OLG Oldenburg: Haftungsbeschränkung bei Sachverständigengutachten
In einem aktuellen Urteil beschäftigt sich das OLG Oldenburg mit der examensrelevanten Materie der Sachverständigenhaftung gegenüber Dritten. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
„Die Kläger erwarben im Jahr 2010 eine Immobilie in der Samtgemeinde Artland, Landkreis Osnabrück zum Kaufpreis von 138.000 Euro, die sie zuvor bereits als Mieter bewohnt hatten. Der Beklagte erstellte vor dem Verkauf auf Bitten des Verkäufers ein „Gutachten zur Ermittlung eines Verkehrswertes“. Der Verkehrswert belief sich danach auf 142.000 Euro. In dem Gutachten war u.a. ausgeführt, dass der Dachstuhl einen leichten Schädlingsbefall aufweise.“
Später stellte sich heraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Schädlingsbefall handelt, weswegen die Kläger einen Abriss und Neubau des Dachstuhls vornahmen. Die hierdurch entstandenen Kosten wollten sie zumindest teilweise vom Sachverständigen ersetzt bekommen.
1. Verhältnis Sachverständiger zu Käufer
Zunächst müsste in einer Klausur das Rechtsverhältnis zwischen Sachverständigem und Käufer problematisiert werden. Wie in der Praxis üblich wurde der Sachverständige nur vom Verkäufer beauftragt, so dass zunächst nur mit diesem eine vertragliche Beziehung entsteht. Allein durch ein gesteigertes Eigeninteresse des Käufers an Erstellung des Gutachtens (z.B. zur Abschätzung eines marktüblichen Kaufpreises) wird dieser nicht Vertragspartei (s. hierzu OLG Hamm v. 29.05.2013 – 12 U 178/12, hier besprochen).
Eine Einbeziehung könnte aber entweder direkt über § 311 Abs. 3 BGB oder die Grundsätze über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) in Betracht kommen. § 311 Abs. 3 BGB setzte neben der in der Regel vorliegenden maßgeblichen Beeinflussung des Vertragsschlusses ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des Vertrages. Mit der wohl h.M. sollte man auf das „Interesse am Abschluss des Vertrages“ Wert legen, da hierfür die Entlohnung für die Erstellung des Gutachtens gerade nicht ausreicht. Typischer Fall ist vielmehr der Makler, der durch die bei Vertragsschluss fällige Provision tatsächlich ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des Vertrages hat. Daher scheidet § 311 Abs. 3 BGB als Grundlage der Einbeziehung.
Vielmehr ist auf die Grundsätze des VSD zurückzugreifen, der voraussetzt, dass
– der Dritte bestimmungsgemäß mit der geschuldeten Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst,
– die Drittbezogenheit seiner Leistung für den Schuldner erkennbar ist,
– der Vertragspartner ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages hat und
– der Dritte schutzbedürftig ist.
Ob dessen Voraussetzungen bei Gutachterfällen vorliegen, ist im Einzelfall zu bestimmen und darf nicht vorschnell bejaht oder abgelehnt werden. Teils divergieren die Ansichten sogar innerhalb desselben Gerichtes (s. https://www.juraexamen.info/olg-hamm-haftungsbeschrankung-im-vertrag-mit-schutzwirkung-zugunsten-dritter/). Im vorliegenden Fall nahm das OLG an,
„dass der Sachverständige auch der Klägerin gegenüber für begangene Pflichtverstöße haftet und der Schädlingsbefall tatsächlich so schwer war, dass ein Abriss und Neuaufbau des Dachstuhls notwendig wurde.“
2. Umfang der drittbezogenen Pflichten – Pflichtverletzung
Der Sachverständige müsste seine Pflichten nun auch verletzt haben. Insoweit nimmt das OLG Oldenburg an, dass
„bereits aufgrund des erteilten Auftrages zur Erstellung eines Verkehrswertgutachtens und nicht eines Schadensgutachtens keine Pflicht für den Beklagten zur Feststellung etwaiger Baumängel, insbesondere versteckter, nicht sichtbare Baumängel, bestanden“ hat.
