OLG Köln: Verbandsstrafe in Folge eines „Böllerwurfs“ als zurechenbarer Schaden?
Fußball und Examen – gibt es eine bessere Mischung? Mag das Verbandsstrafensystem des DFB nicht Pflichtfachstoff sein, so lässt sich die jüngste Entscheidung des OLG Köln v. 17.12.2015 doch auf die allgemeine Zivilrechtsdogmatik zurückführen – und wird somit zu einer dankbaren Prüfungsvorlage. Problemschwerpunkt ist die Frage des Zurechnungszusammenhangs von Pflichtverletzung und Schaden.
I. Sachverhalt (beruhend auf LG Köln v. 08.04.2015 – 7 O 231/14, vereinfacht)
Der Beklagte verfolgte am 09.02.2014 im RheinEnergieStadion vom Oberrang der Nordtribüne aus die 2. Bundesliga-Begegnung X gegen Y. Hierfür hatte er sich die Dauerkarte eines Bekannten zur Verfügung stellen lassen. Während der ersten Halbzeit des Spiels erhob sich der Beklagte von seinem Platz und warf eine brennende Zigarette auf den Unterrang der Nordtribüne. Daraufhin wurde er von einem Stadion-Ordner ermahnt. In der 59. Spielminute zündete der Beklagte dann einen Knallkörper der italienischen Firma „P“, der aufgrund seiner Sprengenergie dem Sprengstoffgesetz unterfällt, und warf ihn auf den Unterrang, wo er detonierte. Durch die Explosion wurden sieben Zuschauer verletzt. Unmittelbar nach der Tat unterzog sich der Beklagte auf der Stadionwache freiwillig einem Atemalkoholtest, welcher einen Wert von 0,85 mg/l ergab. Eine Blutprobe zwei Stunden nach der Tat ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,94 ‰. Aufgrund dieses Vorfalls und vier vorangegangener Vorfälle verurteilte das Sportgericht DFB auf Antrag des DFB-Kontrollausschusses den Verein mit Urteil vom 19.03.2014 zu einer Gesamtgeldstrafe von 50.000,00 € und zur Verwendung eines Betrages von weiteren 30.000,00 € für präventive Maßnahmen. Der zuständige Einzelrichter des DFB-Sportgerichts bildete die ausgeurteilte Gesamtstrafe dabei in analoger Anwendung des § 54 StGB, da zugleich weitere Fälle abgeurteilt wurden. Die Klägerin forderte den Beklagten mit Schreiben vom 28.03.2014 erfolglos auf, ihr bis zum 11.04.2014 einen Betrag von 30.000,00 € zu erstatten.
II. Schadensersatzanspruch hinsichtlich der vom DFB ausgesprochenen Geldstrafe?
Als Anspruchsgrundlage kommen §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Betracht. Das erforderliche Schuldverhältnis folgt aus einer Vertragsübernahme mit der vereinbarten Übergabe der Dauerkarte. Jedenfalls ist zwischen den Parteien durch den bloßen Besuch des Zweitligaspiels durch den Beklagten ein vertragsähnliches Schuldverhältnis gem. § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB zustande gekommen, das wechselseitige Schutz- und Rücksichtnahmepflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB begründet (LG Köln, Urt. v. 08.04.2015 – 7 O 231/14). Die Pflichtverletzung liegt im Verstoß gegen die Stadionordnung, die der Beklagte durch sein Betreten des Stadions konkludent angenommen hat. Auf jeden Fall ist das Zünden von Knallkörpern oder anderen pyrotechnischen Gegenständen und das Werfen solcher Gegenstände auf andere Personen auch ohne eine solche ausdrückliche Regelung eine erhebliche Verletzung der einem Zuschauer nach § 241 Abs. 2 BGB obliegenden Rücksichtnahmepflichten (LG Köln, Urt. v. 08.04.2015 – 7 O 231/14).
Einen gerade für das Examen schönen Schlenker prüft das LG Köln beim Vertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Beklagte hatte sich nämlich auf seine Trunkenheit berufen:
Soweit der Beklagte insoweit behauptet, dass er zum Zeitpunkt der Tat wegen Trunkenheit und des Konsums von Cannabis nicht zurechnungsfähig gewesen sei, ist sein Vortrag insoweit bereits unerheblich. Selbst wenn der Beklagte infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder ähnlicher Mittel sich zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung in einem die Verantwortlichkeit ausschließenden oder mindernden Zustand befunden hätte, wäre er gem. §§ 276 Abs. 1 S. 2, 827 S. 2 BGB so zu behandeln, als ob ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele, welche er gem. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB zu vertreten hat. Dass ein dem entgegenstehender Fall des § 827 S. 2, 2. Hs. BGB vorliegt, hat der Beklagte selbst nicht behauptet.
