Strafrechts-Klausur: „Alles Käse“
Vor kurzem hatte das OLG Zweibrücken (Az. 1 OLG 2 Ss 7/22) einen Fall zu entscheiden, der wie gemacht ist für eine Strafrechtsklausur. Ein Verkehrsunfall, ein Diebstahl, Berufswaffenträger, eine Irrtumsproblematik, Auseinandersetzung mit aktuellster BVerfG-Rechtsprechung – alles ist dabei. Der zugrundeliegende Sachverhalt soll hier leicht abgewandelt und vereinfacht als Ausgangspunkt für eine Beispielsaufgabenstellung in einer Klausur mit Lösungsvorschlag genutzt werden.
I. Sachverhalt
Polizist Tim (T) wird eines Nachmittags zu einem Einsatz auf einer Ortsstraße nahe seiner Dienststelle gerufen. Ein LKW der Käserei des O, der von der Käserei zu einem Laden im selben Ort unterwegs war, war mit einem PKW zusammengeprallt (Anmerkung: Hier besteht natürlich Spielraum, einen ersten Tatkomplex mit dem Fokus auf Verkehrsdelikten zu bilden. Der Übersichtlichkeit halber wird hier darauf verzichtet). Der LKW des O war bei dem Unfall so stark beschädigt worden, dass der Kühlcontainer aufgebrochen und einige der geladenen Käselaibe herausgefallen waren. Als T voll uniformiert und ordnungsgemäß mit seiner geladenen Dienstwaffe bewaffnet am Unfallort ankam, war die Unfallstelle bereits gesichert. Der bei O angestellte Fahrer des LKW, F, war gerade dabei, die herausgefallenen Käselaibe aufzusammeln und zu stapeln.
In solchen Fällen ist es üblich, dass ein sog. Havariekommissar beauftragt wird, das Transportgut zu prüfen und eine Empfehlung auszusprechen, wie mit der Ware weiter zu verfahren ist. Ein Havariekommissar war bei Eintreffen des T am Unfallort noch nicht beauftragt worden. Das war dem T – ebenso wie die übliche Prozedur der Prüfung und Empfehlung – bewusst. Da es am Unfalltag sehr warm war und T eine Lebensmittelverschwendung nur schwer mit ansehen kann, entschließt er sich, einige Käselaibe zum Verzehr mitzunehmen. Er geht davon aus, der O habe ohnehin kein Interesse mehr an dem Käse, schließlich war die Kühlkette unterbrochen worden. Nach Einschätzung des T wäre O sicher einverstanden, dass er – T – den Käse zum Verzehr mitnimmt, ansonsten könnte man die Ware schließlich sicherlich nur wegschmeißen. Er weist Fahrer F an, ihm sechs Käselaibe zu übergeben. Ursprünglich hatten die Käselaibe insgesamt einen Wert von ca. 350 €. F ist verwundert, da er angewiesen wurde auf den Havariekommissar zu warten. Als er T hierauf hinweist und dieser auf der sofortigen Übergabe der Käselaibe beharrt, geht F davon aus, er müsse dieser polizeilichen Anweisung wohl Folge leisten. T packt die Käselaibe in seinen Kofferraum und fährt davon.
Strafbarkeit des T?
Zu prüfen sind allein Straftaten des 19. Abschnitts des StGB.
II. Überblicksartiger Lösungsvorschlag
(Anm.: Diese Lösung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt in ihrem Umfang auch nicht das wider, das von KlausurbearbeiterInnen in der Prüfungssituation erwartet wird. Sie soll lediglich auf die zentralen Probleme und ihre mögliche Verortung aufmerksam machen.)
T könnte sich durch Mitnahme der Käselaibe wegen Diebstahls mit Waffen in einem besonders schweren Fall nach §§ 242 Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Alt. 1, 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB zulasten des O strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
a) Objektiv
Dazu müsste T eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Die Käselaibe sind körperliche Gegenstände und damit Sachen, sie können zudem von ihrem Standort entfernt werden und sind damit beweglich.
aa) Fremdheit der Sache – Dereliktion?
Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist. T ist nicht Eigentümer der Käselaibe. Die Laibe könnten jedoch herrenlos sein. Herrenlos sind Sachen, an denen entweder nie Eigentum bestanden hat, oder bei denen der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten den Besitz an der Sache aufgibt, § 959 BGB. Mangels entgegenstehender Angaben ist davon auszugehen, dass O als Inhaber der Käserei und Hersteller des Käses jedenfalls ursprünglich Eigentümer der Käselaibe war (§ 950 BGB) und dies während des Transports auch geblieben ist. Er könnte womöglich den Besitz mit Willen zur Eigentumsaufgabe aufgegeben haben.
