Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Marius Marquardt veröffentlichen zu können. Der Autor ist Jurastudent (5. Semester) im Schwerpunktbereich Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Konstanz und studentischer Mitarbeiter der Rechtsanwälte Schmidt und Sellerbeck.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der betriebsbedingten Kündigung. Ausgegangen wird von einer Entscheidung des BAG (NZA 2016 S. 1202) nach Klage gegen die Kündigung bei einer Betriebsstilllegung. Der Fall ist für die Problemdarstellung abgewandelt worden.
Dabei wird auch der Einfluss des Kollektivarbeitsrechts – hier die Beteiligung des Betriebsrats – auf das Kündigungsrecht nach § 17 KSchG berücksichtigt. Die §§ 17, 18 KSchG werden nur kurz besprochen, da sie Gegenstand der Entscheidung waren und im Examen insbesondere zur Notendifferenzierung wenigstens kurz zu behandeln sein können. Vertiefte Kenntnisse dieser speziellen Normen würden wohl nicht erwartet.
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin war bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer* beschäftigte, seit mehr als 6 Monaten angestellt. Die Stilllegung des Betriebes und die Entlassung aller Beschäftigten wurden wegen Gewinnverfalls beschlossen und durchgeführt.
Verhandlungen über einen Interessenausgleich fanden am 4, 12. und 19.12. statt. Am 19. wurde ein Text verfasst und den Betriebsratsvertretern zugestellt, am 20.12 bestätigte der Betriebsrat den Ausgleich und am 23.12. wurde er unterzeichnet. In diesem Ausgleich war eine Liste mit allen Arbeitnehmer enthalten (Namensliste), der Betriebsrat erklärte, das Verfahren sei gemäß § 102 BetrVG abgeschlossen, das Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG durchgeführt worden:
„§ 10: Der Betriebsrat wurde im Rahmen der Verhandlungen zu diesem Interessenausgleich am 4.12. rechtzeitig und vollständig nach § 17 Abs. 2 [KSchG] unterrichtet. Sodann haben [Inhaber] und Betriebsrat am 12.12. nochmals die Möglichkeit beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken oder in ihren Folgen zu mildern. Die Betriebsparteien sind sich einig, dass den in Anlage 1 zu diesem Interessenausgleich aufgeführten Mitarbeitern betriebsbedingt zu kündigen ist … Der Betriebsrat bestätigt die Beendigung des Konsultationsverfahren und erteilt seine Zustimmung“ (NZA 2016, 1203)
(zum weiteren Wortlaut sei auf NZA 2016 S. 1202f. verwiesen).
Die Massenentlassung wurde ordnungsgemäß angezeigt und am 1.1. genehmigt. Das Arbeitsverhältnis wurde mit Schreiben vom 22.2. zum 31.5. gekündigt, der Personalchef unterzeichnete dieses ohne eine Vollmachturkunde beizulegen.
Die Klägerin macht geltend, dass dem Betriebsrat nicht mitgeteilt worden sei, welche Berufsgruppen betroffen sein werden und dass das Interessenausgleichsverfahren mit dem Konsultationsverfahren verbunden worden sei. Außerdem sei die Entlassung nicht im zeitlichen Zusammenhang mit der Massenentlassungsanzeige erfolgt (§ 18 Abs. 4 KSchG).
Die Wirksamkeit der Kündigung wird umfassend geprüft:
I. Schriftliche Kündigungserklärung
Eine schriftliche Kündigungserklärung gemäß § 623, 130 BGB ist zugegangen.
II. Wirksamkeit nach allgemeinen Regeln
Die Arbeitgeberin kündigte nicht selbst. Vielmehr erklärte der Personalchef die Kündigung. Dieser müsste Vertretungsmacht gehabt haben. Dadurch, dass die Kündigung eine einseitige rechtsgestaltende Willenserklärung ist, müsste der Kündigende die Vollmachturkunde vorgelegt haben (§ 174 S. 1 BGB). Dies ist nicht geschehen. Die Klägerin hat daher grundsätzlich die Möglichkeit die Kündigung unverzüglich zurückzuweisen. Dies würde zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Fraglich ist, ob hier etwas anderes gilt, da der Personalchef gekündigt hat. Insofern könnte gemäß § 174 S. 2 BGB die Zurückweisung ausgeschlossen sein. Für die Kenntnis ist ausreichend, wenn die Arbeitnehmerin, entweder wegen Offensichtlichkeit im Betriebsleben oder allgemeiner/ individueller Bekanntgabe, wusste, dass der Kündigende eine Funktion innehatte, die üblicherweise mit einem Kündigungsrecht verbunden ist (etwa Personalleitung, Prokura). Im Fall liegt genau dies vor, sodass eine Zurückweisung der Kündigung ausscheidet.
