Rechtsprechungsüberblick in Strafsachen
Im Folgenden eine Übersicht über im November veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht):
I. BGH, Beschluss vom 7. August 2014 – 3 StR 105/14
An einem unmittelbaren Ansetzen im Sinne des § 22 StGB kann es ausnahmsweise – trotz der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals – fehlen, wenn der Täter damit noch nicht zu der die Strafbarkeit begründenden eigentlichen Rechtsverletzung ansetzt. Dies kann bei einem bandenmäßigen Einbrechen in einen Geschäftsraum zum Stehlen (schwerer Diebstahl nach § 244a Abs. 1 StGB) etwa dann der Fall sein, wenn der Täter nicht gleichzeitig mit seiner Handlung zur Verwirklichung des Grunddeliktes ansetzt, weil er nach dem Einbruch eine planmäßige Pause einlegt, um später zurückzukehren, um den in den Räumlichkeiten befindlichen Tresor aufzubrechen.
II. BGH, Beschluss vom 11. September 2014 – 4 ARs 12/14
Der 4. Strafsenat des BGH hält auf den Anfragebeschluss des 2. Senats vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12 – (vgl. § 132 Abs. 3 S. 1 GVG) daran fest, dass eine Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei zulässig ist. Die Wahlfeststellung verstößt danach nicht gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG. Denn der Umstand, dass bei einer Verurteilung auf der Grundlage einer sog. echten Wahlfeststellung nicht feststeht, welcher der alternativ in Betracht kommenden Straftatbestände verletzt worden ist, ändere nichts daran, dass die maßgeblichen strafbewehrten Verbote für den Normadressaten in Tragweite und Anwendungsbereich erkennbar waren. Zudem darf ein Angeklagter im Fall einer echten Wahlfeststellung nur verurteilt werden, wenn die nach der Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten alternativ in Betracht kommenden Sachverhalte jeweils einen (anderen) Straftatbestand vollständig erfüllen und andere Sachverhaltsalternativen sicher ausscheiden, sodass auch gewährleistet bleibe, dass nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet.
III. BGH, Beschluss vom 16. September 2014 – 3 StR 373/14
Der Täter, der einer weiteren Person dabei hilft, den Gewahrsam an einem allein von dieser durch das Einstecken in einen Jutebeutel erlangten Notebook gegen den Eigentümer durch Schläge zu verteidigen, begeht nicht selbst einen räuberischen Diebstahl, wenn er nicht Mittäter der vorherigen Tat gewesen ist und daher nicht die von der Vorschrift des § 252 StGB verlangte Besitzerhaltungsabsicht hat.
IV. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – 1 StR 387/14
Eine Entziehung oder Vorenthaltung Minderjähriger durch Drohung mit einem empfindlichen Übel (§ 235 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) liegt nicht nur dann vor, wenn das Kind mit dem vorgenannten Nötigungsmittel räumlich von einem Elternteil getrennt wird, sondern auch, wenn der geschädigte Elternteil durch ebendieses Nötigungsmittel (hier: Drohung mit dem Tode) von seinem Kind ferngehalten wird. Der vorgenannte Tatbestand kann jedenfalls dann tateinheitlich mit einer Nötigung (§ 240 StGB) zusammentreffen, die nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktritt, wenn der Täter ein über die Kindesentziehung hinausgehenden Zweck verfolgt (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
V. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2014 – 5 StR 395/14
Ein nicht beendeter Diebstahl im Rahmen eines räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB liegt solange vor, wie der Täter seinen Gewahrsam noch nicht gefestigt und gesichert hat. Dies betrifft auch die Situation, dass der Täter den unmittelbaren Herrschaftsbereich des Bestohlenen (hier: einen Supermarkt) zwar bereits verlassen hat, sich aber immer noch in Sichtweite des ihn alsbald verfolgenden Inhabers (hier: an einer Bushaltestelle) befindet, da dann noch das Risiko besteht, die Beute infolge der Nacheile wieder herausgeben zu müssen.
VI. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – 4 StR 208/14
Eine „gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben“ im Sinne des Erpressungstatbestandes (§§ 253, 255 StGB) liegt auch bei einer Dauergefahr vor, d.h. einer solchen, die jederzeit – unmittelbar, alsbald oder auch später – in einen Schaden umschlagen kann. Daher ist in einem Fall, in dem der Täter das ihm bekannte Opfer mit einem Messer bedroht, nicht entscheidend, ob er damit rechnet, sofort die von ihm verlangte Geldzahlung zu erhalten.
VII. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 380/14
Sonstige niedrige Beweggründe im Sinne des Mordtatbestandes (§ 211 Abs. 2, 1. Fallgruppe, Var. 4 StGB) können auch bei einem außergewöhnlich brutalen, eklatant menschenverachtenden äußeren Tatbild der Tötung vorliegen. Aus diesem muss ersichtlich werden, dass der Adressat des Angriffs nicht einmal mehr ansatzweise als Person, sondern nur noch wie ein beliebiges Objekt, mit dem man nach hemmungslosem Gutdünken verfahren kann, behandelt wurde, wobei ein Handeln des Täters mit dolus eventualis hinsichtlich der Tötung seines Opfers ausreichend ist (Einzelheiten des Geschehens s. Urteil).
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Zuletzt noch zwei strafprozessuale Entscheidungen des BGH, zum einen zur Pflicht der staatlichen Behörden, bereits im Ermittlungsverfahren dem Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen, zum anderen zum Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots nach § 136a StPO:
VIII. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14
Es besteht ohne Besonderheiten des Einzelfalls keine Pflicht dem Beschuldigten stets bereits frühzeitig im Ermittlungsverfahren, etwa beginnend mit dem Verdacht eines (auch schweren) Verbrechens, einen Verteidiger zu bestellen, was auch dann gilt, wenn ein Haftbefehl besteht. Denn der Gesetzgeber hat den Zeitpunkt der rechtlich zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung bewusst (erst) auf den Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft festgelegt (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IX. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 5 StR 296/14
Eine die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten beeinträchtigende Ermüdung im Sinne des § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO liegt regelmäßig dann vor, wenn dieser mindestens 38 Stunden nicht geschlafen hatte und anschließend einer konfrontativen Befragung durch die Polizei ausgesetzt wird (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
zu Fall II („Wahlfesstellung Hehlerei /Diebstahl“):
es läst sich bei unklarer Hehlerei- oder Diebstahlssachlage doch u.U. nach „in dubio“ oder (dem gedanken einer „Prä-Pospendenzfeststellung“ o.ä.) zumindest eine eindeutige Verurteilung wegen Unterschlagung annehmen.
Bei einer möglichen eindeutigen Verurteilung soll Wahlfesstellung nach deren regeln grds. ausscheiden. Warum dann nicht auch hier nach in dubio?