Strafrecht – November 2012 – 1. Staatsexamen NRW, Hamburg
Vielen Dank an Julia für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls zu der im November 2012 gelaufenen ersten Klausur im Strafrecht in NRW und Hamburg. Ergänzungen oder Korrekturanmerkungen sowie Lösungsansätze sind wie immer gern gesehen.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle eurer Klausuren an examensreport@juraexamen.info
zu schicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Vorab vielen Dank!
Sachverhalt:
M und F leben alleine auf einem kleinen abseits gelegenen, ländlichen Bauernhof. Aus Angst vor Einbruchsdiebstählen schließen sie jeden Abend vom Hausflur aus die Zimmertüren ab, weil sie so vermeiden wollen, dass jemand die Möglichkeit bekommt das ganze Haus zu durchsuchen.
A klettert eines Abends durch das sich im Erdgeschoss befindliche Badezimmerfenster, welches gekippt war. A will im Haus nach Geld und Wertpapieren suchen. Er betätigt den inneren Fenstergriff durch den Spalt des gekippten Fensters und gelangt so ins Badezimmer. Dabei verursacht er allerdings viel Lärm. M wird wach und hastet aus dem Bett mit den Worten: „Jetzt lass ich ihn einbuchten“. F bleibt zunächst im Schlafzimmer. M geht aus dem Haus und fährt seinen auf dem Hof befindlichen Transporter so knapp vor das Badezimmerfenster, dass A keine Chance mehr hat aus dem Fenster zu klettern und zu entkommen.
Als nach einer halben Stunde immer noch keine Polizei gekommen ist, geht F runter und will die Polizei alarmieren. M hat in der Zwischenzeit in dem A den Sohn eines alten Schulfreundes erkannt und beschlossen, entgegen seines ursprünglichen Vorhabens, nicht die Polizei zu alarmieren, weil er A nicht der staatlichen Strafvollstreckung ausliefern will, sondern ihn stattdessen noch etwas „als Abschreckung“ eingesperrt zu lassen. Nach einer Weile will er ihn laufen lassen. F will die Polizei mit ihrem Mobiltelefon anrufen, was ihr M allerdings mit voller Wucht aus der Hand reißt. Dabei erklärt M, er werde A selber in zehn Minuten laufen lassen. F kann schließlich unbemerkt die Badezimmertüre aufschließen und A entkommt sofort, was er schon zuvor vergeblich versucht hatte.
A kommt daher ohne Beute nach Hause. Seine Lebensgefährtin B ist darüber nicht erfreut. Sie erklärt A daraufhin, dass er beim nächsten Mal sein Glück im Nachbarort versuchen soll, weil es dort keine Polizeidienststelle gibt. A solle sich vor dem Bankgebäude verstecken und warten bis ein Bankkunde Geld abhebt. Sodann solle A dem Kunden das Geld gewaltsam entreißen und verschwinden. A gehorcht. Schon am nächsten Tag macht er sich am späten Abend auf den Weg in den Nachbarort; dazu nimmt er sein Fahrrad. Um sich Mut anzutrinken, nimmt er einen großen Schnapsvorrat mit, von welchem er von Anbeginn der Fahrt an auch gehörige Schlucke zu sich nimmt. Schon nach fünf Schlucken spürt A, dass er aufgrund seiner Alkoholisierung nicht sicher Fahhrad fahren kann. Wegen der späten Abendstunde und der ruhigen Verkehrslage vertraut er jedoch fest darauf, dass nichts passieren werde.
An dem Bankgebäude angekommen versteckt sich A entegegen dem Plan von B in dem Raum, wo sich die Geldautomaten und die Kontoauszugsdrucker befinden. Schon nach kurzer Zeit kommt der Kunde K und will an einem Automaten Geld abheben. A stellt sich ihm frontal in den Weg und streckt seinen Zeigefinger in der Jackentasche aus, sodass es für K den Anschein hat, A habe eine Pistole. A sagt zu K, er solle 500 Euro ziehen und zwar für ihn. K glaubt, dass A bewaffnet ist, ganz so wie A es vorhergesehen hat.
