• Suche
  • Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > § 153 StPO

Schlagwortarchiv für: § 153 StPO

Carlo Pöschke

Klimanotstand als Rechtfertigungsgrund?

Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Uncategorized

Der Klimaschutz ist eine der drängendsten, wenn nicht sogar die drängendste Aufgabe unserer Zeit. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Aufsehen erregenden Beschluss aus dem letzten Jahr entschieden, dass Art. 20a GG den Staat zum Klimaschutz verpflichte (BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18 u.a., NJW 2021, 1723). Politische Prozesse nehmen jedoch, insbesondere wenn die Lösung eines Problems globale Anstrengungen verlangt, eine gewisse Zeit in Anspruch. Einige wollen nicht auf die Politik warten, nehmen die Sache selbst in die Hand und kleben sich wahlweise an Straßen fest, bewerfen weltberühmte Kunstwerke mit Kartoffelbrei oder besetzen fremde Grundstücke. Neu sind derartige Proteste, die häufig auch als „ziviler Ungehorsam“ bezeichnet werden, nicht. Derartige Verhaltensweisen sind beispielsweise bereits aus der Zeit der Friedensbewegung bekannt. Damals wie heute stellt sich die immer gleiche Frage: Lässt sich ein solches Verhalten strafrechtlich rechtfertigen? Die Antwort erschien lange eindeutig, doch gibt eine Entscheidung des Amtsgerichts Flensburg vom 07.11.2022 Anlass, sich erneut mit der Fragestellung zu befassen. Examensrelevant ist die Frage allemal.

A. Sachverhalt

Das Amtsgericht Flensburg hat bislang weder das Urteil noch eine Pressemitteilung veröffentlicht. Insofern muss man sich mit den aus der allgemeinen Medienberichtserstattung zu entnehmenden Informationen begnügen (SZ v. 07.11.2022; NDR v. 08.11.2022): Der Angeklagte hat vor rund zwei Jahren mit anderen unbefugt ein eingezäuntes Gelände betreten, auf dem ein Hotel gebaut werden soll. Dort hat sich der Angeklagte in Baumhäusern mit weiteren Personen aufgehalten, um auf die geplante Fällung der Bäume aufmerksam zu machen. Die Richterin hat den Angeklagten mit Verweis auf den rechtfertigenden Notstand freigesprochen, da der Einsatz für Klimaschutz schwerer wiege als der Eigentumsschutz der Hotelinvestoren.

B. Rechtliche Erwägungen

Durch das Betreten des Grundstücks und den Aufenthalt in Baumhäusern könnte sich der Beklagte gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 StGB wegen Hausfriedensbruch strafbar gemacht haben.

I. Der Beklagte ist in befremdetes Besitztum eines anderen widerrechtlich eingedrungen und handelte dabei vorsätzlich, sodass der Tatbestand des § 123 Abs. 1 Alt. 1 StGB erfüllt ist.

II. Die Tat müsste rechtswidrig sein. Möglicherweise ist die Tat jedoch im Wege des rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB gerechtfertigt.

  1. Eine Rechtfertigung würde zunächst das Bestehen einer Notstandslage voraussetzen. ´

a) Es müsste eine Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut bestehen. Unter einer Gefahr versteht man einen Zustand, dessen Weiterentwicklung den Eintritt eines Schadens ernstlich befürchten lässt. Als notstandsfähige Rechtgüter kommen zum einen der Klimaschutz, der inzwischen auch durch einen Verfassungsauftrag in Art. 20a GG unterlegt ist, und im Lichte der Klima-Entscheidung des BVerfG sogar das Individualrechtsgut Leben in Betracht. Schließlich schließt der in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verbürgte Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit den Schutz vor Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen.

