Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im Februar veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (insbesondere materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 1 StR 496/14
Für das Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2, Fallgruppe 2, Var. 1 StGB) ist es ausreichend, wenn eine Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bei der ersten, missglückten Tötungshandlung besteht, auch wenn das Opfer daraufhin seine Arglosigkeit verliert, sich (zunächst erfolgreich) wehrt und erst mit einer späteren, jedoch im zeitlichen Zusammenhang stehenden Handlung getötet wird.
II. BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2014 – 2 StR 29/14
Der Gehilfenvorsatz eines Beteiligten an der Untreue (§ 266 StGB) eines anderen umfasst alle Merkmale des Untreuetatbestandes, insbesondere auch das Vorliegen eines Nachteils. Es reicht daher nicht aus, wenn der Gehilfe lediglich einen Eventualvorsatz im Hinblick auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Haupttäters hat, da dieses Merkmal nicht mit dem Merkmal des Nachteils „verschleift“ werden darf.
III. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 1 StR 454/14
Für den Gehilfenvorsatz ist nicht erforderlich, dass der Gehilfe alle Einzelheiten der Haupttat kennt. Vielmehr ist entscheidend, dass der Gehilfe die Dimension des Unrechts der ins Auge gefassten Tat erfassen kann. Der Gehilfenvorsatz unterscheidet sich insofern vom Anstiftervorsatz, da der Anstifter eine konkrete Tat vor Augen haben muss, während der Gehilfe einen von der Haupttat losgelösten Beitrag erbringt. Daher ist für die Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug in mehreren Fällen nicht entscheidend, ob der Gehilfe die konkrete Anzahl der Geschädigten im Detail kennt.
IV. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2015 – 4 StR 532/14
Der Qualifikation eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes als Mord in der Variante der Ermöglichungsabsicht (§ 211 Abs. 2, Fallgruppe 3, Alt. 1 StGB) steht das Bestehen von Tateinheit zwischen der vorsätzlichen Tötung und dem nachfolgenden Delikt, welches ermöglicht werden soll (hier: Schwangerschaftsabbruch, § 218 StGB), nicht entgegen.
V. BGH, Urteil vom 21. Januar 2015 – 2 StR 247/14
Raub kann auch dann vorliegen, wenn zwar zwischen der der Wegnahme vorangehenden Gewaltanwendung (hier: Schläge und Tritte) und der anschließenden, auf einem neuen Tatentschluss beruhenden Wegnahme eines Rucksacks des Opfers kein Finalzusammenhang besteht, die Wegnahme des Tatobjekts jedoch durch ein „Entreißen“ des Rucksacks verwirklicht wird und also selbst als Gewalt zu qualifizieren ist. Dies ist dann der Fall, wenn die dazu aufgewendete Kraft nicht völlig unerheblich ist und jedenfalls auch dazu dient, einen erwarteten oder geleisteten Widerstand des Opfers zu überwinden.
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Zum Schluss noch vier prozessuale Entscheidungen.
Dem ersten Beschluss liegt die Revisionsrüge des § 338 Nr. 6 StPO (Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens) zugrunde:
VI. BGH, Beschluss vom 27. November 2014 – 3 StR 437/14
Beteiligter im Sinne des § 174 Abs. 1 Satz 1 GVG, der verlangen kann, dass über die Ausschließung der Öffentlichkeit in nichtöffentlicher Sitzung verhandelt wird, kann auch ein Zeuge sein. Der Begriff des Beteiligten nach der vorgenannten Vorschrift ist nämlich nicht so eng zu verstehen, dass nur die Verfahrensbeteiligten im engeren Sinne hierunter subsumiert werden könnten, im Strafverfahren also der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft. Vielmehr kann „Beteiligter“ nach § 174 Abs. 1 Satz 1 GVG jeder sein, dessen Interessen mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit geschützt werden sollen (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Die zweite Entscheidung befasst sich mit der Frage, ab wann einer Person „konkludent“ die Rolle als Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens – mit entsprechenden Belehrungspflichten nach § 136 Abs. 1 StPO – zusteht.
