OLG Hamm: Rechtsfolgen beim mangelhaften Tattoo
Sachverhalt
Im vom OLG Hamm zu entscheidenden Fall sollte ein Tätowierer seiner Kundin auf dem rechten Schulterblatt eine farbige Blüte nebst Ranken eintätowieren. Dabei brach der Tätowierer allerdings zu tief in bestimmte Hautschichten ein, so dass die Tätowierung nicht mehr dem vereinbarten Entwurf ensprach. Es kam zudem zu unregelmäßig zu dick ausgeführten Linien und Farbverläufen beim Tattoo.
Anspruch auf Schmerzensgeld
Der Anspruch auf Schmerzensgeld (in diesem Fall in Höhe von 750 EUR) kann sich aus den folgenden Anspruchsgrundlagen ergeben:
- § 280 Abs. 1 i.V.m. 241 Abs. 2 i.V.m. 631 BGB (Schadensersatz neben der Leistung beim Werkvertrag)
- § 823 Abs. 1 BGB (Verletzung des Rechtsgut „Körper“)
- § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB (Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung als Schutzgesetz)
Die genannten Ansprüche bestehen nach Auffassung des OLG Hamm, da das Stechen der Tätowierung tatbestandlich als Körperverletzung einzuordnen sei. Die Körperverletzung sei im vorliegenden Fall auch nicht durch eine Einwilligung der Kundin gerechtfertigt. Die Kundin sei nämlich lediglich mit einem technisch und gestalterisch mangelfreien Tattoo einverstanden, welches der zuvor gebilligten Skizze entsprach. Wenn der Tätowierer dieser Anforderung nicht nachkommt, sei der strafrechtliche Tatbestand erfüllt, was auf zivilrechtlicher Ebene Schadensersatzansprüche begründet.
Der Anspruch auf Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) bestand deshalb, weil die Kundin das mangelhafte Tattoo nur mittels einer (schmerzhaften) Laserbehandlung korrigieren bzw. entfernen lassen konnte.
Erstattung der Laserbehandlung
Der Tätowierer habe im Übrigen auch die Kosten für die Laserbehandlung im Wege eines Schadensersatzanspruchs zu erstatten (als Anspruchsgrundlage kommt hier etwa das werkvertragliche Mängelgewährleistungsrecht in Form eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung in Betracht; §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281, 634 Nr. 4, 631 BGB).
Auf eine Nachbesserung durch den Tätowierer, die beanstandeten Stellen durch eine von ihm beauftragte Laserbehandlung entfernen zu lassen und dann selbst neu zu tätowieren, müsse sich die Kundin nach Auffassung des OLG Hamm nicht einlassen (sofern hier im Rahmen einer Prüfung der Weg über den Schadensersatzanspruch statt der Leistung i.S.d. § 281 BGB gewählt würde, wäre eine Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich, da besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen). Eine derartige Nachbesserung sei der Kundin nicht zuzumuten. Angesichts des Umfangs der aufgetretenen Mängel im vorliegenden Fall müsse sie dem Tätowierer nicht mehr vertrauen.
Examensrelevanz
Der kursorische Problemaufriss verdeutlicht, dass die von der Kundin geforderten Ansprüche auf Schmerzensgeld und auf Ersatz der Lasernachbehandlung im Wege verschiedener Anspruchsgrundlagen geltend gemacht werden können. Unabhängig davon, welche Anspruchsgrundlage geprüft wird, gilt es im hiesigen Fall zu erkennen, dass die mangelhaft ausgeführte Tätowierung eine Körperverletzung (und zwar gut vertretbar ohne wirksame Einwilligung) darstellt. Wer diesen inzidenter zu prüfenden Problemkreis nicht erkennt, wird bei der Prüfung nicht überzeugen. Die nachgelagerte Frage der Geltendmachung der Laserbehandlung bietet weitere Schwierigkeiten. Wer sich hier für einen Anspruch nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281, 634 Nr. 4, 631 BGB entscheidet, kann mit umfassender Argumentation im Rahmen der Abwägungsentscheidung i.S.d. § 281 Abs. 2 BGB punkten. Aufgrund der Vielzahl an Problemen eignet sich das mangelhafte Tattoo deshalb hervorragend als Stoff für Examensklausuren und mündliche Prüfungen.
Könnte man für die Laserbehandlung nicht auch Schadensersatz neben der Leistung gem. § 280 I BGB prüfen, Da ja eigentlich das Integritätsinteresse verletzt wurde?
Das halte ich auch für sehr gut vertretbar. Es kommt darauf an, ob man die Laserbehandlung als Form der Mangelbeseitigung oder als (Heil)Behandlung der Körperverletzung einordnet.
– Laserbehandlung zur Korrektur: SchErs statt der Leistung
– Laserbehandlung zur Entfernung: SchErs neben der Leistung
Meines Erachtens ist je nach Gestaltung eine Nacherfüllung auch vollkommen unmöglich und daher §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 634 Nr. 4, 631 BG anzuwenden.
Wieso wird die AGL des § 823 II mit 229 StGB verbunden? Handelt es sich nicht um eine vorsätzliche Körperverletzung, dessen rechtfertigende Einwilligung aufgrund eines rechtsgutbezogenen Willensmangels entfällt? Also § 823 II iVm. 223?
Oder entfällt aufgrund eines Erlaubnistatbestandsirrtums die Vorsatzstrafbarkeit und im Anschluss dessen ist der Tatbestand des § 229 erfüllt? Mir ist bewusst, dass das in den Details den Rahmen einer Zivilrechtsklausur sprengen würde; würde mich strafrechtlich aber interessieren.
Zivilrechtlich kann vielleicht noch nicht mal eine Abahme vorliegen und können daher nur Haftungsregeln vor Abnahme anzudenken sein. Zudem kann etwa auf Rechtfertigungsebene eine grundrechtliche Interessenkollision vorliegen. Dies vielleicht bezüglich einem Selbstbestimmungsrecht, allgemeinen Persönlichkeitsrecht und Recht auf körperliche Unversehrtheit auf Seiten des Tätowierten einerseits. Hingegen auf Seiten des Tätowierers bezüglich Kunstfreiheit o.ä. andererseits. Ausschlaggebend kann hier ein Selbstbestimmungsrecht und allgemeines Persönlichkeitsrecht sein. Solange begründet von selbstbestimmter Einverständlichkeit augegangen ist, kann dies gegen Rechtswidrigkeit und Ersatzansprüche sprechen. Ab klarer Kenntnis von fehlender Einverständlichkeit kann Rechtswidrigkeit und ein Anspruch auf Entfernung und (Schmerzens-)Ersatz etc. bestehen. Die Annahme von bereits früher Rechtswidrigkeit kann etwa zuwider dem Gedanken von Kunstfreiheit jeden Tätowierer für nur kleine Fehler mit Strafbarkeit („Gefängnis“) wegen fahrlässiger Körperverletzung bedrohen. Daher kann unter Umstäner sachgerechter eine Strafbarkeit ausscheiden, wenn erst später ab klarer Kenntnis mangelnder Einverständlichkeit Rechtswidrigkeit annehmbar wäre.