Die Pflichtverletzung müsste den Schaden, also die vom DFB gegen den 1. FC Köln verhängte Geldstrafe, auch adäquat-kausal verursacht haben. Zunächst kann das Werfen des Böllers nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Strafe in dieser Höhe entfiele, so dass nach der conditio-sine-qua-non Formel Kausalität gegeben ist. Auch liegt es bei Prüfung der Adäquanz nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass ein Fußballverein beim Werfen von Gegenständen, Böllern oder der Verwendung von Pyrotechnik zu Geldstrafen verurteilt wird (OLG Rostock, Urteil vom 28.04.2006 – 3 U 106/05; AG Brakel, Urteil vom 15.06.1988 – 7 O 680/87). Dies kann vielmehr als gängige Praxis bezeichnet werden.
Kernproblem ist vielmehr die letzte Stufe der Kausalitätsprüfung, der Schutzzweck der Norm. Die Rücksichtnahmepflichten des Zuschauervertrages müssten zumindest auch dem Zweck dienen, den Fußballverein vor der Verhängung einer Verbandsstrafe als Sanktion des Vorfalls zu schützen. An dieser Stelle ist eine vertiefte Argumentation notwendig. Das LG Köln nahm den Zurechnungszusammenhang an, das OLG Köln verneinte es. Der BGH wird sich mit dieser Frage beschäftigen, da die Revision zugelassen wurde. Die wesentlichen Argumentationslinien dürften hierbei sein:
Gegen einen Zurechnungszusammenhang führt das OLG Köln den Präventionszweck der Verbandsstrafe an: Wenn die Vereine etwaige Strafen auf den Verursacher abwälzen können, gehe ein Anreiz zu bestmöglichen Sicherheitsvorkehrungen verloren. Zudem liege keine bewusste Übernahme des Risikos durch den Beklagten als Zuschauer vor. Diese wüssten regelmäßig nicht, dass Strafen seitens des DFB ausgesprochen werden. Dies ist jedoch an dieser Stelle irrelevant: Es genügt, dass das Verhalten objektiv in den Schutzzweck der Norm fällt, eine subjektive Komponente ist hingegen nicht erforderlich.
Für einen Zurechnungszusammenhang spricht hingegen gerade der Präventionszweck der Verbandsstrafen. Diese haben primär keinen (strafrechtlichen) Sanktionscharakter, sondern dienen der Abschreckung vor weiteren Taten. Da die Vereine nach den DFB-Statuten gerade auch für das Verhalten der eigenen Zuschauer haften, spricht einiges dafür, dass diese auch in den Pflichtenbereich einbezogen sind. Auch verhaltenspsychologischen Gesichtspunkte stützen diese These: Andernfalls würde das Stadion tatsächlich zum rechtsfreien Raum, wenn Zuschauer verbandsrechtswidrige Taten begehen können, ohne hierfür belangt zu werden. Anders als im vorliegenden Fall werden durch das Zünden von Böllern sowie Pyrotechnik häufig keine anderen Personen geschädigt, dennoch Strafen seitens des DFB verhängt. Da es für die austragenden Vereine letztlich faktisch unmöglich ist, alle Verstöße zu verhindern (kaum jemand möchte allwöchentlich vor den Stadiontoren „durchgescannt“ werden, die Wartezeiten nicht zu vergessen), muss eine Rückgriffsmöglichkeit bestehen. Anders als vom OLG ausgeführt, erschließt sich die komplexe Rechtslage nach der Satzung des DFB und der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB, auf deren Basis die Verbandsstrafe erlassen werde, sowie die möglichen finanziellen Folgen dem durchschnittlichen Zuschauer. Jeder Fan weiß, dass das Zünden von Pyrotechnik und Böllern Strafen in vier- oder fünfstelliger Höhe nach sich zieht – zu häufig wird hierüber nicht nur im kicker, sondern auch in Tageszeitungen berichtet. Mit der Argumentation des OLG Köln könnten letztlich sonst alle Rückgriffsmöglichkeiten bei Strafen gegen Gesellschaften verneint werden: Erschließt sich dem deutschen Ingenieur das US-amerikanische Strafensystem bei Fälschung von Abgaswerten? Wohl kaum, und dennoch wird ein Rückgriff möglich sein.