Im Hinblick auf eine mögliche Dereliktion ist schon die Besitzaufgabe durch O zweifelhaft. Besitz ist die tatsächliche Sachherrschaft (§ 854 Abs.1 BGB), ggf. korrigiert durch die Verkehrsanschauung. Während des Transports des Käses und auch an der Unfallstelle hat O keinen unmittelbaren Zugriff auf das Transportgut. Allerdings ist sein Fahrer F zugegen. F übt die tatsächliche Gewalt über die Waren im Rahmen seiner Funktion als Fahrer für den O und nach dessen Weisungen, d.h. letztlich als Besitzdiener i.S.d. § 855 BGB aus. O bleibt in diesem Fall alleiniger Besitzer, siehe § 855 BGB a.E. Eine Besitzaufgabe ist soweit ersichtlich nicht erfolgt.
Für eine Dereliktion wäre zusätzlich zu dem Besitzverlust bzw. der Besitzaufgabe eine Kundegabe des Willens zur Eigentumsaufgabe erforderlich. Eine solche ist nicht ersichtlich. Von einem Willen zur Eigentumsaufgabe kann auch nicht schon deswegen ausgegangen werden, weil die transportierten Güter durch die Unterbrechung der Kühlkette u.U. unverkäuflich geworden sind. Zum einen war die Unverkäuflichkeit mangels Begutachtung und Empfehlung des Havariekommissars noch nicht festgestellt. Und selbst wenn sie feststünde, kann aus der Wertlosigkeit der Käselaibe nicht automatisch die Eigentumsaufgabe i.S.e. Dereliktion gefolgert werden. Wie das BayOLG im Hinblick auf das sog. Containern, d.h. die Mitnahme weggeworfener Gegenstände ausführt, gewährt die Wertlosigkeit einer Sache Dritten nicht das Recht zur Wegnahme (BayOLG, NStZ-RR 2020, 105). Selbst die Entsorgung in einem Abfallcontainer soll demgegenüber nicht aussagen, ob dem Eigentümer das weitere Schicksal der Sache gleichgültig ist, was für eine Dereliktion aber gefordert wird (die Rechtsprechung wurde durch das BVerfG bestätigt, siehe dazu unseren Beitrag hier). Zu einer solchen Entsorgung ist es hier noch gar nicht gekommen – noch weniger kann daher von einem Eigentumsaufgabewillen des O ausgegangen werden.
Eine Aufgabe des Besitzes mit Eigentumsverzichtsabsicht ist mithin nicht erfolgt, die Käselaibe damit nicht herrenlos. Es handelt sich damit für T um fremde, bewegliche Sachen. (Anm.: Hier kann man sich auch kürzer fassen. Vertretbar wäre es auch, die mögliche Eigentumsaufgabe aufgrund des Wertverlusts erst im subjektiven Tatbestand zu erörtern, da der T davon ausgeht, O habe kein Interesse mehr an den Waren).
bb) Wegnahme
Diese müsste T weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams.
(1) Fremder Gewahrsam
Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Sachherrschaft, ggf. korrigiert durch die Verkehrsanschauung. In Transportfällen wie dem vorliegenden ist von einem gestuften Mitgewahrsam des Geschäftsherrn (übergeordnet) und des Fahrers (untergeordnet) auszugehen, wenn der Transport innerhalb desselben Ortes erfolgt (Anm.: Vertretbar wäre auch, den Gewahrsam das Fahrers gänzlich abzulehnen und ihn als bloßen Gewahrsamsgehilfen einzuordnen). So liegt es auch hier, O und F waren mithin zunächst jeweils Mitgewahrsamsinhaber.
(Hinweis: Im vom OLG Zweibrücken entschiedenen Fall war der Fahrer aufgrund von Verletzungen bereits von der Unfallstelle abtransportiert worden. Gleichwohl ging man von einem fortbestehenden Gewahrsam jedenfalls des Fahrers aus. Zu diesem Ergebnis wird man aufgrund der polizeilichen Sicherung der Unfallstelle durch eine Korrektur anhand der Verkehrsauffassung gelangen können.)