Gegen das Vorliegen einer Gefahr könnte jedoch sprechen, dass der Gefahrenbegriff durch das Kriterium des allgemeinen Lebensrisikos begrenzt wird. Keine Notstandslage begründen demnach allgemeine Lebensrisiken im Sinne abstrakter Gefahren, wobei in der Literatur als Beispiel Bedrohungen durch Kernenergie angeführt werden (Matt/Renzikowski/Engländer, StGB, 2. Aufl. 2020, § 34 Rn. 11; NK-StGB/Neumann, 5. Aufl. 2017, § 34 Rn. 40; Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl. 2019, § 34 Rn. 15). Andererseits ließe sich auch argumentieren, dass es nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft als sicher gilt, dass der Klimawandel auch in Deutschland erhebliche Folgen zeitigen wird. Anders als im Fall des Betriebs von Atomkraftwerken kann man beim Klimawandel nicht darauf vertrauen, dass es schon gut gehen werde. Auf Gefahrenebene lässt sich also durchaus sowohl in die eine als auch in die andere Richtung argumentieren.

b) Sofern man eine Gefahr annimmt, müsste diese auch gegenwärtig sein. Der Schadenseintritt müsste also unmittelbar bevorstehen, sich gerade realisieren, aber noch gemindert werden können, oder es müsste ein Zustand bestehen, der jederzeit in einen Schaden umschlagen kann. Auch wenn davor gewarnt wird, dass sich in Zukunft bei nicht entschlossenem Handeln auch in Deutschland die Folgen des Klimawandels bemerkbar machen, ist nicht ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Besetzung des Grundstücks der Angeklagte oder ein anderer derart konkret und unmittelbar gefährdet gewesen wäre, wie es eine Rechtfertigung nach § 34 StGB verlangt (zur Gegenwärtigkeit der von Atomwaffen ausgehenden Gefahren: OLG Köln, Urt. v. 13.08.1985 – Ss 120/85, NStZ 1985, 550). Zu berücksichtigen ist auch, dass Deutschland aufgrund seiner geographischen Situation und der wirtschaftlich privilegierten Lage die Auswirkungen des Klimawandels länger wird herauszögern können als andere Staaten. Insoweit ist das Gegenwärtigkeitsmerkmal des § 34 StGB nicht erfüllt.

c) Es sprechen also bereits gute Gründe für eine Ablehnung der Notstandslage. Die Rechtsprechung hat die Frage des Bestehens einer Notstandslage in vergleichbaren Fällen als entscheidungsunerheblich dahinstehen lassen (OLG Köln, Urt. v. 13.08.1985 – Ss 120/85, NStZ 1985, 550; LG Dortmund, Urt. v. 14.10.1997 – Ns 70 Js 90/96, NStZ-RR 1998, 139).

  1. Wer eine Notstandslage annimmt, muss weiter fragen, ob eine taugliche Notstandshandlung vorliegt. Die Voraussetzung, dass die Gefahr nicht anders abwendbar ist, entspricht dem Merkmal der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung i.R.d. § 32 StGB. Die Notstandshandlung muss also zum einen geeignet sein, den drohenden Schaden zu vermeiden oder zumindest abzumildern, und muss zum anderen das mildeste dem Täter zur Verfügung stehende Mittel darstellen.

a) Es erscheint bereits nicht naheliegend, dass durch das Besetzen eines fremden Grundstücks die durch den fortschreitenden Klimawandel verursachten Auswirkungen verhindert oder abgemildert werden können. Zwar hat die Aktion in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt und auf die mit dem Klimawandel verbundenen Gefahren hingewiesen. Jedoch steht das Thema auch ohne solche Aktionen im Zentrum der medialen und politischen Aufmerksamkeit. Durch Aufmerksamkeit allein kann zudem der Klimawandel nicht bekämpft werden, es müssen vielmehr politische Entscheidungen getroffen und implementiert werden. Dabei muss ein globales Problem wie der Klimawandel global angegangen werden, um eine messbare Verbesserung zu erreichen. Durch das Besetzen eines Grundstücks wird dieser politische Prozess nicht beschleunigt.

