OLG Schleswig: Alte zivilrechtliche Bekannte in neuem Gewande
Das OLG Schleswig (Urteil vom 22.05.2012 -3 U 69/11) durfte sich in einer jüngst erschienenen Entscheidung mit einem bunten Strauß sachenrechtlicher Fragestellungen auseinandersetzen. Der facettenreiche Sachverhalt lässt sich zunächst vereinfacht wie folgt zusammenfassen:
Sachverhalt
K und B waren seit geraumer Zeit ein Paar. Am 25.12.2009, dem 60. Geburtstag des K, fuhr B (eine wohlhabende Gastronomin) mit einem kürzlich erworbenen PKW – ein im Stil eines Oldtimers gebautes Sport-Cabrio im Wert von ca. 50.000 Euro – vor einem ihrer Restaurants vor. Sie ließ K, der zu diesem Zeitpunkt dort arbeitete, aus dem Restaurant holen und präsentierte ihm den mit einer Schleife geschmückten PKW. Sie sagte ihm, er dürfe diesen Wagen von nun an fahren. Zunächst übergab B dem K zwar auch einen Schlüssel. Anschließend fuhr einer ihrer Angestellten, der auch schon beim Dekorieren des Autos geholfen hatte, den Wagen aber mit Hilfe dieses Schlüssels wieder zurück in eine Garage auf dem Grundstück der B. Den Schlüssel erhielt B. Zwar bekam K diesen Schlüssel schon am nächsten Tag, dem 26.12.2009 anlässlich einer Probefahrt wieder ausgehändigt; den PKW stellte er fortan aber stets in einer Garage auf einem im Eigentum der B stehenden Nachbargrundstück ab.
Nachdem die Beziehung zwischen K und B endgültig gescheitert war, holte B den Wagen mit Hilfe ihres Zweitschlüssels, den sie von Beginn an bei sich aufbewahrt hatte, aus der Garage und fuhr ihn auf ihr Grundstück zurück.
K ist nun der Auffassung, er sei der rechtmäßige Eigentümer und verlangt von B die Herausgabe des Wagens. Hilfsweise möchte er zumindest erreichen, dass B ihm den Besitz an dem Wagen wieder einräumt. B dagegen ist der Ansicht, sie habe ihr Eigentum an dem Cabrio zu keinem Zeitpunkt auf K übertragen. Im Hinblick auf den hilfsweise geltend gemachten Anspruch des K möchte sie festgestellt wissen, dass ihr an dem PKW ein Recht zum unmittelbaren Besitz zusteht und sie deshalb berechtigt war, diesen wieder an sich zu nehmen.
Anspruchsgrundlage: § 985 BGB
Schon die materiell-rechtliche Lösung des Falles birgt eine Reihe interessanter Fragen.
Um zunächst schulmäßig zu beginnen: Wer will was von wem voraus? K begehrt von B die Herausgabe des Wagens.
Das Auffinden der richtigen Anspruchsgrundlage dürfte hier zunächst keine Schwierigkeiten bereiten. Wenn K Eigentümer des PKW ist und dieser sich im Besitz der B befindet, steht K ein Herausgabeanspruch aus § 985 BGB zu, wenn B nicht zum Besitz berechtigt ist
Achtung: grundsätzlich sind auch Konstellationen denkbar, in denen sich ein Herausgabeanspruch aus einem Vertragsverhältnis ergibt. So räumt etwa § 546 BGB dem Vermieter einen vertraglichen Herausgabeanspruch gegen den Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses ein. Klassisch – und auch für die mündliche Prüfung interessant – ist zudem § 604 Abs. 4 BGB, wonach der Verleiher einer Sache diese nach Beendigung des Leihverhältnisses auch von einem Dritten zurückfordern kann. Wer technisch sauber arbeitet, wird zu Beginn der Prüfung stets nach vertraglichen Anspruchsgrundlagen Ausschau halten und auch in einer Herausgabekonstellation einen vertraglichen Anspruch nicht übersehen.
Das Gericht prüft nun schulmäßig die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 985 BGB, indem es mit der chronologischen Prüfung der Eigentumsverhältnisse beginnt. Zunächst muss hier die kurze Feststellung erfolgen, dass ursprünglich B Eigentümerin des Fahrzeuges war (diese hatte den Wagen Ende 2009 als Neuwagen erworben). So sollte auch der Einstieg in die gutachterliche Prüfung in der Examensklausur erfolgen.
