Professorengehälter zu niedrig: W-Besoldung verfassungswidrig
Das BVerfG hat heute in einer viel beachteten Entscheidung (v. 14.02.2012, Az: 2 BvL 4/10) die neue W-Besoldung (früher: „C“; „W“ steht für „Wissenschaft“, man könnte aber auch meinen für „weniger“, denn die Besoldungsstufen liegen deutlich unter den alten „C“-Gehältern) für Professoren als verfassungswidrig eingestuft. Die Presse hat bereits ausführlich berichtet (s. etwa die Beiträge in der FAZ, im SPIEGEL und in der Sueddeutschen).
Anknüpfungspunkt: Art. 33 Abs. 5 GG
Anknüpfungspunkt für den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ist Art. 33 Abs. 5 GG. Dort findet man freilich zunächst keine eindeutigen Hinweise, sondern lediglich die schwammige Aussage, dass „das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln“ ist. Wichtige Unterfälle dieser hergebrachten Grundsätze sind: Das Prinzip der Hauptberuflichkeit, das Lebenszeitprinzip, das Leistungsprinzip, das Laufbahnprinzip, der Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn und – last but not least – das Alimentationsprinzip (ausführlich zu den einzelnen Aspekten Badura, in: Maunz/Dürig, 2011, Art. 33 GG Rn. 65 ff.).
Verletzung des Alimentationsprinzips
Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang angemessen zu alimentieren. Er muss ihm nach seinem Dienstrang, nach der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt gewähren. Wichtig ist dabei, dass es nicht nur um eine schlichte Alimentation im Sinne einer Gewährung von Mitteln zum Bestreiten eines angemessenen Lebensunterhalts geht, denn dann müssten ja im Prinzip alle Beamten gleich viel erhalten. Vielmehr betont das BVerfG, dass Unterschiede je nach Qualifikation und Ansehen der jeweiligen Gruppe bestehen müssen.
„Im Rahmen dieser Verpflichtung zu einer dem Amt angemessenen Alimentierung hat der Gesetzgeber die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte, das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung zu berücksichtigen.“
Diese Überlegung war für den vorliegenden Fall natürlich entscheidend, denn gerade bei Professoren ist die Qualifikation natürlich sehr hoch, gehörten sie doch regelmäßig zu den besten Absolventen ihres Jahrgangs. Mit wem aber soll man sie nun gehaltstechnisch vergleichen? Primär ist auf ähnlich hoch qualifizierte Vergleichsgruppen im öffentlichen Dienst abzustellen (also etwa Staatssekretäre etc.); ergänzend aber auch auf vergleichbare Leistungsträger in der privaten Wirtschaft:
„Taugliche Vergleichsgruppen sind primär innerhalb des Besoldungssystems zu finden. [… ] Der systeminterne Besoldungsvergleich wird durch den systemexternen Gehaltsvergleich mit der Privatwirtschaft ergänzt. Die Alimentation muss es dem Beamten ermöglichen, sich ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf zu widmen und in rechtlicher wie wirtschaftlicher Sicherheit und Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum zugewiesenen Aufgaben beizutragen.“
Dem Gesetzgeber komme zwar grundsätzlich ein ganz erheblicher Spielraum bei der Bestimmung der angemessenen Alimentation zu, vorliegend sei aber ein evidentes Missverhältnis gegeben. Dieses begründet das BVerfG u.a. mit einem Vergleich – jetzt wird es hart für Lehrer – zu den Gehaltsstufen in der Besoldungsordnung „A“. Ein W2-Professor erhalte (zumindest nach der angegriffenen hessischen Besoldungsordnung) weniger als ein Studiendirektor (A 15). Nun wird man sicherlich nicht sagen können, dass Lehrer „geringqualifiziert“ sind, aber man wird andererseits dem BVerfG auch eindeutig beipflichten können, dass es wenig einleuchtend ist, dass Professoren weniger verdienen und damit vom Gesetzgeber indirekt als weniger (!) qualifiziert eingestuft werden. Noch deutlicher wird das Missverhältnis wohl bei einem Vergleich mit den Gehältern, die für Top-Absolventen in der Wirtschaft gezahlt werden, zumindest wenn man einmal von Fächern wie Jura oder BWL ausgeht. Dass fast jeder Juraprofessor zumindest auf dem Papier die Voraussetzungen für eine Großkanzlei mitbringt und sich damit auf ca. 100.000 € Einstiegsgehalt (mal ganz abgesehen von den Summen, die Partner so verdienen) freuen könnte, dürfte wohl auch außer Frage stehen. Bei ausgefalleneren Berufsfeldern mag dies sicherlich anders sein, aber hier zieht zumindest auch der Vergleich zu anderen Besoldungsgruppen.
