Wir freuen uns ganz besonders, einen Gastbeitrag von Matthias Denzer veröffentlichen zu können. Matthias Denzer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Thüsing an der Universität Bonn.
Raub und räuberische Erpressung sind absolute Examensklassiker und als solche regelmäßig Gegenstand von Examensklausuren. Relevant ist insoweit stets die Abgrenzung dieser beiden Delikte voneinander. Umso verwunderlicher erscheint es, dass diese bis zur Examensvorbereitung oftmals nur stiefmütterlich behandelt wird. Doch hier auf Lücke zu setzen ist mehr als fahrlässig. Dieser Beitrag soll daher einen umfassenden Überblick über den Streitstand zur Abgrenzung Raub – räuberische Erpressung bieten.
I. Was ist überhaupt umstritten?
Inhalts des Streits ist das Verhältnis von § 249 StGB (Raub) zu §§ 253, 255 StGB (räuberische Erpressung). Während der BGH (BGH, Urteil v. 05.03.2003 – 2 StR 494/02, NStZ 2003, 604; BGH, Urteil v. 19.09.2001 – 2 StR 240/01, NStZ 2002, 31; BGH, Beschluß v. 12.01.1999 – 4 StR 685–98, NStZ-RR 1999, 103, jeweils m.w.N.) § 249 StGB als lex spezialis zu §§ 253, 255 StGB ansieht, besteht nach der herrschenden Ansicht in der Literatur (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 249 Rn. 2 m.w.N. sowie § 253 Rn. 10 m.w.N.) zwischen dem Tatbestand des Raubes und dem Tatbestand der räuberischen Erpressung ein strenges Alternativverhältnis.
Das heißt: Nach Ansicht des BGH ist jeder Raub auch stets eine räuberische Erpressung; nach der Ansicht in der Literatur schließen sich Raub und räuberische Erpressung gegenseitig aus.
Die Literatur argumentiert folgendermaßen: Die Erpressung sei ebenso wie der Betrug ein Selbstschädigungsdelikt. Im Unterschied zum Betrug gelange der Täter jedoch nicht durch Täuschung, sondern durch Drohung zu seinem Ziel. Dementsprechend setze § 253 StGB – ebenso wie § 263 StGB – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung voraus.
Daraus folgt, dass die Anwendung von vis absoluta (d.h. unmittelbarem körperlichen/physischen Zwang) nicht tatbestandsmäßig ist, da sie einer Vermögensverfügung entgegensteht. Im Rahmen von § 253 StGB ist somit lediglich die Anwendung von vis compulsiva (d.h. psychischem Zwang) erfasst. Dies unterscheide die räuberische Erpressung vom Raub, der als Fremdschädigungsdelikt eine Wegnahme und damit gerade vis absoluta voraussetze.
Die Abgrenzung zwischen Wegnahme (§ 249 StGB) und einer Weggabe iS. einer Vermögensverfügung (§§ 253, 255 StGB) nimmt die Literatur anhand der inneren Willensrichtung des Opfers vor: Verfügt das Opfer bewusst über das Vermögen, liegt demnach eine Weggabe und dementsprechend eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) vor. Das heißt: Eine Vermögensverfügung ist immer dann gegeben, wenn das Opfer aus seiner Sicht eine Wahl hat – selbst dann, wenn diese darin besteht zwischen der Weggabe und dem eigenen Tod zu entscheiden. Es kommt somit darauf an, ob aus Sicht des Opfers eine eigene Mitwirkungshandlung zur Zielerreichung des Täters erforderlich ist.
Achtung: Im Rahmen der Versuchsprüfung ist erforderlich, dass der Täter mit Tatentschluss handelt. Dabei maßgebend ist die Sicht des Täters. Zur Abgrenzung von Wegnahme – Weggabe ist daher nach Ansicht der Literatur zu fragen, was der Täter über die Vorstellung des Opfers dachte (doppelt subjektive Prüfung). Insoweit kommt es auf die Vorstellung des Täters über die Vorstellung des Opfers an.
