Störung des Kölner Weihnachtsgottesdienstes durch Femen-Aktivistin
Im letzen Jahr ereignete sich kurz vor Weihnachten der folgende Sachverhalt, der sich hervorragend zum Abprüfen im Rahmen einer mündlichen Examensprüfung eignen würde:
Kurz nach Beginn der morgendlichen Weihnachtsmesse im Kölner Dom stürmte die 20-jährige Femen-Aktivistin Josephine Witt aus der ersten Reihe nach vorne und sprang nur mit einem Slip bekleidet auf den Altar. Sie hatte sich die Worte „I am God“ („Ich bin Gott“) auf den Oberkörper gemalt. Vor den Augen von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner wurde die Frau von den Sicherheitskräften im Dom abgeführt (siehe hier).
Die Staatsanwaltschaft griff das Verhalten auf und ermittelte gegen die Aktivistin wegen Störung der Religionsausübung (§ 167 StGB). Der Straftatbestand gehört sicherlich nicht zum Kernfachpflichtstoff für die juristischen Staatsexamina. Da das AG Köln die Aktivistin aber kürzlich zu einer Geldstrafe verurteilt hat (Urteil vom 03.12.2014 – 647 Ds 240/14), gewinnt der Fall – nicht zuletzt, da Weihnachten wieder kurz vor der Tür steht – an Aktualität. Wenn es tatsächlich so kommen sollte, dürften die Prüfer allerdings keine Detailkenntnisse erwarten. Was hingegen erwartet werden kann, wäre das Auffinden des einschlägigen Straftatbestandes und zumindest der Versuch der Definition der relevanten Tatbestandsmerkmale.
Auffinden des Straftatbestandes
Der 11. Abschnitt des StGB beschäftigt sich mit Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen. In diesem Abschnitt findet sich der hier einschlägige § 167 StGB. Eine Strafbarkeit der Aktivistin kommt insbesondere gemäß § 167 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht. Hiernach macht sich strafbar, wer einen kirchlichen Gottesdienst absichtlich und in grober Weise stört.
Definition der Tatbestandsmerkmale
Voraussetzung für die Strafbarkeit ist zunächst das Vorliegen eines Gottesdienstes. Gottesdienste sind Veranstaltungen von Mitgliedern einer Religionsgesellschaft zur gemeinsamen Anbetung und Verehrung von Gott nach ihren eigenen Vorschriften, Gebräuchen und Formen (OLG Celle NJW 1997, 1167). Das Vorliegen dieses Merkmals wäre im vorliegenden Fall ohne Probleme zu bejahen, da die Aktivistin während einer Messe im Kölner Dom protestiert hat. Der Gottesdienst müsste zudem von einer Kirche abgehalten werden. Da der Gottesdienst hier von der katholischen Kirche veranstaltet wurde, wäre auch dieses Merkmal ohne weiteres erfüllt.
Tathandlung ist das Stören der Veranstaltung. Der Begriff der Störung lässt sich derart definieren, dass eine Beeinträchtigung des konkreten Gottesdienstes vorliegen muss. Die Störung hat allerdings auch in grober Weise zu erfolgen. Es stehen also nur besonders empfindliche und nachhaltige Beeinträchtigungen eines Gottesdienstes unter Strafe. Ob eine grobe Störung vorliegt, ist somit eine Frage des Einzelfalls, wobei es insbesondere auf die Intensität (Art und Dauer) der Beeinträchtigung ankommt. Insofern ist unter anderem zu fragen, ob der Gottesdienst trotz der Störung fortgeführt werden kann. Vorliegend stand die Aktivistin auf dem Altar des Kölner Doms, sodass der Gottesdienst nur dann fortgeführt werden konnte, wenn sich die Aktivistin entfernt. Die Aktivistin musste hier sogar gewaltsam (durch Sicherheitskräfte) entfernt werden, sodass es nahe liegt eine grobe Störung anzunehmen.
Die Meinungsfreiheit der Aktivistin dürfte hingegen nicht bei der vorangestellten Abwägung zu berücksichtigen sein, da jedwede grobe Störung des Gottesdienstes letztlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der übrigen Gottesdienstteilnehmer (bzw. der Veranstalter) führt, sodass die Grundrechte der Aktivistin in diesem Zusammenhang keine Berücksichtigung finden. Durch das Schaffen der Norm des § 167 StGB hat der Gesetzgeber bereits eine Abwägung vorweggenommen und damit entschieden, dass die Meinungsfreiheit Dritter grundsätzlich hinter der Religionsfreiheit der Teilnehmer eines Gottesdienstes zurücksteht. Aus ebendiesem Grunde kommt auch keine Rechtfertigung der Tathandlung aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen der Aktivistin in Betracht.
Die Tathandlung, also das grobe Stören, muss vom Täter auch billigend in Kauf genommen werden (dolus eventualis). Im Hinblick auf den Taterfolg setzt der Tatbestand des § 167 StGB allerdings Absicht voraus. Es muss dem Täter also darauf ankommen, den Gottesdienst zu stören, wobei es aber unerheblich ist, wenn die Störung nur ein Mittel zu einem weiteren Zweck (z.B. dem Erlangen von medialer Aufmerksamkeit) ist. Angesichts der Motivation der Aktivistin, den Gottesdienst zu unterbrechen, um gegen das aus ihrer Sicht bestehende „Machtmonopol der katholischen Kirche“ zu protestieren, dürfte das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen (obschon der gesteigerten Voraussetzungen) in diesem Fall zu bejahen sein.
Der Tatbestand des § 167 Abs, 1 Nr, 1 StGB war somit erfüllt. Der Auffassung des AG Köln kann also mit guten Argumenten gefolgt werden.
Denkbare Exkurse
Der hier nur kursorisch geschilderte Fall bietet sich nicht nur deshalb für mündliche Prüfungen an, da mit der Definition und Subsumtion des (voraussichtlich) unbekannten Straftatbestands die Argumentationsfähigkeit der Prüflinge auf die Probe gestellt wird. Der Fall bietet weiterhin die Möglichkeit, auf breiterer Ebene Wissen abzufragen, zum Beispiel zu den Themen Grundrechte und Religionsfreiheit (siehe dazu hier). Zudem können noch weitere (examensrelevantere) Straftatbestände als der hier einschlägige § 167 StGB geprüft und diskutiert werden. Dies wären etwa § 240 StGB (Nötigung), § 123 StGB (Hausfriedensbruch) oder § 185 StGB (Beleidigung). Im Rahmen einer mündlichen Prüfung würde sich die Diskussion folglich noch auf weitere Themen erstrecken.
Ich verstehe nicht ganz, warum man die Meinungsfreiheit der Aktivistin nicht berücksichtigt, da diese doch einschlägig ist; dann müsste man erstmal prüfen, ob 167 stgb ein allgemeines gesetz ist und so weiter
Diese Prüfung würde man im Rahmen einer strafrechtlichen Prüfung aber nicht vornehmen. Vielmehr würde man schlicht davon ausgehen, dass § 167 StGB verfassungsgemäß ist. Aus diesem Grund können die Grundrechte der Aktivistin (bei der strafrechtlichen Prüfung) dann auch keine Rolle mehr spielen.
Anders wäre es, wenn § 167 StGB im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Klausur zum Prüfungsgegenstand gemacht würde. Dann würde es auf die von dir angesprochene Prüfung ankommen.