[Anm.: auch in einer arbeitsrechtlichen Klausur können Probleme aus dem BGB eingebaut werden.]
Mangels Sachverhaltsangaben ist davon auszugehen, dass die Frist des § 622 BGB eingehalten wurde.
III. Anhörung des Betriebsrates und besonderer Kündigungsschutz
Der Betriebsrat wurde gemäß § 102 BetrVG angehört und bestätigte die Kündigung. Ein besonderer Kündigungsschutz, etwa nach § 9 MuSchG, § 18 BEEG oder §§ 85, 91 SGB IX bestand nicht.
IV. Allgemeiner Kündigungsschutz nach KSchG
1. Persönliche und sachliche Anwendbarkeit des KSchG
Dadurch, dass im Betrieb regelmäßig mindestens zehn Arbeitnehmer angestellt waren, und die Klägerin selbst mehr als 6 Monate angestellt war ist der sachliche (§ 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG) und der persönliche (§ 1 Abs. 1 KSchG) Anwendungsbereich des KSchG eröffnet.
2. Präklusion
Die Klägerin ist nicht gemäß §§ 4, 7 KSchG präkludiert, da die Klage rechtzeitig erhoben wurde.
3. Soziale Rechtfertigung
Dadurch dass die Arbeitgeberin sich nur auf betriebsbedingte Gründe beruft, hat eine Prüfung, ob eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung zulässig wäre, nicht zu erfolgen.
a) Kündigungsgrund
Es müsste ein betrieblicher Grund vorliegen, der eine unternehmerische Entscheidung herbeiführt, die den Arbeitsplatz entfallen lässt.
Die Gründe allein (etwa Absatzrückgang, Rohstoffmangel, … (außerbetriebliche Ursachen) oder Änderungen im Fertigungsprozess etwa durch die Einführung von Maschinen, Rationalisierungsmaßnahmen, Outsourcing, … (innerbetriebliche Ursachen)) führen nicht zum Wegfall der Arbeitsplätze. Erst wenn die unternehmerische Entscheidung, die auf Grund der Ursachen getroffen wurde, umgesetzt wird, fällt eine Beschäftigungsmöglichkeit weg.
Gerichtlich überprüfbar ist lediglich, ob die Gründe tatsächlich vorliegen und ob die unternehmerische Entscheidung offensichtlich unrichtig, unsachlich oder willkürlich ist. Diese eingeschränkte Überprüfbarkeit ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG, da niemand gezwungen werden kann am Markt tätig zu werden oder zu bleiben.
Dadurch dass die Stilllegung tatsächlich erfolgte, ist zu vermuten, dass sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. In dem Gewinnverfall liegt ein nicht angegriffener Grund, der die Betriebsstilllegung nicht als offensichtlich unsachlich darstellt.
Dadurch dass hier eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vorliegt und im Interessenausgleich eine Namensliste vorlag, wird gemäß § 1 Abs. 5 KSchG vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.
b) Prognose
Die Entscheidung müsste den Wegfall eines Arbeitsplatzes begründen. Hierzu genügt es, wenn mehr Arbeitskräfte vorhanden sind, als für die Arbeit erforderlich wären.
Unzulässig wäre etwa eine sog. Austauschkündigung, bei der die gekündigten Arbeitnehmer durch neue, über den gleichen Vertragstypen verpflichtete, ersetzt werden (bei anderem Vertragstyp (etwa Leiharbeit) nimmt die Rspr. eine unternehmerische Entscheidung an).
Die Arbeitgeberin muss bei äußeren Gründen darlegen, warum diese zu einem Rückgang der Beschäftigungsmöglichkeiten führen. Dabei darf sie die Kündigung aussprechen, wenn bei einer vernünftigen Betrachtung nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten anzunehmen ist, dass bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Beschäftigungsmöglichkeit tatsächlich weggefallen ist. Der Einsatz bis zum Ende der Frist ist unschädlich. Bei Änderung der Umstände, kommt allenfalls ein Weiterbeschäftigungsanspruch in Betracht (§ 242 BGB).
