Sonderfälle der Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB
Wir danken Henrik Lambrecht für den folgenden Gastbeitrag. Er bietet eine Übersicht zu klassischen Klausurproblemen im Hinblick auf Zurechnungsfragen bei § 823 Abs. 1 BGB.
1) Schockschäden
Der Verletzt erleidet eine Gesundheitsverletzung in Form von seelischen Erschütterungen. Diese wird jedoch nicht durch physische Einwirkung auf die Person erzeugt, sondern sie sind Ausprägung einer psychischen Reaktion (Psychische Kausalität).[1]
Beispiel: Ehefrau leidet nach dem tödlichen Unfalls ihres Mannes vor ihren Augen seelische Störung.
Die Schädigung durch den Täter erstreckt sich dann auch auf ein mittelbares Opfer. Dafür ist erforderlich, dass es sich um eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I handelt, die nach Art und Schwere über eine bloße Gesundheitsbeeinträchtigung hinausgeht, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.
Es reicht dabei nicht so etwas wie: Trauer, Schmerz, Niedergeschlagenheit aus. Erforderlich ist eine traumatische Beeinträchtigung der physischen und psychischen Gesundheit, die medizinisch fassbar ist und deshalb Krankheitswert besitzt.
Diesen durch die Gesundheitsverletzung entstandenen Schaden hat der Schädiger zu ersetzen. Es bedarf jedoch eines besonderen Zurechnungszusammenhang. Diese bilden folgende Voraussetzungen:[2]
- Der Schockgeschädigte ist direkt am Unfall beteiligt. Dies ergibt sich dann aus der unmittelbaren Unfallbeteiligung.
- Ist der Schockgeschädigte nicht direkt am Unfall beteiligt, ist eine Zurechnung nur gegeben, wenn es sich um eine nachvollziehbare Reaktion handelt. Dies ist dann zu bejahen, wenn die Nachricht über den Unfall eines nahen Verwandten einen Schock auslöst.
Beispiele:
- Ehemann wird bei einem Unfall tödlich verletzt. Die Frau erleidet bei der Auskunft über die Polizei einen Schaden. § 823 I auf Ersatz des Schockschadens vom Unfallverursacher (+)
- Die drei Kinder der A versterben bei einem Unfall der durch B verursacht wurde. § 823 I auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens der A vom B (+).
Normale Unfälle sind dabei nicht erfasst, weil es eher außergewöhnlich ist, wenn ein Dritter aufgrund dessen einen solchen Schockschaden erleidet. Es legt dann außerhalb der Vorhersehbarkeit und ist dem Schädiger nicht zuzurechnen.[3]
2) Rechts(guts-)Verletzung und Schadensverursachung durch einen Dritten
In bestimmten Fällen verursacht ein Dritter aufgrund der Schädigung eines Geschädigten einen weiteren anderen Schaden bei dem Geschädigten oder bei einem Dritten.
Beispiele:
- A verletzt B bei einer Schlägerei. B kommt ins Krankenhaus wo C ausrutscht und B in das andere Bein ein Skalpell sticht.
- A setzt das Haus des B in Brand. Die anrückende Feuerwehr bespritzt das Haus des C das daraufhin beschädigt wird.
- A begeht einen Unfall mit Geldtransporter H. Aus diesem werden danach 1.Mio € entwendet.
Es stellt sich in diesen Konstellationen die Frage, was dem Erstschädiger zuzurechnen ist.
Fall:[4] A und B verursachen einen Unfall. Sie lassen die Autos auf der Straße stehen. C muss deswegen über den Grünstreifen fahren um seinen Termin nicht zu verpassen. Der Grünstreifen wir dadurch beschädigt. Haftung des B über § 7 StVG?
Problematisch ist lediglich der Zurechnungszusammenhang zwischen KFZ betrieb und Beschädigung des Grünstreifens.
Kausalität liegt vor, ebenso die Adäquanz. Fraglich ist, ob auch der Schutzzweckzusammenhang besteht. Dies ist zu verneinen. Ein solches Verhalten bedarf der eigenen Entscheidung des C und dies liegt nicht in der von A und B geschaffenen Gefahr.
Entsprechendes gilt für das verbotswidrige Stehenlassen der KFZ von A und B.
