Prüfungsgespräch Strafrecht – Schwerpunkt StPO
Zu Beginn möchte die Redaktion von juraexamen.info darauf hinweisen, dass es sich um ein fiktives Gespräch handelt. Die tatsächlichen Angaben beruhen auf aktuellen Presseberichten, vgl. zB LTO vom 02.03.2016 oder Kölner Stadtanzeiger vom 02.03.2016.
Der nachfolgende Gastbeitrag stammt von Sebastian Brill. Der Autor ist wiss. Hilfskraft und Doktorand am Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie an der Georg-August-Universität Göttingen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur mündlichen Prüfung im Strafrecht.
Ich hoffe, Sie haben in letzter Zeit – wie es sich für einen Juristen gehört – die derzeit in der Presse und auf den einschlägigen juristischen Internetseiten kursierenden Meldungen rund um einen Juraprofessor verfolgt.
P1, da Ihre Kollegen die Meldungen unter Umständen nicht mitbekommen haben sollten, könnten Sie den Sachverhalt mit besagtem Professor in aller Kürze schildern?
Ein Juraprofessor ist am 01.03.2016 vor dem Amtsgericht Köln zu einer Strafe von 9.000 Euro wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden (Az. 583 Ds 46/15).
So ist es. Wissen Sie zufällig auch, worauf die Entscheidung beruhte? Andernfalls gebe ich Ihnen natürlich eine Hilfestellung.
Die Entscheidung beruhte auf einer Verständigung. Die gesetzliche Grundlage bildet hier § 257c StPO. Gemäß § 257c Abs. 1 S. 1 StPO kann sich das Gericht in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. Nach dem Gesetzeswortlaut geht die Initiative dabei grundsätzlich vom Gericht aus. Hierbei kommt die Verständigung zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen, § 257c Abs. 3 S. 4 StPO. Die Zustimmung des Nebenklägers, obwohl dieser Verfahrensbeteiligter i.S.d. § 257c Abs. 1 S. 1 StPO ist, ist dagegen nicht erforderlich.
Richtig! Was ist oftmals Bestandteil bei der Verständigung? Und was spricht gegen den sog. Deal im Strafverfahren?
Bestandteil der Verständigung soll gemäß § 257c Abs. 2 S. 2 StPO ein Geständnis sein. Dabei ist Inhalt der Verständigung, dass gegen ein Geständnis des Angeklagten auf eine mildere Strafe erkannt wird. Gegen den sog. Deal können vor allem rechtsstaatliche Bedenken angebracht werden. Eine große Gefahr besteht darin, dass sich das Gericht aufgrund des Geständnisses eine langwierige Beweisaufnahme erspart, obwohl noch etwaige Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten bestehen. Aus der Sicht des Angeklagten könnte zudem eine Drucksituation entstehen. Um die Gefahr einer höheren Strafe zu vermeiden, könnte er eher dazu bereit sein, ein (unwahres) Geständnis abzulegen und dadurch auf die Möglichkeit eines Freispruchs verzichten. Zudem besteht die Gefahr, dass bei gravierenden Straftaten Rechtsfolgen in Aussicht gestellt werden, die in einem groben Missverhältnis zum Tatvorwurf stehen. Schließlich kann es bei einer gescheiterten Abspracheverhandlung dazu kommen, dass der Richter womöglich voreingenommen ist.
Das kann man durchaus so sehen! P2, hinsichtlich des letzten Punkts, wo findet sich etwas zur Befangenheit des Richters und hat der Gesetzgeber die Gefahr bei gescheiterten Absprachen erkannt und geregelt?
Die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen findet sich in den §§ 22 ff. StPO. In dem vorliegenden Fall sind die Ausschließungsgründe der §§ 22, 23 StPO nicht einschlägig. Bei einer gescheiterten Absprache besteht durch das Geständnis allerdings gemäß § 24 Abs. 2 StPO die Gefahr, dass der Richter dem Angeklagten gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflusst. Bei einer gescheiterten Absprache könnte dies negative Folgen für den Angeklagten haben. Der Gesetzgeber hat die Gefahr allerdings erkannt und in § 257c Abs. 4 S. 3 StPO geregelt. Sofern die Bindungswirkung i.S.d. § 257c Abs. 4 S. 1, 2 StPO entfällt, darf das Geständnis des Angeklagten nicht verwertet werden. Nach Satz 4 muss das Gericht dem Angeklagten eine Abweichung unverzüglich mitteilen. Wichtig ist hierbei vor allem, dass das Gericht den Angeklagten gemäß § 257c Abs. 5 StPO ausdrücklich darauf hinweisen muss, unter welchen Voraussetzungen es von einer Absprache abweichen kann.
