OLG Koblenz zur Betriebsgefahr nach § 7 StVG
Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Lukas Piroth veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wiss. Mitarbeiter am Institut für deutsches und internationales Zivilverfahrensrecht der Universität Bonn bei Prof. Dr. Moritz Brinkmann.
Mit Beschluss vom 05.08.2019 hat das OLG Koblenz sich zur Reichweite der Betriebsgefahr im Rahmen des § 7 StVG geäußert (Az. 12 U 57/19, BeckRS 2019, 18385). Wird ein Fahrzeug bei ausgeschaltetem Motor von einem automatischen Förderband durch eine Waschstraße gezogen, sei es nicht „in Betrieb“, sodass die Gefährdungshaftung des § 7 StVG ausscheide.
Geht es in Examensklausuren um die StVG-Haftung, spielen Probleme häufig im Bereich der Betriebsgefahr. Die Subsumtion kann schwer fallen, zumal die Betriebsgefahr in der Rechtsprechung bisweilen erstaunlich freigiebig bejaht wird. Die Entscheidung gibt Anlass, sich die Anforderungen an die Betriebsgefahr nochmals zu vergegenwärtigen.
I. Sachverhalt
Die Beklagte und hinter ihr der Kläger befanden sich am Steuer ihrer Fahrzeuge in einer automatischen Waschstraße. Die Motoren der Wagen waren ausgeschaltet, die Fahrzeuge wurden von Rollen durch die Anlage gezogen. Der PKW der Beklagten wurde durch ein „Hindurchziehen“ der Mitnehmrolle unter dem Rad gestoppt, was wiederum den Kläger veranlasste, durch ein Betätigen der Bremse eine Kollision zu vermeiden. Hierdurch blieb sein Fahrzeug in der Gebläsetrocknung der Anlage stehen, die am Heck des Wagens Schäden i. H. v. rund 4 500 € verursachte. Diese verlangte der Kläger neben § 823 BGB auch aus § 7 StVG ersetzt. Das LG Koblenz verneinte Schadensersatzansprüche.
II. Entscheidung des OLG Koblenz
Das OLG Koblenz wies mit dem Beschluss die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Koblenz vom 10.12.2018 (Az. 5 O 373/16) zurück. Ein Anspruch aus § 823 BGB scheiterte nach den tatsächlichen Feststellungen am Verschulden der Beklagten. In rechtlicher Hinsicht interessant sind allein die Ausführungen zu § 7 StVG und dort zur Frage, ob das Fahrzeug des Klägers „bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs“ der Beklagten beschädigt wurde.
Hierzu wiederholt das OLG die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach das Merkmal zwar weit auszulegen ist, es sich aber bei dem Schaden stets um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln muss, um deren Willen die Haftungsvorschrift erlassen worden sei. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebsvorrichtung des Kfz stehe. Spiele hingegen die Fortbewegungs- und Transportfunktion keine Rolle, scheide eine Haftung nach § 7 StVG aus.
Nach diesen Maßstäben verneint das OLG eine Rechtsverletzung „bei Betrieb des Kfz“. Ein Kfz sei nicht „in Betrieb“, wenn es ohne eigene Motorkraft durch eine automatische Waschanlage gezogen werde. Weder die Fortbewegungs- noch die Transportfunktion komme zum Tragen. Vielmehr sei das Fahrzeug vollständig abhängig von den Vorgängen in der Waschstraße wie jeder andere Gegenstand, der automatisch bewegt werde. Die besonderen Gefahren des Kfz-Betriebs (Geschwindigkeit, Ausmaße, Gewicht) blieben ohne Relevanz.
III. Einordnung der Entscheidung
Bei unbefangener Betrachtung scheint die Entscheidung wenig überraschend – das Fahrzeug wurde schließlich nicht „betrieben“. Bezieht man jedoch Urteile mit ein, in denen die Schadensentstehung „bei Betrieb des Kfz“ bejaht wurde, kann sich die Perspektive verschieben.