Übereignung nach §§ 929 ff. BGB?
Fraglich ist dann, ob B ihr Eigentum in der Folgezeit durch eine Übereignung nach §§ 929 ff. BGB an K verloren haben könnte. Das Gericht sieht insoweit verschiedene Anknüpfungspunkte im Sachverhalt.
Eigentumsübergang am 25.12.2009
Als erstes kommt eine Eigentumsübertragung durch Einigung und Übergabe (§ 929 Satz 1 BGB) anlässlich des Geschehens am 25.12.2009 (Vorfahren der Beklagten mit dem mit einer Schleife geschmückten Fahrzeug und Gratulation zum Geburtstag sowie Übergabe eines Schlüssels) vor dem Restaurant der B in Betracht.
Schon keine Einigung?
Erste Hürde ist die erforderliche Einigung über den Eigentumsübergang zwischen K und B.
Die Einigung ist ein Rechtsgeschäft, das grundsätzlich formfrei vorgenommen werden kann und die Rechtsfolge des Eigentumsübergangs umfassen muss.
Für eine ausdrückliche Einigung über den Eigentumsübergang enthält der Sachverhalt keine Anhaltspunkte. B hat ja lediglich gesagt, dass K das Auto „fahren dürfe“.
Aber: Die der Einigung zugrunde liegenden Willenserklärung sind der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zugänglich und können insbesondere – wie bei Alltagsgeschäften regelmäßig der Fall –auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) abgegeben werden.
Es kommt demnach darauf an, ob K den Vorgang am 25.12.2009 dahin verstehen konnte und durfte, dass ihm konkludent ein Angebot auf Übereignung gemacht worden ist (was er dann konkludent angenommen hätte). Diese Frage prüft das Gericht dann auch sehr ausführlich. In der Klausur bedarf es an dieser Stelle einer sorgfältigen Auswertung des Sachverhaltes (bzw. der Akte im zweiten Examen).
Gegen eine solche Auslegung sprechen verschiedene Umstände.
Zum einen verfügte B über einen Fuhrpark (!), in dem sich schon mehrere gleichartige Fahrzeuge (hochwertige schwarz lackierte Cabrios) befanden. K durfte sämtliche Fahrzeuge – wenn auch nur im Einzelfall – nutzen. Für einen der Wagen besaß er aber einen Zweitschlüssel. Diesen nutze er bei regelmäßigen Besorgungen für die Lokale der B. Das Gericht ist der Ansicht, dass es diese gängige Praxis zwischen den Parteien aus Sicht eines objektiven Dritte verbiete, in der vorliegenden Konstellation von einem Übereignungswillen der B auszugehen. Angesichts des erheblichen Fahrzeugwertes hätte es zudem nahe gelegen, ausdrücklich von einem „Geschenk“ zu sprechen. Allein die Möglichkeit, das Auto nutzen zu dürfen, sieht das Gericht bei objektiver Betrachtung bereits als ein taugliches Geburtstagsgeschenk an (zumal es sich bei dem Wagen offenbar um das „Traumauto“ des K handelte).
Interessant ist der Hinweis in den Entscheidungsgründen, dass die Übergabe beider Fahrzeugschlüssel sowie der auf B zugelassenen Papiere (Kfz-Schein und Kfz-Brief) ein Indiz für den Übereignungswillen der B hätte sein können. An dieser Stelle ließe sich für das zweite Examen eine Beweiswürdigung einbauen (hierzu bedürfte es dann freilich z.B. verschiedener Zeugenaussagen). K hatte diese Tatsachen nämlich zunächst im Rahmen des landgerichtlichen Verfahrens behauptet (diese Behauptung dann aber im Rahmen einer informatorischen Anhörung nach § 141 ZPO wieder fallengelassen).
Das Gericht erkennt aber offenbar selbst, dass es bei leicht veränderter Faktenlage durchaus denkbar gewesen wäre, von einer wirksamen Einigung zwischen K und B am 25.12.2009 auszugehen. Dies zeigt sich daran, dass es zur Verneinung der Eigentumsübertragung insoweit auch noch einen zweiten Begründungsansatz heranzieht.