Sehr schön. Kommen wir mal zurück zu dem Fall des Professors. Wissen Sie zufällig, was bei diesem Fall noch besonders war? Ich werfe als kleine Hilfe mal den Öffentlichkeitsgrundsatz in den Raum.
Gemäß § 169 S. 1 GVG ist die Verhandlung vor dem Gericht öffentlich, d.h. dass grundsätzlich jedermann der mündlichen Hauptverhandlung beiwohnen darf. Damit soll eine Kontrolle des Verfahrens durch die Öffentlichkeit gewährleistet werden. Die Besonderheit in dem vorliegenden Fall bestand darin, dass dieser Grundsatz durchbrochen wurde. Die Verhandlung fand nämlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dies ist gemäß §§ 170 ff. GVG möglich. Im Fall des besagten Professors wurde die Öffentlichkeit gemäß § 171b S. 1 GVG ausgeschlossen. In der Hauptverhandlung kann es erforderlich sein, Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich oder Intimbereich des Angeklagten oder Zeugen zu erörtern. Aus § 68 StPO ergibt sich, dass solche Umstände angesprochen werden müssen, sofern es zur Wahrheitsforschung unerlässlich ist. Allerdings braucht dies auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 S. EMRK und dem Anspruch auf Achtung der Privatsphäre nicht zwingend öffentlich erfolgen.
Gut! Inzwischen erging ja das Urteil gegen den Professor, könnte dieser auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichten?
Gemäß § 302 Abs. 1 S. 1 StPO kann auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet werden. In dem Fall ist dem Urteil allerdings eine Verständigung i.S.d. § 257c StPO vorausgegangen, sodass eine Rechtsmittelverzichtserklärung gemäß § 302 Abs. 1 S. 2 StPO ausgeschlossen ist.
Auch das ist richtig. Stichwort Rechtsmittel, P3, welche Rechtsmittel sind Ihnen denn bekannt?
Als Rechtsmittel sind mir die Beschwerde, Berufung und Revision bekannt.
Jetzt scheint der Herr Professor noch immer keine Ruhe zu haben, denn aktuell läuft noch ein weiteres Strafverfahren wegen des Verdachts des Besitzes von kinderpornographischem Material. P3, warum wurde das nicht einfach direkt miteinbezogen?
Den Gegenstand des Urteils bildet die in der Anklage bezeichnete prozessuale Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Fraglich ist also, ob es sich hierbei um dieselbe Tat im strafprozessualen Sinn (§ 264 StPO) handelt oder um eine andere Tat, wonach eine Nachtragsanklage gemäß § 266 StPO erforderlich wäre. Unter der Tat im strafprozessualen Sinne versteht man einen bestimmten Vorfall, der bei natürlicher Betrachtung einen einheitlichen Geschehensablauf darstellt. Ein solcher ist zu bejahen, wenn zwischen den vorgeworfenen Verhaltensweisen des Beschuldigten eine innere Verknüpfung der Art besteht, dass die getrennte Behandlung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Da dies für eine genauere Bestimmung noch immer recht nebulös erscheint, können hierfür weitere Kriterien herangezogen werden, nämlich Tatzeit, Tatort, Tatobjekt und Tatbild. Durch die genannten Kriterien gelange ich zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei offensichtlich nicht um eine prozessuale Tat handelt, sodass es einer Nachtragsanklage gemäß § 266 StPO bedurft hätte.
Sehr gut! P1 hat uns geschildert, dass vor dem Amtsgericht Köln verhandelt wurde. Mit Blick auf das vergangene Verfahren von Herrn Edathy, hätte auch eine Anklage beim Landgericht Köln erfolgen können?