(2) Begründung neuen Gewahrsams
T müsste neuen Gewahrsam begründet haben. Das ist der Fall, wenn er die Herrschaft über die Sache so erlangt hat, dass er sie ungehindert durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser seinerseits nicht mehr über die Sache verfügen kann, ohne die Verfügungsgewalt des T zu beseitigen. Spätestens mit dem Einladen der Käselaibe in den Kofferraum des T hat dieser den O sowie den F von einem ungehinderten Zugriff ausgeschlossen und seine eigene Sachherrschaft, mithin neuen Gewahrsam begründet.
(3) Bruch fremden Gewahrsams
T müsste fremden Gewahrsam gebrochen haben. Gewahrsamsbruch ist die Aufhebung des Gewahrsams ohne oder gegen den Willen bisherigen Gewahrsamsinhabers. Eine willentliche Gewahrsamsaufgabe schließt den Bruch des Gewahrsams aus (tatbestandsausschließendes Einverständnis). Nachdem T den F mehrfach aufgefordert hatte, ihm den Käse zu übergeben, hat F dem Folge geleistet und dem T dabei zugesehen, wie er den Käse in den Kofferraum einlud. Hierin könnte eine willentliche Verfügung des F liegen. Diese würde einen Gewahrsamsbruch zu seinen Lasten ausschließen, nicht aber zwingend zulasten des übergeordneten Gewahrsamsinhabers O. Hätte F willentlich über die Käselaibe verfügt, käme es auf die bekannte Abgrenzung zwischen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft und Betrug im Drei-Personen-Verhältnis an (Stichwort: Lagertheorie und Befugnis- oder Ermächtigungstheorie).
Zu beachten ist allerdings, das F aufgrund der Anweisung des Polizisten T, der aufgrund seiner Uniform eindeutig als solcher erkennbar war, davon ausging, er habe ohnehin keine andere Wahl, als den Käse herauszugeben. Im Rahmen einer solchen – vermeintlichen – Zwangslage fehlt es an der Freiwilligkeit der Herausgabe (zur Wiederholung siehe Beschlagnahmefälle), ein tatbestandsausschließendes Einverständnis liegt nicht vor.
Trotz der Übergabe der Käselaibe durch F an T ist daher ein Bruch fremden Gewahrsams gegeben. (Hinweis: Das Problem war hier vergleichsweise offensichtlich, daher wurde auf eine „Vorab-Prüfung“ des § 263 StGB verzichtet. Grundsätzlich empfiehlt es sich in Fällen, in denen der Gewahrsamsbruch wegen freiwilliger Vermögensverfügung ausgeschlossen sein könnte, mit dem Delikt zu beginnen, das am Ende abgelehnt wird. Denkbar ist es auch, hier schon die Möglichkeit eines mutmaßlichen Einverständnisses zu diskutieren, alternativ kann das auch im subjektiven Tatbestand erfolgen, s.u.).
cc) Qualifizierende Umstände
Die Tat könnte nach § 244 Abs. 1 lit. a) Alt. 1 StGB qualifiziert sein. Voraussetzung ist, dass T bei Begehung der Tat, d.h. zwischen Versuchsbeginn und Vollendung, eine Waffe bei sich geführt hat. Waffen sind solche im technischen Sinn, die nach ihrer Konstruktion zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen bestimmt sind, d.h. insbesondere Hieb-, Stich- oder Schusswaffen im Sinne des Waffengesetzes. Die Dienstwaffe des T erfüllt die Anforderungen zweifellos.
Ein Beisichführen ist gegeben, wenn der Täter zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tathergangs über die Waffe verfügen kann. T hatte seine einsatzbereite Dienstwaffe während des gesamten Tathergangs bei sich, er hat sie mithin bei sich geführt.
b) Subjektiv
aa) Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestands
Im subjektiven Tatbestand muss zunächst mindestens dolus eventualis hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale vorliegen, d.h. T müsste in dem Bewusstsein der Fremdheit der Käselaibe und des fehlenden, zustimmenden Willens des Gewahrsamsinhabers diese weggenommen haben.
Dass er nicht selbst Eigentümer der Käselaibe war, war dem T bewusst. Ebenso darf unterstellt werden, dass er darüber in Kenntnis ist, dass die auf den Unfall folgende Unterbrechung der Kühlkette nicht automatisch zu einem Eigentumsverlust des Rechtsinhabers O führte. Dieses Bewusstsein zeigt sich nicht zuletzt daran, dass T davon ausging, O sei sicher mit der Mitnahme des Käses durch ihn einverstanden – auf ein solches Einverständnis käme es nicht an, wenn er O nicht noch immer für den berechtigten Eigentümer halten würde. (Anm.: Wer die Fremdheit der Sache nicht schon oben ausführlich diskutiert hat, muss das hier nachholen).