Aufgrund dessen, dass der geltend gemachte Grund die Betriebsstilllegung vernünftig begründet und diese Entscheidung tatsächlich zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt, hat die Unternehmerentscheidung Einfluss auf die Arbeitsmenge.
c) Ultima Ratio
Die Kündigung ist immer ultima ratio. Es muss dem Unternehmer unmöglich sein, seine geplante Änderung durch andere Maßnahmen umzusetzen. Etwa der Überstundenabbau hätte Vorrang. Dadurch, dass hier der Betrieb stillgelegt werden soll, fällt jede Arbeit weg und eine andere Möglichkeit als zu kündigen, um die Entscheidung umzusetzen, kommt nicht in Betracht.
d) Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
§ 1 Abs. 2 S. 2 KSchG regelt, dass die Kündigung unwirksam ist, wenn ein Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen frei ist, an dem die Arbeitnehmerin weiterbeschäftigt werden könnte. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 Alt. 1 KSchG darf auch eine Weiterbeschäftigung nach Umschulung oder Fortbildung nicht in Betracht kommen und auch änderbare Arbeitsbedingungen stehen der Wirksamkeit der Kündigung entgegen, sofern die Arbeitnehmerin sich damit einverstanden erklärt (§ 1 Abs. 2 S. 3 Alt. 2 KSchG). Bei letzterem ist vor dem Angebot zu prüfen, ob die Änderungen nicht durch Weisungen innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses möglich sind.
Dadurch dass hier eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vorliegt und im Interessenausgleich eine Namensliste vorlag, wird auch vermutet, dass die Weiterbeschäftigung in einem anderen Betrieb nicht möglich ist.
e) Sozialauswahl
Die Sozialauswahl soll sicherstellen, dass die konkrete Kündigung soziale Gesichtspunkte berücksichtigt und die Personen entlassen werden, die sozial am wenigsten schutzbedürftig sind.
[Anm.: Hier wäre auf Grund der Stilllegung des gesamten Betriebes eine ausführliche Prüfung entbehrlich, der Vollständigkeit halber wird dennoch darauf eingegangen. Gemäß § 1 Abs. 5 KSchG müsste nur auf grobe Fehlerhaftigkeit geprüft werden.]
Die Sozialauswahl bezieht sich nur auf den konkreten Betrieb. Zunächst wäre der einzubeziehende Personenkreis zu ermitteln. Dies sind alle Arbeitnehmer, die seit 6 Monaten im Betrieb beschäftigt sind, bei denen die ordentliche Kündbarkeit weder durch Tarifvertrag noch Gesetz modifiziert ist (str.) und die vergleichbar sind.
Vergleichbarkeit liegt vor, wenn die Arbeitnehmer gegeneinander ausgetauscht werden können. Dies ist eine sog. qualifikationsmäßige Austauschbarkeit, das heißt es kommt nicht auf die Identität der Arbeitsplätze an, sondern darauf, dass der Arbeitnehmer aufgrund von Qualifikation und bisheriger Beschäftigung in der Lage ist, den anderen, aber gleichwertigen Arbeitsplatz zu besetzen. Indizwirkung können etwa die Berufsbildung, die tarifliche Eingruppierung oder die betriebliche Spezialisierung haben. Nicht vergleichbar sind solche Arbeitsplätze, auf die sich das Weisungsrechts des Arbeitgebers nicht erstreckt.
Auswahlkriterien sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und das Bestehen einer schweren Behinderung (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG). Diese Kriterien sind gleichwertig und ausreichend zu berücksichtigen, unbillige Härten können in Einzelfällen ebenfalls zu berücksichtigen sein. Eine Richtlinie nach § 1 Abs. 4 KSchG führt zu einer eingeschränkten Überprüfbarkeit.
Wenn an der Beschäftigung einer Person ein berechtigtes betriebliches Interesse im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG besteht, kann diese Person aus der Auswahl herauslassen werden.
Dadurch dass hier allen Arbeitnehmern des Betriebes gekündigt wurde, kommt eine Sozialauswahl nicht in Betracht.
4. Zwischenergebnis
Die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung nach dem KSchG liegen vor.