Die Rechtsprechung zieht eine Parallele zu § 240 StGB. Im Hinblick auf den Nötigungserfolg „Handlung, Duldung, oder Unterlassen“ sind § 240 StGB und § 253 StGB im Wortlaut identisch. Im Rahmen von § 240 StGB ist jedoch unstreitig, dass auch vis absoluta als Nötigungshandlung erfasst ist. Dies müsse ebenso im Rahmen von § 253 StGB gelten. Eine Vermögensverfügung könne daher schon gar nicht erforderlich sein, da insoweit im Rahmen von § 253 StGB auch die Duldung der Wegnahme genüge. Die räuberische Erpressung erfasst damit auch jeden tatbestandlichen Raub. § 249 StGB (Raub) sei daher lex specialis zu §§ 253, 255 StGB (räuberische Erpressung).
Abgrenzungskriterium ist nach der Ansicht der Rechtsprechung das äußere Erscheinungsbild: Maßgeblich ist, ob danach eine Wegnahme (dann Raub) oder eine Weggabe durch das Opfer (dann räuberische Erpressung) vorliegt.
II. Welche Argumente werden vorgebracht?
Argumente, die für die Rechtsprechung sprechen, liegen auf der Hand: Aufgrund des gleichen Wortlauts in § 240 StGB und § 253 StGB spricht viel dafür, den Begriff „Duldung“ identisch auszulegen und auch im Rahmen von § 253 StGB vis absoluta und somit auch die Duldung der Wegnahme zu erfassen. Zudem lässt sich auch in der Praxis durch das Abgrenzungskriterium des äußeren Erscheinungsbilds eine klare Abgrenzung treffen.
Das Erfordernis einer Vermögensverfügung im Rahmen von § 253 StGB entspricht auch nicht dessen Wortlaut: Eine Vermögensverfügung müsste als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 253 StGB hineingelesen werden. Doch auch in § 263 StGB (Betrug) spricht der Wortlaut nicht von einer „Vermögensverfügung“, dennoch gilt dies bei § 263 StGB unbestritten als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.
Als Argument für die Literaturansicht wird immer wieder vorgebracht, dass vom Gesetzgeber Fälle der privilegierten Gebrauchsanmaßung umgangen würden. Dazu ein kurzer Beispielsfall:
T wendet gegen O Gewalt an, um dem O sein Auto zu entwenden und damit eine Spritztour zu machen. Nach dem er eine Stunde mit dem Auto durch die Stadt gefahren ist, gibt er dem O das Auto zurück, so wie er von Anfang an beabsichtigt hatte.
Sowohl nach dem äußeren Erscheinungsbild (Rechtsprechung), als auch nach der inneren Willensrichtung des O (Literatur) liegt hier eine Wegnahme vor. Eine Strafbarkeit nach § 249 StGB würde jedoch scheitern, da der T keine Zueignungsabsicht hatte. Nach der Ansicht der Rechtsprechung käme darüber hinaus eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB in Betracht.
Nach der Literatur scheidet eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB aus: Da T mit vis absoluta handelte (Wegnahme) sei eine räuberische Erpressung nicht mehr tatbestandsmäßig (strenges Alternativverhältnis). In Betracht käme lediglich eine Strafbarkeit nach § 248 b StGB, sowie ggf. nach den §§ 223 ff., 240 StGB, aufgrund der Gewaltanwendung des T gegen O.
Damit wird deutlich: Die Ansicht der Rechtsprechung führt dazu, dass die privilegierte Gebrauchsanmaßung des § 248 b StGB umgangen würde. Dem ließe sich jedoch entgegenhalten, dass es widersinnig erscheint, den mit vis absoluta und damit besonders rücksichtslos vorgehenden Täter zu privilegieren.
Ein starkes Argument für die Literaturansicht ist hingegen, dass § 249 StGB schlicht überflüssig wäre, wenn man der Ansicht der Rechtsprechung folge: Da der Raub sowie die räuberische Erpressung den identischen Strafrahmen haben und jeder Raub auch eine räuberische Erpressung darstellen würde, bräuchte es den Tatbestand des Raubes (§ 249 StGB) gar nicht.
Zudem findet sich nirgendwo sonst im StGB eine Verweisung des Strafrahmens vom allgemeinen zum spezielleren Delikt (vgl. § 255 StGB: „ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen“).
Als weiteres Argument gegen die Ansicht der Literatur ließe sich vorbringen, dass die doppelt subjektive Prüfung im Rahmen der Versuchsprüfung zu Rechtsunsicherheit beiträgt.
