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Schlagwortarchiv für: § 216 StGB

Dr. Melanie Jänsch

BGH: Grundsatzurteile zur Sterbehilfe

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Mit Urteilen vom 3.7.2019 (Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18) hat der BGH in zwei Sterbehilfe-Fällen Freisprüche der Vorinstanzen (LG Hamburg und LG Berlin) bestätigt. Konkret ging es um die Strafbarkeit zweier Ärzte, die ihren Patienten bei den Suiziden assistiert hatten. Einer Strafbarkeit der Ärzte stehe nach Ansicht des BGH sowohl in Bezug auf im Vorfeld geleistete Unterstützungsmaßnahmen als auch hinsichtlich des Unterlassens von Rettungsmaßnahmen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit die Eigenverantwortlichkeit der Suizidwilligen entgegen. Dies ist eine eindeutige Abkehr von älterer Rechtsprechung des BGH, nach der ein Garant auch gegenüber einem freiverantwortlich handelnden Suizidenten jedenfalls zur Einleitung von Rettungsmaßnahmen verpflichtet ist, sobald der Garant nach Eintritt der Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft über das Geschehen erlangt (BGH, Urt. v. 4.7.1984 – 3 StR 96/84, NJW 1984, 2639). Die extrem hohe Klausur- und Examensrelevanz der Entscheidungen liegt damit auf der Hand – die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechungsänderung ist für jeden Examenskandidaten ein Muss. Im Rahmen dieses Beitrags sollen daher die Grundzüge der Entscheidungen dargestellt und erläutert werden.
 
A) Sachverhalte (vereinfacht)
Die den Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte ähneln sich insoweit, als in beiden Fällen von einem freiverantwortlichen Suizid auszugehen war, der von Ärzten begleitet wurde. Im Hamburger Verfahren ging es um zwei befreundete ältere Frauen, die an mehreren nicht lebensbedrohlichen, jedoch ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten litten. Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses erstellte ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche keine Zweifel hatte und auf Verlangen der beiden Frauen auch der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente beiwohnte sowie Rettungsmaßnahmen unterließ. Im Berliner Verfahren verschaffte der Hausarzt der Suizidwilligen, die an einer nicht lebensbedrohlichen, aber stark krampfartige Schmerzen verursachenden Krankheit litt und bereits mehrere Suizidversuche unternommen hatte, dieser ein tödlich wirkendes Medikament. Er betreute die nach der Einnahme des Medikaments Bewusstlose und ergriff ebenfalls keine Rettungsmaßnahmen.

B) Rechtsausführungen

Sowohl das LG Hamburg als auch das LG Berlin verneinten die Strafbarkeit der beiden Ärzte nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB und § 323c StGB. Im ersten Fall hätten die beiden Frauen die Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt und im zweiten Fall sei die Beschaffung des Medikaments als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung zu qualifizieren. Zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit seien die Ärzte aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der Sterbewilligen in beiden Fällen nicht verpflichtet gewesen. Der BGH hat die Urteile bestätigt.
 
I. Beihilfe zur Selbsttötung
Eine Strafbarkeit anknüpfend an die Beschaffung des tödlich wirkenden Medikaments kam schon nicht in Betracht, da es an der für eine Beihilfe zwingend erforderlichen Haupttat fehlte – ein Suizid ist nicht strafbar. Auch weitere Vorfeldmaßnahmen stellten kein strafrechtlich relevantes Verhalten dar, wie der BGH ausdrücklich feststellte:

„Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen haben die Landgerichte rechtsfehlerfrei keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ und waren nicht Ergebnis psychischer Störungen.“ (Pressemitteilung Nr. 90/2019)

 
II. Tötung auf Verlangen durch Unterlassen, §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB
Zu prüfen war daher zunächst eine Strafbarkeit der Ärzte wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen, §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB, indem nach Eintritt der Bewusstlosigkeit keine Rettungsmaßnahmen ergriffen wurden.
 
Anmerkung: Im Berliner Verfahren kam nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen in Betracht, da nicht sicher festgestellt werden konnte, ob der Eintritt des Todeserfolgs durch zeitnah eingeleitete Rettungsmaßnahmen überhaupt noch hätte verhindert werden können. In einer Klausur würde dies einen erhöhten Schwierigkeitsgrad bedeuten, da auf diese Weise auch noch klassische Probleme des Versuchs – etwa der Versuchsbeginn bei Unterlassen – abgeprüft werden können.
 
1. Objektiver Tatbestand
a) Ausdrückliches und ernstliches Verlangen
Die Verstorbenen müssten die Ärzte durch ausdrückliches und ernstliches Verlangen zu ihrer Tötung bestimmt haben. Der Begriff des „Verlangens“ beschreibt den Todeswunsch des Tatopfers, wobei er seinem Wortsinn nach mehr als ein einverständliches Hinnehmen oder Geschehenlassen einer Fremdtötung voraussetzt. Erforderlich ist, dass eine auf das Vorstellungsbild des Erklärungsadressaten abzielende Einwirkung in Form einer Willensäußerung vorliegt (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 216 Rn. 13). Vorliegend bestand hinsichtlich des Todeswunsches der Suizidenten kein Zweifel; dass keine Rettungsmaßnahmen ergriffen werden sollten, wurde auch ausdrücklich gegenüber den Ärzten geäußert. Ebenso stellt sich das Verlangen auch als ernstlich dar. Dies ist der Fall, wenn ein subjektiv frei verantwortlicher Willensentschluss gegeben ist. Hierzu genügen beiläufig oder leichthin artikulierte Tötungsverlangen, die einer depressiven Augenblicksstimmung entspringen, nicht. Vielmehr ist eine durch Willensfestigkeit gekennzeichnete innere Haltung des Lebensmüden erforderlich (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 216 Rn. 19; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 216 Rn. 9). Eine solche war hier, wie bereits angesprochen, in beiden Fällen anzunehmen: Bei den beiden älteren Frauen erstellte ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ein Gutachten, das die Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche attestierte. Aber auch die Verstorbene im Berliner Verfahren hatte sich viele Jahre mit der Thematik des Suizids auseinandergesetzt und war sich der Tragweite ihres Tuns bewusst. Mithin bestand ein ausdrückliches und ernstliches Verhalten, durch das die Ärzte auch bestimmt wurden.
 
b) Abgrenzung Tun / Unterlassen
Ein tatbestandliches aktives Tun ist den Ärzten evident nicht anzulasten. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt hierbei im Unterlassen der Rettungsmaßnahmen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit.
 
Zur Erinnerung: Ob eine Strafbarkeit wegen aktiven Tuns oder Unterlassens in Betracht kommt, ist auf den ersten Blick nicht immer eindeutig. Wie eine Abgrenzung vorzunehmen ist, ist umstritten. Die herrschende Meinung stellt auf normative Kriterien ab, konkret: ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit bei einem aktiven Tun oder Unterlassen liegt. Eine andere Ansicht – die Lehre vom Energieeinsatz – stellt die Frage, ob der Täter den Erfolg durch positiven Energieeinsatz verursacht hat oder ob er seine Energie gegenüber einem anderweitig in Gang gesetzten Kausalverlauf nicht eingesetzt hat (Zum Ganzen Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, Vorb. § 13 Rn. 158 ff.)
 
c) Garantenstellung
Weiterhin müssten die Ärzte eine Garantenstellung aufweisen, d.h. eine Summe von Voraussetzungen erfüllen, aus denen die rechtliche Pflicht resultiert, gegen Rechtsgutsgefährdungen einzuschreiten (Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 13 Rn. 7). Für den Hausarzt kommt eine Beschützergarantenstellung aufgrund des zwischen ihm und der Verstorbenen bestehenden Arzt-Patienten-Verhältnisses in Betracht. Zwar kann nicht der bloße Umstand, dass ein Arzt einem Suizid beiwohnt, eine Garantenstellung begründen (hierzu BGH, Urt. v. 26.10.1982 – 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351). Hier hat der Arzt aber die Betreuung der Patientin übernommen, sodass insofern eine Garantenstellung anzunehmen ist. Diese Überlegungen können für den Gutachter, der auch als solcher auftrat, jedoch nicht übertragen werden. Diesbezüglich könnte allenfalls eine Garantenstellung aus Ingerenz, also pflichtwidrigem Vorverhalten, erwogen werden. Ein pflichtwidriges Vorverhalten begründet eine Garantenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkret untersuchten tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht (BGH, Urt. v. 19.4.2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2756).
 
d) Verpflichtung zur Vornahme von Rettungsmaßnahmen
Ob eine Garantenstellung angesichts dessen vorliegt, kann jedoch dahinstehen, wenn die Ärzte, selbst wenn sie grundsätzlich Garanten sind, nicht zur Abwendung des Todeserfolgs verpflichtet waren. Dies haben das LG Hamburg, das LG Berlin und nun auch der BGH aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Suizidentinnen angenommen:

„Beide Angeklagte waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.“ (Pressemitteilung Nr. 90/2019)