Jedenfalls: fehlende Übergabe
Neben der Einigung verlangt § 929 Satz 1 BGB ja auch noch die Übergabe der Sache. Diese setzt bekanntlich voraus, dass der Erwerber die tatsächliche Sachherrschaft erlangt und der Veräußerer seine Sachherrschaft endgültig und vollständig aufgibt (übrigens, die einprägsame Formulierung des Reichsgerichts: „nicht mehr der geringste Rest eines Besitzes“ darf dem Veräußerer verbleiben). Ein Eigentumsübergang nach § 929 Satz 1 BGB findet mithin nicht statt, wenn der Veräußerer auch nur Mitbesitz oder aber mittelbaren Besitz behält.
An diesem Erfordernis scheitert der Eigentumsübergang am 25.12.2009 nun definitiv. Schließlich wurde der Wagen ja gleich wieder in die Garage auf dem Grundstück zurückgebracht. Insbesondere hat der BGH (II ZR 318/02) bereits 2005 entschieden, dass auch die Aushändigung eines Zweitschlüssels zur Begründung eines Besitzübergangs i.S.d. § 929 BGB nicht ausreicht.
Zwar könnten (und sollten) besonders spitzfindige Kandidaten nun noch auf die Idee kommen, in dem Fahrer der B einen Besitzdiener (§ 855 BGB) des K zu sehen und deshalb einen Geheißerwerb anzuprüfen. Dafür, dass B als Eigentümerin des Wagens den Fahrer (als ihren bisherigen Besitzdiener) angewiesen hätte, die tatsächliche Sachherrschaft fortan für K als Erwerber auszuüben (was Voraussetzung für einen Geheißerwerb wäre), fehlen aber jegliche Anhaltspunkte. Der Fahrer fuhr ja den Wagen vielmehr direkt wieder in die Garage der B zurück und händigte dieser auch den Schlüssel aus.
Eigentumsübergang am 26.12.2009
Weiter geht es mit der Frage, ob am Folgetag, dem 26.12.2009, anlässlich der von B und K durchgeführten Probefahrt eine Eigentumsübertragung durch Einigung und Übergabe gem. § 929 Satz 1 BGB stattgefunden haben könnte.
Am 26.12.2009 machten K und B gemeinsam eine Probefahrt mit dem Cabrio. Im Rahmen dieser Probefahrt erhielt K auch wieder einen der Autoschlüssel. Nach der Fahrt parkten K und B den Wagen in der Garage der B, wo er zunächst noch für einige wenige Tage blieb. In der Folgezeit stellte K den Wagen in einer weiteren leerstehenden Garage auf dem im Eigentum der B stehenden Nachbargrundstück des von B bewohnten Grundstücks ab. B behielt einen der Garagenschlüssel.
An dieser Stelle sind die Erwägungen des Gerichts recht kurz gehalten. Das Behalten des Zweitschlüssels begründet den für eine Übergabe im Sinne des § 929 Satz 1 BGB schädlichen Mitbesitz der B (s.o.).
Bemerkenswert sind dann aber die weiteren Ausführungen des Gerichts zu der Frage, wann das Behalten eines Zweitschlüssels ausnahmsweise nicht zur Annahme von Mitbesitz führt. Wird ein Zweitschlüssel nämlich nur zu dem Zwecke einbehalten, dem Besitzer im Falle des Verlustes seiner Schlüssel den Zugang zu ermöglichen, fehlt es an der für einen Mitbesitz erforderlichen Mitbenutzungsabsicht. Im vorliegenden Fall ist nach Ansicht des Gerichts eine fehlende Mitbenutzungsabsicht aber nicht bewiesen. In dem Umstand, dass der Wagen weiterhin auf dem Grundstück der B abgestellt werde, dokumentiere sich vielmehr auch objektiv die Mitbenutzungsabsicht der B. Auch hier kann der Fall bei leicht abgeänderter Tatsachenlage in eine andere Richtung gehen.
