Revisited: § 252 StPO und das Erfordernis der sog. qualifizierten Belehrung
Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Ass. iur. Dr. Lorenz Bode, LL.M. veröffentlichen zu können.
Nichts Neues, aber – wie diese höchstrichterliche Entscheidung (BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 2 StR 202/20) einmal mehr zeigt – ein echter Klassiker auch in der tatgerichtlichen Praxis: die qualifizierte Belehrung bei § 252 StPO.
1. Dem Sachverhalt nach ging es um die Aussage der Mutter des zu lebenslanger Haft verurteilten Angeklagten. Diese hatte den Angeklagten bei ihrer polizeilichen Vernehmung schwer belastet, sich in der späteren Hauptverhandlung jedoch auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 StPO berufen. Das Gericht ließ sich hiervon nicht beirren und brachte die Mutter durch weiteres Nachhaken („auf Befragen“) schließlich dazu, dass sie sich mit der Verwertung ihrer polizeilichen Angaben sowie der Befragung ihres früheren Vernehmungsbeamten einverstanden erklärte.
2. Der BGH stellt klar, dass das Landgericht § 252 StPO missachtet hat. Es hätte die Zeugenaussage der Mutter nicht – auch nicht durch die Vernehmung der Verhörsperson – in die Hauptverhandlung einführen dürfen. Denn, und darin liegt (noch immer) die Krux, aus § 252 StPO folgt, entgegen dem Wortlaut der Vorschrift, ein allgemeines Beweisverwertungsverbot. Damit ist – so der BGH – neben der Verlesung einer früheren Zeugenaussage auch „jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen“, in der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Wichtig ist zu betonen, dass dies nur für nichtrichterliche Vernehmungen gilt. Im Falle einer früheren Vernehmung durch den Richter, und sofern dieser den Zeugen nach § 52 Abs. 3 S. 1 StPO ordnungsgemäß belehrt hatte, bleibt die Verwertung der Aussage (durch Vernehmung der richterlichen Verhörsperson) zulässig (BGH, Beschl. v. 15.07.2016 – GSSt 1/16 = BGHSt 61, 221). Diese Differenzierung geht zurück auf den sog. Blutschande-Fall des BGH aus dem Jahr 1952 (Az. 1 StR 341/15 = BGHSt 2, 99).
3. Der einzige „Rettungsanker“ bestand für das Schwurgericht darin, das Einverständnis der Mutter zur Verwertung ihrer früheren Angaben einzuholen. Insoweit steht zwar die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts der Zustimmung zur Verwertung bzw. einem isolierten Verzicht auf das Verwertungsverbot nicht entgegen (BGH, Urt. v. 23.09.1999 – 4 StR 189/99 = BGHSt 45, 203). Die Wirksamkeit dieser Zeugenerklärung hängt nach dem Willen des BGH jedoch von einer qualifizierten Belehrung durch das Gericht ab. Demnach kann ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge die Verwertung seiner früheren Angaben nur gestatten, wenn (!) „er zuvor über die Folgen des Verzichts ausdrücklich belehrt worden ist“.
Dabei kommt es für die Revision(sklausur) entscheidend darauf an, welchen Inhalt das Hauptverhandlungsprotokoll hat. Denn sowohl bei der gerichtlichen Belehrung wie auch der Erklärung des Zeugen handelt es sich um wesentliche Förmlichkeiten i.S.d. § 273 Abs. 1 StPO, die zu protokollieren sind – andernfalls gelten sie als nicht erfolgt (vgl. § 274 S. 1 StPO). Vorliegend gelangt der BGH zu dem Ergebnis, dass es an einer qualifizierten Belehrung fehlt. Dazu seziert er die relevanten Passagen des Protokolls und macht deutlich:
„Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich, dass die Einverständniserklärung der Zeugin weder auf deren Initiative zurückging noch ‚nach Belehrung‘ erfolgte, sie sich vielmehr ‚auf Befragen‘ erklärte. Damit lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen, dass die Zeugin hinreichend belehrt worden oder ihr die Tragweite ihrer Erklärung bewusst war.“
Kurz gesprochen: qualifizierte Belehrung minus.
4. Die Konsequenz dieser BGH-Entscheidung war: Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Das Schwurgericht (gem. § 76 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 GVG immerhin mit drei Berufsrichtern besetzt) hatte es schlicht versäumt, qualifiziert zu belehren. Der BGH zeigte sich insofern unnachgiebig und war – anders als bei der Vernehmung richterlicher Verhörspersonen (siehe nur Farthofer/Rückert, HRRS 2017, 123 ff. m.w.N.) – nicht bereit, den über § 252 StPO umfassend gewährleisteten Zeugenschutz aufzuweichen. Für die Revisionspraxis bedeutet dies: Das Hauptverhandlungsprotokoll ist insbesondere mit Blick auf Art und Umfang der dort dokumentierten, tatgerichtlichen Belehrung sorgfältig auszuwerten; es gilt – dem BGH folgend – ein strenger Maßstab; bloßes Befragen stellt jedenfalls keine qualifizierte Belehrung dar. Zudem kann sich aus Verteidigersicht im Falle des offenkundigen Fehlens einer entsprechenden Belehrung ausnahmsweise auch einmal der Weg über die Sprungrevision (§ 335 StPO) anbieten.
Möglich scheint, dass eine Zustimmung zur Verwertbarkeit einer Aussage trotz Verweigerungsrecht strafprozessuale Prozesshandlung ist.
Für strafprozessuale Prozesshandlung gibt es besondere Regeln.
Unter Umständen muss eine strafprozessuale Prozesshandlung, wie möglicherweise vorliegend in Form einer Zustimmung zur Verwertbarkeit, danach selbst ohne genügende Belehrung nicht ohne Weiteres unwirksam sein.
In Betracht kommt, dass eine solche Prozesshandlung, wie vielleicht vorliegend in Form einer Zustimmung zur Verwertbarkeit, bis Verfahrensabschluss von dem Zustimmenden wieder aufgehoben sein muss.
Hier scheinen noch Probleme möglich.
Indem die Entscheidung dazu nichts Näheres ersichtlich enthält, scheint sie teils ungenügend fehlerhaft sein zu können.
Ebenso damit die rechtsfolge einer Zurückverweisung.
Vielen Dank für den hilfreichen Blogbeitrag!