Mit anderen Worten: Selbst, wenn man im vorliegenden Fall eine Garantenstellung des Arztes bejaht, traf ihn aufgrund der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen nicht die Pflicht, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Maßnahmen zu ergreifen, um den Todeserfolg abzuwenden. Dies stellt eine Abkehr von einem älteren Urteil des BGH dar, in denen eine Pflicht des Garanten zur Einleitung lebensrettender Maßnahmen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit selbst dann angenommen wurde, wenn es sich um einen freiverantwortlichen Suizid handelte (BGH, Urt. v. 4.7.1984 – 3 StR 96/84, NJW 1984, 2639). Bereits in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1952 führte der BGH aus: „Beihilfe zur Selbsttötung ist nicht strafbar. Wer aber eine Rechtspflicht hat, Lebensgefahr von einem anderen nach Kräften abzuwenden, und diese Pflicht kennt, die Selbsttötung aber trotzdem nicht hindert, obwohl er es könnte, ist – je nach seinem Willen und seiner Haltung zur Todesfolge – in der Regel der vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung schuldig. Die Rechtspflicht kann auf Gesetz, Gewohnheitsrecht oder Vertrag beruhen, sie besteht für Ehegatten, die in ehelicher Gemeinschaft leben“ (BGH, Urt. v. 12.2.1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150 Ls. 1). In Fortführung stellte der BGH in einem folgenden Urteil darauf ab, dass es im Zeitpunkt des Eintritts der Bewusstlosigkeit zu einem Tatherrschaftswechsel komme, aufgrund dessen der Garant zur Abwendung des Todeserfolgs verpflichtet sei:

„Wenn nämlich der Suizident die tatsächliche Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehens („Tatherrschaft”) endgültig verloren hat, weil er infolge Bewußtlosigkeit nicht mehr von seinem Entschluß zurücktreten kann, hängt der Eintritt des Todes jetzt allein vom Verhalten des Garanten ab. […] In diesem Stadium des […] Sterbens hat dann nicht mehr der Selbstmörder, sondern nur noch der Garant die Tatherrschaft und, wenn er die Abhängigkeit des weiteren Verlaufs ausschließlich von seiner Entscheidung in seine Vorstellung aufgenommen hat, auch den Täterwillen. Daß der Garant durch sein Verhalten den früher geäußerten Wunsch des Sterbenden erfüllen will, ändert daran nichts.“ (BGH, Urt. v. 4.7.1984 – 3 StR 96/84, NJW 1984, 2639, 2640 f.)

Die Rechtsprechung ist in der Literatur vielfach unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht freiverantwortlich handelnder Suizidenten kritisiert worden. So sei es wertungswidersprüchlich, die Beihilfe zur Selbsttötung als straffrei einzuordnen, bei Nichthandeln nach Eintritt der Bewusstlosigkeit dann aber eine Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB anzunehmen (zum Ganzen etwa MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, Vor § 211 Rn. 67 ff.; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, Vor §§ 211-217, Rn. 24 m.w.N.). Zudem – und hierauf stützen sich auch die Vorinstanzen – bestehe einer veränderte gesellschaftliche Vorstellung über die Reichweite und Konsequenzen des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen, die sich auch in der Einführung der §§ 1901a ff. BGB zur Patientenverfügung ausdrücke. Zwar hat der BGH in jüngeren Urteilen dem Selbstbestimmungsrecht erhöhte Bedeutung beigemessen (s. etwa BGH, Urt. v. 21.12.2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319; Urt. v. 5.8.2015 – 1 StR 328/15, NJW 2016, 176), eine ausdrückliche Aufgabe erfolgte indes erst mit dem Urteil vom 3.7.2019.  
 
2. Zwischenergebnis
Da die Ärzte aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Sterbewilligen keine Pflicht traf, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen zur Abwendung des Todeserfolgs zu ergreifen, handelten sie nicht tatbestandsmäßig. Eine Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB scheidet aus.
 
III. Unterlassene Hilfeleistung, § 323c StGB
Subsidiär war eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB zu prüfen. Auch dies verneinte der BGH konsequent:

„Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB wurde nicht in strafbarer Weise verletzt. Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, waren Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten.“

 
Anmerkung: Vertretbare erschiene es auch, bereits das Vorliegen eines Unglücksfalls abzulehnen. Hierzu tendiert auch das LG Hamburg, das in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Adressat des § 323c StGB über die Selbsttötungsabsicht in Kenntnis gesetzt wurde und auch keine Willensänderungen ersichtlich sind, bereits das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals Unglücksfall anzweifelt.
 
IV. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 StGB
Seit der Einführung der Norm im Jahre 2015 kam bei Unterstützungshandlungen betreffend Selbsttötungen auch eine Strafbarkeit nach § 217 StGB in Betracht, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte. Dieser war jedoch zur Zeit der hier gegenständlichen Suizide noch nicht in Kraft, sodass das Verhalten der Ärzte wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht hieran zu messen war.
Anmerkung: Die Einführung des § 217 StGB war in der überwiegenden Literatur auf Kritik gestoßen, da für eine geschäftsmäßige Förderung bereits das wiederholte Unterstützen genügte. Mit Urteil vom 26.02.2020 hat das BVerfG nun entschieden, dass § 217 StGB verfassungswidrig ist (Az.: 2 BvR 2347/15 u.a.; s. hierzu unseren Beitrag). Damit kommt eine Strafbarkeit nach § 217 StGB künftig auch nicht mehr in Betracht.
 
C) Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der BGH unter besonderer Würdigung des Selbstbestimmungsrechts eines freiverantwortlich handelnden Suizidenten nunmehr die Strafbarkeit eines Garantens wegen Untätigbleibens nach Eintritt der Bewusstlosigkeit ablehnt, was eine Abkehr von früherer Rechtsprechung bedeutet. Die Entscheidung war überfällig: Wie das LG Berlin betont, erfordert der Wertewandel in der Gesellschaft, der sich insbesondere auch in der Einführung der §§ 1901a ff. BGB zur Patientenverfügung ausdrückt, dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen eine erhöhte Bedeutung beizumessen – dann ist es nur konsequent, das Untätigbleiben eines Garanten bei einem freiverantwortlichen Suizid nicht als strafrechtlich relevantes Unterlassen einzuordnen. Dies entspricht auch gänzlich dem Urteil des BVerfG vom 26.02.2020, in dem ein neues Grundrecht auf Sterbehilfe entwickelt wurde.
 
 

18.07.2019/3 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-07-18 09:00:122019-07-18 09:00:12BGH: Grundsatzurteile zur Sterbehilfe
Christian Muders

