
führt zu einem Vermögensschaden, wenn das Opfer durch Täuschung zur Hingabe eines Vermögenswertes veranlasst wird und dabei um die fehlende geldwerte Äquivalenz weiß, der mit der Hingabe verfolgte, sozial anerkannte Zweck jedoch verfehlt wird. Der Unterschied zum individuellen Schadenseinschlag liegt darin, dass dieser ein ausgeglichenes Austauschverhältnis aufweist (vgl. MüKo/Hefendehl, StGB, 2. Auflage 2014, § 263 Rn. 709).
(12) Absicht rechtswidriger Bereicherung
besteht, wenn der Täter beabsichtigt, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Bereicherung muss als Vermögensvorteil im Sinne einer günstigeren Gestaltung der wirtschaftlichen Vermögenslage des Täters angestrebt werden (vgl. hierzu BGH Urteil v. 3.5.1988 – 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623).
(13) Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils
besteht, wenn dem Täuschenden kein wirksamer, fälliger und einredefreier Anspruch gegen den Geschädigten auf den angestrebten Vorteil zusteht.
(14) Gewerbsmäßig i.S.v. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB
handelt der Täter, wenn er die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht unbedeutende Einnahmequelle von erheblicher Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.
(15) Wirtschaftliche Not i.S.v. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 StGB
besteht, wenn der Geschädigte in eine bedrängende Lage geraten ist, aufgrund derer für ihn oder unterhaltspflichtige Personen der notwendige Lebensunterhalt ohne ein Hinzutun Dritter nicht mehr sichergestellt ist (vgl. MüKo/Hefendehl, StGB, 2. Auflage 2014, § 263 Rn. 856).

23.07.2018/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-07-23 10:00:322018-07-23 10:00:32Die 15 wichtigsten Definitionen beim Betrug – § 263 StGB
Christian Muders

Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht

Im Folgenden eine Übersicht über in letzter Zeit in Zeitschriften veröffentlichte interessante Entscheidungen von Obergerichten in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschl. v. 14.2.2012 – 3 StR 392/11 (= NStZ 2012, 627 f. = StV 2012, 465 f.)
– Kein Raub bzw. räuberische Erpressung bei der gewaltsamen Wegnahme eines Mobiltelefons zur bloßen Durchsuchung des Speichers und dem anschließenden Kopieren einzelner Daten –
1. Es liegt keine für einen Raub erforderliche Zueignungsabsicht vor, wenn der Täter ein Mobiltelefon gewaltsam an sich bringt, um im Speicher des Geräts nach Beweisen für die Art der Beziehung zwischen dem Geschädigten und der Schwester einer dritten Person zu suchen. Gleiches gilt für das Kopieren gefundener Daten, da dies nicht zu deren Verbrauch führt.
2. Ebenfalls fehlt es in diesem Fall an einer Bereicherungsabsicht i.S.d. räuberischen Erpressung, da der bloße Besitz einer Sache nur dann einen Vermögensvorteil darstellt, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt.
II. BGH, Urt. v. 27.6.2012 – 2 StR 79/12 (= NStZ 2012, 629 f. = wistra 2012, 385 f.)
– Zum Vermögensschaden beim Betrug –
1. Wird bei einem Kauf über Umstände getäuscht, die den Verkehrswert der Sache maßgeblich mitbestimmen, erleidet der dadurch zum Kaufabschluss bewogene Kunde einen Betrugsschaden regelmäßig nur dann, wenn die Sache objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist. Unerheblich ist demgegenüber regelmäßig, ob die gelieferte Ware von geringerem Wert ist als die vertraglich vereinbarte.
2. Daher ist beim Fehlen einer vom Verkäufer fälschlich zugesicherten Eigenschaft der Kaufsache der Käufer nicht stets und ohne Rücksicht darauf, ob die Sache trotz Fehlens der zugesicherten Eigenschaft den vereinbarten Preis wert ist, durch den Abschluss des Vertrages betrügerisch geschädigt (hier: Kauf von Plagiatsfelgen, die als Originalfelgen ausgegeben wurden).
III. OLG Celle, Beschl. v. 23.7.2012 – 31 Ss 27/12 (StraFo 2012, 419 ff. = DAR 2012, 644 ff.)
– Zur Rechtswidrigkeit einer Diensthandlung i.S.d. § 113 StGB bei einer Verkehrskontrolle –
Eine Diensthandlung ist rechtswidrig im Sinne von § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB, wenn Polizeibeamte einen Betroffenen falsch belehrt haben (konkret: Belehrung über eine allgemeine Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO, wenn tatsächlich der Verdacht einer Trunkenheitsfahrt besteht).
VI. OLG Hamm, Urt. v. 21.8.2012 – III-4 Rvs 42/12 (= wistra 2012, 447 f.)
– Untreue und Irrtum über das Einverständnis des Vermögensinhabers –
1. Der Tatbestand der Untreue setzt einen gravierenden Pflichtenverstoß voraus, der durch das Einverständnis des Vermögensinhabers mit dem Handeln des Täters entfällt.
2. Ein Irrtum des Täters über das Einverständnis ist Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB.
(Anm.: Das OLG nutzt in der Entscheidung teilweise auch den Begriff der „Einwilligung“, offenbar als Synonym – dies ist in der Prüfung strikt zu vermeiden!)