K geht zum Geldautomaten und gibt absichtlich dreimal die falsche PIN ein. Daraufhin wird seine Geldkarte eingezogen. K geht zurück zu A und erklärt, dass etwas mit dem Automaten nicht stimme und er kein Geld bekomme. A ist überrascht und wegen seiner mittlerweile starken Alkoholisierung erheblich in seinen Rekationen eingeschränkt.
Er lässt K gehen. Zwanzig Minuten später findet die Polizei den schlafenden A auf dem Boden neben dem Geldautomaten. A gesteht anschließend sowohl das Geschehen im Bankgebäude als auch den Vorfall bei M und F.
Nach der Tat wird eine Blutprobe von A genommen. Daraufhin wird festgestellt, dass A während des gesamten Tatgeschehens im Bankgebäude jedenfalls im Bereich des § 21 StGB alkoholisiert war. Ggf. war er aber auch bei manchen oder allen in Frage kommenden Taten während dieser Zeitspanne schuldunfähig. Das kann aber nicht abschließend geklärt werden. Sicher festgestellt werden kann nur, dass A während des gesamten Geschehens fest davon aus ging, zu 100 Prozent Herr seiner Entschlüsse und Entscheidungen zu sein.
Aufgaben:
Strafbarkeit von M, A und B?
Hat jmd eine Lösung parat ?
Hier mal ein spontaner Versuch für den TK 1, habe aber nicht alle Tatbestände gründlich nachgeschaut…
Strafbarkeit A
§§ 242 I, 243 I Nr. 1, 22, 23
I. Vorprüfung (+)
II. Tatentschluss (+)
III. Unmittelbares Ansetzen (+)
IV. Rücktritt (-)
(P) Es fehlt an der Freiwilligkeit, denn der Täter hat erkannt,
dass er seine Tat nicht weiter fortsetzen kann
V. Strafzumessung
Voraussetzungen des § 243 I Nr. 1 (+), gelten auch bei
versuchtem Delikt
§ 123 (+)
Strafbarkeit M
§ 239 I durch das Vorfahren des PKW
I. Tatbestand (+)
II. Rechtswidrigkeit
§ 127 StPO (+)
III. Ergebnis (-)
§§ 239 I, 13 wegen Nichtrauslassen
I. Tatbestand
(P) Reicht für den Erfolg ein nur unerheblich kurzes Einsperren? (-)
II. Ergebnis (-)
§§ 239 I, 13, 22, 23
I. Tatentschluss (+)
II. Unmittelbares Ansetzen
Garantenstellung aus Ingerenz (P) Pflichtwidrigkeit
Argumente:
– Hier kein subjektives Rechtfertigungselement mehr vorhanden
(Dauerdelikt!), daher pflichtwidrig und Garantenstellung (+)
– Außerdem hat M den A erkannt, daher Tatbestandsvoraussetzungen auch objektiv nicht (mehr) erfüllt
(P) Unmittelbares Ansetzen bei Unterlassung
Rechtfertigung (-) (s.o.)
Schuld (+)
§ 249 I (-), weil keine Zueignungsabsicht, daher auch kein § 253
§ 240 I (+)
§ 258 I (+)
Lief genauso in Hamburg.
Finde den ersten Tatkomplex gelungen. Hat jemand Ideen für den zweiten?
Wäre es nicht auch vertretbar, ihn bei einer Gesamtwürdigung der Tat wg. vers. räub. Erpressung strafbar zu machen (die dann natürlich gemildert wird). Der BGH hat zur vermeintlichen Schuldunfähigkeit kürzlich ein interessantes Urteil gefällt. Vermute mal, dass die Abgrenzung in dubio pro reo – verm. Schuldfähigkeit hier einer der Hauptschwerpunkte dieser Klausur war oder was meint ihr?
Und überhaupt: auch die Abgrenzung vers. Raub – räub. Erpressung musste sicher abgespult werden. § 316 nicht zu vergessen.
Strafbarkeit der B sollte man hier sicher sehr kurz fassen.
Alic hätte ich hier mit keinem Wort erwähnt.