Die Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung in der Klausur

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Der nachfolgende Beitrag behandelt den Umgang mit dem Problem der sog. einverständlichen Fremdgefährdung, die häufiger in schriftlichen und mündlichen Prüfungen auftaucht und namentlich bei fahrlässig verwirklichten Delikten, insbesondere einer fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB, aber auch fahrlässigen Körperverletzungen nach § 229 StGB, eine Rolle spielen kann. Erstgenannte Norm liegt etwa dem vom BGH entschiedenen Fall eines tödlich ausgehenden Pkw-Rennens (Urteil v. 20.11.2008 – 4 StR 328/08 = BGHSt 53, 55 ff.) zugrunde: Zwei Autofahrer lieferten sich mit ihren getunten Wagen ein Beschleunigungsrennen, wobei beide je einen Beifahrer dabei hatten, welcher u.a. das Geschehen filmte. Während eines parallel vorgenommenen Überholvorgangs im Hinblick auf ein drittes Auto, welches in die gleiche Richtung auf der rechten Spur unterwegs war, geriet einer der getunten Pkw von der Fahrbahn, wobei sowohl Fahrer als auch Beifahrer herausgeschleudert wurden und der Beifahrer starb; dass dieser mit dem tödlichen Überholvorgang seines Partners einverstanden gewesen war, konnte jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Zu prüfen war jetzt die Strafbarkeit des Fahrers des verunfallten Pkw nach § 222 StGB im Hinblick auf den Tod seines Gefährten.
1. Erste Frage: Liegt überhaupt eine Fremdgefährdung vor?
Zu klären ist zunächst auf Tatbestandsebene, ob der Tod des Beifahrers dem Fahrer überhaupt objektiv zurechenbar ist. Dies scheidet dann aus, wenn das spätere Opfer maßgeblich selbst für das Risiko, welches zur Einbuße der eigenen Güter geführt hat, verantwortlich zeichnet, also nicht der Fall einer Fremd- sondern einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung vorliegt. Dies ist dann zu bejahen, wenn das Opfer die Gefährdung im Wesentlichen selbst herbeigeführt hat, so dass der zugehörige tatbestandsmäßige Erfolg nicht einem Dritten als zurechenbare Fremdverletzung angelastet werden kann. Die Rechtsprechung differenziert hierbei danach, ob das Opfer selbst oder aber ein Dritter die Tatherrschaft über dasjenige Geschehen trug, welches unmittelbar zum tatbestandlichen Erfolg geführt hat; eine Methode, die man bereits von der Abgrenzung von Suizid zur Fremdtötung her kennt, nur, dass im Unterschied hierzu, in der vorliegenden Konstellation keine vorsätzliche, sondern lediglich eine fahrlässige Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges in Rede steht. Das Tatherrschaftskriterium des BGH wird in der Lehre allerdings teilweise unter Hinweis darauf kritisiert, dass beim Fahrlässigkeitsdelikt nach h.M. ein extensiver Einheitstäterbegriff gilt, so dass auch Verhaltensweisen, die bei Vorsatztaten als bloße „Teilnahme“ zu werten wären, als täterschaftliche und damit tatbestandsmäßige Verursachung des Deliktserfolgs erfasst werden können – demgemäß käme dem Begriff der „Tatherrschaft“ bei Fahrlässigkeitsdelikten keine eigenständige Bedeutung zu. Allerdings ändert der Einheitstäterbegriff im Fahrlässigkeitsbereich nichts daran, dass auch hier die von einer eigenverantwortlich agierenden Person herbeigeführte Selbstverletzung strafrechtlich irrelevant ist, so dass es widersprüchlich erschiene, die hierauf bezogene Unterstützungshandlung Dritter plötzlich als relevante Fremdverletzung einzuordnen. Demgemäß kann beim Fahrlässigkeitsdelikt die Tatherrschaft zwar nicht als formelles Kriterium für den Ausschluss einer (mangels rechtswidriger Haupttat) nicht realisierbaren Teilnahme, wohl aber als Konkretisierung für ein autonomes, eigenverantwortliches Verhalten des schlussendlichen Opfers herangezogen werden, welches – ebenso wie beim Vorsatzdelikt – zu einem Ausschluss einer Verantwortung Dritter führen muss. Im Hinblick auf den Rennfahrer-Fall hat der BGH danach eine Fremd- und keine Selbstgefährdung angenommen, da derjenige, der den letztendlich todbringenden Überholvorgang gesteuert und initiiert hat, nicht der Beifahrer, sonder der den Pkw tatsächlich steuernde Fahrer gewesen ist – selbst wenn das spätere Opfer damit einverstanden oder den Überholvorgang vom Fahrer sogar gefordert hätte, läge allenfalls eine „Anstiftung“ oder „psychische Beihilfe“ zu dem pflichtwidrigen Fahrmanöver des Fahrers vor, was jedoch nicht dazu führen würde, dass dem schlussendlich getöteten Partner eine (mindestens gleichrangige) Herrschaft über das Geschehen zuerkannt werden könne.
2. Zweite Frage: Ist die Fremdgefährdung einverständlich erfolgt?
a) Hier ist zunächst der Prüfungsort für diese Fragestellung umstritten: Während Roxin die einverständliche Fremdgefährdung, ebenso wie die Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, dann als Frage der objektiven Zurechnung begreift, wenn diese „unter allen relevanten Aspekten“ einer Selbstgefährdung gleichstehe (AT I, § 11/123), verortet die h.M. selbige stets beim Prüfungspunkt der Rechtfertigung. Letzteres erscheint in der Tat vorzugswürdig: Denn wenn Eigen- und Fremdgefährdung nach dem Maß der Tatherrschaft des Opfers getrennt werden können, können beide gerade nicht als unter den „relevanten Aspekten“ gleich bewertet werden. Demgegenüber hatte die Vorinstanz im BGH-Fall allerdings argumentiert, dass die Beifahrer bei vorangegangenen Rennen auch selbst am Steuer saßen, so dass es mehr oder weniger vom Zufall abhängig war, wer während der konkreten Fahrt das Gefährt steuerte. Warum dies jedoch für die Frage der Verantwortung für ein konkretes Fehlverhalten relevant sein soll, erscheint nicht ersichtlich: So würde man schließlich auch bei einem Lkw-Fahrer, der aufgrund riskanten Fahrverhaltens einen Unfall mit tödlichem Ausgang verursacht, nicht zusätzlich seinen Kollegen mit dem Argument in Haftung nehmen, dass dieser die Strecke ebenfalls täglich in derselben pflichtwidrigen Weise befährt, so dass es bei ihm ebenso zu dem tödlichen Geschehen hätte kommen können. Für eine Prüfung der etwaigen Zustimmung in das pflichtwidrige Verhalten im Rahmen der Rechtswidrigkeit spricht zudem, dass die einverständliche Fremdgefährdung sehr dem Fall einer regulären Einwilligung ähnelt, die aber nach h.M. stets als Rechtfertigungsgrund fungiert: Wie diese bezieht sich die einverständliche Fremdgefährdung ebenso auf ein durch einen Dritten verwirklichtes Tun, nur dass sie nicht an den eingetretenen Erfolg in Gestalt der Tötung bzw. Verletzung anknüpft (den ja weder Täter noch Opfer herbeiführen wollten), sondern sich allein auf die diesen erst auslösende gefährdende Handlung bezieht.
b) Da sich die Einwilligung des späteren Opfers somit nicht – wie regulär – (auch) auf den eingetretenen Erfolg, sondern nur die Tathandlung, im BGH-Fall also den Überholvorgang des Fahrers bezieht, könnte allerdings fraglich sein, ob ihr überhaupt eine rechtfertigende Wirkung zukommen kann. Dies nimmt die wohl überwiegende Meinung indes grundsätzlich an: Denn auch wenn die Einwilligung den später eingetretenen Erfolg und damit das Erfolgsunrecht der Tat nicht erfasst, so wird durch diese doch zumindest die Tathandlung, welcher das Opfer gerade zugestimmt hat, und damit das Handlungsunrecht des Täters neutralisiert. Damit bleibt aber als unrechtsrelevanter Faktor nur das Erfolgsunrecht in Gestalt der Rechtsgutsbeeinträchtigung übrig, welches für sich betrachtet jedoch nicht in der Lage ist, den Tatbestand der fahrlässigen Tötung (bzw. Körperverletzung) allein zu konstituieren. Demgemäß führt die insofern anzunehmende „Teilrechtfertigung“ dazu, dass eine Strafbarkeit des Täters wegen vollendetem Fahrlässigkeitsdelikts insgesamt ausscheidet – ähnlich wie dies auch für den Fall anerkannt ist, bei dem der Täter im Hinblick auf einen Rechtfertigungsgrund unwissentlich handelt (Bsp.: Der Delinquent verkennt, dass sein Opfer ihn gerade angreifen wollte und er daher aus Notwehr gerechtfertigt gewesen wäre): Hier liegt gewissermaßen der umgekehrte Fall vor, dass nämlich das Erfolgsunrecht entfällt und nur das Handlungsunrecht verbleibt, was aber nach h.M. nicht zu einer Bestrafung wegen vollendeten Delikts, sondern (nur) wegen Versuchs führt – ein Weg, der für das Fahrlässigkeitsdelikt freilich von vornherein versperrt ist und im Hinblick auf das hier allein in Rede stehende Erfolgsunrecht auch nicht zielführend wäre.
3. Dritte Frage: Eingreifen der Einwilligungssperren nach §§ 216, 228 StGB?
Abschließend stellt sich noch die Frage, ob einer (Teil-)Einwilligung des Beifahrers in das tatbestandliche Handlungsunrecht nicht die Sperrwirkung der §§ 216, 228 StGB im Wege steht: Ersterer Tatbestand bezieht sich auf eine Strafbarkeit bei der Einwilligung in eine Fremdtötung, womit das Gesetz zum Ausdruck bringt, dass hier eine Rechtfertigung im Hinblick auf das „Ob“ der Strafe gerade nicht bestehen soll; letztere Regelung behandelt einen Ausschluss der Einwilligung in das Unrecht einer Körperverletzung, soweit die begangene Tat als sittenwidrig erscheint.
a) Fraglich ist dabei zunächst, ob eine oder beide Regelungen auf die Fahrlässigkeitsdelikte der §§ 222, 229 StGB überhaupt anwendbar sind. Dies scheint deswegen nicht von vornherein ausgemacht, da beide Vorschriften die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung beschränken, so dass bei ihnen – als strafbegründende Umstände – insbesondere die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG zu beachten ist.
aa) Eine Anwendbarkeit auf Fahrlässigkeitsdelikte erscheint dabei gerade im Hinblick auf § 216 StGB, der Tötung auf Verlangen, fragwürdig, da diesem Tatbestand zwingend ein vorsätzliches Tatgeschehen zugrunde liegt, weil ansonsten ein dort gefordertes „Bestimmen“ des Täters zur Tötung nicht denkbar ist; diese Situation ist auf eine fahrlässige Tat aber nicht übertragbar. Desgleichen ist zu beachten, dass die Vorschrift mit ihrem absoluten Einwilligungsverbot bei Tötungsdelikten im Hinblick auf die grundgesetzlich geschützte Privatautonomie des Opfers ohnehin eine höchst problematische Ausnahmeregelung darstellt, so dass auch dieser Punkt gegen eine Ausdehnung derselben auf § 222 StGB spricht („singularia non sunt extendenda“). Schließlich lässt sich auch die systematische Stellung der Norm gegen eine Anwendbarkeit auf die fahrlässige Tötung ins Feld führen, da letzterer Tatbestand hinter § 216 StGB geregelt ist, so dass selbige sich – unter Beachtung der gesetzlichen Abfolge – (nur) auf die vorsätzlichen Delikte der §§ 211, 212 StGB beziehen kann.
bb) Ähnliche Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Einwilligungssperre bei einer Körperverletzung durch § 228 StGB: Diese Vorschrift kann allerdings zunächst durchaus (auch) bei einer fahrlässigen Tötung herangezogen werden, da hier jedenfalls als Zwischenschritt eine Körperverletzung zwingend enthalten ist, die sodann zum Tod führt; i.Ü. kann auch der Tod selbst als die schwerste denkbare Körperverletzung, nämlich eine solche, die zur irreversiblen Aufhebung der Funktionsfähigkeit des Gesamtorganismus führt, begriffen werden. Dennoch sprechen sowohl die Systematik (die fahrlässige Körperverletzung steht wiederum hinter der Einwilligungssperre nach § 228 StGB) als auch der Wortlaut gegen eine Anwendbarkeit des § 228 StGB auf fahrlässig begangene Delikte: Letzteres ergibt sich insbesondere aus der Gegenüberstellung von § 228 StGB und § 229 StGB, wobei die erstgenannte Norm davon spricht, dass der Täter eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person „vornimmt“, was auf das Erfordernis eines finalen Verhaltens schließen lässt – sich etwas vornehmen heißt schließlich, dass ein bestimmter Sachverhalt bereits vorab durchdacht wurde, bevor er ins Werk gesetzt wird. Demgegenüber sind sowohl § 229 als auch § 222 StGB neutraler formuliert, da dort jeweils nur gefordert ist, dass die jeweilige Rechtsgutsverletzung durch den Täter „verursacht“ wird.
b) Dagegen nimmt allerdings der BGH an, dass im Rahmen einer fahrlässigen Tötung die §§ 216, 228 StGB jedenfalls ihrem „Rechtsgedanken“ nach Anwendung finden können. So heißt es in der Rennfall-Entscheidung, hierfür spreche sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge. Eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheide danach bei rein individualschützenden Delikten dort aus, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten sei, was durch den BGH mit dem Vorliegen einer konkreten Todesgefahr, unabhängig von einer tatsächlich eingetretenen Rechtsgutsverletzung, gleichgesetzt wird. Danach wäre im Fall des Beschleunigungsrennens jedenfalls zu dem Zeitpunkt, zu dem ein gleichzeitiges Überholen eines unbeteiligten dritten Fahrzeugs mit nicht mehr kontrollierbaren höchsten Risiken für sämtliche betroffene Verkehrsteilnehmer verbunden war, eine Einwilligungssperre nach § 228 StGB anzunehmen. Unabhängig von der Nachvollziehbarkeit dieses Ergebnisses im konkreten Fall erscheint eine generelle Gleichsetzung des Begriffs der „Sittenwidrigkeit“ mit einer erhöhten Todesgefahr jedoch zweifelhaft, da durchaus Fälle vorstellbar sind, in denen eine Person hochgradig gefährdet wird, ohne dass gleichzeitig eine Strafbarkeit des Handelnden angebracht wäre: Gedacht sei etwa das Beispiel, dass ein Täter seinen kollabierten Freund mit Hochgeschwindigkeit zum Krankenhaus fährt, damit dieser eine lebensrettende Injektion erhalten kann, und dabei einen für seinen Begleiter tödlichen Unfall verursacht – hier eine Sittenwidrigkeit der zuvor erteilten Einwilligung nur aufgrund der Todesgefahr durch das riskante Fahren anzunehmen, erscheint der Rettungsintention des Fahrers nicht angemessen. Der Fall zeigt, dass eine Bejahung des Merkmals der Sittenwidrigkeit nicht nur isoliert nach der Gefährdung des Opfers, sondern immer auch im Hinblick auf die Zwecke, die der Täter dabei verfolgt, bestimmt werden muss. Demgemäß müssen die tragenden Motive des Delinquenten jedenfalls insoweit, wie sie nachvollziehbar und billigenswert erscheinen, eine durch die Gefährdung zunächst indizierte Sittenwidrigkeit ausschließen können. Auch nach dieser Maßgabe wäre freilich im vorliegenden Fall des BGH, sofern man die Vorschrift des § 228 StGB nach dem soeben Gesagten überhaupt für anwendbar hält, von einer Sittenwidrigkeit auszugehen: Denn der Zweck des Beschleunigungsrennens und des hierbei durchgeführten Überholvorgangs im Besonderen folgte keiner von der Rechtsordnung unterstützten Intention, vielmehr wurde beides offenbar nur aus der simplen Lust am Geschwindigkeitsrausch und Wettkampf vorgenommen.