02.12.2012/2 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-12-02 12:00:522012-12-02 12:00:52Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Christian Muders

BGH: Keine Strafbarkeit von Kassenärzten wegen Bestechlichkeit

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Der BGH (Großer Senat für Strafsachen) hat am vergangenen Freitag entschieden, dass sich Kassenärzte, die von Pharmafirmen Provisionen für das Verschreiben bestimmter Medikamente erhalten, nicht wegen Korruptionsdelikten strafbar machen (hier geht es zur Pressemitteilung). Das vom Großen Senat zu beurteilende, zweifelhafte Vorgehen weckt dabei Erinnerungen an die zuletzt auf dem 115. Deutschen Ärztetag im Mai in Nürnberg hochgekochte Praxis, dass Ärzte „Fangprämien“ kassieren, wenn sie Patienten zu bestimmten Krankenhäusern lotsen (s. dazu etwa hier und hier).
1. Um was geht es?
Im Ausgangsverfahren des LG Hamburg waren eine Pharmareferentin, die Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 € übergeben hatte, wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) und ein von diesen Schecks begünstigter Arzt wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB) jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Übergabe des Schecks hatte ein als „Verordnungsmanagement“ bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens zugrunde gelegen. Dieses sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des betreffenden Unternehmens 5 % des Herstellerabgabepreises erhalten sollten.Während der Arzt das Urteil der Eingangsinstanz unangefochten ließ, legte die Pharmareferentin Revision beim zuständigen BGH-Senat ein. Dieser rief den Großen Senat für Strafsachen an, um folgende zwei Fragen klären zu lassen:
1. Handelt ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt bei Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V; hier: Verordnung von Arzneimitteln) als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB?
2. Hilfsweise für den Fall der Verneinung von Frage 1: Handelt ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt bei Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V; hier: Verordnung von Arzneimitteln) im Sinne des § 299 StGB als Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs im geschäftlichen Verkehr?
2. Was sagt der BGH dazu?
Der BGH hat in seinem Beschluss beide Fragen verneint und damit i.E. eine Strafbarkeit der Pharmareferentin wegen Bestechung (§ 334 StGB) bzw. Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) ausgeschlossen:
a) Bestechung und Bestechlichkeit sind in den §§ 332, 334 StGB im Rahmen des 30. Abschnitts (Straftaten im Amt) geregelt und erfassen sowohl denjenigen, der einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt (Bestechung) als auch – spiegelbildlich – denjenigen, der den Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt (Bestechlichkeit). Täter des letzteren Delikts kann dabei nur eine bestimmte Gruppe von Personen, insbesondere „Amtsträger“ oder ein „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ sein, so dass es sich hierbei um ein (echtes) Sonderdelikt handelt. Entsprechend ist aber auch bei dem spiegelbildlichen Allgemeindelikt der Bestechung, welches bzgl. der Pharmareferentin allein in Rede stand, zwingend erforderlich, dass der Adressat der Beeinflussung einer der soeben genannten Personengruppen angehört. Wer als „Amträger“ oder „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ anzusehen ist, ist nun nicht (wie so oft) der freien Begriffsbildung des Rechtsanwenders überlassen, sondern im Gesetz in § 11 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StGB geregelt. Der BGH hat vorliegend, entsprechend der 1. Vorlagefrage, untersucht, ob die die Provisionen empfangenden Kassenärzte i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB Amtsträger sind, namentlich ob sie im „Auftrag“ einer Behörde „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“ wahrnehmen. Er hat dies verneint:

Die gesetzlichen Krankenkassen sind zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne der Amtsträgerdefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB. Auch erfüllt das System der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes eine aus dem Sozialstaatsgrundsatz folgende, in hohem Maße der Allgemeinheit dienende Aufgabe. Die Kassenärzte sind aber nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Er wird auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Versicherten, der ihn regelmäßig individuell auswählt, wird – ungeachtet der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung – wesentlich vom persönlichen Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist. Innerhalb des Behandlungsverhältnisses konkretisiert die Verordnung eines Arzneimittels zwar den gesetzlichen Leistungsanspruch des Versicherten auf Sachleistungen; sie ist aber untrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und vollzieht sich innerhalb des personal geprägten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Versicherten und seinem Arzt, der die Verordnung nach seiner aus § 1 BÄO folgenden Verpflichtung auszurichten hat. Die Einbindung des Vertragsarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleiht der vertragsärztlichen Tätigkeit danach nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung. Dies entspricht auch der zivilrechtlichen Betrachtungsweise.

b) Neben diesem Tatbestand wird Korruption auch von der Vorschrift des § 299 StGB geahndet, nämlich wenn diese „im geschäftlichen Verkehr“ stattfindet. Dessen Abs. 1 und 2 stellen dabei wiederum spiegelbildlich das Annehmen/Versprechenlassen/Fordern (Abs. 1) und Anbieten/Versprechen/Gewähren (Abs. 2) von Vorteilen unter Strafe. Ebenso handelt es sich bei der Bestechlichkeit nach Abs. 1 erneut um ein Sonderdelikt, da der Täter „Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes“ sein muss. Entsprechend ist eine solche Person auch notwendiger Adressat des für die Pharmareferentin in Betracht kommenden Tatbestandes der Bestechung nach Abs. 2. Der BGH hat jedoch auch eine Stellung des Kassenarztes als „Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes“ verneint:

Dem Kassenarzt fehlt es bei der Verordnung eines Arzneimittels auch an der Beauftragteneigenschaft im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB. Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V wirken die Leistungserbringer, also auch die Kassenärzte, mit den gesetzlichen Krankenkassen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zusammen, begegnen sich nach der darin zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung also auf einer Ebene der Gleichordnung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen gesetzlich ausgeschlossen. Dem Begriff des Beauftragten ist aber schon vom Wortsinn her die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers immanent, der sich den Beauftragten frei auswählt und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleitet. Es kommt hinzu, dass die Krankenkasse den vom Versicherten frei gewählten Arzt akzeptieren muss. Dieser wird vom Versicherten als „sein“ Arzt wahrgenommen, den er beauftragt hat und dem er sein Vertrauen schenkt. Eine sachgerechte Bewertung der ärztlichen Verordnung vor dem Hintergrund des sozialrechtlichen Regelungsgefüges führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kassenarzt kein Beauftragter der Krankenkassen ist. Dass die Verordnung von Medikamenten (und Hilfsmitteln) dabei auch Relevanz für die Krankenkasse hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

c) Nicht vom BGH behandelt wurde – entprechend dem begrenzten Vorlagebeschluss – die Frage, ob sich der Kassenarzt, der für eine Provision bestimmte Medikamente verschreibt, wegen Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) oder Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) zu Lasten der Krankenkassen strafbar machen kann. Daran könnte man dann denken, wenn der Arzt aufgrund der lockenden Vergünstigungen Medikamente eines bestimmten Herstellers verschreibt, obwohl Ersatzmedikamente (Generika) existieren, die für die zahlende Krankenkasse billiger wären. Zu beiden Tatbeständen äußert sich allerdings bereits ein Beschluss des BGH vom 5.11.2003 (4 stR 239/03 = BGHSt 49, 17 ff. = NJW 2004, 454 ff.) für den Fall, dass ein Kassenarzt objektiv nicht indizierte Medikamente verordnet. Dessen Aussagen sollen daher im Folgenden, freilich orientiert an dem Kontext der Entscheidung des Großen Senats, kurz vorgestellt werden:
aa) Für den Betrug bedarf es zunächst einer Täuschung über Tatsachen. Von Spiegel Online wurde im letzten Jahr über die Praxis berichtet, dass Ärzte beim Ausstellen von Rezepten die auf den Standardformularen vorgesehene Möglichkeit, dass der ausgebende Apotheker auf billigere Ersatzmittel zurückgreifen darf („aut idem“/“0der ein Gleiches“), per Durchstreichen ausschlossen, um Zuwendungen der hierdurch begünstigten Pharmaunternehmen zu erhalten (hier geht es zu einem entsprechenden Artikel). Wird nun ein allein auf das teurere Medikament beschränktes und damit „exklusives“ Rezept von der annehmenden Apotheke (gutgläubig) der Krankenkasse zur Abrechnung vorgelegt, könnte hierin ggf. eine konkludente Täuschung gesehen werden und zwar dahingehend, dass bei dem empfangenden Patienten die Behandlung mit einem wirkungsgleichen, aber billigeren Ersatzmedikament nicht angezeigt war. Dies gilt umso mehr, als der Arzt nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB V gehalten ist, eine wirtschaftliche und damit kostengünstige Versorgung der Patienten mit Medikamenten durchzuführen (vgl. etwa § 72 Abs. 2 SGB V: „wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“).
Ein weiterhin erforderlicher Irrtum wäre jedenfalls in dem Sinne vertretbar, dass die Krankenkasse glaubt, mit der Arzneivergabe des Arztes habe „alles seine Ordnung“ gehabt (zu diesem weiten Verständnis des Irrtums i.S. einer positiven Fehlvorstellung vgl. nur NK-Kindhäuser, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 174).
Fraglich wäre sodann, worin die tatbestandsmäßige Vermögensverfügung zu erblicken ist: Insofern könnte man zunächst an die Geldzahlung für das verordnete Medikament denken. Allerdings sieht der BGH in seinem 2003-Beschluss diese bereits durch den verschreibenden Arzt selbst, und zwar als Vertreter der Krankenkasse, veranlasst:

Nach §§ 27 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3; 31 Abs. 1 SGB V haben die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf Krankenbehandlung. Als Bestandteil der Krankenbehandlung sind Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln als Sachleistung zu erbringen (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V). Ein derartiger Sachleistungsanspruch kann grundsätzlich nur dadurch begründet werden, daß ein Vertragsarzt das Arzneimittel auf Kassenrezept verordnet und damit die Verantwortung für die Behandlung übernimmt. (…) Bei Verordnung einer Sachleistung handelt der Vertragsarzt also kraft der ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen (vgl. etwa §§ 72 Abs. 1, 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V) als Vertreter der Krankenkasse. (…) Mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse gibt er die Willenserklärung zum Abschluß eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab.

Eine etwaige Vermögensverfügung (zzgl. -schadens) wird vom BGH vielmehr darin erblickt, dass es die Krankenkasse ggf. unterlässt, einen Regressanspruch ggü. dem Arzt geltend zu machen (vgl. § 106 SGB V):

Sofern die Krankenkasse überhaupt eine inhaltliche Prüfung auf die medizinische Notwendigkeit verordneter Heilmittel nach Leistungserbringung vornimmt, erfolgt diese – wie ausgeführt – ausschließlich im Hinblick auf eine nachträgliche Korrektur medizinisch nicht indizierter Maßnahmen im Innenverhältnis des Vertragsarztes zur Krankenkasse (…).

