Prüfungsgespräch Öffentliches Recht – Europarecht
Weiter geht es mit einem Prüfungsgespräch zur Entscheidung des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung. Diese dient allerdings nur als Aufhänger. Wünschenswert wäre, die Fragen kurz im Kopf zu beantworten, s. zu Sinn und Zweck dieser Kategorie den Einführungsbeitrag.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der EuGH hat, wie Sie sicher in den Tageszeitungen gelesen haben, entschieden, dass die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung europarechtswidrig und damit nichtig ist.
Zunächst: Was ist der Unterschied zwischen einer Richtlinie und einer Verordnung?*
Sowohl Verordnung als auch Richtlinie gehören zum europäischen Sekundärrecht, wovon das Primärrecht, das seit Lissabon insbesondere aus EUV und AEUV besteht, abzugrenzen ist. Verordnungen haben allgemeine Geltung, d.h. sie wirken wie nationale Gesetze, weswegen sich der Bürger unmittelbar auf sie berufen kann, Art. 288 Abs. 2 AEUV. Sie sind in allen Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Richtlinien werden an Mitgliedstaaten gerichtet und sind für diese hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, Art. 288 Abs.3 AEUV. Die innerstaatlichen Stellen wählen Form und Mittel der Umsetzung in nationale Gesetze, mit denen die Ziele innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichen sind. (Art. 288 AEUV) Die Richtlinie ist daher ein Kompromiss zwischen der Notwendigkeit, in der EU einheitliches Recht zu setzen und der Rücksicht auf nationale Eigenheiten.
Das kann man – grosso modo – so sagen. Nun, wer kann denn Richtlinien und Verordnungen für nichtig erklären? *
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass es die Nichtigkeitsklage vor dem EuGH gibt, Art. 263 AEUV. Hiermit können Verstöße gegen das europäische Primärrecht bei Erlass von Richtlinien und Verordnungen durch den europäischen Gesetzgeber gerügt und gegebenenfalls für nichtig erklärt werden.
Ich hake hier kurz ein. Angenommen der EuGH verwirft eine Nichtigkeitsklage gegen eine Richtlinie. Welche weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen dann?*
In Betracht käme dann grundsätzlich noch eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG. Bei Prüfung dieser stellen sich aber einige Probleme. Zum einen müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a vorliegen. Dies sind aber grundsätzlich nur innerstaatliche Gesetze im materiellen Sinne.
Ich hake wiederum kurz ein und frage Ihren Nachbarn: Was meint Ihr Vorredner mit Gesetz im materiellen Sinne?*
Man unterscheidet herkömmlich Gesetze im formellen und materiellen Sinne. Gesetze im materiellen Sinne sind all solche, die abstrakt-generelle Rechtsfolgen für die Bürger treffen. Demgegenüber sind Gesetze im formellen Sinne allein Parlamentsgesetze. Häufig fallen beide Begriffe zusammen, dem muss aber nicht so sein. Bspw. ist ein Gesetz nur im formellen Sinne ein Haushaltsgesetz des Bundestages, da diese keine Rechtsfolgen für die Bürger zeitigen. Demgegenüber sind gemeindliche Satzungen allein Gesetze im materiellen Sinne.
Vielen Dank für diesen kurzen Exkurs. Zurück zum eigentlichen Thema. Welches Problem gibt es nun beim Beschwerdegegenstand? *
Wie bereits gesagt müsste ein Gesetz im materiellen Sinne vorliegen. Eine Richtlinie bindet aber nur den nationalen Gesetzgeber zur Transformation in einem dann materiellen Gesetz, sie ist also nur eine Vorstufe.
Das träfe aber auf die Verordnung nicht zu, diese gilt ja schließlich unmittelbar!’
Das stimmt, doch muss nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ein Akt der deutschen öffentlichen Gewalt vorliegen, die allein an die Grundrechte gebunden ist, Art. 1 Abs. 3 GG. Bei der Verordnungsgebung durch die EU liegt aber solche gerade nicht vor, es handelt sich um zwei unterschiedliche Rechtsordnungen. Die EU ist nämlich nicht an die deutschen Grundrechte gebunden. Daher scheidet eine Verfassungsbeschwerde aus.