19.02.2013/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-02-19 10:00:282013-02-19 10:00:28Die Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung in der Klausur
Christian Muders

Fälle zur Abgrenzung von Suizid und Fremdtötung

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Der nachfolgende Beitrag befasst sich überblicksartig und anhand eines stetig abgewandelten Falles mit der strafrechtlichen Problematik der Abgrenzung von Fremd- zur Selbsttötung (Suizid). Ausgespart bleibt demgegenüber die Frage einer Strafbarkeit der Sterbehilfe (Euthanasie), die häufiger in diesem Problemkomplex mitbehandelt wird und durch die Entscheidung BGH 2 StR 454/09 neue Relevanz bekommen hat (s. dazu aber bereits unsere Artikel hier und hier). Für fortgeschrittene Semester bietet es sich an, insbesondere auch im Hinblick auf eine nahende mündliche Prüfung, nach Erfassung des jeweiligen Falles zunächst eine eigene Lösung zurechtzulegen, bevor der nachfolgende Erläuterungstext gelesen wird.
1. Fälle der unmittelbaren Fremdtötung

  • Fall 1: A tötet den B durch einen Schuss aus einer Pistole, nachdem dieser den A dazu aufgefordert hat.

Dieser Ausgangsfall ist einfach zu erfassen: Der A macht sich einer Tötung auf Verlangen, § 216 StGB, schuldig. Die Einwilligung in die Einbuße des eigenen Rechtsguts, die regelmäßig zu einer Rechtfertigung (nach a.A. sogar zum Tatbestandsausschluss) führt, ist im Hinblick auf das Rechtsgut „Leben“ irrelevant, wie sich aus der vorgenannten Norm selbst ergibt: Danach wird gerade die Konstellation, dass jemand „durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden“ ist, explizit mit Strafe belegt. Die Einwilligung führt also nicht zu einem Ausschluss der Strafbarkeit, sondern berührt lediglich die Auswahl des einschlägigen Tötungstatbestandes und damit auch den in Betracht kommenden Strafrahmen. § 216 StGB stellt nämlich eine Privilegierung zum ebenfalls verwirklichten Delikt des Totschlags dar und sieht in der Rechtsfolge (lediglich) eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Der gleichzeitig vorliegende Totschlag, dessen Strafrahmen erst bei fünf Jahren beginnen würde, tritt demgegenüber als lex generalis zurück.

  • Fall 2: B tötet sich selbst mittels eines Schusses aus einer Pistole, nachdem ihn der A dazu aufgefordert hat.

In dieser Abwandlung ist eine Strafbarkeit des A schon schwieriger zu beurteilen: Eine Verwirklichung des § 216 Abs. 1 StGB scheidet deswegen aus, weil dem A keine Tatherrschaft über die Tötung zukommt, die allein von B vorgenommen wird. Da A den B aber zur Tötung aufgefordert hat, wäre an ein Bestimmen zur Tat i.S.d. § 26 StGB, also eine Anstiftung, zu denken. Indes scheidet eine solche Teilnehmerstrafbarkeit hier deswegen aus, da eine Tat, zu der der B als Haupttäter bestimmt worden wäre, nicht vorliegt. Der Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB greift bereits seinem Wortlaut nach nicht ein, da dieser zwingend voraussetzt, dass die sterbewillige Person von einem Anderen zum Tode befördert wird. Aber auch § 212 StGB, der – neutraler – davon spricht, dass der Täter „einen Menschen tötet“, ist nicht einschlägig, da auch dieser Tatbestand nach ganz allgemeiner Meinung die Tötung eines Anderen erfordert, so dass der Suizid nicht hierunter subsumiert werden kann (vgl. MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, vor § 211 Rn. 30 m.w.N.). Demgemäß hat sich der A durch seine Aufforderung hier überhaupt nicht strafbar gemacht.

  • Fall 3: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat und zu dem dieser allein Zugang hatte.

