Sachverhalt der 1. Zivilrechtsklausur – November 2011 – 1. Staatsexamen NRW
Wir danken Christina für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls der im November in NRW gelaufenen 1. Klausur im Zivilrecht.
Falls jemand noch Informationen und Ergänzungen hinzufügen möchte, kann er sich gern bei uns melden.
Weiterhin wären wir euch dankbar, wenn ihr uns eure Sachverhalte aus dem Examen schicken könntet. Nur so können wir die Examensklausuren möglichst vollständig bereitstellen. Das Projekt lebt von eurer Mitarbeit!
Sachverhalt
-E möchte einen Aktivurlaub buchen
-geht ins Reisebüro des R, wird dort von dem Angestellten A informiert, der ihm ein Reisepaket „Wandern in Nepal“ vom Reiseveranstalter V anbietet, dies beinhaltet Hin-und Rückflug, Hotelübernachtung, Verpflegung, geführte Touren für September 2009
-die allgem. Reisebedingungen besagen, dass alle Ansprüche innerhalb eines Jahres verjähren
-E entscheidet sich dafür, unterschreibt eine Anmeldebestätigung
-Bestätigungsbrief des V
-E tritt die Reise Anfang September an (er hat sie für 2 Woche gebucht), in der ersten Woche läuft alles glatt, am 7. Tag sollte eine Wandertour im Hochgebirge stattfinden. Auf dem Weg dorthin hatte der Reisebuss einen schweren Unfall. Grund: der vom Hotel eingesetzte Busfahrer war alkoholisiert
-E hatte das Bein eingegipst und konnte die letzte Woche das Hotelzimmer nicht verlassen
-direkt zurück in Deutschland (Ende September) verlangt er von V Ersatz der Heilbehandlungskosten, Schmerzensgeld u Entschädigung in Geld für entgangenen Urlaubsgenuss per Brief (den schickt er ca. 3 Wochen nach der Rückkehr ab, Daten weiß ich nicht mehr!), der Brief brauchte jedoch über eine Woche für die Ankunft bei V, denn der Postbote vergaß ihn im Postsack
-V lässt sich nicht auf Verhandlungen und Gespräche mit E ein
-E vergisst die Sache und im Oktober 2010 sucht er einen Rechtsanwalt auf und fragt nach seinen vertraglichen Ansprüchen gegen V.
Was wird der Rechtsanwalt ihm antworten?
Bearbeiterhinweis: § 6 der BGB-Info VO ist eingehalten worden, die Reisebedingungen wirksam einbezogen wurden, E ist privat krankenversichert u es ist davon auszugehen, dass die Versicherung noch nichts bezahlt hat und etwaige Ansprüche nicht auf die Versicherung übergegangen sind.
Zusatzfrage:
Angenommen auf das vertragliche Verhältnis von E und V ist die ROM I- VO anwendbar. Welches Sachrecht wäre auf etwaige deliktische Ansprüche anwendbar?
Moin,
habe einen Lösungsansatz für die Zusatzfrage (habe die Klausur nicht mitgeschrieben):
– Anwendbares Sachrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse ist gem. Art. 3 Nr. 1 a EGBGB vorrangig nach der Rom II-VO zu bestimmen (Vorrang ggü. Art. 40 I EGBGB)
– Anwendungsbereich zu klären:
in zeitlicher Hinsicht ist die Rom II-VO seit dem 11. Januar 2009 anwendbar (gem. Art. 32 Rom II-VO)
in sachlicher Hinsicht ist die Rom II-VO gem. Art. 1 I anwendbar; ein Negativmerkmal gem. Art. 1 II liegt nicht vor
– soweit ist das Deliktsstatut hier nach Art. 4 I Rom II-VO zu bestimmen. Anzuknüpfen ist an den Erfolgsort. Erfolgsort ist der Ort, an welchem die primäre Rechtsgutsverletzung eintritt; hier ist dies Nepal als Ort des Autounfalls.
– Art. 4 II Rom II-VO greift nicht (wäre denkbar, wenn beispielsweise der deutsche Reiseleiter den Bus gefahren hätte)
Zwischenergebnis: Demnach wäre soweit das Sachrecht Nepals anwendbar (gem. Art. 24 Rom II-VO keine Weiterverweisung)
– allerdings hier möglw. gem. Art. 4 III Rom II-VO Auflockerung zur offensichtlich engeren Verbindung, dies könnte hier der Reisevertrag sein – damit akzessorische Anknüpfung an das Vertragsstatut
– Vertragsstatut hier gem. Rom I-VO zu bestimmen:
— Rechtswahl gem. Art. 6 II iVm Art. 3 Rom I-VO
— Art. 6 I Rom I-VO Verbrauchervertrag
— Ausnahme Art. 6 IV lit. b Rom I-VO (Beförderungsvertrag) greift nicht, weil hier Pauschalreise (Flüge, Hotel, Verpflegung, Touren)
— Vertragsstatus ist damit Recht des gewöhnlichen Aufenthalts (Art. 19 Rom I-VO) des E (vermutlich) Deutschland (keine Rück- oder Weiterverweisung, gem. Art. 20 Rom I-VO)
– deutsches Sachrecht auf Reisevertrag anwendbar und damit wg offentsichtlich engerer Verbindung auch akzessorisch auf deliktische Ansprüche (offensichtlich engere Verbindung wäre wohl nicht gegeben, wenn der Unfall durch einen anderen Verkehrsteilnehmer als den zum Hotel gehörigen Busfahrer verursacht worden wäre)
Ergebnis: deutsches Sachrecht ist auf die deliktischen Ansprüche anwendbar
Freue mich auf Euer Feedback!
Wurden Rom I-VO und Rom II-VO mit abgedruckt? Bei uns (in HH) gehören die Gesetze nicht mit zum üblichen Gesetzesmaterial