V. Zu § 17 KSchG
Der Betriebsrat könnte fehlerhaft unterrichtet worden sein. § 17 Abs. 2 KSchG setzt fest, dass der Betriebsrat bei einer Massenentlassung im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG über bestimmte Dinge zu informieren ist, um so ein einem Konsultationsverfahren zu ermitteln, ob Entlassungen beschränkt oder eingeschränkt werden können oder durch soziale Begleitmaßnahmen die Folgen zu dämpfen.
Dadurch dass dem Betriebsrat mitgeteilt wurde, dass der unterbreitete Vorschlag den Interessenausgleich nach § 112 BetrVG und die Konsultation verbindet und er dies gebilligt hat, war dies dem Betriebsrat klar und die Verbindung ist zulässig. Der Betriebsrat hat damit die vollständige Unterrichtung, die Durchführung der Beratung und die Beendigung des Verfahrens bestätigt.
Fraglich bleibt daher, ob die Unterrichtung fehlerhaft war, weil die Berufsgruppen nicht genannt wurden. Dies ist grundsätzlich erforderlich (§ 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 3 KSchG). Dieser Mangel könnte durch die Stellungnahme des Betriebsrates (§ 10) geheilt worden sein. Die bloße Erklärung des Betriebsrats reicht hierzu grundsätzlich nicht aus. Eine Heilung kommt aber in Betracht, wenn wegen der Stilllegung alle Arbeitnehmer entlassen werden und der Betriebsrat hierüber ordnungsgemäß informiert wurde. Der Betriebsrat kann dann erkennen, dass offensichtlich alle Beschäftigten betroffen sind. Wenn der Betriebsrat erklärt, dass die Beratung nach § 17 Abs. 2 erfolgt ist, bringt er damit zum Ausdruck, dass er trotz ausreichender Informierung keine weiteren konstruktiven Vorschläge unterbreiten kann. Diese Erklärung kann auch in einem Interessenausgleich enthalten sein.
Der Normzweck von § 17 Abs. 2 wurde im Fall somit erfüllt, der Mangel in der Unterrichtung geheilt. Eine Nichtigkeit gemäß § 134 BGB liegt nicht vor.
VI. Zu § 18 KSchG
Gemäß § 18 Abs. 4 KSchG bedarf eine Massenentlassung der Anzeige bei der Agentur für Arbeit. Dies muss wiederholt werden, wenn 90 Tage später eine Massenentlassung erfolgen soll.
Stellt man auf den Zeitpunkt der Erklärung ab, wäre die Frist gewahrt, beim Abstellen auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingegen nicht. Das BAG geht in seiner Entscheidung davon aus, dass mit „durchführen“ (synonym: verwirklichen, ausführen) die Kündigungserklärung gemeint ist. Begründet wird dies damit, dass der Gesetzgeber „Vorratsanzeigen“ verhindern wollte. Diese Ansicht ist zutreffend. Dies ergibt sich bei systematischer Auslegung auch aus § 622 BGB: Dessen Fristen sind teilweise deutlich länger als 3 Monate und insofern wäre der Arbeitgeber gezwungen auf Grund desselben Sachverhalts wegen der verschiedenen Kündigungsfristen mehrere Anzeigen zu erstellen. Dies ist aber nicht der Sinn des § 18 KSchG, der die Informierung der Agentur für Arbeit über das Ausmaß der Kündigungen vorsieht. [Anm.: mit entsprechender Argumention wäre in einer Klausur wohl auch das Gegenteil gut vertretbar]
VII. Ergebnis
Im Ergebnis ist die Kündigung daher wirksam.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass viele Dinge hier ausführlicher behandelt wurden, als dies bei einem so unproblematischen Sachverhalt erforderlich wäre. Der Beitrag sollte die Grundlagen für die Prüfung einer betriebsbedingten Kündigung aufzeigen. Spezielle Probleme konnten daher nur angerissen werden.
Literatur:
Glöge-Müller, Rudi; Preis. Ulrich; Schmidt, Ingrid (Hrsg): Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (insbes. §§ 1, 17, 18 KSchG)
Hromadka, Wolfgang; Maschmann, Frank: Arbeitrecht Band 1 (§ 10 Rn. 36 ff.)
Michalski, Lutz: Arbeitsrecht (Vierter Abschnitt, D.; Rn. 335 ff.)
NZA 2016, 1198 ff.; NZA 2016, 1202 ff.
*Zur besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Form verwendet, es ist stets auch die weibliche gemeint.