Wiederum geht es um eine Strafbarkeit des A nach § 216 Abs. 1 StGB. Eine Tatherrschaft des A ist hier nicht ganz so einfach wie im letzten Fall zu verneinen, da der B sich zwar selbst mit dem Gift getötet hat, welches aber allein der A besorgen konnte. Geht man mit der h.M. in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass auch Mitwirkungen im Vorbereitungsstadium, jedenfalls bei einem erheblichen Gewicht des Beitrags, durchaus eine Tatherrschaft begründen können (man denke nur an den die Tat planenden „Bandenchef“, dazu etwa Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. 2010, vor § 25 Rn. 36 ff.) wäre eine Strafbarkeit des B nach § 216 Abs. 1 StGB im Hinblick auf seinen Mitwirkungsakt durchaus zu erwägen. Jedoch verengen Rechtsprechung und Schrifttum im Fall einer Beeinträchtigung eigener Güter den relevanten Zeitraum für die Tatherrschaft zu Recht auf den letzten todbringenden Akt. Danach ist allein entscheidend, wer die letzte Handlung, die dann ohne einen weiteren Zwischenschritt zum Tode führte, beherrscht hat. Diese Beschränkung der Tatherrschaft kann mit dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip begründet werden: Ein vorsätzliches, unmittelbar selbstschädigendes Verhalten sperrt danach die Zuständigkeit eines Anderen für den hieraus resultierenden Erfolg. Die Herrschaft über den letzten Akt, also die Einnahme des Giftes, hatte vorliegend aber (wiederum) allein der B, so dass eine diesbezügliche Tatherrschaft des A ausscheidet. Zu denken wäre allenfalls daran, die Tatherrschaft des B dem A zuzurechnen, und zwar über die Figur der Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – was hier nahe liegt – A und B von Anfang an im Hinblick auf einen gemeinsamen Tatplan zusammengewirkt haben. Indes stehen dieser Konstruktion zwei Einwände entgegen: Zum einen setzt auch die mittäterschaftliche Zurechnung voraus, dass der A einen täterschaftlichen, d.h. nach h.L. einen durch Tatherrschaft getragenen Tatbeitrag erbringt, was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Zum anderen verwirklicht sein potentieller Mittäter B mit der Selbsttötung überhaupt keinen Tatbestand, so dass er kein Unrecht begründet, welches dem mitwirkenden B über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden könnte. Eine Beihilfe des A an der Selbsttötung (§ 27 Abs. 1 StGB) durch Verschaffen des Giftes schließlich scheidet in entsprechender Argumentation zu der bereits im letzten Fall verneinten Anstiftung aus.
2. Fälle der mittelbaren Fremdtötung

  • Fall 4: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat. Der A hat dem B zuvor vorgespiegelt, dass es sich um eine wohlschmeckende Limonade handelt.

In diesem Fall liegt die objektive Tatherrschaft wiederum bei B, der den letzten todbringenden Akt selbst ausführt. Allerdings kommt hier abweichend zum vorhergehenden Fall durchaus eine Zurechnung des Beitrags an A in Betracht, und zwar im Wege mittelbarer Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Im Gegensatz zur zuvor behandelten Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB verlangt diese Zurechnungsnorm gerade keine Unrechtsverwirklichung durch den Vordermann, sondern lässt auch einen tatbestandslosen Beitrag genügen. Nach welchen Kriterien allerdings in Fällen der Selbsttötung (die konsequenterweise auch auf sonstige Konstellationen der Selbstschädigung zu übertragen sind) nicht mehr von einer eigenverantwortlichen Schädigung des Opfers gesprochen werden kann, welche nach dem zuvor Ausgeführten die Zurechenbarkeit an einen mittelbaren Verursacher sperrt, ist umstritten:
a) Exkulpationstheorie
Nach der sog. Exkulpationslösung wird die Eigenverantwortlichkeit für eine Selbsttötung in Parallele zu der Verantwortlichkeit für eine Fremdtötung gesetzt. Es ist also der hypothetische Fall zu bilden, dass der B das Medikament nicht sich selbst, sondern einem Dritten zugeführt hätte. Sofern nach den vorliegenden Umständen eine Strafbarkeit für diesen hypothetischen Fall nicht gegeben wäre, namentlich weil der Suizident ohne Vorsatz oder Schuld gehandelt hätte, scheidet auch eine Verantwortlichkeit des Opfers für die tatsächlich vorgenommene Selbsttötung aus. Folge wäre, dass das hierauf bezogene Verhalten nicht als eigenverantwortlich eingestuft werden kann, so dass eine Zurechnung an den Hintermann offen stünde, sofern er selbiges veranlasst hat. Nach den vorgenannten Grundsätzen ist für den hier zu behandelnden Fall von einer fehlenden Eigenverantwortlichkeit des B auszugehen: Im Falle der Tötung eines Dritten hätte er nämlich, da er das Medikament für Limonade hielt, in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gehandelt, wäre also straflos geblieben. Da dieser Irrtum wiederum in die Zuständigkeit des A fällt, der ihn durch seine unzutreffenden Angaben ausgelöst hat, kann ihm das Verhalten des B über § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB wie ein eigenes Verhalten zugerechnet werden.
b) Einwilligungstheorie
Nach der sog. Einwilligungslösung wird die Eigenverantwortlichkeit für eine Selbsttötung zwar ebenso mit der Verantwortlichkeit für eine Fremdtötung verglichen, allerdings wird der hypothetische Fall in der Weise abweichend gebildet, dass der Suizident Opfer der Tötung bleibt, wobei jedoch nicht er selbst, sondern der Hintermann den unmittelbar todbringenden Akt vollzieht. Sodann wird gefragt, ob in dieser Konstellation – abzüglich der tatsächlichen Sperre des § 216 Abs. 1 StGB – eine wirksame Einwilligung des Opfers bestehen würde. Nach diesen Grundsätzen ist im zuvor formulierten Fall ebenso von einer fehlenden Eigenverantwortlichkeit des B auszugehen: Im Falle der Tötung des B durch die Hand des A wäre eine wirksame Einwilligung in das Verabreichen des todbringenden Medikaments nämlich nicht gegeben gewesen, da B selbiges für Limonade hielt; somit wäre seine Einwilligung mit einem (rechtsgutsbezogenen) Irrtum bemakelt, die ihre Wirksamkeit ausschließt.
Da beide Auffassungen im vorliegenden Fall zu einem identischen Ergebnis kommen, bedarf es folglich keines Streitentscheids.

  • Fall 5: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihm der A verschafft hat. Der A hat dem B zuvor angedroht, dass er andernfalls dessen reiche Frau von den sexuellen Eskapaden des B unterrichten werde, was voraussichtlich zu einer Scheidung geführt hätte, die den B wirtschaftlich und gesellschaftlich ruiniert hätte.

Wiederum ist – ähnlich dem zuvor gegebenem Beispiel – zu fragen, ob die objektiv von B beherrschte Einnahme des Giftes dem A nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zugerechnet werden kann. Die hierzu vertretenen beiden Meinungen kommen indes vorliegend zu unterschiedlichen Ergebnissen:
Stellt man mit der Exkulpationslösung darauf ab, ob das Opfer B im Falle einer Fremdtötung straflos geblieben wäre, ist dies zu verneinen. Um seine Ehe und damit seine gesellschaftliche und finanzielle Situation zu retten, darf B keinen unbeteiligten Menschen töten und ist bei einer solchen Tat folglich weder gerechtfertigt (§ 34 StGB) noch entschuldigt (§ 35 StGB).
Anderes gilt hingegen, wenn man der Einwilligungslösung folgt: Eine Einwilligung, die durch Nötigung – hier die Drohung mit einem empfindlichen Übel – erlangt wird, wäre per se unwirksam, so dass danach auch eine Eigenverantwortlichkeit der Selbsttötung des B abzulehnen ist.
Wie man am vorliegenden Fall sieht, führt die Einwilligungslösung eher zu einer Verschiebung der Verantwortlichkeit für ein selbstschädigendes Verhalten hin zum veranlassenden Hintermann. Demgegenüber wird man mit der Exkulpationslösung häufiger zu einer Straflosigkeit desselben kommen, da die Hürden, die im Falle einer Fremdverletzung entlasten, ungleich höher und damit schwieriger zu überwinden sind als die Voraussetzungen, unter denen die Wirksamkeit einer Einwilligung zu versagen ist. Indes verdient die Einwilligungslösung in den vorgenannten Fallgestaltungen den Vorzug, da Fälle der Selbstschädigung des Opfers eher mit dem hypothetischen Fall einer Einwilligung desselben in die nämliche Verletzung als mit der Fremdverletzung einer anderen Person vergleichbar sind. Da es letztendlich um eine Schädigung des Opfers geht, erscheinen die hierfür entwickelten Kriterien i.F. der Einwilligungsvoraussetzungen passender als solche, die für die Verletzung eines Dritten herangezogen werden, was in dieser Konstellation gerade nicht zur Debatte steht (so auch die wohl h.L., vgl. Kindhäuser, BT I, 5. Aufl. 2012, § 4/15; Rengier, BT II, 11. Aufl. 2010, § 8/4 f.; a.A. etwa MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, Vor § 211 Rn. 54 ff.).
3. Fälle der Unterlassungstäterschaft

  • Fall 6: B tötet sich mittels der Einnahme eines Giftes, welches ihr Ehegatte A verschafft hat. Nach der Einnahme fällt B zunächst in Ohnmacht und lebt noch ca. eine Stunde weiter, bevor sie stirbt. A wacht an ihrem Bett, unternimmt aber nichts, da er den Todeswunsch seiner Frau respektiert.