§ 930 BGB
Die weiteren Ausführungen zu §§ 929 ff. BGB erschöpfen sich sodann in einer kurzen Stellungnahme zu § 930 BGB. Grundsätzlich wäre es ja zumindest denkbar, dass die Übergabe durch die Vereinbarung eines Besitzkonstituts (wohl allenfalls in Form eines Verwahrungsverhältnisses) zwischen K und B ersetzt werden sollte. Zwar kann ein Besitzkonstitut auch konkludent vereinbart werden. Dafür, dass B das Fahrzeug unter Aufgabe ihres Eigenbesitzes fortan für K verwahren wollte, fehlen indessen jegliche Anhaltspunkte. Insofern gelten im Übrigen dieselben Erwägungen wie zu der Frage einer konkludenten Übereignung (s.o.).
Als Zwischenergebnis lässt sich also festhalten, dass B ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht durch eine Übereignung (§§ 929 ff. BGB) an den K verloren hat.
Eigentumsvermutung des § 1006 BGB?
Der nächste Teil der Entscheidung (der auch Eingang in den zweiten Leitsatz gefunden hat) befasst sich mit der Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB. Das Landgericht war in der Eingangsinstanz noch der Ansicht, zugunsten des K greife die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB. Danach wird zugunsten eines früheren Besitzers vermutet, dass er während der Dauer seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist. Nachdem B das Auto aus der Garage geholt hat, ist K im Verhältnis zu ihr in der Tat als früherer Besitzer anzusehen. Für das Landgericht Grund genug, K allein wegen der Vermutung des § 1006 Abs. 2 BGB als Eigentümer des Fahrzeuges anzusehen und ihm den Anspruch aus § 985 BGB zu gewähren.
Mit dieser – auf den ersten Blick durchaus gar nicht so fernliegenden – Annahme sollte man in der Klausur sehr vorsichtig umgehen. Sinn und Zweck des § 1006 BGB verbieten sie nämlich. Es entspricht der allgemeinen Ansicht, dass die Vermutungstatbestände des § 1006 BGB nur zugunsten des Eigenbesitzers eingreifen. Vermutet wird, dass der Eigenbesitzer das Eigentum zugleich mit dem Eigenbesitz erworben hat (§ 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB: Eigentumserwerbsvermutung). Die Erwerbsvermutung ergänzt dann § 1006 Abs. 2 BGB durch eine Bestandsvermutung: Für die Zeit des Eigenbesitzes und – nach Besitzverlust – für die Zeit bis zur Begründung fremden Eigenbesitzes wird vermutet, dass das erworbene Eigentum fortbesteht. Da der Sachverhalt (im zweiten Examen: der Vortrag des Klägers) aber bestenfalls die Annahme von Mitbesitz (s.o.) des – insoweit darlegungsbelasteten K – rechtfertigt, fehlt es schon an der für § 1006 Abs. 2 BGB erforderlichen Vermutungsbasis (bzw. an einem schlüssigen Vortrag des K).
Im Ergebnis scheitert der Hauptantrag des K, gerichtet auf Herausgabe des Fahrzeuges, daran, dass er nie Eigentümer des Cabrios geworden ist und die Voraussetzungen des § 985 BGB damit nicht erfüllt sind.
Besitzschutzanspruch: § 861 Abs. 1 BGB
Das eigentliche Highlight der Entscheidung verbirgt sich nun hinter dem Hilfsantrag des K.
Zur Erinnerung: K begehrt hilfsweise die Wiedereinräumung des unmittelbaren Besitzes an dem Pkw. Das Pendant zu dem Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985 BGB ist aus Sicht des Besitzers § 861 Abs. 1 BGB. Danach kann derjenige, dem der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wird, die Wiedereinräumung des Besitzes von demjenigen verlangen, welcher ihm gegenüber fehlerhaft besitzt.
Diese Voraussetzungen liegen hier relativ unproblematisch vor.
B hat, indem sie am 18.10.2010 gegen den Willen des K das Auto aus der Garage holte, mit verbotener Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) gehandelt. Im Umkehrschluss zu § 866 BGB ergibt sich, dass der Mitbesitz der B insoweit das Vorliegen verbotener Eigenmacht nicht hindert. § 866 BGB schließt einen Besitzschutz in Fällen des Mitbesitzes nämlich nur insoweit aus, als es sich um die Grenzen des dem einzelnen Mitbesitzers zustehenden Gebrauchs handelt. In Fällen völliger Besitzentziehung ist der Besitzschutz aber gerade nicht nach § 866 BGB ausgeschlossen.