b) Jedenfalls erweist sich das Besetzen eines fremden Grundstücks nicht als das mildeste Mittel zur Abmilderung der durch den Klimawandel verursachten Gefahren. Insofern lassen sich die Gedanken, die das LG Dortmund (Urt. v. 14.10.1997 – Ns 70 Js 90/96, NStZ-RR 1998, 139) bereits vor einem Vierteljahrhundert zur Strafbarkeit der öffentlichen Aufforderung zur Schienendemontage bei Castor-Transporten geäußert hat, auf die hiesige Fallkonstellation übertragen:

Innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland stehen dem Angekl. viele Möglichkeiten zur Erreichung seines Zieles zur Verfügung. Er kann seine Meinung […] jedermann gegenüber in vielfältiger Weise kundtun und von der Richtigkeit seiner Meinung zu überzeugen versuchen. Er kann seine Meinung über Medien verbreiten und öffentlich die Auseinandersetzung mit politisch Andersdenkenden suchen. Er kann eine Partei gründen oder sich einer anschließen, in der er seine politischen Ziele am besten vertreten sieht und dafür kämpfen, daß diese gegebenenfalls in Koalition mit anderen – die politische Mehrheit erreicht und die aus seiner Sicht notwendige Entscheidung zu einem Ausstieg aus der Kernenergie trifft. Er kann sich auch außerhalb der politischen Parteien anderweitigen Institutionen anschließen, in denen er seine Ziele vertreten sieht oder auf besondere Aktionen mit demonstrativem Charakter, die nicht in die Rechtsgüter anderer eingreifen, setzen. Der Angekl. hat es mit anderen Worten – zusammen mit politisch Gleichgesinnten – in der Hand, auf politischem Wege inner- und außerhalb des Parlaments für die von ihm für [die von ihm verfolgten Ziele] zu kämpfen. Diese Möglichkeiten muß der Angekl. […] vorrangig ausschöpfen. Sie sind gegenüber dem von ihm gewählten die relativ milderen Mittel, auf die er zur Erreichung seines Ziels von Rechts wegen beschränkt ist […].

c) Es fehlt also an der tauglichen Notstandshandlung.

  1. Jedenfalls in Ermangelung einer Notstandshandlung gelangt man in der Prüfung gar nicht mehr zu der von § 34 S. 1 StGB weiter geforderten Abwägung der widerstreitenden Interessen, im Rahmen derer – wie es offenbar die Flensburger Richterin tat – man dem Einsatz für den Klimaschutz den Vorrang gegenüber dem Eigentumsschutz bzw. dem Schutz des Hausrechts einräumen könnte. Selbst wenn man bis zu einer Abwägung gelangen würde, würde der Einsatz für den Klimaschutz bereits aus demokratietheoretischen Überlegungen nicht den Vorrang genießen. Denn:

[B]ei der dort erforderlichen Interessenabwägung [wäre] stets auch zu berücksichtigen […], dass bewusste Normverletzungen als Mittel einer Minderheit, auf den öffentlichen Willensbildungsprozess einzuwirken, mit den Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats schlechterdings unvereinbar sind […]. (Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl. 2019, § 34 Rn. 41a m.w.N.)

  1. All diese Erwägungen zeigen: Man kann bei der Rechtfertigungsprüfung an verschiedenen Stellen unterschiedlich abbiegen. Im Ergebnis scheidet jedoch eine Rechtfertigung nach § 34 StGB aus.

