BGH: Rechtsprechungsüberblick in Zivilsachen (Juli 2016)
Im Folgenden eine Übersicht über im Juli veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Zivilsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 – IX ZR 252/15 (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter)
Ist Gegenstand des mit einem Anwalt geschlossenen Beratungsvertrags die Beratung für Entscheidungen des Mandanten, hat der Anwaltsvertrag im allgemeinen keine Schutzwirkungen zugunsten des (gesetzlichen) Vertreters des Mandanten für Vermögenseinbußen des Vertreters, die darauf zurückzuführen sind, dass dem Vertreter im Zusammenhang mit dem Gegenstand der anwaltlichen Beratung zu Recht oder zu Unrecht eigene Pflichtverletzungen vorgeworfen werden. Zwar hat ein Anwaltsvertrag auch ohne ausdrückliche Regelung Schutzwirkungen zugunsten eines Dritten, sofern sich dies aus einer maßgeblich durch das Prinzip von Treu und Glauben geprägten ergänzenden Auslegung des Beratervertrags ergibt (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015 – IX ZR 56/15). Hierzu müssen die bekannten Kriterien erfüllt sein: Der Dritte muss mit der Hauptleistung des Rechtsanwalts bestimmungsgemäß in Berührung kommen. Der Gläubiger muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Beratungsvertrags haben. Die Einbeziehung Dritter muss dem schutzpflichtigen Berater bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein. Ausgeschlossen ist ein zusätzlicher Drittschutz regelmäßig dann, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt. Bei einem Anwaltsvertrag liegt das erforderliche Näheverhältnis nur vor, wenn die Leistung des Rechtsanwalts bestimmte Rechtsgüter des Dritten nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen kann. Der Auftraggeber muss ein entscheidendes Eigeninteresse an der Wahrung der Drittinteressen haben. Eine Einbeziehungsinteresse setzt voraus, dass der Vetragspartner ein eigenes konkretes Interesse an der Einbeziehung des Dritten in das Vertragsverhältnis hat. Der Vertreter handelt für den Mandanten und hat dabei die gegenüber dem Mandanten bestehenden Pflichten einzuhalten. Aus Sicht des Mandanten besteht für diese Fälle im Allgemeinen kein besonderes Bedürfnis, seinen Vertreter für aufgrund der Gefahr einer Binnenhaftung entstehende Vermögensschäden durch eigene Haftungsansprüche gegen den Berater zu schützen.
II. BGH, Urteil vom 19. Juli 2016 – VI ZR 75/15 (Rechtmäßiges Alternativverhalten, § 823 Abs. 1 BGB)
Die Berufung des Schädigers gegen einen Anspruch aus § 823 Abs.1 auf rechtmäßiges Alternativverhalten, d.h. der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Dabei muss der Schutzzweck der jeweils verletzten Norm darüber entscheiden, ob und inwieweit der Einwand im Einzelfall erheblich ist. Bei ärztlichen Eingriffen ist der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens jedoch ausgeschlossen, da dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernis zuwiderliefe. Könnte der behandelnde Arzt sich mit diesem Einwand einer Haftung entziehen, bliebe der rechtswidrige Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten sanktionslos. Damit entstünde die Gefahr, dass wahllos Ärzte ausgetauscht werden, ohne dass Patienten von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen können. Dies gilt insbesondere, wenn eine Chefarztbehandlung vereinbart wurde.
III. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 – IX ZR 291/14 (sekundäre Darlegungslast)
Bei einer Schadensersatzklage gegen einen Rechtsanwalt trifft die Beweislast denjenigen, der eine Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung behauptet. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelfall beraten oder aufgeklärt worden sein soll. Dem Anspruchsteller obliegt dann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft. Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gilt auch, wenn der Mandant den Rechtsanwalt wegen fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Ablehnung eines Vergleichs in Anspruch nimmt.
IV. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 – III ZR 387/15 (AGB-Kontrolle)
Eine Klausel, die den Anforderungen des § 309 Nr. 13 BGB entspricht, ist im Regelfall auch mit § 307 BGB vereinbar. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Besonderheiten eines Vertrags können zu einer Unwirksamkeit der beanstandeten Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 309 Nr. 13 BGB führen. So, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Es bedarf dabei einer umfassenden Würdigung der wechselseitigen Interessen, wobei die Abweichung vom dispositiven Recht Nachteile von einigem Gewicht begründen muss und Gegenstand, Zweck und Eigenart des Vertrags mit zu berücksichtigen sind.
V. BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – VIII ZR 49/15
Fristlänge:
Bei der Beurteilung, ob eine vom Käufer zur Nacherfüllung bestimmte Frist angemessen ist, ist – in den Grenzen des § 475 Abs. 1 BGB – in erster Linie eine Vereinbarung der Parteien maßgeblich. Dabei darf der Käufer eine vom Verkäufer selbst angegebene Frist als angemessen ansehen, auch wenn sie objektiv zu kurz ist.
Setzen einer Frist:
Für eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 323 Abs. 1, § 281 Abs. 1 BGB genügt es, wenn der Gläubiger durch das Verlangen nach sofortiger, unverzüglicher oder umgehender Leistung oder durch vergleichbare Formulierungen – hier ein Verlangen nach schneller Behebung gerügter Mängel – deutlich macht, dass dem Schuldner für die Erfüllung nur ein begrenzter (bestimmbarer) Zeitraum zur Verfügung steht. Der Angabe eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten (End-)Termins bedarf es nicht. Ergibt sich dabei aus den Gesamtumständen, dass ein ernsthaftes Nacherfüllungsverlangen vorliegt, schadet es nicht, dass dieses in höfliche Form einer „Bitte“ gekleidet ist.
Unzumutbarkeit der Nacherfüllung:
Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist.
Etwa Entscheidung II. („rechtmäßiges Alternativerhalten“): Angenommen scheint eine Aliud-Leistung. Bedenklich daran kann sein, dass eine chefärztliche Operations nicht sicher anders gewesen wäre. Bei einer Aliudleistung kann eine nachträglich Zweckstörung vorliegen.
Das kann zum Wegfall der Leistungspflicht und verschuldetem Wegfall eines Zahlungsanspruches führen. Einem weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe einer tatsächlichen einfachen Operationsleistung kann solche Leistung noch evcentuell als Dienstvertragaufwand entgegenhaltbar sein. Im Ergebnis kann ein weiterer durchsetzbarer Schadensersatzanspruch ausscheiden. Ein Anspruch auf Dienstvertragsaufwandsersatz kann von Seiten des Krankenhaus eventuell noch (über die kassenärztliche Vereinigung) gegen die Krankenkasse bestehen.
Zum Thema Fristsetzung bei §§281, 323 BGB wird mittlerweile ja schon angenommen, eine solche Fristsetzungserfordernis sei nicht mit EU- Recht vereinbar. Dürfe jedoch noch absolute MM sein und eignet sich wohl eher für einen Aufsatz, statt für eine Klausur im ersten Examen.