Rückwirkungsverbot: echte und unechte Rückwirkung
Der Vertrauensschutz spielt im öffentlichen Recht an zwei wichtigen und vor allem aber äußerst examensrelevanten Stellen eine Rolle. Zunächst wird das Vertrauen des Bürgers auf die Rechtslage bzw. auf Gesetze geschützt. Eine weite Ausprägung dieses Grundsatzes findet sich in §§ 48, 49 VwVfG im Bezug auf die Rücknahme von Verwaltungsakten.
Wieso Vertrauensschutz?
Der Vertauensschutz wird aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) hergeleitet. Der Bürger richtet sein Verhalten an der bestehenden Rechtslage aus. Er hat ein berechtigtes Interesse daran dass sein darauf abgestimmtes Verhalten nicht urplötzlich völlig anders gewertet wird und ihm zum Negativen gereicht. Auf den Punkt gebracht verlangt das Rechtsstaatsprinzip Rechtssicherheit und Beständigkeit.
Vertrauensschutz im Staatsrecht
Art. 103 II GG
Analog zu obiger Ausführung müssen dem Bürger in Stein gemeißelte Grenzen seiner Handlungsfreiheit, Art. 2 GG, aufgezeigt werden. Die Strafbarkeit einer Handlung muss im Zeitpunkt der Ausführung bereits feststehen. Art. 103 II GG statuiert daher ein Verbot rückwirkender Strafe. Diese darf rückwirkend weder festgesetzt noch erhöht werden. Was dabei genau unter Strafe zu verstehen ist und vor allem was nicht, lässt sich eingehend den folgenden Urteilen entnehmen: BVerfGE 109, 133, 167 ff & EGMR, Urteil vom 17.12.2009.
Das Rückwirkungsverbot
Wichtiger für die Klausur und oft Gegenstand von Examensklausuren ist jedoch das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. Zu prüfen ist, ob Gesetze ihre Wirkung auch für den Zeitraum vor ihrem Inkrafttreten entfalten können. Der Prüfungsort ist die materielle Rechtmäßigkeit – am besten als Unterpunkt bei ¨Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip¨.
Zu unterscheiden ist die echte und die unechte Rückwirkung
echte Rückwirkung
Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber rückwirkend in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreift, die Rechtsfolgen des Gesetzes also für einen vor der Verkündung beendeten Tatbestand gelten sollen. Beispiel Steuern: Der Steuertatbestand ist immer am Ende eines Veranlagungszeitraumes abgeschlossen, also am Ende eines Jahres. Ein Gesetz aus 2011 was für 2011 wirken soll entfaltet demnach keine echte Rückwirkung, weil der Tatbestand erst Ende 2011 abgeschlossen ist.
Die echte Rückwirkung ist grundsätzlich ausgeschlossen und nur in streng umrissenen Ausnahmefällen zulässig. Dazu haben sich folgende Fallgruppen herauskristallisiert:
1. Für den Rückwirkungszeitraum war mit der getroffenen Regelung zu rechnen und daher ist kein schützenswerter Vertrauenstatbestand entstanden (z.B. Kodifizierung einer bis dahin verbreiteten Rechtsprechung). Gesetztesinitiativen sind an dieser Stelle übrigens nicht ausreichend, da das Gesetzgebungsverfahren wie wir zu genüge lernen müssen mit etlichen möglichen Hindernissen versehen sein kann. Daher ist erst der Beschluss vertrauenzerstörend.
2. Die bisherige Regelung ist unklar und verworren oder eine Änderung der Rechtsprechung wird durch den Gesetzgeber korrigiert.
3. Eine Rechtsnorm erweist sich als ungültig und wir korrigiert (hier ist sogar eine Verschärfung möglich).
4. Wohl am wichtigsten: Zwingende Gründe des Allgemeinwohls. Hier hat der Bearbeiter einen großen Argumentationsspielraum.
unechte Rückwirkung
Von unechter Rückwirkung spricht man, wenn eine Norm auf gegenwärtige noch nicht abgeschlossene Sachverhalte rückwirkend (der Tatbestand hat also schon begonnen) eingreift und damit die Rechtsposition nachträglich entwertet wird.
Diese Art der Gesetzgebung ist grundsätzlich zulässig und nur in Ausnahmefällen unzulässig, weil es keinen generellen Vertrauensschutz auf den Fortbestand von Gesetzen gibt und der Staat durch Änderungen die Möglichkeit haben muss auf das aktuelle Geschehen und weitere Bedürfnisse zu reagieren. Unzulässigkeit kann jedoch vorliegen wenn:
1. das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht rechnen musste und demzufolge auch in seinem Verhalten nicht einplanen musste. Ein Beschluss im Bundestag oder eine öffentliche Diskussion über Reformen werden als ausrechend erachtet um das Vertrauen des Bürgers zu zerstören. In diesem Fall musste der Betroffene mit der Änderung rechen.
sowie kumulativ
2. das Vertrauen des Bürgers schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen. Das lässt sich am besten mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne (Angemessenheit) überprüfen. Auf der einen Seite steht demnach der Vorteil, den sich der Staat durch das Gesetz verschafft und auf der anderen Seite die Entwertung der Rechtsposition.
Zum Teil kann es wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit notwendig sein, dass der Gesetzgeber eine Übergangsregelung schafft. Dies ist in der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu klären. Ein Beispiel wäre hier die Änderung des Rentenrechts, welches derart massive Auswirkungen haben kann, dass Jahrgänge welche alsbald von der Regelung betroffen sein werden und keine dem entgegenwirkenden Dispositionen treffen können geschützt werden.
Nicht vorenthalten möchte ich zuletzt, dass die unterschiedlichen Senate des BVerfG unterschiedliche Terminologie nutzen und teils auch unterschiedlich prüfen. Wer sich dafür interessiert, kann sich gerne in einem guten Lehrbuch informieren. Das hier aufgeführte Handwerkszeug sollte aber den Nebel über jeder Klausur zu diesem Thema vertreiben können.
Der Artikel nennt kein einziges Beispiel für eine echte Rückwirkung.
Harald dein Kommentar ist unqualifiziert und einfach überflüssig,
geh dich bitte sofort vergraben
Diese Art der Gesetzgebung ist grundsätzlich zulässig und nur in Ausnahmefällen unzulässig, weil es keinen generellen Vertrauensschutz auf den Fortbestand von Gesetzen gibt und der Staat durch Änderungen die Möglichkeit haben muss auf das aktuelle Geschehen und weitere Bedürfnisse zu reagieren. Unzulässigkeit kann jedoch vorliegen wenn:
Direktversicherung 1979 abgeschlossen. Auszahlung sollte steuer- und sozialversicherungsfrei sein. 2010 kam die Auszahlung. Durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, gültig ab 1.1.2004, also 25 Jahre nach Vertragsabschluss und 6 Jahre vor Auszahlung, wurde die gesamte Auszahlungssumme mit 18,5 % Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung verbeitragt. Die Direktversicherungen waren unkündbar. Ich hatte keine Möglichkeit, ab 2004 meine Dispositionen zu verändern, um den Folgen des Gesetzes zu entgehen. Außerdem waren 4/5 der Einzahlungen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geleistet worden. Zudem fehlt es dauerhaft am Interesse des Gemeinwohls, denn die Krankenkassen schwimmen seit einigen Jahren nur so in Geld. Rückwirkung? Keine Rückwirkung? Unechte Rückwirkung? Gesetz richtig angewandt von den Krankenkassen?
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Der Paragraph 229 SGB V aus 2003 unterliegt hiernach dem Ansatz „Die echte Rückwirkung ist grundsätzlich ausgeschlossen und nur in streng umrissenen Ausnahmefällen zulässig“! Ein ganz wichtiger Hinweis für die Klagenden der „Doppelverbeitragung“ auf betriebliche Direktversicherungen!
Was sagen die Juristen!
Und wenn die Rückwirkung 2004 zulässig gewesen wäre, weil den gesetzlichen Krankenkassen 12 Mrd. fehlten, dann ist sie heute schon lange nicht mehr zulässig, weil die Krankenkassen in Geld schwimmen! Da überwiegt der Schutz des Eigentums der Bürger vor dem Interesse der Krankenkassen auf Verlustausgleich. Denn es gibt keine Verluste mehr, sie schwimmen in Geld, ca. 20 Mrd. Überschuss. Und dann will der Gesundheitsminister die Überschüsse mit einer Beitragssenkung für alle „verfrühstücken“, ohne vorher das Unrecht an den abgezockten Direktversicherungsgeschädigten zu beseitigen. Und genau das geht nicht! Wo leben wir überhaupt? In einer Abzocker-Diktatur oder in einer Demokratie?