Prozessmaximen und-prinzipien der StPO
Das Prozessrecht spielt im Staatsexamen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Daher werden wir mit diesem Artikel eine neue Reihe bei Juraexamen.info beginnen, die sich mit den Grundlagen der StPO befasst. Ziel ist es Euch einen Überblick über die Materie zu geben, um Euch das Lernen zu erleichtern.
Der heutige Artikel befasst sich mit den einzelnen Verfahrensgrundsätzen der StPO. Es werden zeitnah Beiträge zum Verfahrensablauf, den Aufgaben der Verfahrensbeteiligten sowie den einzelnen Rechtsmitteln folgen. An dieser Stelle sei auch auf unsere bereits bestehenden Artikel zur StPO (hier) und zur ZPO (hier) hingewiesen.
Die Maximen
1. Allgemeine Prinzipien
Beginnen wir nun mit den allgemeinen Prinzipen, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Strafverfahren ziehen:
a) Offizialmaxime gem. § 152 StPO
Gemäß § 152 II StPO ist die Staatsanwaltschaft, soweit nicht anderes bestimmt ist, dazu verpflichtet wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende Anhaltspunkte vorliegen. Es wird somit ein Strafverfolgungsauftrag von Amts wegen, also ex officio (daher Offizialmaxime) für die Staatsanwaltschaft beschrieben. § 152 II StPO definiert daher ein grundsätzliches Anklagemonopol des Staates, das nur in Ausnahmen (beispielsweise durch Privatklage gem. § 374 StPO) durchbrochen wird.
Im Zivilprozess gilt allerdings die gegenteilige Dispositionsmaxime: Die Parteien entscheiden dort selbst darüber, was Gegenstand des Verfahrens sein soll und was nicht.
b) Anklagegrundsatz gem. § 151 StPO
Der Anklagegrundsatz oder auch Akkusationsprinzip (accusare: lat. anklagen) findet sich in § 151 StPO. Er besagt nichts weiter, als dass jedem strafrechtlichen Gerichtsverfahren eine Anklage vorausgehen muss. Allerdings stellt die Anklage nicht nur eine formelle Voraussetzung dar. Vielmehr definiert und begrenzt sie im Hinblick auf die §§ 155 I, 264 I StPO den Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung sowie den des Urteils. Diese dürfen sich nämlich nur über die in der Anklage bezeichnete Tat sowie die Beschuldigten Personen erstrecken.
c) Legalitätsprinzip gem. §§ 152 II, 170 I StPO
Die §§ 152 II, 170 I StPO verpflichten die Staatsanwaltschaft, sofern genügend Anlass besteht, die Klage zu erheben. Schaltet die Staatsanwaltschaft die Polizei bei ihren Ermittlungen mit ein, so ist auch diese aufgrund des § 163 I 1 StPO an das Legalitätsprinzip gebunden. Dies ist in Anbetracht der Offizialmaxime auch nur logisch, da die bloße Ermittlung wegen einer vermeintlichen Straftat ins Leere laufen würde, wenn die verfolgende Behörde nicht einem Anklagezwang unterliegen würde.
Durchbrochen wird das Legalitätsprinzip allerdings durch die §§ 153 ff StPO. Diese eröffnen der Staatsanwaltschaft einen gewissen Spielraum, ob sie die Klage tatsächlich erheben will oder nicht (Einstellung aus Opportunitätsgründen).
d) Untersuchungsgrundsatz gem. §§ 155 II, 160 I, 163 I, 244 II StPO
Im Gegensatz zum Zivilprozess gilt im Strafrecht der Untersuchungsgrundsatz. Ziel ist es gerade, die materielle Wahrheit, also den tatsächlichen Sachverhalt, zu ermitteln.[1] Auch dies folgt aus der Offizialmaxime: Denn was nützt die bloße Strafverfolgung, wenn der tatsächlicher Ablauf unbekannt bleiben darf?
Für die Staatsanwaltschaft ergibt sich dies aus §§ 155 II und 160 I StPO, für die Polizei aus § 163 I StPO. Das Gericht hat gem. § 244 II StPO die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung erheblich sind und der Erforschung der Wahrheit dienen.
Zusätzliche Prinzipien
1. Beschleunigungsgrundsatz
Der Beschleunigungsgrundsatz ergibt sich aus mehreren Rechtsnormen: Zum einen aus Art. 5 III 1 2. HS, 6 I 1 EMRK, Art. 14 III lit. C IPBPR, zum anderen aus dem in Art. 20 III, 28 I 1 GG normierten Rechtstaatsprinzip. Er hält die Rechtspflegeorgane an, das Verfahren so schnell wie möglich durchzuführen, um die Belastungen insbesondere für den Angeklagten gering zu halten.[2] Außerdem ist auch die Wahrheitsfindung gefährdet, wenn sich die Zeugen aufgrund des großen Zeitabstands zwischen Sachverhalt und Gerichtsverhandlung nicht mehr an das Geschehene erinnern können. Angemessen ist eine Verfahrensdauer dann, wenn alle Besonderheiten des konkreten Strafverfahrens Beachtung gefunden haben.[3]
Berücksichtigung findet ein überlanges Verfahren allerdings nicht mehr auf der Strafzumessungs-, sondern auf der Vollstreckungsebene.[4]
In der StPO findet sich der Beschleunigungsgrundsatz u.a. in den §§ 115, 121, 122, 128f., 228, 229 StPO.