Die unterlassene Verfolgung des Regressanspruchs ist allerdings nicht „stoffgleich“ zur Bereicherungsabsicht des Kassenarztes: Stoffgleichheit bedeutet, dass der vom Täter erstrebte Vorteil die Kehrseite der durch die Verfügung bedingten Vermögensminderung bildet, dieser also unmittelbar auf Kosten des Vermögensinhabers erlangt sein muss. Für sich selbst erstrebt der Kassenarzt im vorliegenden Kontext aber allein eine Zuwendung, die ihm aus dem Vermögen des „sponsernden“ Pharmaunternehmens gewährt wird. Eine Drittbereicherungsabsicht bzgl. des Pharmaunternehmens wiederum kann sich nur auf den durch die Verschreibungen bewirkten, höheren Medikamentenumsatz beziehen, der aber unmittelbar (zunächst) durch die ausgebende Apotheke finanziert wird.
bb) Demgegenüber nimmt der BGH an, dass ein Arzt, der eindeutig unzweckmäßige Medikamente verordnet, durchaus den Tatbestand der Untreue verwirklichen kann. Das Gericht sieht dabei namentlich die Alternative des Missbrauchstatbestandes (§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB) als erfüllt an:

 Nach den Prinzipien des kassenärztlichen Abrechnungssystems handelt der Vertragsarzt bei Ausstellung einer Verordnung – wie ausgeführt – als Vertreter der Krankenkasse (…). Er darf (…) Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst (…) eindeutig nicht notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, nicht verordnen (§§ 12 Abs. 1 S. 2; 70 Abs. 1 S. 2 SGB V). Verschreibt der Kassenarzt dennoch ein Medikament zu Lasten der Krankenkasse, obwohl er weiß, daß er die Leistung – wie hier – im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V nicht bewirken darf, mißbraucht er diese ihm vom Gesetz eingeräumten Befugnisse.

Zusätzlich sieht der BGH ebenfalls das – von der sog. monistischen Theorie auch im Rahmen der Missbrauchsvariante geforderte – Merkmal der Vermögensbetreuungspflicht beim Arzt ggü. der Krankenkasse als erfüllt an:

Da er bei Erfüllung dieser Aufgabe der Krankenkasse gegenüber kraft Gesetzes (§ 12 Abs. 1 SGB V) verpflichtet ist, nicht notwendige bzw. unwirtschaftliche Leistungen nicht zu bewirken, kommt darin eine Vermögensbetreuungspflicht zum Ausdruck (…). Der Arzt nimmt insoweit Vermögensinteressen der Krankenkasse wahr (…).

d) Nicht zu verhehlen ist, dass die Feststellung des BGH in dem zuletzt zitierten Beschluss, der Kassenarzt handele beim Verschreiben von Arzneimitteln als „Vertreter“ der Krankenkasse, in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der aktuellen Entscheidung des Großen Senats steht. Denn vom „Vertreter“ der Krankenkasse zum „Beauftragten“ einer entsprechenden öffentlichen Stelle (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB) bzw. eines geschäftlichen Betriebes (§ 299 StGB) ist es zwar kein zwingender, aber ebenfalls kein fernliegender Schritt. Entsprechendes hat auch das OLG Braunschweig in einem Beschluss vom 23.2.2010 (Ws 17/10 = NStZ 2010, 392 f.) angenommen:

Der Kassenvertragsarzt ist also auf Grund der ihm durch Gesetz zugewiesenen Aufgabe berechtigt und verpflichtet, für den Betrieb – hier die Krankenkassen – zu handeln. Durch die Art und Menge der von ihm verordneten Medikamente nimmt er damit erheblich auf die betrieblichen Entscheidungen Einfluss. (…) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt er insoweit als Vertreter der Krankenkassen und nimmt deren Vermögensinteressen wahr (BGH a. a. O.). Hat jemand die Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen und macht sich im Falle einer Verletzung dieser besonderen Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 StGB strafbar, so handelt er auch als Beauftragter zumindest im Rahmen dieses Aufgabenfeldes.

Demgemäß darf man auf die weitere Entwicklung gespannt sein.

25.06.2012/1 Kommentar/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-06-25 11:00:392012-06-25 11:00:39BGH: Keine Strafbarkeit von Kassenärzten wegen Bestechlichkeit
Christian Muders