Hallo Steve,
ich glaube nicht, dass der Komplex Abgrenzung
Raub/räuberische Erpressung notwendigerweise abgespult werden musste.
Dazu habe ich ja ein paar Argumente genannt. Wichtig zu beachten ist,
dass es in Klausuren nicht darauf ankommt, viele Meinungsstreitigkeiten
auszubreiten, sondern auch zu erkennen, wann dies gerade nicht richtig
ist.
Was die alic angeht, so halte ich es aus dem Bauch für
richtig, sich dazu zu äußern und auch „in dubio pro reo“ anzubringen. Da
müsste man aber nochmal genauer nachschauen, vielleicht hilft ein Blick
in den Kommentar.
Ich bin auch der Ansicht, dass man sich zur alic äußern müsste. Zudem sehe ich hier ein Problem. Beim Sich-Betrinken hat der A bereits den Vorsatz zur Begehung der Tat. Auch hat der A es bei der Menge Schnaps zumindest billigend in Kauf genommen, dass er den schuldunfähigen Zustand erreicht. Der Doppel-Vorsatz würde also vorliegen. Ich frage mich jetzt aber, ob nach der Rechtsprechung bei § 253 und § 249 überhaupt eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der alic möglich ist. Bei eigenhändigen Delikten ist das nicht der Fall, soviel ist ja klar. Aber wie sieht das bei solchen Delikten, die keine reinen Erfolgsdelikte sind, aus? Man sollte die alic meiner Meinung nach daher diskutieren.
Wenn man eine alic bejahen würde, dann wäre das ein Fall der Wahlfeststellung, oder? Das ist mir irgendwie sofort durch den Kopf gegangen, als ich den Schluss der Klausur gelesen habe.
Wenn man die alic ablehnt, dann müsste man ja § 30 prüfen und der würde § 323a sperren, oder?
Die Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung müsste meiner Meinung nach bei A erfolgen. Nach der Rspr handelt es sich um eine räuberische Erpressung (äußeres Erscheinungsbild). Nach der Literatur wohl eher um einen Raub, denn A stellt sich vor, dass der K ihm aus Angst um sein Leben das Geld gibt und ihm daher keine andere Möglichkeit bleibt. Zwar hat der K bei der Eingabe der PIN eine Schlüsselposition, aber hierbei handelt es sich lediglich um eine Gewahrsamslockerung, auf die meines Wissens nicht abgestellt werden kann (auch wenn das sicher ebenfalls streitig ist).
Den Streit bzgl § 253 und § 249 würde ich dann auch bei der B bringen. Wobei ich hier zudem an eine Mittäterschaft denke. Die B hat ja den Plan entworfen und scheinbar auch ein eigenes Interesse an der Tat, sonst wäre sie nicht böse gewesen, dass A ohne Beute von M und F nach Hause kommt. Diesbzgl also auch den Streit bringen und bei Ablehung der Mittäterschaft dann natürlich die Anstiftung.
Hallo Leute,
an Thomas: sehe den letzten Teil exakt identisch. Insbesondere das Beispiel „Geldautomat“ und die untersch. Auffassung von Rspr./h.Lit. ist meines Erachtens DER Klassiker für eine Abgrenzung zwischen §§ 249/253.
Was das erste betrifft..ich würde nicht sagen, dass er sich vorsätzlich betrunken hat , um gerade deswegen die Tat alkoholisiert begehen zu können. Klar, es ist sicher nicht abwegig, dennoch hätte er die Tat (wohl) auch ohne den Alkohol unternommen (Druck der Freundin nach fehlgegangener Tat etc). Halte es auch nicht für falsch, die alic dann zu diskutieren, ob Vorsatz bzgl dieser – ganz recht in Frage gestellten – Konstruktion jedoch vorliegt, ist wohl sehr umstritten..