Dass der T aber davon ausging, O würde angesichts der weitgehenden Wertlosigkeit sicherlich sein Einverständnis zur Mitnahme der Käselaibe erklären, würde man ihn denn fragen, könnte allerdings einen Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB hinsichtlich des Merkmals der Wegnahme, spezifischer noch des Bruchs fremden Gewahrsams begründen. T stellt sich gewissermaßen ein hypothetisches Einverständnis des O vor. Ob ein hypothetisches Einverständnis ausreichen kann, um den Tatbestand des § 242 StGB auszuschließen, ist umstritten. Hiergegen spricht, dass es sich bei dem Einverständnis, d.h. dem zustimmenden Willen, um einen rein tatsächlichen Umstand handelt, dessen Fiktion nur schwer begründbar erscheint. Die Figur des mutmaßlichen Einverständnisses ist auch nicht erforderlich, um im Rahmen des § 242 StGB interessengerechte Lösungen zu erzielen – sofern die Umstände die Annahme zulassen, dass der Berechtigte mit der Mitnahme der Sachen einverstanden gewesen wäre, kommt eine rechtfertigende (mutmaßliche) Einwilligung in Betracht (siehe Schönke/Schröder/Bosch, § 242 StGB Rn. 36). Die Figur des hypothetischen Einverständnisses ist mithin insgesamt abzulehnen.
Die Vorstellung des T, O sei sicherlich mit der Mitnahme der Käselaibe einverstanden, genügt damit nicht, um den Vorsatz des T hinsichtlich des Bruchs fremden Gewahrsams auszuschließen. Auch im Übrigen liegt Vorsatz bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale vor.
bb) Absicht rechtswidriger Zueignung
T müsste außerdem im Zeitpunkt der Wegnahme mit der Absicht gehandelt haben, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Zueignungsabsicht ist gegeben, wenn der Täter die Sache selbst oder den ihr verkörperten, funktionsspezifischen Wert seinem Vermögen oder dem Vermögen eines Dritten wenigstens vorübergehend einverleiben (Aneignung) und den Berechtigten auf Dauer aus seiner wirtschaftlichen Position verdrängen (Enteignung) will. Hinsichtlich der Aneignung ist dolus directus 1. Grades erforderlich, für die Enteignung genügt dolus eventualis. Beides ist hier vergleichsweise unproblematisch gegeben, T wollte die Käselaibe für sich haben, um sie zu verzehren, und sie so seinem Vermögen einverleiben, O sollte zwangsläufig dauerhaft aus seiner berechtigten Position verdrängt werden.
(1) Objektive Rechtswidrigkeit
Die Zueignung muss weiterhin objektiv rechtswidrig sein. Der erstrebte Zustand muss objektiv im Widerspruch zu materiellen Eigentumsordnung stehen. O war Eigentümer der Käselaibe und hat seine Rechte infolge des Unfalls nicht verloren. Ein Anspruch des T auf Übereignung der Käselaibe ist nicht ersichtlich. Erwägenswert ist eine Rechtfertigung der Zueignung durch mutmaßliche Einwilligung des O (eine tatsächliche liegt ersichtlich nicht vor). Allein aus der vermuteten Wertlosigkeit der Käselaibe kann eine solche aber nicht hergeleitet werden. Das folgt zunächst daraus, dass dem T die übliche Prozedur der Begutachtung und Empfehlung havarierter Ware durch einen Havariekommissar bewusst war. Er musste davon ausgehen, dass O ein berechtigtes Interesse an dieser Begutachtung hatte, nicht zuletzt weil sie auch zu dem Ergebnis der fortbestehenden Verkäuflichkeit des Käses hätte gelangen können. Auch im Lichte möglicher Haftungsrisiken als Lebensmittelhersteller muss von einem Interesse des O an der Einhaltung der üblichen Prozeduren ausgegangen werden.
Darüber hinaus, und das ist das noch gewichtigere Argument, zeigt die durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte Rechtsprechung zum sog. Containern, dass § 242 StGB auch das nach § 903 BGB gewährte Recht des Einzelnen schützt, über sein ggf. wertloses Eigentum so zu verfügen, wie er beliebt. Würde man die Rechtfertigung der Zueignung allein auf die Erwägung stützten können, die gestohlene Sache sei wertlos und der Berechtigte daher sicherlich einverstanden, liefe dies der verfassungs- und strafgerichtlichen Rechtsprechungslinie vollständig zuwider.