An dieser Stelle wird man dem OLG mit guten Gründen widersprechen können: Der Verkehrswert einer Immobilie bestimmt sich maßgeblich durch den Zustand der baulichen Substanz. Ist diese teilweise mangelhaft, sinkt auch zwangsläufig aufgrund der aufzuwendenden Reparaturkosten der Verkehrswert. Eine strikte Trennung zwischen Verkehrswertgutachten einerseits und Schadensgutachten andererseits erscheint insoweit gekünstelt. Eine Pflichtverletzung sollte m.E. daher zunächst angenommen werden (s. aber 3.)
3. Haftungsausschluss
Der Sachverständige hatte laut Pressemitteilung aber seine Haftung beschränkt:
„Darüber hinaus habe der Beklagte seine Haftung gegenüber den Klägern aufgrund des von ihm erteilten Hinweises im schriftlichen Gutachten, dass er das Objekt nicht auf versteckte Mängel untersucht habe und ggf. diesbezüglich ein Schadensgutachter hinzugezogen werden müsse, wirksam beschränkt.“
Eine solche Haftungsbeschränkung wird zunächst mit dem Vertragspartner vereinbart, gilt aber dem Rechtsgedanken des § 334 BGB folgend auch gegenüber dem über den VSD einbezogenen Dritten. Die Haftung des Beklagten kann nicht gegenüber in den Vertrag einbezogenen Dritten weiter sein als gegenüber seinem eigenen Vertragspartner.
Da der Gutachter hier gerade darauf hinweist, das Objekt nicht auf versteckte Mängel untersucht zu haben, besteht insoweit schon keine Pflicht, die verletzt werden könnte. Wahrscheinlich ist dies auch in der Pressemitteilung des OLG gemeint – sollte aber in der Klausur sauber auseinander gehalten werden.
Ob die Annahme des OLG indes richtig ist, kann angezweifelt werden. Der Haftungsausschluss bezieht sich auf versteckte Mängel – doch ist ein entdeckter leichter Mangel, der sich später als schwerer herausstellt, tatsächlich ein versteckter Mangel? An dieser Stelle wird man in einer Examensklausur mit einer guten Argumentation sicherlich Punkte sammeln können.
Nimmt man nun entweder mangels dahingehender Pflicht keine Pflichtverletzung an oder folgt dem OLG in der Annahme eines Haftungsausschlusses, kann nun noch über eine andere Pflichtverletzung nachgedacht werden. Der Gutachter könnte die Pflicht gehabt haben, darauf hinzuweisen, dass der erkannte leichte Mangel u.U. ein größerer sei und daher ein weiteres (Schadens-) Gutachten einzuholen sei. Eine solche Pflicht nimmt das OLG aber nicht an.
4. Gutachterfälle und VSD – ein „Muss“ fürs Examen
Der Fall sollte Anlass sein sich mit dem Problemkreis der Gutachterfälle noch einmal auseinanderzusetzen. Hierzu bieten sich unsere Artikel hier und hier und hier an. Da das Urteil rechtskräftig ist, kann es gut in eine Examensklausur eingebaut werden.
Das Sachverständigengutachten benennt ausdrücklich nur einen leichten Schädlingsbefall.
Zu einem weitergehenden Befall schweigt es dagegen.
Das könnte vom Horizont eines objektiven Empfängers schon bei geringer Fahrlässigkeit leicht dahingehend missverständlich sein, dass sich nach dem Gutachten der Schädlingsbefall nur auf ein geringes Maß beschränkt.
M.E. könnte schon eine solche leichte Missverständlichkeit des Gutachtens – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Empfängers – sorgfaltswidrig sein. U.U. hätte das Gutachten deutlicher machen müssen, dass keine Aussage über einen möglichen weitergehenden Schädlingsbefall getroffen sein soll und diesbezüglich keine Haftungsverpflichtung bestehen soll.
Für eine solche eventuelle Pflichtverletzung im Hinblick auf eine leichte Missverständlichkeit des Gutachtens könnte zudem (der Verkäufer anteilig einzustehen haben („c.i.c. / gesamtschuldnerisch“ o.ä.).