III. Der Angeklagte handelte schuldhaft.

IV. Somit hat sich der Angeklagte gemäß § 123 Abs. Alt. 1 StGB wegen Hausfriedensbruchs  strafbar gemacht.

C. Zum Begriff des „zivilen Ungehorsams“

Damit bleibt die Frage zu klären, was es mit dem im politischen Diskurs häufig genutzten Begriff des zivilen Ungehorsams auf sich hat. Im Kern versteht man unter zivilem Ungehorsam das gewaltlose gesetzeswidrige Handeln aus politischen Gründen. Zurückgeführt wird diese Figur vielfach auf den Essay „The Resistance to Civil Government“ aus dem Jahr 1848, in dem der US-amerikansiche Schriftsteller und Publizist Henry David Thoreau folgerte:

[Ist] das Gesetz so beschaffen, dass es dich braucht, um einem anderen Unrecht zuzufügen, so sage ich: Brich das Gesetz! Mache dein Leben zur Gegenreibung, um die Maschine zum Halt zu bringen. Was immer geschieht, ich muss unbedingt vermeiden, mich zu jenem Unrecht herzugeben, das ich verdamme. (zitiert nach: Braune, in: Staatslexikon, Bd. 6, 8. Aufl. 2021, Stichwort: Ziviler Ungehorsam)

Bei genauerem Hinsehen führt jedoch der Begriff des zivilen Ungehorsams nicht weiter: Ist eine Tat bereits nach § 34 StGB oder anderen Rechtfertigungsgründen gerechtfertigt, ist diese Figur überflüssig. Auch als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund taugt der zivile Ungehorsam, wie bereits das BVerfG treffend dargelegt hat, nicht:

Dabei bliebe zudem außer acht, daß zum Wesen des zivilen Ungehorsams nach der Meinung seiner Befürworter die Bereitschaft zu symbolischen Regelverletzungen gehört, daß er also per definitionem Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen einschließt als Mittel, auf den öffentlichen Willensbildungsprozeß einzuwirken. Angesichts dieser Zielrichtung erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen. (BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 u.a., BVerfGE 76, 206)

Völlig unberücksichtigt muss die Geringfügigkeit eines Regelverstoßes bei gleichzeitiger Verfolgung eines billigenswerten Fernziels hingegen nicht bleiben: Neben einer Berücksichtigung bei der Strafzumessung kann von der Strafverfolgung aus Opportunitätsgründen nach Maßgabe der §§ 153, 153a StPO abgesehen werden (vgl. Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl. 2019, § 34 Rn. 41a).

D. Zusammenfassung in Thesen


    • Im Rahmen von Klimaprotesten begangene Straftaten können nicht über § 34 StGB gerechtfertigt werden. Es fehlt jedenfalls an einer tauglichen Notstandshandlung. Die Veröffentlichung des Urteils des Amtsgerichts Flensburg bleibt abzuwarten, es scheint jedoch, als habe das Gericht mit seiner Entscheidung unter Missachtung des von § 34 StGB vorgegebenen Prüfungsschemas ein politisches Anliegen stärken wollen. Prüfungskandidaten sollten den Wortlaut des Gesetzes ernst nehmen und können sich an der konsistenten Rechtsprechung und Literatur, die sich über die Jahrzehnte zu diesem Thema gebildet hat, orientieren.
    • Der Terminus des zivilen Ungehorsams hilft in einer rechtlichen Diskussion nicht weiter.
    • Die etwaige Geringfügigkeit des Regelverstoßes kann angemessen über die Strafzumessung und die §§ 153, 153a StPO berücksichtigt werden.
    • Auch die Verfolgung so wichtiger Ziele wie das des Klimaschutzes entbindet nicht von der Beachtung der Gesetze. Statt durch die Begehung von Straftaten Aufsehen zu erregen, sollten Aktivisten Einfluss auf den politischen Prozess nehmen, um den Klimaschutz zu beschleunigen und zu intensivieren.
    • Kurzum: Das verfolgte Ziel ist verdienstvoll, es kommt auf eine kluge Wahl geeigneter Mittel zur Erreichung desselben an!
14.11.2022/0 Kommentare/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2022-11-14 09:00:002022-12-23 08:58:23Klimanotstand als Rechtfertigungsgrund?
Dr. Johannes Traut

Ermittlungen gegen zu Guttenberg eingestellt

StPO, Strafrecht, Tagesgeschehen

Gestern hat die Staatsanwaltschaft Hof die Ermittlungen gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Guttenberg wegen der Plagiate in seiner Dissertation nach § 153a StPO eingestellt (Bericht von beck-online v. 23.11.2011).
I. Materiell-rechtliche Probleme

