Prüfungsgespräch: Allgemeine Geschäftsbedingungen
Der folgende Beitrag ergänzt unsere Reihe von (fiktiven) Prüfungsgesprächen.
Sehr geehrte Kandidaten, willkommen zur Prüfung im Zivilrecht.
Gegenstand des heutigen Prüfungsgesprächs soll das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sein. Den zu bearbeitenden Sachverhalt haben Sie ausgedruckt vor sich liegen. Herr A, bitte lesen Sie den Sachverhalt vor:
Die B-GmbH betreibt ein überregional bekanntes Freizeitbad in Köln. Der Eintritt für das Bad ist beim Betreten zu zahlen. Für weitere Leistungen stellt die B-GmbH den Kunden ein Armband mit einem Chip zur Verfügung, der auch zum Öffnen und Verschließen des Garderobenschranks dient. Kunden, die eine Leistung (Getränke, Essen, Sonderleistungen) in Anspruch nehmen, müssen den Chip scannen lassen, was im zentralen Computer der Beklagten erfasst und auf einem entsprechend eingerichteten Kundenkonto verbucht wird. Bis zur Grenze von 150,- Euro für Erwachsene und 35,- Euro für Kinder können die Kunden Leistungen in Anspruch nehmen, die – unter Vorlage des Chips – erst beim Verlassen des Freizeitbades zu bezahlen sind. Die Kunden können diese Kreditlinie erhöhen oder ermäßigen lassen. Die Einzelheiten der vertraglichen Nutzung sind durch von der Beklagten verwendete allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne der §§ 305 ff. BGB bestimmt. § 3 der Nutzungsvereinbarung (NV) lautet:
„Bei Verlust […] des Armbandes mit Chip hat der Besucher den jeweils […] eingeräumten Kredit zu entrichten. Dem Besucher bleibt der Nachweis eines niedrigeren, [der B-GmbH] der Nachweis eines höheren Schadens vorbehalten.“
V, ein in der vom Bundesamt der Justiz gem. § 4 Abs. 1 UKlaG geführten Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragener Verbraucherschutzverein, wird nach entsprechendem Hinweis auf § 3 NV aufmerksam. Kann V von der B-GmbH verlangen, § 3 NV nicht zu verwenden?
Frau B, bitte beginnen Sie mit der Prüfung des Begehrens von V.
V könnte gegen die B-GmbH einen Anspruch auf die Unterlassung der Verwendung von § 3 NV gem. § 1 UKlaG haben.
Sehr schön. Sie haben mit § 1 UKlaG unmittelbar die Anspruchsgrundlage gefunden, auf die der Verbraucherschutzverein sein Begehren unter Umständen stützen kann. Herr A, kennen Sie den Zweck von § 1 UKlaG?
Der Gesetzgeber hat in § 1 UKlaG die Möglichkeit einer Verbandsklage vorgesehen, um eine effektivere Bekämpfung unangemessener AGB im Rechtsverkehr zu gewährleisten.
Herr A, Sie sprechen von einer „effektiveren“ Bekämpfung unangemessener AGB im Rechtsverkehr durch eine Verbandsklage gem. § 1 UKlaG. Können Sie den Gedanken ausführen?
Die Unwirksamkeit einer AGB im Rahmen einer Verbandsklage geltend zu machen, hat im Wesentlichen den Vorteil, dass sich die Rechtskraft eines stattgebenden Urteils auf alle Vertragspartner des Verwenders erstreckt, vgl. § 11 UKlaG. Die Vertragspartner des Verwenders können sich in späteren Prozessen also jeweils auf die im Verbandsklageverfahren festgestellte Unwirksamkeit der Klausel berufen. Im Individualprozess beschränkt sich die Rechtskraft des Urteils hingegen auf die Prozessparteien. Der Vertragspartner des Verwenders kann die im Individualprozess festgestellte Unwirksamkeit der Klausel hiernach nur geltend machen, wenn er selbst Prozesspartei ist/war.