Darüber hinaus ist im hiesigen Fall auch nicht eindeutig, dass O als Berechtigter nicht rechtzeitig hätte gefragt werden können – nur dann käme eine mutmaßliche Einwilligung überhaupt in Betracht. Die Zueignung durch T ist daher nicht durch mutmaßliche Einwilligung des O gerechtfertigt (Anm.: In der Klausurlösung ist hier selbstverständlich auf einen schematischen Aufbau zu achten). Auch das Ziel, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden, genügt nicht, um den T zur Zueignung zu berechtigen.
(2) Vorsatz des T hinsichtlich der Rechtswidrigkeit
T müsste mindestens mit dolus eventualis hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Zueignung gehandelt haben. T könnte aufgrund seiner Einschätzung, O sei mit der Mitnahme der Käselaibe sicherlich einverstanden, einem Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB unterlegen sein. Das wäre der Fall, wenn er sich eine mutmaßliche Einwilligung des O vorstellen würde. (Achtung! Das ist normalerweise eine Frage, die man sich im Hinblick auf einen Erlaubnistatbestandsirrtum stellen würde. Da aber die Rechtswidrigkeit der Zueignung im Rahmen des § 242 StGB Tatbestandsmerkmal und damit von der allgemeinen Rechtswidrigkeit zu trennen ist, würde eine entsprechende Vorstellung nicht zu einem ETBI, sondern einem Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB führen).
Dem T sind hier die Umstände und die übliche Prozedur in vergleichbaren Fällen bekannt. Er weiß, dass verunfallte Ware i.d.R. durch den Havariekommissar gesichtet und entweder freigegeben oder eine Vernichtung empfohlen wird. Er stellt sich auch keine Umstände vor, die die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung des O rechtfertigen würden. Dass er sein Verhalten gleichwohl nicht für rechtswidrig hält, kann allein einen Verbotsirrtum begründen, nicht aber einen Tatbestandsirrtum.
cc) Vorsatz hinsichtlich der qualifizierenden Umstände nach § 244 Abs. 1 lit. a) Alt. 1 StGB
Für die Qualifikation der Tat nach § 244 Abs. 1 lit. a) Alt. 1 StGB müsste T auch die Waffe vorsätzlich bei sich geführt haben. Das Bewusstsein der Verfügbarkeit kann zwar bei gewohnheitsmäßigem Tragen von Waffen fehlen, bei einem Polizisten in Uniform wird man jedoch davon ausgehen können, dass ihm die jederzeitige Verfügbarkeit seiner Dienstwaffe bewusst ist. Die subjektiven Anforderungen der Qualifikation sind mithin erfüllt.
Erwägenswert ist allerdings, ob der Tatbestand des § 244 Abs. 1 lit. a) Alt. 1 StGB teleologisch dahingehend zu reduzieren ist, dass Personen, die aus beruflichen Gründen zum Tragen einer Waffe verpflichtet sind, aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszunehmen sind. Dafür könnte sprechen, dass es an einer inneren Beziehung zwischen der Tat und dem Beisichführen der Waffe fehlt – dem Polizisten ist die Bewaffnung vorgeschrieben, er entscheidet sich hierfür nicht bewusst zum Zwecke oder im Kontext der Tatausführung. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Norm eben ein Beisichführen ausreichen lässt und eine spezifische Bewaffnung zum Zwecke des Diebstahls nicht fordert. Grund für die Strafschärfung im Rahmen der Qualifikation ist die erhöhte, abstrakte Gefährlichkeit die mit der Bewaffnung einhergeht. Es kommt weder auf eine Verwendungsabsicht, noch auf die Gründe für das Mitführen der Waffe an, ihre bloße Präsenz und Verfügbarkeit am Tatort genügt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Berufswaffenträger im Umgang mit Waffen geschult ist, sodass die abstrakte Gefährlichkeit im Zweifel sogar noch erhöht ist. Eine teleologische Reduktion des Tatbestands ist daher abzulehnen, auch der Berufswaffenträger – und damit auch der T – fällt in den Anwendungsbereich des § 244 Abs. 1 lit. a) Alt. 11 StGB.