Das BVerfG resümiert:
„In der Gesamtschau ist dieser Befund verfassungsrechtlich nicht mehr akzeptabel. Sachliche Gründe für die vom Gesetzgeber vorgenommene Veränderung der Wertigkeit des Professorenamtes sind weder dargelegt noch sonst erkennbar. Vielmehr muss der Gesetzgeber die Attraktivität des Beamtenverhältnisses – hier konkret des Professorenamtes – für entsprechend qualifizierte Kräfte im Blick behalten, um insgesamt die Qualität des Berufsbeamtentums und die Attraktivität des Wissenschaftsberufs sicherzustellen.“
Hinweis: Die an der Besoldung geäußerte Kritik gilt vor allem für die Besoldung in den Stufen W1 und W2. Bei einer W3-Professur scheint hingegen nach den obigen Maßstäben ein angemessenes Entgelt vorzuliegen. Das Urteil befasst sich vordergründig mit W2-Professuren, es nimmt zu dieser Problematik also nicht ausdrücklich Stellung.
Rechtsfolgen: Sofortiger Geldsegen?
Das Urteil wird jedoch nicht für einen sofortigen Geldsegen bei jungen Professoren sorgen. Der Gesetzgeber muss nicht zwingend zur C-Besoldung zurückkehren, er hat vielmehr einen weiten Gestaltungsspielraum.
„Angesichts dieser Gestaltungsmöglichkeiten trifft den Gesetzgeber die Pflicht, nachdem er sich in Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für ein bestimmtes Neuregelungsmodell entschieden hat, dessen Funktionsfähigkeit und Systemgerechtigkeit zu beobachten und gegebenenfalls erforderliche Nachbesserungen vorzunehmen. Insoweit besteht eine Kontroll- und gegebenenfalls eine Nachbesserungspflicht, um möglichen Verstößen gegen das Alimentationsprinzip adäquat begegnen zu können. Erweist sich das für die Zukunft gewählte Modell als nicht tragfähig oder kommt es aus sonstigen Gründen zu einer nicht unerheblichen Abweichung der tatsächlichen von der prognostizierten Entwicklung, so ist der Gesetzgeber verpflichtet, Korrekturen an der Ausgestaltung des Besoldungssystems beziehungsweise der Bezügehöhe vorzunehmen.“
Von einer Nichtigerklärung der angegriffenen Vorschriften sah das BVerfG ab, da sich dadurch die Rechtslage noch weiter von einem verfassungskonformen Zustand entfernen würde. Diese Praxis ist vor allem auch bei Verletzungen von Gleichbehandlungsgrundsätzen üblich.
Der Gesetzgeber muss nun das Recht verfassungsgemäß umgestalten. Grundsätzlich müsste dies eigentlich rückwirkend geschehen; angesichts der haushaltswirtschaftlichen Bedeutung der Entscheidung, ist dies hier jedoch ausnahmsweise nicht zwingend, es genügt also eine Anpassung pro futuro (mit Ausnahme von solchen Fällen, bei denen gegen die W-Besoldung bereits Klage erhoben wurde).
Der Fall betraf ja eine Vorlage im Rahmen einer konkreten NK. Ich frage mich nun, auf was sich der Kläger bei einer VB berufen hätte müssen?
Art. 3, da Art. 33 II ja nur den Zugang zu jedem öffentlichen Amte erfasst?
Vielleicht hat ja jmd. eine Idee
Nach BverfG und wohl h.L. ist Art. 33 V GG doch ein grundrechtsgleiches Recht im Sinne von Art. 93 I Nr. 4a GG.
Oder täusche ich mich da?
nach ghM ist Art. 33 V GG ein grundrechtsgleiches Recht (vgl. nur BVerfGE 114, 258) und dessen Verletzung durch VB gerügt werden kann
Klar, Art. 33 ist schließlich in Art. 93 I Nr. 4a GG explizit genannt – da muss man schon schwere argumentative Geschütze auffahren, um zu sagen, dass gerade Art. 33 V GG nicht rügefähig sein soll, zumal ja bei einer Ausprägung wie dem Alimentationsprinzip augenscheinlich auch der einzelne Beamte geschützt ist… – iE also recht eindeutig Beschwerdebefugnis (+).