Frau B, Sie haben in ihrem Vorstellungsgespräch darauf hingewiesen, dass Sie den Beruf der Rechtsanwältin anstreben und im Rahmen der universitären Schwerpunktbereichsprüfung unter anderem die Vorlesung im Wettbewerbsrecht gehört haben. Stellen Sie sich vor, V ist Ihr Mandant und möchte gegen § 3 NV vorgehen. Raten Sie ihm sofort zu einer Verbandsklage nach § 1 UKlaG?
Nein. Ich würde zunächst zu einer vorprozessualen Abmahnung der B-GmbH hinsichtlich § 3 NV raten. Mit dieser könnte man die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verbinden, wie sie das Wettbewerbsrecht kennt. Dass dies möglich ist, ergibt sich aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 UWG.
Sehr gut! Nun aber zurück zum Fall. Herr A, Sie beginnen bitte mit der Prüfung der Voraussetzungen von § 1 UKlaG!
Gem. § 1 UKlaG kann derjenige, der AGB verwendet, die nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind, u.a. von Einrichtungen i.S.v. § 4 Abs. 1 UKlaG – also auch von V – auf Unterlassen der Verwendung der unwirksamen AGB in Anspruch genommen werden. Zu prüfen ist hiernach die Vereinbarkeit von § 3 NV mit den §§ 307 bis 309 BGB. Dass § 3 NV eine AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB ist, gibt der Sachverhalt vor. Hinsichtlich der Einbeziehung von § 3 NV in die zwischen der B-GmbH und den Besuchern des Freizeitbades geschlossenen Verträge bestehen keine Bedenken…
…Frau B, in welche Falle ist Herr A gerade getappt?
Im Rahmen von § 1 UKlaG ist eine Einbeziehungskontrolle nach §§ 305 Abs. 2,3, 305a, 305c Abs. 1 BGB nicht vorzunehmen, weil die unwirksame Einbeziehung von AGB nach § 1 UKlaG (s. Wortlaut: „§§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs“) nicht geltend gemacht werden kann. [Anmerkung: Der BGH ist von diesem Grundsatz in BGH, Urt. v. 12.12.2007 – IV ZR 130/06, NJW 2008, 1160 aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise abgerückt.]
Korrekt. Herr A, welche Erwägung spricht – neben dem klaren Wortlaut von § 1 UKlaG – noch dafür, dass eine Einbeziehungskontrolle nach §§ 305 Abs. 2, 3, 305a, 305c Abs. 1 BGB im Rahmen der Prüfung von § 1 UKlaG regelmäßig nicht vorzunehmen ist?
Fragen der Einbeziehung von AGB lassen sich in der Regel nur anhand der Umstände des Einzelfalls klären. Diese werden im Verbandsklageverfahren aufgrund der dort vorzunehmenden abstrakten Klauselkontrolle aber gerade ausgeklammert.
Schön. Herr A, Sie betonen vollkommen zutreffend den nach § 1 UKlaG anzulegenden abstrakten Prüfungsmaßstab. Nun, halten Sie § 3 NV für mit §§ 307 – 309 BGB vereinbar?
3 NV könnte gegen ein Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit, nämlich § 309 Nr. 5 a) BGB verstoßen. Hiernach ist die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz oder Ersatz einer Wertminderung in AGB „unwirksam“, wenn die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung übersteigt.
Gut. Herr A hat den richtigen Anknüpfungspunkt gefunden. Frau B, Sie prüfen bitte weiter!
Fraglich ist zunächst, ob die in § 3 S. 1 NV geregelte Zahlungspflicht als Schadensersatzpflicht i.S.v. § 309 Nr. 5 a) BGB einzuordnen ist. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei im Zweifel das kundenfeindlichste Verständnis zugrunde zu legen ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.2007 – IV ZR 130/06, NJW 2008, 1160, 1163). Gem. § 3 S. 1 NV hat der Besucher des Freizeitbades bei Verlust des Armbandes mit Chip den jeweils […] eingeräumten Kredit zu „entrichten“. Ausgehend von diesem Wortlaut ergeben sich meines Erachtens drei Deutungsmöglichkeiten: § 3 S. 1 NV könnte erstens eine pauschalierte Schadensersatzpflicht, zweitens eine pauschalierte Entgeltforderung und drittens einen Anspruch auf Rückzahlung eines Kredits statuieren.