VII. BGH, Urteil vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 439/13
Auch ohne förmliche Verfahrenseröffnung gegen eine Person ist die konkludente Zuweisung der Rolle als Beschuldigter möglich. Das Strafverfahren ist eingeleitet, sobald die Ermittlungsbehörde Maßnahmen trifft, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielen, gegen jemanden strafrechtlich vorzugehen. Ist eine Ermittlungshandlung darauf gerichtet, den Vernommenen als Täter einer Straftat zu überführen, kommt es daher nicht mehr darauf an, wie der Ermittlungsbeamte selbst sein Verhalten rechtlich bewertet. Besteht danach wegen fehlender Belehrung nach § 163a Abs. 4 in Verbindung mit § 136 Abs. 1 StPO ein prozessualer Verstoß, wird dieser auch nicht durch eine statt dessen erfolgte Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO kompensiert; denn diese Belehrung entspricht nicht dem Hinweis auf ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter und dessen Recht auf Verteidigerbeistand.
Zuletzt noch die Antworten des 1. und 5. Strafsenats auf die Anfrage des 2. Senats zur Frage des Erfordernisses einer qualifizierten Belehrung von zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen bei Vernehmung durch einen Ermittlungsrichter und der späterer Verwertung ihrer Aussagen durch Vernehmung dieses Ermittlungsrichters (= Frage der Reichweite des § 252 StPO):
VIII. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 ARs 21/14
Auf die Anfrage des 2. Strafsenats nach § 132 Abs. 3 Satz 2 GVG teilt der 1. Strafsenat mit, dass er an der bisherigen Rechtsprechung festhält, wonach die Möglichkeit der Vernehmung des ursprünglichen Ermittlungsrichters als Zeugen in der Hauptverhandlung nicht davon abhängt, dass der unmittelbare Zeuge bei seiner ursprünglichen Vernehmung über die spätere Verwertbarkeit seiner Aussage qualifiziert belehrt wurde. Eine solche qualifzierte Belehrung sei weder vorgeschrieben noch zur sachgerechten Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts erforderlich. Generell fraglich könne jedoch sein, ob die Vernehmung einer früheren richterlichen Verhörsperson in der Hauptverhandlung im Hinblick auf den Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts überhaupt zulässig sei.
IV. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 5 ARs 64/14
Auch der 5. Strafsenat ist der Auffassung, dass die Vernehmung des Ermittlungsrichters als Zeugen in der Hauptverhandlung nicht von einer qualifizierten Belehrung des unmittelbaren Zeugen bei seiner ursprünglichen Vernehmung abhänge. Es bedürfe angesichts der bestehenden Unterschiede zwischen der richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmung (§§ 251 Abs. 2, 168c Abs. 2, 161a Abs. 1 Satz 2 StPO) keines weitergehenden Hinweises an den Zeugen zur späteren Verwertbarkeit seiner Aussage.
Im BGH- Fall Nr. II. („Gehilfenvorsatz bei Untreue“) könnte schon eine Untreuehauptatt der Z gegenüber der D-AG im Hinblick auf einen verursachten Vermögensnachteil noch zweifelhafter sein.
Es könnte hier mangels Vertretungsmacht in Anbetracht der
Kenntnis des Z insoweit auch nach Rechtscheingrundsätzen kein Vertrag
mit der D-AG zustandegekommen sein. Insofern könnte der D-AG kein Vermögensnachteil durch einen Vertragsschluss entstanden sein.
Für die D-AG könnte zudem eine Filmerlangung von Vorteil gewesen sein. Sofern die Filme des W ihren Preis wert waren, könnte ihr insofern auch im Hinblick auf die Filme ansich zunächst kein Vermögensnachteil entstanden sein.
Für den Geldverlust durch Geldauszahlung könnte zudem eine grds. nähere Rechtsposition auf Erhalt der Filme erlangt sein, welche das Geld wert war. Insofern könnte ebenso durch den Geldverlust mit Geldauszahlung grds. kein Nachteil iSv. Untreue entstanden sein.
Die Vorenthaltung der Filme schließlich könnte keinen
Vermögensnachteil iSv. Untreue begründen, weil das dauerhafte
Behaltenkönnen der Filme ohnehin noch abhängig von einer evtl. Zug-um-Zug-Rückforderung von W und daher ungewiss gewesen sein könnte.