Aus aktuellem Anlass: Der Wettbetrug – Prüfungsaufbau und Probleme

Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

In der Tagespresse ist derzeit häufig von dem aktuellen Wett- und Manipulationsskandal im Fußballland Italien zu lesen (vgl. etwa hier und hier) – womit Erinnerungen an den prominenten „Hoyzer-Fall“ von 2005 wach werden, in denen der namensgebende Schiedsrichter in Zusammenwirken mit Wettbetrügern Spiele des DFB absichtlich „verpfiffen“ hatte (dazu LG Berlin, JuS 2006, 567 ff.; BGH, Urt. v. 15.12.2006 – 5 StR 181/06 – = BGHSt 51, 165 ff = NStZ 2007, 151 ff). Aus der juristischen Ausbildungsperspektive betrachtet, steigt damit das Risiko, dass man als Examenskandidat in der Klausur oder mündlichen Prüfung über eine derartige Konstellation stolpert. Daher soll an dieser Stelle noch einmal überblicksartig über die prüfungsmäßige Aufbereitung derartiger Fälle, und zwar bezogen auf eine Strafbarkeit wegen Betruges, informiert werden.
I. Zunächst der Fall: A möchte auf den Ausgang eines Fußballspiels wetten und vereinbart dabei mit dem Schiedsrichter (oder einem Spieler der Mannschaft, die verlieren soll), dass dieser das Spiel zu seinen Gunsten manipuliert. Sodann geht er ins Wettbüro und schließt mit dem Inhaber bzw. dem dort anwesenden Angestellten (dann Dreiecksbetrug) eine dementsprechende Wette ab. Tatsächlich geht das Spiel mit einem Sieg für das von A gesetzte Team aus und dieser kassiert strahlend den Wettgewinn.
II. Im Mittelpunkt steht hier die Strafbarkeit des A wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB), an die sich ggf. eine Beihilfestrafbarkeit vom manipulierenden Schiedsrichter und/oder den Spielern anlehnt (§§ 27 Abs. 1, 263 Abs. 1 StGB).
1. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob eine taugliche Tathandlung, also eine Täuschung über Tatsachen, vorliegt.
a) Tatsachen werden definiert als gegenwärtige oder vergangene Sachverhalte, einschließlich sog. innerer Umstände (Absichten, Motive), die objektiv bestimmbar und dem Beweis zugänglich sind. Geht man mit diesem Wissen gerüstet an den vorliegenden Fall, so stellt sich die Frage, worüber A getäuscht haben könnte: Der Ausgang des von ihm gewetteten Spiels scheidet insofern aus, als dass dieser bei Abschluss der Wette einen künftigen Sachverhalt darstellt, der also noch nicht bewiesen werden kann und damit keine Tatsache i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB ist. Eine taugliche Tatsache ist allerdings der Umstand, dass A vor Abgabe seines Wetteinsatzes mit Dritten eine Manipulation vereinbart hat, die seine Wettchancen steigert.
b) Fraglich ist, ob A über diesen Umstand getäuscht hat, was uns gleich zum ersten Schwerpunkt der Wettbetrugskonstellation führt. Bei einer Täuschung kommen nach nahezu einhelliger Meinung drei Vorgehensweisen in Betracht: Man kann ausdrücklich etwas Unwahres behaupten, konkludent ein solches tun oder aber etwas Wahres verschweigen. Die unwahre (negative) Tatsache wäre hier bei aktiver Äußerung, dass A nicht dafür Sorge getragen hat, dass das Spiel zu seinen Gunsten verfälscht wird; dementsprechend wäre die verschwiegene wahre Tatsache die Vereinbarung der künftigen Manipulation.
Eine ausdrückliche Erklärung des A gegenüber dem Wettanbieter, dass das Spiel nicht auf sein Geheiß hin manipuliert wird, ist dem Fall nicht zu entnehmen und wäre auch fernliegend. Demgemäß kommt allenfalls eine entsprechende konkludente Erklärung hierüber in Betracht. Diese ist von dem Verschweigen der Manipulation als Unterlassen zu unterscheiden, für das gem. § 13 Abs. 1 StGB stets eine Garantenstellung vorausgesetzt wird. Die Abgrenzung wird gemeinhin dergestalt vorgenommen, dass das konkludent Erklärte durchaus aktiv, nämlich mit dem ausdrücklich Erklärten zusammen geäußert wird, da dessen Bekundung in einem logischen, empirischen oder normativen Widerspruch zum ausdrücklich Gesagten stehen würde; daher erscheint der konkludent mitgeteilte Inhalt derart selbstverständlich, dass er nicht expressis verbis mitgeäußert zu werden braucht (vgl. NK-Kindhäuser, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 110). Zur Konstruktion eines solchen Zusammenhangs zwischen ausdrücklich erklärtem und (potentiell) konkludent mitgeteiltem Inhalt wird insbesondere auf die „berechtigten Erwartungen“ des Adressaten der Äußerung abgestellt, welche bei Täuschungen innerhalb von Austauschverträgen abhängig von dem jeweiligen Vertragstyp (mit zugehöriger Verkehrsanschauung) beurteilt werden: Bei Sportwettverträgen wird eine solche berechtigte Erwartung der beiden Vertragspartner dergestalt angenommen, dass keine Seite die einvernehmlich vorausgesetzten Umstände zu ihren Gunsten vorsätzlich verändert hat noch verändern wird, da dies die genuine Risikoverteilung des Vertrages zerstören würde, wonach der offene, durch die Parteien unbeeinflusste Ausgang des Sportereignisses den Geschäftstyp ausmacht (vgl. BGH, NStZ 2007, 151 [153]). Demgemäß liegt vorliegend im Abschluss des Wettvertrages durch A gleichzeitig die konkludente Erklärung, nicht für eine solche vorsätzliche Beeinflussung des Sportereignisses Sorge getragen zu haben, und nicht nur das Unterlassen des Äußerns der geplanten Manipulation (a.A. etwa Schlösser, NStZ 2005, 423 [428]).
2. Beim Irrtum, der gemeinhin als positive Fehlvorstellung definiert wird, könnte vorliegend fraglich sein, ob sich der Wettvertragspartner überhaupt irgendwelche Gedanken über Manipulationen macht. Hier kommt allerdings das weite Verständnis einer Fehlvorstellung, wie sie von Rspr. und h.L. verstanden wird, zur Hilfe, wonach es ausreichend ist, dass das Betrugsopfer annimmt, „alles sei in Ordnung“. Letzteres jedenfalls wird man dem Wettanbieter unterstellen können, da er ansonsten den Wettvertrag kaum schließen würde.
3. Sodann kommt man zum Prüfungspunkt der Vermögensverfügung und -schädigung, dem zweiten Schwerpunkt der Wettbetrugskonstellation:
a) Hier ist zunächst fraglich, über welchen Vermögensgegenstand der Wettanbieter bei Abschluss des Vertrages verfügt hat. Insofern könnte man zunächst überlegen, ob nicht die drohende Gewinnzahlung, zu welcher der Wettanbieter bei Gewinn der Wette durch A verpflichtet ist, aufgrund der geplanten Manipulation und der hiermit korrespondierenden, gesteigerten Gewinnwahrscheinlichkeit des A bereits bei Abschluss des Vertrages eine schadensgleiche Vermögensgefährdung darstellt (so wohl noch das LG Berlin als Vorinstanz, vgl. BGH, NStZ 2007, 151 [155]). Indes wird dies von der obergerichtlichen Rspr. insofern verneint, als der für den Täter günstige Ausgang der Spiels trotz der vereinbarten Manipulationen noch nicht so wahrscheinlich sei, dass bereits von einer konkreten Minderung des Vermögens des Wettanbieters ausgegangen werden könne – so wäre etwa durchaus denkbar, dass die Gegnermannschaft trotz der Verfälschungen dennoch besser spielt oder aber sich der die Manipulationen zusagende Partner des Wettenden nicht traut, diese auf dem Spielfeld tatsächlich umzusetzen. Im Fall Hoyzer hat der BGH zur Begründung dieser Unsicherheiten darauf verwiesen, dass einige der zu manipulierenden Spiele durchaus nicht den gewünschten Ausgang genommen hätten (BGH, NStZ 2007, 151 [155]; vgl. hierzu bereits Schlösser, NStZ 2005, 423 [428]). Daraus wird von der Rspr. allerdings nicht der Schluss gezogen, dass vor Abschluss des Spiels in der vom Täter gewünschten Weise nur ein versuchter Betrug vorliegen würde – vielmehr sieht der BGH einen tauglichen Verfügungsgegenstand, über den der Wettanbieter bereits bei Vertragsschluss verfügt, in der Wettchance, die dem Wettenden gewährt wird – bereits hierin soll, da ja für eine solche Wettchance (…und nicht erst für den Gewinn!) ein Wetteinsatz gezahlt wird, ein geldwerter Vermögensgegenstand liegen.
b) Der Vermögensschaden, der bei Austauschverträgen von der h.M. nach dem sog. wirtschaftlichen Vermögensbegriff über einen Vergleich von Vermögensabfluss und -zufluss ermittelt wird, ist nach der Rspr. sodann darin zu erblicken, dass der Wettanbieter zwar einen Wetteinsatz vom Täter erhält, dieser aber keine ausreichende Kompensation für die von ihm gewährte Wettchance ist: Denn der zu zahlende Wetteinsatz wird abhängig von der Gewinnwahrscheinlichkeit gewählt, die aber im vorliegenden Fall zu Lasten des Wettanbieters signifikant von dem gezahlten Wetteinsatz abweicht. Demgemäß ergibt sich der Schaden für den Wettanbieter aus der Diskrepanz zwischen Wetteinsatz und gewährter Gewinnquote (daher auch als sog. „Quotenschaden“ bezeichnet – krit. hierzu etwa Rönnau/Soyka, NStZ 2009, 12 ff).
Sofern das Spiel schließlich tatsächlich zugunsten des Täters ausgeht, vertieft sich dieser Schaden dann nach Auffassung des BGH noch durch die zusätzliche Verbindlichkeit, die sich aus der Differenz zwischen Wetteinsatz und durch den Wettanbieter zu zahlendem Gewinn ergibt (BGH, NStZ 2007, 151 [154]).
4. Die Kausalität zwischen den einzelnen objektiven Merkmalen ist dann wieder unproblematisch.