In einem letzten Schritt kann noch geprüft werden, ob der Sanktionscharakter der Strafe (soweit man einen solchen annimmt) einem Regress bei Veursacher nach Treu und Glauben entgegensteht. Allerdings dienen die Strafen nach Aussage des DFB auch dazu, die einzelnen Besucher zu disziplinieren. Eine Überwälzung der Strafe ist damit dieser immanent, so dass diese nicht gegen Treu und Glauben verstoßen kann.
Im haftungsausfüllenden Tatbestand kann noch Stellung dazu genommen werden, dass die Strafe auch gerade deswegen so hoch angesetzt wurde, weil der 1. FC Köln bereits mehrfach wegen entsprechender Delikte verurteilt worden war. Insoweit handelt es sich aber um eine bloße besondere Schadensanfälligkeit der Klägerin, die den Schädiger nicht davon entlastet, den gesamten Schaden tragen zu müssen. Eine weitergehende Prüfung der Angemessenheit der Strafe kann jedoch nicht erfolgen, da insoweit ein Vorrang der Sportgerichtsbarkeit besteht – der Schaden ist in der Höhe schlichtweg entstanden. Nur soweit die Strafe völlig unverhältnismäßig ist, könnte dies entsprechend kontrolliert werden. Gleiches gilt im Wege des Mitverschuldens (§ 254 BGB) sofern der verurteilte Verein ein erfolgversprechendes Rechtsmittel nicht eingelegt hat.
III. Fazit und Ausblick
Der „Kölner Böllerwerfer“ ist ein praktisch und für das Examen äußerst relevanter Fall. An vielen Stellen der Prüfung können grundlegende Fragen des Zivilrechts eingebaut werden, vom Vertragsschluss, über die Kausalität bis hin zur Schadenshöhe und dem Mitverschulden. Zugleich bleibt es spannend, wie der BGH entscheiden wird. Für die Praxis scheint die nunmehr ergangene Entscheidung des OLG Köln kaum brauchbar. Zu naheliegend sind Missbrauchsmöglichkeiten durch Zuschauer und entsprechende Fehlanreize. Möchte man Vorfälle wie bei 2. Ligaspiel des 1. FC Köln vermeiden, kann hierzu eine Haftung des Verursachers für Verbandsstrafen nur weiterhelfen.
Der Veranstalter ist dem einzelnen Zuschauer ebenfalls zu Schutz und Rücksichtnahme verpflichtet. Danach könnte der Veranstalter einzelne Zuschauer kaum „überfordern“ dürfen. Der Zuschauer könnte nicht nur Konsument und Kunde, sondern daneben Unterstützung durch aufmerksame körperliche Anwesenheit „Leistender“ sein. Daher könnte es schwer möglich sein, eine Strafe, welche den Veranstalter aufgrund eigenen Verschuldens in einem Sportverband gerade als eine mitgliedschaftliche Personenmehrheit trifft, auf Zuschauer eben nur als Einzelpersonen in Großteilen abzuwälzen.
Man kann doch kaum zu Recht als Veranstalter einerseits von wettbewerbsorientierten Massenzusammenkünften nur profitieren und andererseits von mit gruppendynamisch bedingen Exzessen Einzelner in solchen Veranstaltungen nichts zu tun haben wollen, bzw. eine Haftung dafür zu Großteilen abwälzen wollen.
Es könnte sich also etwa u.a. noch die Frage einer gruppendynamischen Massenmitverantwortung (eventuell ebenso sogar noch der körperlich Verletzten) und Mitverantwortung des Veranstalters durch Ausnutzung davon stellen.
Danach könnte eine Haftungsverantwortung einzelner Zuschauer, selbst bei regelwidrigem Verhalten, demgegenüber angesichts der Vorteile, welche die Massen im Gegenzug für den Veranstalter bewirken, eher zurücktreten.
Eine andere Frage könnte die nach der Haftung des „störenden“ Zuschauers und des Veranstalters gegenüber den körperlich Verletzten und die eines hierauf gegründeten Ausgleiches zwischen den möglich Haftenden sein.
Müsste man wohl in der Klausur noch auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingehen auf deliktischer Stufe eingehen und diskutieren, ob ein betriebsbezogener Eingriff vorliegt, gäbe der Sachverhalt etwa her, dass der Täter um die Sanktionsmöglichkeit im Bilde war?