Welcher Ansicht man sich in der Klausur anzuschließen vermag, ist letztlich Geschmackssache. Beide Ansichten sind mit den richtigen Argumenten jedenfalls gut vertretbar. Es empfiehlt sich jedoch, in der Prüfungssituation auch klausurtaktische Erwägungen in die Überlegung einzustellen
III. Relevanz in der Klausur – Aufbau und Verortung der Abgrenzung
In der Klausur sollte in der Regel mit der Prüfung des Raubes begonnen werden. Im Rahmen der Frage nach der Wegnahme ist eine Abgrenzung zur Weggabe (und damit zur räuberischen Erpressung) vorzunehmen. Hier sind beide Auffassungen darzustellen und anschließend sauber unter diese zu subsumieren. Entscheidende Frage ist dabei: Nach welchem Kriterium grenzt man eine Wegnahme von einer Weggabe ab? Äußeres Erscheinungsbild oder innere Willensrichtung des Opfers?
Kommen beide Ansichten zu dem Ergebnis, dass eine Weggabe vorliegt, erübrigt sich der Streit ohnehin. Die Raubprüfung ist dann zu beenden und es muss mit der Prüfung der räuberischen Erpressung fortgefahren werden. Kurz angesprochen werden sollte die Abgrenzung bei der Frage, ob die räuberische Erpressung eine Vermögensverfügung voraussetzt. Hier ist jedoch keine längere Auseinandersetzung erforderlich, da eine Vermögensverfügung jedenfalls gegeben sein wird.
Kommen beide Ansichten zu dem Ergebnis, dass ein Raub vorliegt, erübrigt sich der Streit vorerst. Er kann später relevant werden. Die Raubprüfung ist sodann fortzufahren. Die nächste Weichenstellung erfolgt am Tatbestandsmerkmal der Zueignungsabsicht. Handelt der Täter ohne Zueignungsabsicht, sind anschließend die §§ 253, 255 StGB zu prüfen. Relevant wird der Streitstand dann bei der Frage, ob §§ 253, 255 StGB als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung voraussetzen. Hier sind die Argumente vorzubringen und ein Streitentscheid durchzuführen.
Hat sich der Täter nach § 249 StGB strafbar gemacht, scheidet nach Ansicht der Literatur eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB tatbestandlich bereits aus. Die Rechtsprechung würde tatbestandlich zwar eine Strafbarkeit auch wegen räuberischer Erpressung bejahen, jedoch tritt diese in den Konkurrenzen hinter § 249 StGB (lex spezialis) zurück.
Kommen beide Ansichten im Rahmen der Raubprüfung zu unterschiedlichen Ergebnissen, ist der Streit bereits an dieser Stelle zu entscheiden. Im Anschluss ist mit der Prüfung fortzufahren, wobei darauf zu achten ist, dieser Auffassung konsequent zu folgen. Widersprüche gilt es unbedingt zu vermeiden!
IV. Zusammenfassung
Visuell lässt sich die Abgrenzung Raub – räuberische Erpressung durch folgende Darstellung zusammenfassen:
V. Ausblick: § 239a StGB
Relevanz kann die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung nicht nur in der oben dargestellten klassischen Fallkonstellation haben: Der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs nach § 239 a StGB setzt voraus, dass der Täter „die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) ausnutzt“.
In diesem Fall ist im Rahmen des subjektiven Tatbestands zu fragen, ob die Tat auf eine Erpressung gerichtet ist. Auch insoweit kann die Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung relevant sein (siehe BGH, Urteil v. 05.03.2003 – 2 StR 494/02, NStZ 2003, 604). Dabei sind die Abgrenzungskriterien äußeres Erscheinungsbild und innere Willensrichtung des Opfers aus Sicht des Täters zu beurteilen. Bei der Prüfung der Literaturansicht wird dabei erneut eine doppelt subjektive Betrachtung (s.o.) erforderlich.
§ 239 a StGB gibt dem Klausurersteller die Möglichkeit, die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung in einem für die meisten Prüflinge ungewohnten Gewand abzuprüfen. Dennoch sollte man sich nicht einschüchtern lassen: Wer hier Problembewusstsein beweist und dem Korrektor eine saubere Prüfung präsentiert, kann sich von der breiten Masse abheben.
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