Im Übrigen war der Besitz des K auch nicht seinerseits gegenüber B fehlerhaft (was den Herausgabeanspruch grundsätzlich ausschließen könnte, § 861 Abs. 2 BGB), da diese ihm ja den Mitbesitz an dem Cabrio gerade eingeräumt hatte.
K hat also eigentlich einen Herausgabeanspruch gegen B aus § 861 Abs. 1 BGB!
Petitorische Widerklage!
Freilich ist der Fall hier noch nicht am Ende. Vielmehr gilt es zu berücksichtigen, dass B ihrerseits geltend gemacht hat, sie sei dazu berechtigt gewesen, dass Cabrio wieder an sich zu nehmen. Hier muss man erkennen, dass gegenüber dem Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB nur bestimmte (possessorische) Einwendungen geltend gemacht werden können. Vereinfacht gesagt, kann der Anspruchsgegner nur das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 861 Abs. 1 BGB bestreiten (er kann also etwa behaupten, der Besitzer sei mit der „Wegnahme“ einverstanden gewesen). Das steht in § 863 BGB. Durch diese Bestimmung soll eine unerlaubte Selbsthilfe (insbesondere des Eigentümers) verhindert werden. Ausgeschlossen sind neben der Geltendmachung des Eigentums vor allem schuldrechtliche Ansprüche auf Übereignung, Gebrauchsüberlassung (Miete, Pacht, Leihe), Bestellung eines Nießbrauchs oder Rückgabe einer Sache (sog. petitorische Einwendungen).
Stünde B nun aber tatsächlich ein Anspruch gegen K auf Herausgabe des Cabrios zu, erschiene es widersinnig, wenn sie das Cabrio erst an B herausgeben müsste, um dann ihrerseits umgehend einen Herausgabeanspruch geltend zu machen (mit dem sie ja Erfolg hätte).
Achtung: ein solcher Anspruch steht B tatsächlich zu. Er ergibt sich nach Ansicht des Gerichts namentlich aus § 604 Abs. 3 BGB. Danach kann der Verleiher die Sache jederzeit zurückfordern, wenn die Dauer der Leihe weder bestimmt noch aus ihrem Zweck zu entnehmen ist. Das Gericht ist der Auffassung, zwischen den Parteien habe –da ein Eigentumsübergang nicht feststellbar ist – hinsichtlich des PKW jedenfalls ein Leihverhältnis iSd §§ 598 ff. BGB bestanden. Für dieses Leihverhältnis sei eine bestimmte Dauer nicht vereinbart worden. B habe das Fahrzeug deshalb wie geschehen (dies ist ausweislich der Entscheidungsgründe tatsächlich passiert) gemäß § 604 Abs. 3 BGB zurückfordern können.
Angesprochen ist die Problematik der petitorischen Widerklage (aus diesem Grunde eignet sich der Sachverhalt bestens für eine Klausur im zweiten Staatsexamen – für das Klagebegehren der B wäre eine Hilfswiderklage statthaft).
Aus Gründen der Prozessökonomie steht § 863 BGB der Geltendmachung petitorischer Einwendungen gegen einen Besitzschutzanspruch nach st. Rspr. des BGH dann nicht entgegen, wenn in einem Prozess Besitzschutzklage und Widerklage begründet und gleichzeitig entscheidungsreif sind. Die Klage wird dann zur Vermeidung widersprechender Verurteilungen abgewiesen und der Widerklage wird stattgegeben. Gestützt wird das Ganze auf eine entsprechende Anwendung des § 864 Abs. 2 BGB. Danach tritt das Erlöschen eines Besitzschutzanspruchs dann ein, wenn nach Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er (vereinfacht gesagt) die Herausgabe der Sache verlangen kann. In diesem Fall ist die Wiederherstellung der provisorischen (Besitz-) Ordnung nicht mehr gerechtfertigt. So liegt es nach Ansicht des BGH auch wenn Besitzschutzklage und Widerklage begründet und gleichzeitig entscheidungsreif, weshalb eine analoge Anwendung aufgrund der vergleichbaren Interessenlage gerechtfertigt ist.