Schön. Herr A, was spricht dagegen, dass § 3 S. 1 NV einen Anspruch auf Kreditrückzahlung statuiert?
Durch die Aushändigung des Armbands dürfte die B-GmbH dem Kunden noch keinen Kredit einräumen. Vielmehr bietet sie nur die Möglichkeit einer Kreditierung an. Ob der Kunde von dem Angebot Gebrauch macht, hängt davon ab, ob er mit Hilfe des betreffenden Chips auch Leistungen (oder Waren) von der B-GmbH bezieht. Eine Kreditierung findet somit erst bei Inanspruchnahme von Leistungen statt und besteht darin, dass die B-GmbH den Besuchern des Freizeitbades das für die erbrachten Leistungen geschuldete Entgelt bis zum Verlassen des Bades stundet. Mit anderen Worten: Weil nicht jedem Besucher des Freizeitbades ein Kredit von der B-GmbH eingeräumt wird, sich § 3 S. 1 NV aber auf jeden Besucher bezieht, der den Chip verliert – unabhängig davon, ob er Leistungen der B-GmbH in Anspruch genommen hat oder nicht – ist § 3 S. 1 NV nicht dahingehend auszulegen, dass er einen Anspruch auf Kreditrückzahlung statuiert.
Das ist eine belastbare Begründung! Frau B, bitte schlagen Sie § 675i BGB auf! Nach dieser Vorschrift kann im Falle der Verwendung eines sog. Kleinbetragsinstruments dem Zahlungsdienstnutzer (= Kunde) das Verlustrisiko bis zu dem vom Zahlungsdienstleister eingeräumten Betrag (= bis zu 200 Euro) auferlegt werden. Meinen Sie, dass § 3 S. 1 NV angesichts der Regelung von § 675i BGB als pauschalierte Entgeltforderung einzuordnen ist?
Nein. Meines Erachtens handelt es sich bei dem von der B-GmbH zur Verfügung gestellten Chip nämlich nicht um ein Kleinbetragsinstrument i.S.v. § 675i Abs. 1 BGB. Es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Bargeldersatzfunktion (vgl. a. Staudinger/Omlor, § 675i BGB Rn. 1, 8). Durch den Chip wird vielmehr dem Kunden lediglich ermöglicht, auf bequeme Weise die Leistungen der B-GmbH in Anspruch zu nehmen. Der Chip dient sodann als Hilfsmittel zur Feststellung des angefallenen Entgelts. Nicht schon bei Übergabe des mit dem Chip versehenen Armbands, sondern erst mit der Inanspruchnahme von Leistungen (oder Bezug von Waren) erlangt der Kunde eine (entgeltliche) Leistung der Beklagten. Deshalb ist in § 3 S. 1 NV keine pauschalierte Entgeltforderung angelegt.
Gut. Bleibt also noch die pauschalierte Schadensersatzforderung. Frau B, wie grenzt man eigentlich die pauschalierte Schadensersatzforderung von einer Vertragsstrafe (vgl. § 309 Nr. 6 BGB) ab?
Zunächst sollte festgehalten werden, dass – wie die Unterscheidung von § 309 Nr. 5 BGB und § 309 Nr. 6 BGB zeigt – Schadensersatzpauschalen und Vertragsstrafen unterschiedliche Rechtsinstitute sind. Nach Auffassung des BGH ist im Übrigen danach zu differenzieren, ob der Verwender mit der entsprechenden Klausel in erster Linie den Kunden unter Erfüllungszwang setzen (dann Vertragsstrafe) oder die Schadensregulierung erleichtern (dann Schadensersatzpauschale) will (vgl. BGHZ 49, 84, 87 ff.; ausführlich MüKoBGB/Wurmnest, § 309 Nr. 5 BGB Rn. 5,6)…
…schön, das genügt mir. Herr A, wenn Sie sich § 3 NV in seiner Gesamtheit ansehen: Was spricht entscheidend dafür, dass § 3 S. 1 NV eine Schadensersatzpflicht regelt?