Der BGH nahm eine Haftung erst kürzlich an, obwohl zwischen dem Unfall und der Verletzung des Eigentums in Form eines Brandes, der durch einen Kurzschluss in der Batterie des Kfz entstand, eineinhalb Tage lagen (vgl. Urt. v. 26.03.2019 – VI ZR 236/18 und unseren Beitrag hier). Damit folgte er seiner Linie einer immer ausufernderen Bejahung des Merkmals „bei Betrieb“, die sich bereits im Urteil v. 21.01.2014 (VI ZR 253/13) abzeichnete. Damals hatte der BGH klargestellt, dass sich die Betriebsgefahr eines Kfz bereits dann verwirklicht, wenn ein bereits mehrere Stunden abgestelltes Fahrzeug durch eine Selbstentzündung der Batterie in Brand gerät, auch wenn der Batteriedefekt nicht auf die letzte Fahrt zurückgeführt werden kann. Auf eine etwaige Relevanz der Fortbewegungs- und Transportfunktion für das Merkmal „bei Betrieb“ ging er nicht ein.
In der Folge hatte bspw. auch das OLG Köln (Urt. v. 06.04.2017 – 3 U 111/15) eine Schadensentstehung „bei Betrieb des Kfz“ bejaht, wenn in einer Kfz-Werkstatt ein Brand entsteht, der auf einen Defekt in der Primärelektrik des in Reparatur befindlichen Fahrzeugs zurückzuführen ist – und das obwohl ein Reifen demontiert war, sodass die Fortbewegungsfunktion mindestens ebenso wenig zum Tragen kommen dürfte wie bei einer Fahrt durch eine Waschstraße. Gerade deshalb hatte das LG Köln den Schaden „bei Betrieb des Fahrzeugs“ auch noch verneint (Urt. v. 19.06.2015 – 17 O 224/14). Wie das OLG Koblenz hatte das LG Köln hierfür die Kontrollüberlegung bemüht, dass statt dem Fahrzeug unter denselben Umständen auch eine andere Maschine (ohne theoretische Transportfunktion) den Schaden verursacht hätte.
Der Rechtsprechung seit dem Jahr 2014 lässt sich der Trend entnehmen, einen Zusammenhang mit der Fortbewegungs- und Transportfunktion nur noch als eine Variante der Betriebsgefahr aufzufassen („Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang“) und daneben großzügig einen bloßen „Zusammenhang des Schadens mit einer Betriebseinrichtung“ des Kfz ausreichen zu lassen. Den Wandel veranschaulichen zwei Entscheidungen des OLG Karlsruhe, das in einem Urteil v. 28.04.2014 (13 U 15/14) eine Betriebsgefahr noch verneinte, wenn ein auf ein Abschleppfahrzeug aufgeladenes Kfz in Brand gerät, später in einem Beschluss v. 09.03.2015 (9 W 3/15) aber eine Haftung bei einem zwei Tage abgestellten Fahrzeug bejahte.
Das OLG Koblenz vollzieht insoweit durchaus einen Schritt zurück, indem es stärker die Verknüpfung zwischen Schaden und Fortbewegungs- und Transportfunktion in den Fokus nimmt. Ob der BGH genauso entschieden hätte, darf bezweifelt werden. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen war das Durcheinander in der Waschstraße durch ein kurzzeitiges Blockieren der Vorderräder der Fahrzeugs der Beklagten entstanden, stand also durchaus mit einer Betriebseinrichtung des Fahrzeugs (Räder) in Zusammenhang und hat – in den Worten des BGH – das Schadensgeschehen „entscheidend (mit)geprägt“.
IV. Fazit
Das Merkmal der Betriebsgefahr bleibt in der Examensklausur ein Punkt, bei dem es entscheidend auf eine überzeugende Argumentation ankommt. Ob mit dem BGH die Voraussetzungen niedrig angelegt werden oder mit dem OLG Koblenz der Zusammenhang der Rechts(guts)verletzung mit der Transport- und Fortbewegungsfunktion des Fahrzeugs ins Zentrum gestellt wird, dürfte gleichermaßen vertretbar sein.
Von der Haftung nach § 7 StVG zu trennen ist selbstverständlich die Frage, inwieweit der Betreiber der Waschstraße für entstandene Schäden haftet. Zu den Schutzpflichten eines Waschanlagenbetreibers für einen Autounfall hat der BGH letztes Jahr Stellung bezogen, unseren Beitrag dazu findet ihr hier.
Wenn kein Verschulden auf Seiten von Fahrzeugführern vorliegt, kann bereits das Einfahren in die Waschanlage schadensursächlich sein. Dies sollte grundsätzlich noch im Rahmen einer Betriebsgefahr liegen und als insoweit mit erfasst anzusehen sein können.