Die dargestellten Voraussetzungen der petitorischen Widerklage waren im vorliegenden Fall nach Ansicht des Gerichts erfüllt. Auch der auf § 861 Abs. 1 BGB gestützte Hilfsantrag des K auf Wiedereinräumung des Besitzes an dem Cabrio kann demnach keinen Erfolg haben.
Fazit
Entscheidungen zu petitorischen Widerklagen sind nicht gerade häufig anzutreffen. Allein aus diesem Grund lohnt es sich, die wesentlichen Erwägungen aus dem Urteil des OLG Schleswig zu kennen. Die übrigen sachenrechtlichen Fragestellungen sind zwar weniger ausgefallen. Ihre Lösung erfordert aber dennoch eine sorgfältige Auswertung der zur Verfügung stehenden Fakten (ein Grund, weshalb die Entscheidung gerade für das zweite Examen besonders gut geeignet ist). Leicht abgewandelt könnte der Sachverhalt zudem an verschiedenen Stellen zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung führen. Zu denken wäre hier zum Beispiel an die Besitzdienereigenschaft des Fahrers (s.o.). Das Gericht hat ja zum Beispiel auch angedeutet, dass bei Übergabe der Fahrzeugpapiere am 25.12.2009 durchaus eine konkludente Einigung zwischen K und B über den Eigentumsübergang in Betracht gekommen wäre.
Die petitorische Widerklage eignet sich wegen ihrer prozessualen Herkunft besonders für die Urteilsklausur im zweiten Examen. Im ersten Examen ist aber durchaus auch (etwa) eine Abwandlung zu einem sachenrechtlichen Fall denkbar, in der es dann auf die Frage ankäme, ob B dem Anspruch des K in einem Prozess materielle Einwendungen entgegenhalten könnte. Unter Nennung der oben dargestellten Kriterien (Besitzschutzklage und Widerklage begründet und gleichzeitig entscheidungsreif) kann dann auch im ersten Examen eine Stellungnahme erwartet werden. Die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Klage und Widerklage dürften insoweit aber erlassen sein.
In der Urteilsklausur müsste dem Umstand Rechnung getragen werden, dass K einen Haupt- und einen Hilfsantrag stellt. Für den Aufbau der Entscheidungsgründe bedeutet dies, dass zunächst die Zulässigkeit des Hauptantrages und dessen Unbegründetheit (unter Prüfung sämtlicher in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen) abgehandelt werden muss. Es folgen Ausführungen zur eventuellen Klagenhäufung (Unschädlichkeit innerprozessualer Bedingungen, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und Voraussetzungen des § 260 ZPO). Erst dann darf die Zulässigkeit des Hilfsantrages erörtert werden. Achtung: Da das Schicksal der Begründetheit des Hilfsantrages von dem Erfolg der petitorischen Widerklage abhängt (§ 864 Abs. 2 BGB analog), sind deren Zulässigkeit und Begründetheit ausnahmsweise vor der Begründetheit des Hilfsantrages zu erörtern.
Mit dieser Entscheidung ist insbesondere im zweiten Examen zu rechnen.
Gastautor: Jan Winzen, Jahrgang 1984, Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, Doktorand an der Universität zu Köln, derzeit Rechtsreferendar am LG Frankfurt am Main.
Informativ und gut zu lesen. Danke!
Das sehe ich auch so. Gut nachvollziehbar.
Die Abgrenzung von Leihe und Übereignung durch Besitzkonstitut scheint vielleicht etwas knapp.
Der Sachverhalt könnte zudem eventuell noch Raum dafür lassen, dass K im Rahmen der Lebensgemeinschaft noch Gegenansprüche und diesbezüglich ein Zurückbehaltungsrecht zustehen könnte.
Es könnte daher noch unklar sein, inwieweit ein Herausgabeanspruch der B durchsetzbar und daher im Rahmen von Besitzschutzansprüchen zu Gunsten der B zu berücksichtigen sein konnte.
In einem Prüfungsgutachten könnte eine solche mögliche „Sachverhaltsunklarheit“, anders als in einem Prozessurteil, eventuell eher den Ausschlag zu Gunsten desjenigen, welcher sich noch darauf berufen könnte, zu geben haben.
Es fällt auf, dass die Sachverhaltsangaben überhaupt an vielerlei Stelle recht undeutlich scheinen und wesentliche Aspekte erst im Rahmen der Lösungsdiskussion erscheinen.