3) Schädigung durch Geschädigten selbst
Eben diese Frage stellt sich auch bei der Schädigung durch den Geschädigten selbst. Zu überprüfen ist in diesem Rahmen meist der Zurechnungszusammenhang.
Beispiele:
- Der den Täter verfolgende Polizist knickt um und verletzt sich dabei.
- G beauftragt einen RA wegen eines Unfalls in den er unverschuldet verwickelt war.
- Vorsorge und Vorhaltekosten
Es wird lediglich darauf abgestellt, wofür der Schädiger kausal und Adäquat verschuldet hat, und ob das Verhalten des sich schädigenden Opferst durch die Handlung des Schädigers herausgefordert wurde. Sog. Verfolgerfälle. Wenn also der Geschädigte herausgefordert wurde und sich herausgefordert fühlen dürfte, hat der Schädiger diesen Gefahrenzustand auch zu vertreten. Es haben sich demnach folgende Voraussetzungen heraus kristallisiert:
- Der Geschädigte muss herausgefordert worden sein die neue, eigene Gefahr zu schaffen. Es reicht nicht, wenn es lediglich den Anlass bildet.
- Das besonderes Wagnis muss in einem vernünftigen Verhältnis zum drohenden Schaden stehen.
Beispiele:
- A verursacht kleinen Parkschaden und fährt davon. B rast hinterher und erleidet einen größeren Schaden. Der Schädiger muss dann nicht für den Schaden des B einstehen, wenn dieser unverständig handelte.
- Polizist P will B anhalten, dieser rast davon. P verfolgt B und kommt zu Schaden. Wenn die Verfolgung in einem angemessenen Verhältnis steht, ist B schadenersatzpflichtig. Mitverschulden aber ggf. des P.
Der Schaden muss sich gerade aus der Herausforderung ergeben und nicht dem „allgemeinen“ Risiko unterliegen.
Fall: P will B festnehmen. B flüchtet durchs Fenster, P springt hinterher und verletzt sich in dem unbekannten Gelände. Schadenersatzanspruch?
§ 823 Abs. 1 ?
I. Körperverletzung (+)
II. Durch B veranlasst?
1. Kausal (+)
2. Adäquanz (+)
3. Verfolgerfall, also Prüfung, ob ein sog. Haftungszusammenhang besteht.
a. Konkrete Herausforderung wegen Dienstpflicht
b. Zweck-Risiko Abwägung nicht außerhalb jeden Verhältnisses, P auch nicht unvernünftig handelnd.
c. Verletzung gerade durch Herausforderung erfasst. (+)
4. Demnach zurechenbar veranlasst.
III. RW, Verschulden (+)
IV. Mitverschulden, mögl. wenn wegen unbekannter Örtlichkeit.
Zusammenfassung:[5]
I. Fallkonstellation: Der Schädiger kann auch für den (weiteren) Schaden haften müssen, den der Geschädigte selbst herbeiführt und den der Schädiger nur mittelbar (Psychisch kausal) verursacht.
II. Zurechnung
- Im Rahmen des Schutzzwecks der Norm ist die Herausforderungsformel zu prüfen.
- Herausforderung zum Eingreifen (Verfolgen, Hilfeleisten): Der Entschluss des Geschädigten zum Eingreifen muss durch den Schädiger herausgefordert worden sein (Auch fliehender Täter). Daran fehlt es, wenn das Verhalten des als Schädiger in Anspruch Genommenen nur den äußeren Anlass und nur die Gelegenheit für den Geschädigten darstellt, ein neues Risiko zu schaffen.
- Verhältnismäßigkeit zwischen Zweck und erkennbarem Risiko des Eingreifens (Verfolgen, Hilfeleisten)
- Realisierung des durch die Herausforderung gesteigerten Risiko:
- Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko
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[1] Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 16 Rn. 141.
Schöner Beitrag.
Eine kleine Anmerkung: Vorhaltekosten sind teilweise gerade doch erstattungsfähig, insbesondere wenn der Taxi/ Busunternehmer einen größeren Schaden durch die Anmietung zusätzlicher Fahrzeuge hätte und dieser Schaden dadurch geringer ist, dass er ein Reservefahrzeug vorhält.
Teilweise läuft es mir kalt den Rücken runter, schöne, lesbare Sprache ist was anderes. Das nächste Mal vielleicht mehr Mühe bei der Formulierung geben, dann ist der Beitrag auch lesbar.