Im vorliegenden Fall kommt neben einer Begehungsverantwortung durch Verschaffen des Giftes, die bereits oben abgelehnt wurde, zusätzlich noch eine Strafbarkeit wegen Unterlassens in Betracht: Dadurch, dass die B erst nach einer längeren Weile stirbt, hätte der A noch die konkrete („physisch-reale“) Möglichkeit gehabt, durch alarmieren eines Arztes seine Frau zu retten. Wie dieser Fall zu behandeln ist, ist wiederum umstritten.
a) Zumutbarkeitslösung der Rspr.
Die Rspr. nimmt an, dass eine Strafbarkeit des Garanten in diesen Fallgestaltungen durchaus in Betracht komme. Sie knüpft dabei an ihre Argumentation zur Tatherrschaft des Opfers beim Begehungsdelikt an, die grundsätzlich eine Strafbarkeit des Helfers sperrt (s. dazu oben). Für die vorliegenden Fallgestaltung nimmt sie aber an, dass im Falle der Bewusstlosigkeit ein „Tatherrschaftswechsel“ eintrete: Da es dann der Suizident nicht mehr in der Hand habe, den eigenen Todeseintritt zu verhindern, wandere diese Möglichkeit zu dem anwesenden Garanten, den aufgrund seiner Sonderstellung auch eine diesbezügliche Pflicht treffe. Allerdings soll im Rahmen des Prüfungspunktes der Schuld im Einzelfall eine Zumutbarkeit des Garanten fehlen beim eigenverantwortlichen Suizid des Opfers einzugreifen, so dass eine Strafbarkeit mangels Verschuldens entfiele.
b) Ausschluss der Garantenstellung nach h.L.
Die h.L. lehnt diese Konstruktion demgegenüber ab und sieht in der grundsätzlichen Strafbarkeit des Garanten einen Wertungswiderspruch begründet, da dieser zwar einerseits aktiv (durch Verschaffen des Todeswerkzeugs) an dem Suizid der Schutzperson mitwirken dürfe, aber anschließend, nämlich im Falle eines Tatherrschaftswechsels, plötzlich andererseits doch alles dafür tun müsse, den Tod zu verhindern (vgl. z.B. Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 216 Rn. 15; Kindhäuser, BT I, 5. Aufl. 2012, § 4/22). Die Literatur nimmt daher überwiegend an, dass den Garanten im Falle der freiwilligen Selbsttötung bereits keine objektive Pflicht zum Eingreifen (mehr) treffe; begründet wird dies etwa damit, dass das Opfer den ursprünglich Pflichtigen spätestens mit Ansetzen zum Suizid aus dessen Garantenstellung entlasse, so dass zum Zeitpunkt des Tatherrschaftswechsels ein Gebot zur Hilfe nicht mehr existiere (so MK-Schneider, 1. Aufl. 2003, Vor § 211 Rn. 77). Diese Konstruktion steht freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zu § 216 StGB, da die Entlassung aus der Garantenstellung faktisch mit der Einwilligung in eine Fremdtötung durch Unterlassen gleichgesetzt werden kann. Allerdings wird überwiegend angenommen, dass bzgl. dieser Norm, die im Hinblick auf die Einschränkung für eine Lebensbeendigung ohnehin verfassungsrechtlich problematisch erscheint, eine teleologische Reduktion angezeigt ist. Danach kann § 216 Abs. 1 StGB allein auf die aktive Herbeiführung des Todes eines Menschen angewendet werden, während Fälle eines garantenwidrigen Unterlassens ausgeklammert bleiben. Eine solche teleologische Reduktion (als methodologisches Gegenstück zum Analogieschluss) ist hier ohne Weiteres zulässig, da sie die Strafbarkeit des Täters einschränkt, nicht begründet. Sie kann auch mit der Wertung unterfüttert werden, dass ein Heileingriff, der zur Abwendung des Todes nach Abschluss der aktiven Einwirkung regelmäßig vonnöten wäre, von der Rspr. grundsätzlich als strafbare Körperverletzung (§ 223 ff. StGB) eingestuft wird, wenn das Opfer nicht (mutmaßlich) einwilligt – eine solche Einwilligung ist aber in Fällen des freiwilligen Suizids, bei dem der Todeswillige gerade nicht mehr weiterleben will, regelmäßig nicht anzunehmen. Insoweit kann den Garanten aber kein Gebot treffen, mit dessen Erfüllung er gleichzeitig gegen ein Verbot (die Beteiligung an der Körperverletzung) verstoßen würde.

c) Strafbarkeit nach § 323c StGB?
I.Ü. käme im vorgenannten Fall (sowie auch dann, wenn den Anwesenden von vornherein keine Garantenstellung trifft) daneben eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung, § 323c StGB, als „Auffangtatbestand“ in Betracht. Vom Standpunkt der Rspr. wäre auch insoweit allein an eine Einschränkung der Strafbarkeit wegen fehlender Zumutbarkeit des Eingriffs zu denken, wobei dieses Merkmal freilich hier nach überwiegender Auffassung ein echtes Tatbestandsmerkmal (und kein Element der Schuld) bildet. Die h.L. nimmt hingegen an, dass ein freiverantwortlicher Suizid bereits keinen Unglücksfall i.S.d. § 323c StGB darstellt (vgl. nur NK-Wohlers, 3. Aufl. 2010, § 323c Rn. 5 m.w.N.), und kommt so wiederum (ebenso) zur Straflosigkeit des Unterlassenden.

16.08.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-08-16 10:00:562012-08-16 10:00:56Fälle zur Abgrenzung von Suizid und Fremdtötung
Christian Muders

OLG Celle: (Nochmals) zur Erfolgszurechnung bei mittelbarer Verursachung einer fahrlässigen Tötung – 2 Fast 2 Furious

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Anm. zu OLG Celle, Urteil vom 25. 4. 2012 – 31 Ss 7/12 = NZV 2012, 345 ff.
1. Um was geht es?
Autofahrer A war mit seinem Wagen auf der Bundesstraße 442 nach B. unterwegs. Hinter einer Ortschaft versuchte er, vor einer nahenden, sich nach hinten verjüngenden Linkskurve mit seinem Pkw das Fahrzeug des Nebenklägers N zu überholen, in welchem sich neben diesen noch drei weitere Insassen befanden. Der N bemerkte die Absicht des A durch einen Blick in seinen Rückspiegel. Er wollte es sich aber nicht bieten lassen, von A überholt zu werden und beschleunigte seinen Wagen ebenfalls. A erkannte das Fahrmanöver des N, wollte aber seinen Überholvorgang unbedingt noch vor der Kurve zu Ende bringen. So beschleunigte auch er weiter, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch zwei Sekunden Zeit gehabt hätte, sein Fahrmanöver abzubrechen und gefahrlos hinter dem N einzuscheren. Dies wäre auch geboten gewesen, da sich von vorne die Zeugin Z mit ihrem Fahrzeug näherte. Die Erhöhung der Geschwindigkeit durch N reichte schlussendlich nicht aus, um dem A seinen Überholvorgang endgültig zu verwehren, der mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von 20 km/h das rechts neben ihm fahrende Fahrzeug passierte. Die Zeugin Z wich mit ihrem Wagen auf den Seitenstreifen aus, um eine Kollision mit A zu vermeiden. Als sich der A etwa zwei Fahrzeuglängen noch auf der Gegenfahrbahn fahrend vor dem N befand, lenkte dieser zu spät sein Fahrzeug nach links in die Kurve ein, um diese gefahrlos durchfahren zu können. Er geriet mit seinen rechten Rädern auf das Bankett, kam in eine Dreh-Schleuderbewegung und stieß mit seiner rechten Fahrzeughälfte und einer Geschwindigkeit von 100-110 km/h gegen einen am Fahrbahnrand stehenden Baum. Die neben dem N im Fahrzeug sitzenden Insassen waren sofort tot. Während das AG den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt hatte, sprach ihn das LG von diesem Vorwurf frei.
2. Was sagt das OLG?
Das OLG hat die Entscheidung des LG aufgehoben und den A neben Straßenverkehrsdelikten auch wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Dabei hat es sich auf eine vergleichbare Entscheidung des BGH vom November 2008 gestützt (BGH, Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08 = BGHSt 53, 55 ff. – Aufbereitung hier) und ist andererseits einer abweichenden Entscheidung des OLG Stuttgart (Beschluss vom 19.04.2011 – 2 Ss 14/11) nicht gefolgt. Aber der Reihe nach:
a) Vorliegen eines fahrlässigen Verhaltens des A durch den Überholvorgang:
Das OLG Celle definiert zunächst geradezu schulmäßig die Voraussetzungen einer fahrlässigen Tathandlung gem. § 222 StGB:

Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein (…).