  • Urheberrechtsverletzungen: Der Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG ist wohl erfüllt. Jedenfalls die Staatsanwaltschaft Hof ging hiervon aus.
§ 106 UrhG Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke:
(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
  • Möglicherweise § 263 Abs. 1 StGB (Betrug) gegenüber dem Deutschen Bundestag durch Nutzung dessen wissenschaftlichen Dienstes für private Zwecke. Hier fehlt es wohl vor allem am Schaden.
  • Möglicherweise § 266 Abs. 1 StGB (Untreue) durch dieselbe Handlung. Insofern ist jedoch schon das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht (nach h.M. für beide Tatvarianten erforderlich) mehr als fraglich.
  • §§ 267, 274 StGB (Urkundenfälschung, Unterdrückung von Urkunden): Schützen nicht die inhaltliche Richtigkeit.
  • Amtsanmaßung (§ 132a StGB): Der Titel war wirksam verliehen, daher durfte Guttenberg ihn auch führen.

In der Prüfung ist insofern in erster Linie Problembewußtsein und dann eigenständige Argumentation gefragt. Zu den materiell-rechtlichen Problemen ausführlicher unser Artikel: „Noch einmal aus aktuellem Anlass: Strafbarkeit bei plagiierten Dissertation“ und, insbesondere zum Betrug und der zivilrechtlichen Seite „Plagiat in der Dissertation von Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg – rechtliche Implikationen und andere interessante Fälle„.
II. Die Einstellung nach § 153a StPO
Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153a StPO gegen Zahlung von 20.000€ an die Deutsche Kinderkrebshilfe eingestellt. Die Einstellung nach § 153a StPO ist ein in der Praxis häufiges Mittel, wenn eine Einstellung nach § 153 StPO wegen geringer Schuld (und fehlendem öffentlichen Interesse) nicht mehr in Betracht kommt.
§ 153a StPO geht in zweierlei Hinsicht über § 153 StPO hinaus, nämlich sowohl hinsichtlich des Grades der Schuld wie auch hinsichtlich des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung: Während § 153 StPO eine Einstellung nur zulässt, wenn die Schuld Täters „gering“ ist UND KEIN öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, ermöglicht § 153a StPO eine Einstellung „soweit die Schuld des Täters nicht entgegensteht“ – also bei einem höheren Maß an Schuld. Außerdem trotz eines zunächst bestehenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eingestellt werden, soweit dieses durch Auflagen nach § 153a Abs. 1 S. 2 StPO beseitigt wurde.

§ 153a  [Einstellung des Verfahrens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen]
Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. […]