Sicher wäre es gewagt, aber doch in irgendeiner Form auch vertretbar, „in dubio pro reo“ bzgl. der vollen Schuldunfähigkeit mal zu verneinen und ihn als erheblich vermindert schuldfähig anzusehen..was meint ihr? Dann käme man auf anderem Wege zu der Abwägung in dubio pro reo etc.., hätte aber auch so sicherlich genug Probleme..mal ehrlich, auf den ersten Blick wirkt die Klausur eher einfach, denke aber dass sie extrem (!!!) gefährlich ist und sowohl zeitlich als auch von der Schwerpunktsetzung erhebliche Tücken in sich birgt..
Abgrenzung § 255/249 war sicherlich bereits bei A zu erörtern, wobei auch nach den herrschenden Ansichten Literatur eine räub. Erpressung vorliegt. K ist objektiv in einer Schlüsselposition, ohne seine Hilfe KANN A kein Geld erlangen. Auch subjektiv hat K die Vorstellung, er könne den Vermögensverlust – notfalls unter Aufgabe seines Lebens -verhindern.
A.l.i.c. muss man wohl ebenfalls ansprechen. Es reicht soweit ich weiss Doppelvorsatz hins. (1) Herbeiführung der SU und (2) der Haupttat beim betrinken. Absicht, also dolus d. 1. Grades muss wohl nicht vorliegen.
Je nachdem ob man alic bejaht oder nicht, hat man dann die sog. „unechte Wahlfeststellung“ bzw. eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrudlage oder eben § 323a.
Warum hier § 30???
Bei B zumindest auch täterschaftliche Begehung anprüfen!
Ja genau, wenn man auf die PIN abstellt, dann hat der A sicherlich ein Verfügungsbewusstsein, da sein Mitwirken notwendig ist. Aber ich dachte, dass die Handlung auch unmittelbar vermögensmindernd sein muss und allein in dem Abheben sehe ich nur eine Gewahrsamslockerung. Aber das kann man sicherlich auch anders beurteilen.
Den § 30 habe ich angesprochen, weil der A sich im Falle der Schuldunfähigkeit und bei Ablehnung der alic strafbar gemacht hat, indem er sich bereit erklärt hat, ein Verbrechen zu begehen. Und bej §323a darf A sich ja nicht wegen der Trunkenheitstat strafbar gemacht haben. Wenn aber § 30 durchgeht, läge diese Voraussetzung nicht vor, oder?
Danke für die Ausführungen zur Wahlfeststellung!
Zum ersten Tatkomplex habe ich noch eine kleine Anmerkung. Ich würde § 244 abs. 1 nr. 3 prüfen, hinter den dann § 242 zurück tritt.
Also alles in allem finde ich, dass das eine sehr anspruchsvolle Klausur war. Keine typischen Konstellationen, auf die man sich vorbereitet. Will gar nicht wissen, was ich da im Examensstress geschrieben hätte…
Man wird das Gesamtgeschehen hier einheitlich beurteilen müssen. A stellt sich vor, dass K aufgrund der Drohung die Pin eingibt und danach das Geld aushandelt = Vermögensverfügung. Dass man hier zwischen PIN (die A ja auch garnicht wissen will) und Geldabpressen trennt, leuchtet mir nicht ganz ein. Zur Frage, ob bereits ein Abpressen der PIN zu einer unm. Vermögensminderung führt kommt man hier nicht, da sich A jedenfalls auch die Nötigung zur Geldherausgabe vorstellt.
Wo erklärt sich denn A zu einem Verbrechen bereit? Außerdem erfordert § 323a StGB, dass er während des Rausches („in diesem Zustand“) eine Tat begeht, wegen der er nicht bestraft werden kann. Das ist mit der vers. räub. Erpressung offensichtlich der Fall (wenn nicht a.l.i.c.).
Ob er sich im Vorfeld dazu bereiterklärt hat, wäre egal, da das eine gänzlich andere Tat ist.
Schon tricky im Eifer des Gefechts…
bin ein bissl spät, aber ist nicht hier der clou, dass man bei 323a in
dubio pro reo von der Schuldfähigkeit des A ausgehen muss?! und dann
kommt man auch zur echten Wahlfeststellung. Denn entweder 253, 255 oder 323a…oder? unechte Wahlfeststellung ist, wenn man weiß welches Delikt verwirklicht wurde, nur nciht durch welche Handlung…