5. Im subjektiven Tatbestand sind schließlich sowohl Vorsatz als auch (rechtswidrige) Bereicherungsabsicht des Täters zu prüfen. Letztere ist freilich, da sie ein Spiegelbild des eingetretenen Schadens („stoffgleich“) sein muss, neben den potentiell zu erwartenden Gewinnen auch auf die gesteigerte Wettchance zu beziehen – bzgl. der gesteigerten Wettchance wird man dabei wenigstens von einem notwendigen Zwischenziel (was für den dolus directus 2. Grades ausreichend ist) für den Täter ausgehen können, da der A gerade hierdurch zu dem eigentlich Begehrten, nämlich der Geldauszahlung, gelangt.

31.05.2012/5 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-05-31 10:00:482012-05-31 10:00:48Aus aktuellem Anlass: Der Wettbetrug – Prüfungsaufbau und Probleme
Dr. Christoph Werkmeister

Repetitorium: Der Computerbetrug (§ 263a StGB)

Für die ersten Semester, Schon gelesen?, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

„Der Computerbetrug (§ 263a StGB)“ von Dr. Erik Kraatz

befasst sich mit einem äußerst examensrelevanten Strafrechtstatbestand, der unbedingt auch im Detail beherrscht werden sollte.
Den Beitrag findet ihr hier.