Bedeutet das also, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Maßnahmen, sprich Richtlinien und Verordnungen, der EU niemals zulässig?
Nein, in dieser Konsequenz lässt sich das nicht sagen. Das BVerfG hat mit seiner Solange II – Entscheidung das Verhältnis zum EuGH auf eine neue Basis gestellt. In seinem Solange I Urteil hatte das BVerfG noch festgestellt, dass es solange Rechtsakte der EU an deutschen Grundrechten prüfen werde, wie noch kein ausreichendes, dem deutschen Grundrechtsschutz entsprechendes Niveau durch den EuGH gewährleistet werde. Dies hat das BVerfG mit seiner Solange II Entscheidung revidiert und den Satz nahezu umgekehrt: Solange der EuGH einen ausreichenden Grundrechtsschutz anhand des Primärrechts der Union gewährleiste, werde das BVerfG Rechtsakte der EU nicht mehr an der deutschen Verfassung messen.
Daher lautet die Antwort: Nur wenn das grundrechtliche Schutzniveau auf Unionsebene drastisch absinken würde, käme über die Solange II Rechtsprechung eine Kontrolle von Rechtsakten der Union durch das BVerfG in Betracht.
Sehr schön. Nun wie nennt man nun das Verhältnis zwischen EuGH und BVerfG?**
Seit der Maastricht-Entscheidung wird dieses Verhältnis auch „Kooperationsverhältnis“ genannt.
Welche weitere Entscheidung des BVerfG hat die Solange II Rspr. konturiert?**
Es handelt sich um die sog. „Bananenmarkt-Entscheidung“ des BVerfG. In diesem stellte es fest, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsakte der Union erst dann zulässig sein können, wenn dargelegt ist, dass in der Zwischenzeit das Schutzniveau innerhalb der EU unter den erforderlichen Grundrechtsschutz abgesunken sei. Hiermit verlagerte es also die Darlegungslast auf den Beschwerdeführer, weswegen das BVerfG nicht mehr bei jeder Verfassungsbeschwerde gegen Sekundärrecht der Union prüfen muss, ob ein Absinken des Grundrechtsschutzes erkennbar ist.
Angenommen das Schutzniveau würde absinken, die Voraussetzungen von Solange II wären also erfüllt, und das BVerfG würde zugleich einen Verstoß der europäischen Verordnung gegen deutsche Grundrechte erkennen. Was wäre die Rechtsfolge?**
Das BVerfG könnte zunächst nicht die Nichtigkeit des Unionsrechtsakts feststellen, da dies allein dem EuGH vorbehalten ist, Art. 263 AEUV. Dies ist konsequent, da die Verordnung auch in anderen Mitgliedsstaaten gilt und das BVerfG für diese keine Nichtigkeitsfolge anordnen kann. Allerdings wäre der Verstoß nicht rechtsfolgenlos. Das BVerfG könnte die Unanwendbarkeit der Verordnung in Deutschland feststellen, müsste aber zugleich dem EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Entscheidung vorlegen.
Nachdem Sie nun Ihre Kenntnisse im Recht der Union nachgewiesen haben, noch eine letzte Frage: Wie Sie sicher wissen, war der historische Anfang der heutigen Union die sog. Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, oder auch Montanunion genannt. Welcher berühmte Politiker hatte hierfür die Idee und schlug diese vor?***
Es handelt sich um den damaligen französischen Außenminister Robert Schuman, weswegen auch vom „Schuman-Plan“ gesprochen wird. Zudem muss der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer genannt werden, der diesem Plan unverzüglich zustimmte. Daher nennt man Schuman und Adenauer auch die Gründungsväter der Europäischen Union.
Vielen Dank für diese ausgesprochen erfreuliche Prüfung!
Nur für Klugscheißer: Die letzte Frage ist nicht ganz richtig beantwortet, weil die Idee eigentlich von Jean Monnet stammt, Schumann hat ihr nur seinen Namen gegeben