Sodann bejaht das OLG Celle zunächst die objektive Pflichtverletzung des A. Hierbei rekurriert es auf diverse Normen der StVO, die der A bei seinem Überholvorgang nicht beachtet hat:

Seine Pflichten als Fahrzeugführer hat der Angeklagte verletzt, indem er den Überholvorgang vorschriftswidrig durchgeführt hat. Er hat nämlich zum einen überholt, obwohl er nicht übersehen konnte, ob während des ganzen Überholvorganges jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO). Zum anderen war das Überholen für ihn auch deshalb unzulässig, weil aufgrund des Beschleunigens des Nebenklägers und der Annäherung an die sich nach hinten verjüngende Kurve für den Angeklagten eine unklare Verkehrslage bestand (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Des Weiteren hat er seine Pflichten als Fahrzeugführer verletzt, indem er entgegen § 1 Abs. 2 StVO nicht alles unternommen hat, um die mit dem Überholvorgang verbundene Gefährdung zu vermeiden, und schließlich die im Bereich des Unfallorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erheblich überschritten hat.

Im Folgenden bejaht das Gericht sowohl die objektive und subjektive Vermeidbarkeit als auch eine entsprechende Vorhersehbarkeit des tödlichen Ausgangs für A. Dabei stellt es fest, dass der A, als er den Beschleunigungsvorgang des N bemerkte, das Überholmanöver noch hätte abbrechen können. Eine (generelle) Vorhersehbarkeit dergestalt, dass ein Beharren auf einen Überholvorgang unter den im Sachverhalt genannten Umständen (überhöhte Geschwindigkeit, nahender Kurvenbereich) zu einem Unfall, ggf. mit tödlichen Ausgang, führen kann, sieht das OLG ebenfalls als gegeben.
b) Zurechenbarkeit des Todes der Beifahrer des N:
Sodann stellt sich das Gericht allerdings die Frage, ob der fahrlässig herbeigeführte Erfolg dem A auch (objektiv) zurechenbar ist. Unter dem Begriff der „objektiven Zurechnung“ werden eine Vielzahl unterschiedlicher Fallgruppen behandelt, welche die Verantwortlichkeit für einen eingetretenen Erfolg ausschließen können. Dazu zählt auch der Fall, dass sich der Erfolg als Resultat einer Selbstgefährdung des Opfers oder einem, dieser gleichzustellenden, Einverständnis in eine Fremdgefährdung durch den Täter darstellt. Insofern sind unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden:
aa) Konstellation 1: Selbstgefährdung des Opfers.
Unstrittig keine Zurechnung des Erfolgs an eine fahrlässig handelnde Person ist nach der Rspr. dann möglich, wenn diese nur an einer Selbstgefährdung des Opfers teilnimmt. „Teilnahme“ ist dabei durchaus i.S.d. Begrifflichkeit der §§ 26 f. StGB zu verstehen, da eine von der Rpsr. anerkannte Selbstgefährdung des Opfers erst dann vorliegt, wenn nicht der potentielle Fahrlässigkeitstäter, sondern allein das spätere Opfer das unmittelbar zum Erfolg führende Geschehen i.S.d. Tatherrschaftslehre „beherrscht“ hat. Die Begründung für einen solchen Ausschluss der Verantwortung des „Teilnehmers“ ist freilich problematisch. Teilweise wird darauf verwiesen, dass bei vorsätzlicher Selbstverletzung des Opfers unstrittig keine teilnahmefähige Haupttat vorhanden ist, so dass eine Anstiftung bzw. Beihilfe ausscheidet. Dies müsse aber erst recht dann gelten, wenn eine Beteiligung nicht an einer vorsätzlichen Verletzung, sondern nur Gefährdung erfolgt (vgl. auch MK-Hardtung, 1. Aufl. 2003, § 222 Rn. 21 m.w.N.). Fraglich ist diese Argumentation indes insofern, als nicht die Strafbarkeit der Beteiligung an einer vorsätzlichen Gefährdung, sondern an einer fahrlässigen (Selbst-)Verletzung in Rede steht. Da der Begriff des Fahrlässigkeitstäters aber weit verstanden wird („Einheitstäterbegriff“), also grds. auch die Teilnahmeformen der Anstiftung und Beihilfe erfasst (dazu Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 25 Rn. 82), ist der Vergleich mit der Straflosigkeit bei vorsätzlicher Deliktsbegehung zumindest zweifelhaft. Eine variierende Argumentationslinie stützt sich daher vornehmlich auf die autonome Entscheidung des Rechtsgutsträgers, die es zu respektieren gelte: Selbstschädigendes Verhalten ist danach Ausdruck einer unantastbaren Autonomie des Schädigers, die nicht nur seine eigene Strafbarkeit nach dem einschlägigen Delikt sperrt, sondern auch die Strafbarkeit eines hieran nicht täterschaftlich Beteiligten hindert (MK-Duttge, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 151).
bb) Konstellation 2: Gefährdung durch den Täter.
Der vorliegende Fall war indes anders gelagert, da es nicht um Gütereinbußen des Fahrers des letztendlich verunfallten Pkw (also des Nebenklägers N) ging, der sich mit seinem Fahrmanöver ebenfalls pflichtwidrig verhalten hatte und jedenfalls eine dem A entsprechende Tatherrschaft über das Geschehen aufwies. Vielmehr bildete der Tod seiner Mitinsassen den Anknüpfungspunkt für ein strafrechtliches Unwerturteil gegen A. Das OLG führt insofern überzeugend aus, dass diese gerade keine Tatherrschaft über das Geschehen gehabt hätten, und zwar weder im Hinblick auf die Steuerung des zu überholenden Fahrzeugs, welches allein der N führte, noch (erst Recht) im Hinblick auf den überholenden Pkw des A. Das OLG verweist dabei auf die bereits oben benannte Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., in der es um die Strafbarkeit für ein illegales Autorennen ging, bei dem ebenfalls ein Beifahrer eines der beiden Rennteilnehmer zu Schaden kam. Das OLG nimmt an, dass der vorliegende Fall mit dem Fall des illegalen Autorennens durchaus vergleichbar ist:

Dass es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um ein zwischen den Fahrzeugführern vorher vereinbartes Rennen gehandelt hat, steht der Übertragung der Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn die Zurechnung beruhte dort nicht allein auf der Absprache des illegalen Rennens, sondern auch auf den während der Fahrt konkret begangenen Pflichtverletzungen beider Fahrer. Abgesehen davon handelte es sich im vorliegenden Fall ab dem Zeitpunkt, als der Nebenkläger beschleunigte, um den Angeklagten am Überholen zu hindern, und der Angeklagte dieses erkennend sein Fahrzeug umso mehr beschleunigte, um den Nebenkläger unbedingt zu überholen, faktisch um ein spontanes Rennen bzw. eine diesem gleichzustellende „Kraftprobe“.

cc) Konstellation 3: Gefährdung durch den Täter, aber mit Einwilligung des Opfers („einverständliche Fremdgefährdung“).
Eine der Selbstgefährdung der Opfer gleichzustellende Einwilligung in eine Fremdgefährdung sieht das OLG im vorliegenden Fall ebenfalls (anders als offenbar die Vorinstanz, Rn. 40 des Urteils) als nicht gegeben an. Eine solche wird im Rahmen des Straßenverkehrs insbesondere in Fällen angenommen, in denen ein Beifahrer trotz erkannter Alkoholisierung des Pkw-Führers bei diesem einsteigt und mitfährt. Diese Konstellation führt dann nach der h.L. dazu, dass es zu einem Zurechnungsausschluss kommt, wenn der Mitinsasse bei einem durch den Fahrer aufgrund des Alkohols verschuldeten Unfalls verletzt oder getötet wird, da eine solche Einwilligung in die Gefährdung durch den Fahrzeugführer einer Selbstgefährdung des Opfers gleichstehe (vgl. nur – mit Unterschieden in der Konstruktion – Wessels/Beulke, AT, 32. Aufl. 2002, Rn. 191; Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 11/121). Zu einer solchen Einwilligung in eine Fremdgefährdung durch die getöteten Mitinsassen des überholten Wagens bot der Sachverhalt des OLG indes keine Anhaltspunkte: Dass die Mitfahrer in das sorgfaltswidrige Verhalten des N noch gar des A eingewilligt hätten, ist nicht ersichtlich. Daran wäre etwa dann zu denken, wenn sie den N angefeuert hätten, sich den Überholvorgang des A nicht „bieten“ zu lassen und mittels Beschleunigung des Pkw zu zeigen, wer „Herr der Straße“ ist. Näher lag eine einverständliche Fremdgefährdung hingegen in der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., da der tödlich verunglückte Beifahrer hier vorsätzlich an dem illegalen Autorennen teilgenommen und dieses sogar gefilmt hatte. Indes hat der BGH in diesem Fall einer Einwilligung in die Gefährdung unter Hinweis auf § 216 StGB eine Abfuhr erteilt: Jedenfalls dann, wenn sich eine konkrete Todesgefahr abzeichne, sperre die vorgenannte Norm eine solche Zustimmung des Opfers. Fraglich erscheint, ob dann, wenn man mit Stimmen in der Literatur annimmt, dass auf die einverständliche Fremdgefährdung die Einwilligungssperren der §§ 216, 228 StGB, die vornehmlich auf die Zustimmung zu Rechtsgutsverletzungen zugeschnitten sind, nicht angewendet werden können (dazu Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar StGB, 5. Aufl. 2010, Vor § 13 Rn. 224), zu einer Straflosigkeit des mittelbaren Unfallverursachers kommt. Indes dürfte die „einverständliche Fremdgefährdung“ auch dann nur den Tatbeitrag des Fahrers neutralisieren, in dessen Wagen die zustimmenden Mitfahrer sitzen; auf die Verantwortung für das pflichtwidrige Verhalten des „Gegners“, in das die Mitfahrer ja gerade nicht eingewilligt haben, sollte eine solche Zustimmung hingegen keine Auswirkungen haben.
dd) Konstellation 4: Beendete Gefährdung des Täters
Bleibt zuletzt im Hinblick auf den vorliegenden Fall noch die gegenteilige Ansicht des OLG Stuttgart aufzuarbeiten, die sich die Vorinstanz des OLG Celle, das LG Bückeburg, zur Begründung einer Straflosigkeit des A nach § 222 StGB ausdrücklich zu eigen gemacht hatte: Nach Meinung des OLG Stuttgart kann die Zurechnung eines Unfallerfolges an den mittelbaren Verursacher dann ausgeschlossen sein, wenn der unmittelbare Verursacher eigenverantwortlich handelt. Der Sachverhalt des Gerichts scheint dabei auf den ersten Blick durchaus Parallelen zu dem vom OLG Celle verhandelten Geschehen aufzuweisen: Auch dort ging es um ein pflichtwidriges Fahrverhalten des Angeklagten, der den späteren unmittelbaren Unfallverursacher zunächst beim Überholen behinderte. In der Folge fuhr dieser, nachdem er den Angeklagten überholt hatte, mit beschleunigter Geschwindigkeit in eine Kurve und erfasste einen Passanten, der am Wegesrand ging, tödlich. Indes war die dortige Entscheidung etwas anders gelagert, so dass nach Ansicht des OLG Celle eine Vorlage an den BGH wegen Divergenz nicht angezeigt ist:

Einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG bedarf es nicht. Denn der vorliegende Einzelfall liegt anders als der, welchen das Oberlandesgericht Stuttgart durch seinen Beschluss vom 19. April 2011 – 2 Ss 14/11 – entschieden hat. Dort war der Tod eines Passanten deshalb nicht dem Angeklagten zugerechnet worden, weil der unmittelbar den Unfall verursachende Fahrzeugführer, der sich durch den Angeklagten bei einem vorangegangenen Überholvorgang provoziert gefühlt hatte, erst „über einen Kilometer nach Abschluss des Überholvorgangs und damit 36 Sekunden später aus einem autonomen Entschluss heraus“ mit nicht angepasster Geschwindigkeit in eine scharfe Kurve gefahren war, dadurch die Beherrschung über sein Fahrzeug verloren und einen tödlichen Unfall verursacht hatte. Der andere Fahrzeugführer befand sich währenddessen hinter ihm und war zu diesem Zeitpunkt bereits zur verkehrsgerechten Fahrweise zurückgekehrt. Hier war indes der Überholvorgang des Angeklagten noch nicht beendet, als der Nebenkläger den zum Unfall mit tödlichem Ausgang führenden Fahrfehler machte; das Fahrzeug des Angeklagten befand sich vielmehr zu diesem Zeitpunkt noch auf der Gegenfahrbahn und hatte lediglich einen Abstand von zwei Fahrzeuglängen zum Fahrzeug des Nebenklägers. Das Fahrverhalten des Angeklagten war auch nicht ohne Auswirkungen auf den Nebenkläger. So hat das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt: „Während seiner Beschleunigung wusste der Nebenkläger den Angeklagten neben sich und fuhr auf die ihm bekannte sich nach hinten verjüngende Kurve zu. Unter diesen Bedingungen brauchte der Nebenkläger seine volle Konzentration, um sein Fahrzeug weiter zu beherrschen und zu überblicken, welche Fahrmanöver der Angeklagte neben ihm vollziehen würde.“

Da in der Entscheidung des OLG Stuttgart das pflichtwidrige Verhalten des Angeklagten beim Unfall seines „Gegners“ bereits seinen Abschluss gefunden hatte und selbiger auf einem gänzlich neuen Tatentschluss des unmittelbaren Unfallverursachers (erneutes Beschleunigen des Fahrzeugs nach Abschluss des Überholvorgangs) beruhte, ist es gut vertretbar, hier einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang mit dem Tod des Passanten zu verneinen. Denn das vorangegangene „Sperren“ des Überholvorgangs des unmittelbaren Unfallverursachers durch den Angeklagten stellt zwar einen Pflichtverstoß dar; eine „Herrschaft“ bezüglich des dann neu ansetzenden Geschehens, welches unmittelbar zum Zusammenstoß mit dem Passanten führte, kann ihm aber kaum unterstellt werden.
3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
a) Die Entscheidung des OLG Celle setzt die Rspr. des BGH, die durch die mehrmals erwähnte Leitentscheidung begründet wurde, fort und bietet insofern nichts „bahnbrechend Neues“. Unabhängig davon wird mit dem Urteil allerdings die wichtige Frage der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen beim Fahrlässigkeitsdelikt erneut auf die Tagesordnung gesetzt, was die Prüfungsämter durchaus zu einem erneuten Abprüfen dieser Konstellation in einer Examensklausur animieren, aber auch zu entsprechenden Fallgestaltungen in der mündlichen Prüfung führen kann. Dies gilt gerade im Hinblick auf die zumindest im Leitsatz abweichende Entscheidung des OLG Stuttgart, auch wenn diese bzgl. des zu beurteilenden Sachverhalts etwas anders gelagert war.
b) Bzgl. der Bearbeitung eines entsprechenden Falles in der Klausur ist anzumerken, dass die vom OLG Celle in „einem Rutsch“ durchgeführte Fahrlässigkeitsprüfung in der Klausur selbstverständlich aufzuteilen ist, sofern man dem herrschenden zweiaktigen Fahrlässigkeitsaufbau folgt. Demgemäß sind allein der objektive Sorgfaltspflichtverstoß des Täters sowie die objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit im Tatbestand zu prüfen, während die subjektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit Elemente der Schuld darstellen, also erst nach Bejahung einer objektiven Zurechenbarkeit des Taterfolgs anzusprechen sind.
c) Zuletzt sei im Hinblick auf die Terminologie ausdrücklich angemerkt, dass die Rechtsfigur der „einverständlichen Fremdgefährdung“ nichts mit dem Begriff des Einverständnisses zu tun hat, welches bekanntermaßen nur bei Tatbestandsmerkmalen, die explizit ein Handeln gegen bzw. ohne den Willen des Opfers voraussetzen, eingreifen kann. Vielmehr steht sie im Hinblick auf ihren dogmatischen Ursprung der Einwilligung nahe, nur dass sie nicht auf die Verletzung, sondern lediglich Gefährdung des tatbestandlichen Rechtsguts abzielt, der das spätere Opfer zustimmt. Dabei ist freilich zu beachten, dass die Einordnung der „einverständlichen Fremdgefährdung“ in den Straftataufbau umstritten ist, so dass sie teils bei der objektiven Zurechnung, teils aber auch als „echte“ Einwilligung erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit geprüft wird (vgl. dazu Roxin a.a.O. einer-, Wessels/Beulke a.a.O. andererseits). Diese Unsicherheiten hinsichtlich der dogmatischen Verortung werden i.Ü. auch bei der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff. sichtbar, die zunächst eine „einverständliche Fremdgefährdung“ bzgl. des Beifahrers des verunfallten Rennwagens im Rahmen der objektiven Zurechnung ablehnt, bevor sie sich im Anschluss noch mit der „Einwilligung“ desselben in den „Tod oder in das Risiko seines Todes“ beschäftigt. Wo der Unterschied zwischen dem Einverständnis in eine Fremdgefährdung und der Einwilligung in das Risiko des Todes liegen soll, erschließt sich dabei nicht recht. In der Klausurbearbeitung erscheint es m.E. vorzugswürdig, die „einverständliche Fremdgefährdung“ im Rahmen der objektiven Zurechnung zu verorten, da eine Rechtfertigung qua Einwilligung sich stets auf das Rechtsgut des Delikts beziehen muss. Dieses ist bei den §§ 222, 229 StGB aber nun einmal die Verletzung des Körpers bzw. Lebens, nicht allein die Gefährdung derselben. Demgegenüber enthält die Kategorie der objektiven Zurechnung keine vergleichbar trennscharfe Funktionsbeschreibung, so dass hier die mit der Einwilligung in eine Gefährdung verbundenen Fragen leichter untergebracht werden können.

17.07.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-07-17 10:00:072012-07-17 10:00:07OLG Celle: (Nochmals) zur Erfolgszurechnung bei mittelbarer Verursachung einer fahrlässigen Tötung – 2 Fast 2 Furious

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