12.02.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-12 10:42:292012-02-12 10:42:29Repetitorium: Der Computerbetrug (§ 263a StGB)
Nicolas Hohn-Hein

BGH: Betrug mittels Gewinnspiel im Internet – „Hausverlosung“

Strafrecht, Strafrecht BT

In einer aktuellen Entscheidung des BGH (1 StR 529/10 – Beschluss vom 15.03.2011) geht es um die Frage, ob sich jemand wegen Betrugs gemäß § 263 Abs.1 StGB strafbar macht, wenn er die Verlosung eines Hauses im Internet veranstaltet, obwohl die erforderliche Erlaubnis der zuständigen Behörde fehlt.
Sachverhalt
T ist Eigentümer eines Hauses. Im Oktober 2008 veranstaltet er im Internet ein „Gewinnspiel“, bei dem die Teilnehmer zunächst ein Quiz absolvieren müssen, bevor sie an der Verlosung des Hauses des T teilnehmen können. Die zuständige Glücksspielbehörde teilt dem T daraufhin mit, dass die Verlosung unter § 3 GlüStV falle und daher erlaubnispflichtig sei.
T will das Gewinnspiel dennoch weiterhin durchführen. Hierfür sollen die Teilnahmebedingungen so abgewandelt werden, dass die Erlaubnispflicht entfällt. Eine anwaltliche Beratung ergibt, dass dies grundsätzlich möglich und „vertretbar, die Rechtslage jedoch „unklar“ sei. T solle sich jedenfalls mit den Behörden abstimmen, um ein rechtswidriges Verhalten zu vermeiden. In der Folge weist die Behörde den T mehrfach darauf hin, dass eine Erlaubnispflicht fortbestehe. Einem Antrag des T auf Bestätigung der Erlaubnisfreiheit wird nicht entsprochen.
Gleichwohl und in Kenntnis dieser Umstände nimmt T den Spielbetrieb auf. Auf seiner Internetseite und auch in den Teilnahmebedingungen wird wiederholt darauf hingewiesen, dass die Verlosung „auf jeden Fall zulässig“ sei und „den gesetzlichen Bestimmungen“ entspreche. Die Anmeldung erfolgt vollautomatisiert durch ein Computerprogramm. In der Folgezeit nehmen 18.294 Personen an der Verlosung teil. Insgesamt erhält T 404.833 Euro an Teilnahmegebühren. Der höchste überwiesene Einzelbetrag liegt bei 190 Euro. Einige Teilnehmer überweisen bis zu 874 Euro in mehreren Zahlungen, um ihre Gewinnchancen zu steigern. T verbraucht das Geld, lediglich ca. 4000 Euro werden insgesamt später an die Teilnehmer zurückgezahlt.
Die Glücksspielbehörde erlässt einen Bescheid, in dem auf die Rechtswidrigkeit der Verlosung nach § 4 Abs.4 GlüStV hingewiesen und die Untersagung des Spielbetriebs angedroht wird. T beendet daraufhin die Verlosung. Strafbarkeit von T? § 287 StGB ist nicht zu prüfen.
Objektiver Tatbestand von § 263 Abs.1 StGB erfüllt
Der BGH erkennt, dass T durch sein Handeln einen Irrtum bei den Teilnehmern des „Gewinnspiels“ hervorgerufen hat. Durch das Vorspiegeln, die Verlosung sei zulässig, wurden die Teilnehmer dazu veranlasst, einen zur Teilnahme einen bestimmten Geldbetrag zu überweisen. Dem stand aber kein vermögenswertes Äquivalent gegenüber, das zu einer Kompensation der Vermögenseinbuße geführt hätte.

Durch die wahrheitswidrigen Ausführungen auf seiner Internetseite rief der Angeklagte bei den Spielteilnehmern die Fehlvorstellung hervor, dass er die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit des von ihm angebotenen Gewinnspiels abschließend geklärt habe und dass seinem Vorhaben von Seiten der zuständigen Behörden keine rechtlichen Bedenken entgegenstünden. Eine solche Klärung der Rechtslage war vor Aufnahme des Spielbetriebes aber gerade nicht erfolgt. Aufgrund des vorangegangenen Schriftverkehrs mit den Behörden, die den Angeklagten mehrfach auf ihre rechtlichen Zweifel an der Zulässigkeit des Gewinnspiels hingewiesen hatten, und der von ihm eingeholten Auskünfte von Rechtsanwälten, die die Rechtslage ebenfalls als „unklar“ bezeichnet und ein weiteres Vorgehen nur im Einvernehmen mit den Behörden angemahnt hatten, musste er vielmehr damit rechnen, dass ihm die weitere Durchführung seines Vorhabens einschließlich der Verlosung der von ihm als Hauptgewinn ausgelobten Immobilie umgehend untersagt werden wird, wie dies dann auch tatsächlich geschehen ist.
Im Vertrauen auf die Zusicherung des Angeklagten erbrachten die Teilnehmer ihre Spieleinsätze und erlitten insoweit auch einen Vermögensschaden. Die Gegenleistung des Angeklagten blieb infolge der drohenden Untersagung des Gewinnspiels hinter der vertraglich geschuldeten Leistung zurück, denn der Angeklagte war grundsätzlich weder willens noch in der Lage, den überwiegenden Teil der vereinnahmten Gelder, den er schon für eigene Zwecke verbraucht hatte, im Fall einer vorzeitigen zwangsweisen Einstellung des Spielbetriebes durch die Behörden an die Spielteilnehmer zurückzuzahlen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1983 – 3 StR 300/83; BGH, Urteil vom 3. November 1955 – 3 StR 172/55, BGHSt 8, 289, 291). Dass er einen geringen Teil der Einsätze an einige der Spielteilnehmer – die ihm zum Teil mit einer Strafanzeige gedroht hatten – zurück erstattet hat, steht dabei der Annahme eines Betrugsschadens nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009- 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 204). Das Landgericht hat die Teilrückzahlung zu Recht als bloße Schadenswiedergutmachung gewertet und bei der Strafzumessung berücksichtigt.