2. „Fair trial“ gem. Art. 6 I EMRK
Das Recht auf ein faires Verfahren gem. Art 6 I EMRK beeinflusst das Strafverfahren in vielerlei Hinsicht. Abstrakt bestimmt es, dass der Angeklagte nicht zum bloßen Objekt des Strafprozesses verkommt.[5] Außerdem postuliert es den Grundsatz der Waffengleichheit.[6]
Konkret kann ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren ein Revisionsgrund sein oder zu einem Beweisverwertungsverbot führen.
3. Gesetzlicher Richter gem. Art 101 I 2 GG
Art. 101 I 2 GG bestimmt, dass von vornherein für jede Rechtssache ein zuständiger Richter anhand abstrakt-genereller Kriterien bestimmt werden kann.[7] Notwendig ist diese Regelung, um die Auswahl des Richters vor sachfremden Erwägungen zu schützen. Die einfachgesetzliche Regelung findet sich in § 16 2 GVG.
Welcher Richter dann in der Sache konkret zuständig ist, bestimmt sich nach § 24 GVG. Dieser ist der Ausgangspunkt jeder Zuständigkeitsprüfung des Richters, aus ihm ergeben sich alle weiteren Zuständigkeiten der Gerichte.
4. Grundsatz des rechtlichen Gehörs gem. Art 103 I GG
Der Grundsatz auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG gibt dem Beteiligten ein Recht, sich zum Sachverhalt eines Verfahrens zu äußern.[8] In der StPO finden sich zahlreiche Normen, die das rechtliche Gehör zum Inhalt haben. Zu nennen sind hier insbesondere die Anhörung der Beteiligten gem. § 33 StPO, das letzte Wort des Angeklagten gem. § 258 III StPO, aber auch das Recht auf Akteneinsicht gem. § 147 StPO.
Grundsätze die nur in der Hauptverhandlung gelten
Zu den genannten Grundsätzen, die für das gesamte Strafverfahren gelten, kommen noch solche hinzu, die nur für die Hauptverhandlung relevant sind:
1. Konzentrationsmaxime gem. § 229 StPO
Ähnlich dem Beschleunigungsgrundsatz dient auch die Konzentrationsmaxime aus § 229 StPO dazu, dass die gerichtliche Entscheidung aufgrund frischer Eindrücke getroffen wird.[9] Allerdings geht es hierbei mehr um die Eindrücke der beteiligten Richter, als um das Erinnerungsvermögen der Zeugen. Die Regelung des § 229 StPO schafft einen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis, das Verfahren möglichst schnell zu beenden, aber auch der Notwendigkeit von Prozesspausen.[10] So darf eine Hauptverhandlung gem. § 229 I StPO grundsätzlich nicht länger als drei Wochen unterbrochen werden.
2.Öffentlichkeitsgrundsatz gem. § 169 GVG und Art. 6 I 1 EMRK
Eine besondere Errungenschaft des modernen Strafprozesses ist der Öffentlichkeitsgrundsatz. Durch ihn werden „Hinterzimmerprozesse“ weitestgehend unterbunden. Somit dient er der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der richterlichen Entscheidung, die ihrerseits eine wirksame Kontrolle der Entscheidungen zur Folge hat. Willkürliche Richtsprüche sind daher so gut wie unmöglich. Rechtliche Ausgestaltung erhält der Öffentlichkeitsgrundsatz durch § 169 GVG und Art. 6 I 1 EMRK (als ein Element des „fair trial“). Öffentlichkeit i.S.d. § 169 GVG bedeutet, dass sich jedermann Zutritt zur Verhandlung verschaffen kann.[11]
Allerdings gilt der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht ausnahmslos. So kann aus zwingenden Gründen die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen werden. Genaueres regeln die §§ 170ff GVG (beispielsweise Ausschluss zum Schutz der Privatsphäre gem. § 171b GVG).
Aktuelle Relevanz erfuhr der Öffentlichkeitsgrundsatz im Rahmen des NSU-Prozesses, als gefordert wurde die Verhandlung in Nebenräume zu übertragen (wir berichteten hier).
3. Mündlichkeitsprinzip gem. §§ 261, 264 I StPO
Der reine Öffentlichkeitsgrundsatz geht allerdings ins Leere, wenn die Prozessbeteiligten nur durch Schriftsätze miteinander kommunizieren. Daher dürfen gem. den §§ 261, 264 I StPO nur solche Tatsachen und Beweise Gegenstand des Urteils sein, die auch in der Hauptverhandlung mündlich gewürdigt worden sind. Dies steht dem im Zivilprozess geltenden Grundsatz des „quod non est in actis, non est in mundo“ ebenfalls diametral entgegen.
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[1] BVerfGE 57, 250, 275.
[2] vgl. BVerfGE NJW 2003, 2225.
[3] EGMR EuGRZ 2001, 299,301.
[4] BGHSt 52, 124, 128ff.
[5] BVerfG NJW 1983, 2762, 2763.
[6] BVerfG NJW 2004, 1305, 1308.
[7] BVerfGE 17, 294, 298ff.
[8] BVerfG NJW 1974, 133, 133.
[9] BGHSt 23, 224, 225f.
[10] BeckOK StPO, Gorf, § 229, Rn.1.
[11] Kindhäuser, Strafprozessordnung, § 18, Rn.25, 3. Auflage, 2013.
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