Vorliegend ist die Schwere der Schuld sicherlich kein Einstellunghindernis: Insgesamt ist der wirtschaftliche Schaden durch die sicher erfüllten Urheberrechtsverletzungen als gering zu bewerten und zu Guttenberg ist Ersttäter. Bei der Beurteilung der Schuld kann man durchaus auch einbeziehen, dass in der wissenschaftlichen Praxis „Plagiate“ wenn nicht stillschweigend hingenommen, so doch kaum verfolgt wurden. Wenn man sich vor Auge hält, dass auch Verkehrsdelikte mit Personenschäden und sogar Fälle fahrlässiger Tötung unter § 153a StPO fallen können, ist die Schuld zu Guttenbergs sicherlich am unteren Rande anzusiedeln. Dazu und allgemein zu der Schwere der Schuld vgl. Beck’scherOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 12ff.).
Problematisch ist jedoch, ob das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt werden kann. Zunächst ist im Falle zu Guttenbergs vor allem zu klären, wonach sich dieses Interesse bemisst: Geht es nur um „die Tat als solche“ oder dürfen auch Gründe aus seiner Person, und hier insbesondere seine Stellung im öffentlichen Leben, einbezogen werden?
Die wohl überwiegende Meinung bejaht letzteres – bei einem Prominenten kann daher wegen der Vorbildfunktion ein (größeres) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen sein als bei einer unbekannten Person (vgl. KarlsruherKo-StPO/Schoreit, § 153 Rn. 23 m.w.N.). Insbesondere soll das bei „politischen Verwerfungen“ gelten (KarlsruherKo-StPO/Schoreit, § 153 Rn. 25 m.w.N). Die Gegenansicht dagegen möchte Gründe, die in der Person des Täters liegen, eher ausblenden (etwa Löwe/Rosenberg/BeulkeStPO § 153 Rn. 33). Ein bloßes Interesse der Medien an dem Fall reicht jedenfalls nicht (LG Bonn NStZ 2001, 375).
Letztlich muss man sich hier eine eigene Meinung bilden. Ich halte eine vermittelnde Ansicht für richtig: Der Sinn der Strafverfolgung ist es sicherlich nicht, ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu befriedigen, sondern sollte sich nach general- oder spezialpräventiven Gesichtspunkten richten. Denn letztlich dient die Strafverfolgung den gleichen Zwecken wie die Strafe selbst. Im Rahmen dieser kann dann durchaus die Vorbildfunktion des Prominenten einbezogen werden.
Das gilt insbesondere im Falle zu Guttenbergs, der sich auf der politischen Bühne mit dem Ruf der Integrität zu profilieren suchte. Stellt sich heraus, dass diese Fassade unrichtig war, liegt der Gedanke, dass auch andere diesem negativen Vorbild folgen würden, nicht fern. Es bestand also durchaus ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung.
Ob dieses durch die Auflage in Höhe von 20.000€ beseitigt wurde, mag man diskutieren. Dort heißt es bei Beck’scherOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 17ff: Für die Einstellung spricht,

„[…] wenn die langwierige Durchführung des Verfahrens durch mehrere Instanzen nicht mehr im Verhältnis zur Tat oder zum Schutzgehalt und damit auch zur eventuellen Höhe der Strafe stünde, eine verständliche Motivlage des Beschuldigten, seine fehlende kriminelle Vorbelastung und seine Person als solches, eine fehlende Wiederholungsgefahr, Bemühung um Schadenswiedergutmachung und geringe Tatfolgen“.

Ich denke im Ergebnis sind 20.000 € gut vertretbar. Es ist sicherlich eine recht hohe Summe im Verhältnis zu den eingetretenen Schäden. Damit wird dann dem aus der Person des Ex-Verteidigungsminister fließenden höheren öffentlichen Intersse genügt.

24.11.2011/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2011-11-24 10:40:472011-11-24 10:40:47Ermittlungen gegen zu Guttenberg eingestellt

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien
  • Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen
  • BVerfG zur automatisierten Datenanalyse

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Alexandra Ritter

Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen

Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Strafrecht, Uncategorized, Verschiedenes, Zivilrecht

Viele Jahre bereitet man sich durch Studium und Repetitorium darauf vor und irgendwann ist es soweit: man schreibt das erste Staatsexamen. Sechs Klausuren und eine mündliche Prüfung (so zumindest in […]

Weiterlesen
06.03.2023/2 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2023-03-06 09:00:002023-03-03 14:16:44Die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen
Gastautor

Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien

Rechtsgebiete, Strafrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Sabrina Prem veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Volljuristin. Ihr Studium und Referendariat absolvierte sie in Düsseldorf. Was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff „Kriminologie“? […]

Weiterlesen
06.03.2023/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-03-06 09:00:002023-03-04 22:16:59Basiswissen Kriminologie – über Genese, bekannte Persönlichkeiten und die relativen Straftheorien
Gastautor

BVerfG zur automatisierten Datenanalyse

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. In einem Urteil des […]

Weiterlesen
23.02.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-02-23 10:21:212023-03-04 22:16:40BVerfG zur automatisierten Datenanalyse

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen