Religionsausübung in der Schule: Befreiung vom Kinobesuch?
Immer wieder kommt es zu rechtlichen Streitigkeiten, wenn es um die Ausübung der Religionsfreiheit im schulischen Umfeld geht. Viele der Verfahren gehen bis nach Karlsruhe oder landen sogar schließlich beim EGMR in Straßburg. Entscheidungungen wie der Kruzifix-Beschluss des BVerfG oder die diversen Verdikte rund um das islamische Kopftuch (BVerfG, BVerwG, BAG) sollten – gerade auch in der mündlichen Prüfung – geläufig sein. Die Kenntnis der Sachverhalte und genauen Entscheidungsinhalte kann freilich nicht verlangt werden, wohl aber sollte man die wesentlichen Leitlinien der verfassungrechtlichen Rechtsprechung kennen.
Die Kruzifix-Entscheidung des EGMR, in der die Straßburger Richter anders als das BVerfG es für zulässig hielten, dass in italienischen Klassen Kreuze hängen, haben wir bereits besprochen, s. hier. Zu Kopftuch und anderen religiösen Bekleidungsstücken haben wir auch schon berichtet (s. hier), ferner zu den Auswirkungen des Verfassungsrecht auf Arbeits- und Zivilrecht (s. hier und hier).
Besonderes Konfliktpotential im schulischen Raum
Besonders häufig kommt es gerade im schulischen Raum zu Spannungen im Bereich der Religionsfreiheit. Ob Sexualkunde (BVerfGE 47, 46), Kruzifix (BVerfGE 93, 1) oder Kopftuch (BVerfGE 108, 282) – diese drei leading cases spielten allesamt in der Schule. Der EGMR hat ebenfalls wie das BVerfG entschieden, dass ein Sexualkundeunterricht verpflichtendes Schulfach sein kann (s. hier), ebenso hielt er einen Ethikunterricht für menschenrechtskonform (s. hier). In NRW gab es auch bereits Entscheidung zum sog. Burkini (OVG Münster) und das VG Berlin hat sich mit der Frage nach einem Gebetsraum für Schüler befasst (s. hier).
Grundsätzlich vieles zumutbar, solange Unterricht religionsneutral ist
Als eine Leitlinie aus all diesen Fällen hat sich herauskristallisiert, dass im Ausgleich zwischen Schulpflicht einerseits und Religionsfreiheit und Erziehungsrecht andererseits, grundsätzlich Einschränkungen der Religionsfreiheit hinzunehmen sind, solange der Unterricht neutral und sachlich gestaltet ist. Im Ethikunterricht darf also nicht für eine bestimmte Weltsicht geworben werden, im Sexualkundeunterricht darf bspw. vorehelicher Sex nicht als erstrebenswert dargestellt werden.
Deutlich stärkere Einschränkungen der Religionsausübungsfreiheit muss vor allem auch das Lehrpersonal hinnehmen, denn es „vertritt“ zugleich den Staat und ist an dessen Neutralitätspflicht gebunden. Kopftuch & Co. können daher einem Lehrer eher untersagt werden – dann gilt dies aber freilich ebenso für alle vergleichbaren Symbole anderer Religionen.
OVG Münster: Befreiung von Kinobesuch im Ausnahmefall erforderlich
Auf den ersten Blick scheint eine aktuelle Entscheidung des OVG Münster (Urteil vom 22.12.2011 – 19 A 610/10) in eine andere Richtung zu weisen. Der Schulleiter eines Gymnasiums hätte einen Schüler wegen eines glaubensbedingten Gewissenskonfliktes vom Besuch des Kinofilms «Krabat» befreien müssen, den seine Klasse im Rahmen des Deutschunterrichts als verbindliche Schulveranstaltung durchführt hat. Die Eltern des Kindes (Zeugen Jehovas) wollten nicht, dass ihr Kind mit Spiritismus und schwarzer Magie in Berührung kommt. Das Buch war aber bereits zuvor im Unterricht besprochen worden. Ein Verzicht auf den Kinobesuch sei daher eine verhältnismäßige Begrenzung der Schulpflicht/des staatlichen Erziehungsauftrags. Dem Kind hätte man nicht zumuten können, sich während der entscheidenden Passagen die Augen zuzuhalten.
Die Entscheidung des OVG Müsnter ist wohl vertretbar, angesichts der oben dargelegten Leitentscheidungen, die zT eine „strengere“ Linie verfolgen, wäre aber wohl auch ein anderes Ergebnis möglich gewesen. Die Vorinstanz hatte noch anders entschieden (s. den Bericht bei beck-aktuell).
Finde ich ein sehr heikles Thema, denn viele Jugendliche wollen einfach nur eher nach Hause kommen… Es ist oft nur schwer zu unterscheiden, welche Jugendlichen wirklich und mit Sinn sich vom Religionsunterricht freistellen lassen..