OLG Hamm: Zusammenstoß im Supermarkt – Verkehrsunfall analog?
Verkehrsunfälle sind in juristischen Klausuren ein Klassiker – nicht nur im zweiten sondern auch im Ersten Staatsexamen. Die etwas verworrene Prüfung der §§ 7 und 18 StVG und die komplizierte inzidente Prüfung des § 17 StVG sind wohl den meisten Juristen bekannt. Was aber, wenn ein Zusammenstoß in einem Supermarkt passiert? Die Pressemitteilung des OLG Hamm zu einem aktuellen Urteil (OLG Hamm v. 6.6.2016 – 6 U 203/15) spricht insofern von einer „Kundenkollision“.
I. Was war passiert?
Der Sachverhalt ist kurz zusammengefasst: Die Klägerin und die Beklagte suchten im April 2012 als Kundinnen einen Supermarkt auf. In einem Gang des Supermarktes machte die Beklagte beim Abbiegen von einem Haupt- in einen Seitengang einen Schritt rückwärts, ohne sich zuvor umzusehen. Nach ihren Angaben wollte sie eine ihr entgegen kommende Verkäuferin mit einer sog. Ameise nebst einer Palette vorbeilassen. Durch den Rückwärtsschritt kam es zum Zusammenstoß mit der Klägerin, die aus einem Seitengang kommend die Beklagte an der Seite ihres Rückens passieren wollte. Die Klägerin stürzte und zog sich den Bruch ihres Ellenbogens zu, der operativ versorgt werden musste. Die Klägerin begehrte nun Schadensersatz und ein angemessenes Schmerzensgeld.
II. Lösung des OLG
Das OLG sprach einen entsprechenden Anspruch zu, kürzte diesen aber wegen Mitverschulden um 50%. Dem lag folgende Würdigung zugrunde.
Da die Regelungen des StVG hier offensichtlich nicht greifen – ein Kraftfahrzeug liegt nicht vor – kann sich ein Anspruch allein aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben.
Eine Handlung der Beklagten lag in Gestalt des Rückwärtsgehens vor.
Auch eine Rechtsgutsverletzung der Klägerin – gesundheitliche Schädigung – trat ein.
Die Handlung ist auch rechtswidrig und schuldhaft. Insbesondere war die Handlung auch nicht sozialadäquat. das OLG führt insofern aus:
Dabei habe die Beklagte schuldhaft gehandelt und sich nicht lediglich sozialadäquat verhalten. Wegen der in einem Supermarkt bestehenden Kollisionsgefahr mit anderen Kunden oder von diesen benutzten Einkaufswagen bewege sich ein verständiger Kunde im eigenen Interesse nicht rückwärts von einem Regal in den Gang zurück, ohne sich zuvor umzuschauen. Jedenfalls müsse ein Besucher, der sich rückwärts in die Verkaufsgänge zurückbewege, mit Hindernissen verschiedenster Art rechnen, weil diese dem Treiben im Supermarkt immanent seien. Auf diese habe sich der Kunde einzurichten, was die Beklagte versäumt habe, weil sie – ohne zuvor zurück zu sehen – zurückgegangen sei.
Auch eine haftungsbegründende Kausalität lag vor.
Ebenso ist ein Schaden vorliegend, für den auch die Rechtsgutsverletzung kausal ist (haftungsausfüllende Kausalität).
Somit steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch nach § 249 Abs. 1 BGB sowie ein Schmerzensgeldanspruch nach § 253 Abs. 2 BGB zu. Beide Ansprüche sind aber wegen Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB um 50% zu mindern, wobei zu beachten ist, dass im Rahmen des Schmerzensgeldes ein solches Mitverschulden bereits im Rahmen der Bemessung zu beachten ist (Palandt/Grüneberg, § 253 BGB, Rn. 20). Zur (Mit)verursachung durch die Klägerin führt das Gericht aus:
Die Klägerin treffe ein hälftiges Mitverschulden an dem Unfall, weil sie ebenso wie die Beklagte zu der Kollision beigetragen habe. Sie habe ihrerseits nicht auf die Bewegungen der sich in ihrer Nähe bewegenden Beklagten geachtet, als sie diese passiert habe. Hierdurch habe sie ebenso wie die Beklagte gegen die beschriebenen Sorgfaltspflichten eines Kunden beim Besuch eines Supermarkts verstoßen.
Damit war der Anspruch um 50% zu kürzen.
III. Fazit
Es zeigen sich daher auch hier deutliche Parallelen zum Autounfall. Auch hier ist die Problematik des Mitverschuldens von zentraler Bedeutung. Anders als dort ergibt sich ein Mitverschulden aber nicht aus der Betriebsgefahr selbst, sondern muss im Einzelfall deutlich werden. Allerdings wird auch hier offenkundig eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme postuliert. Ein unbesonnenes Bewegen im Supermarkt soll nicht möglich sein. Vielmehr gilt es auch hier stets das Umfeld und den fließenden „Einkaufswagenverkehr“ im Blick zu behalten. Nur so können Haftungsrisiken ausgeschlossen werden.
Es kann zwischen den Kunden grundsätzlich eher nur ein unverbindlicher Gefälligkeitsbereich vorliegen. Eine Haftung von Kunden untereinander kann daher etwa schlüssig vereinbart durch Haftungsbeschränkung (auf wenigstens grobes Verschulden o.ä.) zweifelhaft bleiben. Denkbar kann noch ein vorvertragliches Rechtssverhältnis mit dem Supermarkt bleiben. Daraus kann eventuell ein Schutzanspruch auf Schadenserleichterung folgen. Das kann eine Pflicht zu hälftiger Kostenübernahme durch den Supermarkt bedingen.