Gemäß § 1 StPO wird die sachliche Zuständigkeit der Gerichte durch das Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt. Grundsätzlich ist diese gemäß § 6 StPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Im vorliegenden Fall geht es demnach um die sachliche Zuständigkeit in erster Instanz. Nach § 24 Abs. 1 GVG ist das Amtsgericht zuständig, sofern nicht eine Zuständigkeit des Landgerichts nach § 74 GVG oder des Oberlandesgerichts nach § 120 GVG vorliegt. Beim Besitz von Crystal Meth, sofern es sich nicht um eine nicht geringe Menge handelt, handelt es sich um ein Vergehen i.S.d. § 12 Abs. 2 StGB, sodass nicht die zwingende Zuständigkeit des Landgerichts i.S.d. § 24 Abs. 1 Nr.1 GVG begründet ist. Mangels weiterer Angaben ist auch eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe nicht zu erwarten, vgl. § 24 Abs. 2 GVG. Fraglich ist, ob ein Fall der beweglichen Zuständigkeit i.S.d. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG aufgrund des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung vorliegt. Ein besonderer Umfang bzw. eine besondere Bedeutung kommt einem Fall zu, wenn er sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen nach oben abhebt. Da es sich hierbei um einen Juraprofessor handelt, der im Besitz einer nicht geringen Menge Crystal Meth war, könnte lediglich das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit angeführt werden. Der Umfang und die Schwierigkeit der zu erwartenden Beweisaufnahme und auch das Ausmaß der Rechtsverletzung scheinen hierbei keine tragende Rolle zu spielen. Die besseren Argumente sprechen somit dafür, die bewegliche Zuständigkeit zu verneinen. Die Staatsanwaltschaft hat daher zutreffend Anklage beim Amtsgericht erhoben.
Auch das ist richtig. P1, wir machen jetzt noch einen kleinen Schlenker. Wann liegt eigentlich eine unzulässige Tatprovokation vor?
Eine unzulässige Tatprovokation liegt grundsätzlich vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person in einer dem Staat zuzurechnenden Weise durch einen Lockspitzel (Verdeckter Ermittler, Nicht offen ermittelnder Polizeibeamter oder Vertrauensperson) zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt. Hierbei kommt es im Einzelfall darauf an, mit welcher Erheblichkeit die Weckung der Tatbereitschaft oder die Intensivierung der Tatplanung erfolgte. Eine unzulässige Tatprovokation verstößt des Weiteren gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.
Sehr schön! P2, Stichwort Vertrauenspersonen, schildern Sie bitte noch kurz, was es hier für ein Problem geben könnte.
Bei Vertrauenspersonen handelt es sich um Privatpersonen, die bereit sind, die Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit – anders als Informanten – vertraulich zu unterstützen. Der Gesetzgeber hat allerdings lediglich die Betätigung des Verdeckten Ermittlers erfasst, siehe §§ 110a ff. StPO. Fraglich ist also, ob es für die Vertrauensperson einer konkreten gesetzlichen Normierung bedarf. Mit Blick auf den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes könnte die Ansicht vertreten werden, der Einsatz von Vertrauenspersonen sei mangels Rechtsgrundlage als unzulässig einzustufen. Nach Ansicht der Rechtsprechung lässt sich ihr Einsatz wiederum über die Ermächtigungsgeneralklausel (§§ 161, 163 StPO) legitimieren.
Richtig! P3, jetzt stellen Sie sich mal vor, beim besagten Professor kam es zu einem unzulässigen Einsatz eines polizeilichen Lockspitzels. Was sind die Rechtsfolgen?
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH wurde der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK lediglich auf der Strafzumessungsebene begegnet. Der BGH war lange Zeit der Ansicht, dass weder ein Verfahrenshindernis noch ein Beweisverwertungsverbot die zwingende Folge sein müsse. Inzwischen hat sich allerdings der BGH mit der neueren Rechtsprechung des EGMR auseinandergesetzt, sodass die Strafzumessungslösung nicht weiterverfolgt wird und die Tatprovokation regelmäßig ein Verfahrenshindernis zur Folge hat.
Mit dieser treffenden Antwort soll das Prüfungsgespräch enden. Vielen Dank!
BGH, Urteil v. 10.06.2015 – 2 StR 97/14
AG Köln, Urteil v. 01.03.2016, Az. 583 Ds 46/15
Danke für den Beitrag,
jedoch hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen:
Zitat:
„Die Verhandlung fand nämlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dies ist gemäß §§ 170 ff. StPO möglich. Im Fall des besagten Professors wurde die Öffentlichkeit gemäß § 171b S. 1 StPO ausgeschlossen.“
Hier sollte wohl auf die Regelungen des GVG anstatt der StPO verwiesen werden.
Bei der Beschwerde handelt es sich um einen Rechtsbehelf und nicht um ein Rechtsmittel. Rechtsmittel sind auf Grund des zwingenden Devolutiv- und Suspensiveffekts nur die Berufung und die Revision.
Nicht ganz:
Zu den ordentlichen Rechtsbehelfen gehören: Berufung, Revision u. Beschwerde. Sie werden als Rechtsmittel bezeichnet (§§ 296 ff. StPO).
Beim Devolutiveffekt liegst du ebenfalls falsch; nur beim Suspensiveffekt.
Beulke, Strafprozessrecht, 13. Aufl. Rn. 533 f.
Meyer-Goßner, StPO, Vor § 296 Rn. 1 ff.