T handelt bedingt vorsätzlich
T hat es nach Ansicht des Gerichts billigend in Kauf genommen, dass es zum Eintritt des Vermögensschaden bei den Betroffenen kommen würde. T konnte im konkreten Fall nicht ernsthaft darauf vertrauen, dass die Glücksspielbehörde die Verlosung noch genehmigen bzw. deren Erlaubnisfreiheit bestätigen würde.

Der Angeklagte, der dies alles erkannt und gewollt hat, handelte vorsätzlich. Da es ihm zudem darauf ankam, seinen eigenen Gewinn durch die Einsätze der getäuschten Spielteilnehmer zu steigern, ist bei ihm auch die Absicht gegeben, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Der Umstand, dass er bei der Tatbegehung möglicherweise darauf hoffte, dass die zuständigen Behörden letztlich keine Einwände erheben und ihm die Durchführung des Gewinnspiels einschließlich der Verlosung gestatten würden, lässt die Annahme eines (bedingten) Betrugsvorsatzes nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2002 – 2 StR 332/02, NStZ 2003, 264 mwN).

Keine Herbeiführung eines „Vermögensverlusts großen Ausmaßes“, § 263 Abs.3 Nr.2 1.Alt StGB
Der BGH bezieht Stellung dazu, ob ein Regelbeispiel gemäß § 263 Abs.3 Nr.2 1.Alt StGB erfüllt ist, da T über 400.000 Euro eingenommen und eine Vielzahl von Personen geschädigt hat.

Allerdings ist die Annahme des Landgerichts rechtsfehlerhaft, der Angeklagte habe im Hinblick auf den von ihm verursachten Gesamtschaden das Regelbeispiel der Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) verwirklicht. Das Landgericht verkennt hierbei, dass sich das Regelbeispiel nicht auf den erlangten Vorteil des Täters, sondern allein auf die Vermögenseinbuße beim Opfer bezieht (NK-Kindhäuser, StGB, 3. Aufl., § 263 Rn. 394). Das Ausmaß der Vermögenseinbuße ist daher auch bei Betrugsserien, die nach den Kriterien der rechtlichen oder natürlichen Handlungseinheit eine Tat bilden, opferbezogen zu bestimmen. Eine Addition der Einzelschäden kommt insoweit nur in Betracht, wenn die tateinheitlich zusammentreffenden Betrugstaten dasselbe Opfer betreffen (vgl. hierzu LK-Tiedemann, StGB, 11. Aufl., § 263 Rn. 298; MüKo-Hefendehl, StGB, § 263 Rn. 777; NK-Kindhäuser aaO). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Auch die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB liegen hier nicht vor, da sich die Vorstellung des Täters auf die fortgesetzte Begehung mehrerer rechtlich selbständiger Betrugstaten richten muss (MüKo-Hefendehl aaO Rn. 779; NK-Kindhäuser aaO Rn. 395).

Dies ändert vorliegend jedoch nichts am verhängten Strafrahmen durch die Vorinstanz, da T jedenfalls „gewerbsmäßig“ im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB gehandelt hat.
Nur „eine Tat“ in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fälle

Nicht zu beanstanden ist weiterhin die vom Landgericht vorgenommene konkurrenzrechtliche Bewertung, wonach sich der Angeklagte nur wegen einer Tat des Betruges in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen strafbar gemacht hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren wesentliche Teile der Tatausführung „vollautomatisiert“, d.h. die Anmeldung der Spielteilnehmer, die Aufforderung zur Zahlung nach der Anmeldung, die Überwachung des Zahlungseingangs und die Übermittlung der Quizfragen erfolgten automatisch über das Internet durch den Einsatz eines Computerprogramms, ohne dass es eines weiteren Zutuns des Angeklagten bedurfte. Da seine Tathandlung im Wesentlichen in der Einrichtung und Überwachung der Internetseite bestand, über die das Gewinnspiel abgewickelt wurde, ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die an sich selbständigen zahlreichen Abschlüsse der Spielverträge mit den Teilnehmern hier als Tateinheit verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2003 – 2 StR 74/03 mwN).

Fazit
T hat sich nach § 263 Abs.1 StGB strafbar gemacht. Zu denken wäre ferner an eine Strafbarkeit nach § 287 StGB („Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder einer Ausspielung“), welches aber im vorliegenden Fall mangels entsprechender Feststellungen nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden war (vgl. 1 StR 529/10 Rz.6).
Der Fall lässt sich auch ohne genaue Kenntnis der zugrunde liegenden Entscheidung gut lösen. Die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen von § 263 Abs.1 StGB sollten bekannt sein. Wichtig ist zu erkennen, dass der Vermögensschaden darin liegt, dass trotz der unmittelbar drohenden behördlichen Untersagung eine Rückzahlung durch T nicht möglich und auch nicht beabsichtigt gewesen war, da T das Geld schon frühzeitig verbraucht hatte. Weiterhin ist das Merkmal der „Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes“ zu diskutieren und nach den oben genannten Kriterien abzulehnen, wobei auf das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit zur Bejahung eines besonders schweren Falls des Betrugs in der Prüfung zurückgegriffen werden kann.

27.04.2011/2 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-04-27 15:35:342011-04-27 15:35:34BGH: Betrug mittels Gewinnspiel im Internet – „Hausverlosung“

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