2. Rechtswidrigkeit und Schuld
An der Rechtswidrigkeit als allgemeinem Verbrechensmerkmal, d.h. in diesem Kontext der Rechtswidrigkeit der Wegnahme, bestehen keine Zweifel. Auch Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich, insbesondere war der Verbotsirrtum des T (§ 17 StGB) für eine Person in seinem Berufsfeld vermeidbar.
3. Strafzumessung
Es könnte sich weiterhin um einen Diebstahl in einem besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB handeln. T könnte einen Unglücksfall ausgenutzt haben. Unglücksfall ist jedes plötzliche Ereignis, das erhebliche Gefahren für Menschen oder Sachen hervorruft oder hervorzurufen droht. Ein Verkehrsunfall von hinreichender Schwere, die hier angesichts der erheblichen Schäden wohl vorliegt, stellt grundsätzlich einen solchen Unglücksfall dar. Ein Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter in Kenntnis der Umstände seine Tat durch Inanspruchnahme der Situation erleichtern will. Hier besteht Argumentationsspielraum, vorzugswürdig ist es jedoch, ein Ausnutzen des T abzulehnen – der Verkehrsunfall war zwar Anlass für seine Anwesenheit am Tatort, seine Tat zeichnet sich jedoch nicht dadurch aus, dass er die besondere Situation in spezifischer Weise zu eigenen Gunsten nutzt (a.A. vertretbar, dann muss man sich noch mit der Geringwertigkeit der mitgenommenen Sachen auseinandersetzen. Das ist vorliegend nicht ganz unproblematisch, da die Wertlosigkeit des Käses noch nicht festgestellt wurde und der Wert des Käses mit 350 € die Geringwertigkeitsgrenze ursprünglich weit überschritten hat. Es dürfte jedoch primär darum gehen, Problembewusstsein zu beweisen).
III. Ergebnis
T hat sich durch das Mitnehmen der Käselaibe wegen Diebstahls mit Waffen nach §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 lit. a) Alt. 1 StGB strafbar gemacht.
Andere Erwägungen:
A. Strafbarkeit durch Mitnahme der Käselaibe im Kofferraum
Sofern O wegen der Beschädigung des Kühltransporters ein weiterer Transport der Käselaibe zur Räumung der Unfallstelle erschwert scheinen konnte, durfte eventuell ein polizeiliches Recht zur vorübergehenden Sicherstellung der Käselaibe in Betracht kommen. Dies unabhängig von polizeilich interner Zuständigkeit. Eine Mitnahme der Käselaibe im Kofferraum sollte danach nicht klar beabsichtigt objektiv rechtswidrig erfolgt sein, wie es für Absicht zu rechtswidriger Zueignung bei einem Diebstahl erforderlich wäre. Die Mitnahme der Käselaibe im Kofferraum sollte mangels objektiv klar rechtswidriger Zueignung und Absicht dazu kein Diebstahl und keine Unterschlagung sein und nicht strafbar sein.
B. Strafbarkeit durch Mitnahme der Käselaibe aus dem Kofferraum.
I. Diebstahl oder Unterschlagung gegenüber O
Wegnahme und Zueignung kann später noch durch Entnahme der Käselaibe aus dem Kofferraum erfolgt sein, sofern hier übergeordneter Gewahrsam an den Käselaiben von Vorgesetzten oder von O bestand. Sofern T hier für möglich hielt, dass der Eigentümer O kein Interesse mehr an den Käselaiben besaß, sollte Rechtswidrigkeit einer Zueignungsabsicht gegenüber Eigentümer O ausscheiden. Im Zweifel sollte davon auszugehen sein, dass T dies für möglich hielt, weshalb hier genügend Absicht zu rechtswidrige Zueignung nicht sicher vorliegen sollte. Strafbarkeit wegen Diebstahl oder Unterschlagung durch Entnahme der Käselaibe aus dem Kofferraum sollte gegenüber O ausscheiden.
II. Diebstahl oder Unterschlagung gegenüber Vorgesetzten
Die Mitnahme im Kofferraum sollte einen übergeordneten Mitgewahrsam von Vorgesetzten begründen, welche nicht Eigentümer wurden und nicht enteignet werden konnten. Diesen gegenüber sollte Zueignung ausscheiden, weshalb allein diesen gegenüber kein Diebstahl und keine Unterschlagung vorliegen sollte.
C. Ergebnis
Strafbarkeit wegen Diebstahl oder wegen Unterschlagung sollte ausscheiden und T sollte straflos sein.