Dass es sich bei dem Anspruch nach § 3 S.1 NV um einen Schadensersatzanspruch handelt, wird dadurch deutlich, dass die Klausel in Satz 2 ausdrücklich den Nachweis eines abweichenden Schadens vorsieht. Dies legt den Schluss nahe, dass sich der Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht zur Rückgabe des Armbands mit Chip ergibt, mithin auf § 280 Abs. 1 S.1 BGB beruht.
Sehr richtig! Frau B, wir nehmen also an, dass § 3 S. 1 NV eine Schadensersatzpflicht statuiert. Bejahen Sie auch einen Verstoß gegen § 309 Nr. 5 a) BGB?
Ein Verstoß gegen § 309 Nr. 5 a) BGB liegt vor, wenn der von der Klausel vorgesehene Schadensersatz den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden übersteigt. Ein der B-GmbH aus dem Verlust des Chips entstehender Schaden folgt daraus, dass sie die Entgeltforderungen für die von ihr erbrachten Leistungen nicht ermitteln und geltend machen kann. Ohne den Chip ist die B-GmbH nicht ohne weiteres in der Lage, die unter Verwendung des Chips in Anspruch genommenen Leistungen festzustellen. Dabei kann es sich um Leistungen an den Kunden oder einen Dritten handeln, der von dem Chip – befugt oder unbefugt – Gebrauch gemacht hat. Der von der B-GmbH geltend gemachte Betrag in Höhe der jeweiligen Kreditlinie entspricht indes jeweils dem maximal denkbaren Schaden und würde daher voraussetzen, dass im Fall des Verlusts regelmäßig Leistungen im Umfang des gesamten mit dem Chip eingeräumten Höchstbetrags in Anspruch genommen wurden. Das erscheint wenig realitätsnah. Zu sehen ist auch, dass die B-GmbH die Beweislast dafür trägt, dass die gewählte Schadensersatzpauschale dem regelmäßig zu erwartenden Schadensumfang entspricht (vgl. BGHZ 67, 312, 319). Die B-GmbH hat hierzu nach dem Sachverhalt nichts vorgetragen. Meines Erachtens verstößt die von V angegriffene Klausel gegen § 309 Nr. 5 a) BGB.
Gut. Frau B, damit liegen Sie insgesamt voll auf der Linie des BGH. Herr A, nun haben Frau B und Sie sich einen Großteil der Prüfung mit § 309 Nr. 5 a) BGB befasst. Kommen Sie unabhängig von § 309 Nr. 5 a) BGB möglicherweise auch auf anderem Wege zur Unwirksamkeit von § 3 NV?
Die Klausel könnte (auch) gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sein. Ausgehend von der Überlegung, dass § 3 S. 1 NV eine Schadensersatzpflicht i.S.v. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB begründet, ist zu sehen, dass § 3 NV die Schadensersatzpflicht entgegen § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht von einem Verschulden des Vertragspartners abhängig macht. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es jedoch ein wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelung i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz regelmäßig nur bei schuldhaftem Verhalten besteht. Dieser allgemeine Grundsatz des Haftungsrechts gilt als Ausdruck des Gerechtigkeitsgebots gleichermaßen für vertragliche wie für gesetzliche Ansprüche; mithin auch für den hier berührten Anspruch aus Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB. § 3 NV verstößt mithin gegen § 307 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
Schön. Wir halten also fest: Die streitgegenständliche Klausel verstößt gegen § 309 Nr. 5 a) BGB und § 307 Abs. 1 Nr. 2 BGB. V kann von der B-GmbH – die nach § 1 UKlaG erforderliche Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr unterstellt – deshalb Unterlassung der Verwendung von § 3 NV gem. § 1 UKlaG verlangen. Das soll es für heute gewesen sein. Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme!
Der Fall ist angelehnt an BGH, Urt. v. 18.2.2015 – XII ZR 199/13 – juris.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!