OLG Celle zum gutgläubigen Eigentumserwerb an einem Kraftfahrzeug nach unbegleiteter Probefahrt
In einer aktuellen und examensrelevanten Entscheidung (Urteil vom 12.10.2022 – 7 U 974/21) befasste sich das OLG Celle mit Fragen des gutgläubigen Eigentumserwerbs nach einer (unbegleiteten) Probefahrt. Schon auf den ersten Blick weckt der Fall Erinnerungen an eine Entscheidung des BGH (Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19), die schon in der Vergangenheit Teil von Examensklausuren war. Die Entscheidung des OLG Celle liegt zwar auf der Linie des BGH, einige Feinheiten und Wendungen im Sachverhalt machen eine Auseinandersetzung mit beiden Entscheidungen aber unerlässlich.
I. Der Sachverhalt
Ein Autohaus überließ einem angeblichen Kaufinteressenten X ein Kraftfahrzeug für eine einstündige Probefahrt, die dieser allein durchführte. In dem Fahrzeug waren zwei Sim-Karten verbaut, die eine Ortung durch die Polizei mit Unterstützung der Herstellerin grundsätzlich ermöglichen. Die Beklagte behielt die Zulassungsbescheinigung Teil II und einen Zweitschlüssel. X hatte bei dem Autohaus falsche Personalien angegeben und kehrte mit dem Fahrzeug von der Probefahrt nicht zurück. Stattdessen veräußerte das Fahrzeug an einen Dritten (G). G war auf das Fahrzeug über Ebay aufmerksam geworden, wo X das Fahrzeug für 32.550 € angeboten hatte. G und X verabredeten sich in einem Wohngebiet. G erschien wegen des Verkehrs zu spät an dem Treffpunkt, woraufhin X erklärte, dass er nun nicht mehr persönlich zu dem Treffpunkt kommen könnte, aber seine Partnerin P kommen würde. P erschien und legte dem G einen echten, der eingetragenen Person entwendeten Personalausweis vor. P hatte keine Zweifel an der Identität der P. Da die Ausstattung des Fahrzeugs von der Beschreibung im Inserat abwich, einigte man sich auf einen Kaufpreis von 31.000 €. G wurden gefälschte Papiere übergeben, die auf ihn echt wirkten. Der fehlende Zweitschlüssel sollte sich im Besitz von X befinden und G postalisch zugesendet werden.
Zwei Wochen später erschien G bei der Polizei und legte die gefälschten Zulassungspapiere vor. Das Fahrzeug wurde daraufhin in Verwahrung genommen und später an das Autohaus übergeben, das noch im Besitz der echten Zulassungspapiere und des Zweitschlüssels war. Das Autohaus veräußerte das Fahrzeug schließlich an K für 35.000 €. G beruft sich darauf, Eigentümer des Fahrzeugs gewesen zu sein und nimmt das Autohaus auf Zahlung von 35.000 € in Anspruch.
II. Die Entscheidung
Das OLG Celle gab der Klage des G statt. G habe vor der Veräußerung an K gutgläubig Eigentum an dem Fahrzeug erworben, sodass sich die Veräußerung des Autohauses an K als Verfügung eines Nichtberechtigten gemäß § 816 Abs. 1 S. 1 BGB darstellte und das Erlangte herauszugeben sei.
Zunächst war das Autohaus Eigentümer des Fahrzeugs. Durch die Probefahrt ging das Eigentum nicht an X über, es fehle ersichtlich an der Einigung. G habe aber von X gutgläubig gemäß §§ 932 Abs. 1, 929 S. 1 BGB Eigentum an dem Fahrzeug erworben. Eine Einigung zwischen G und „der Eigentümerin des Fahrzeugs“ habe stattgefunden, ebenso die Übergabe. Zwar war nach wie vor das Autohaus Eigentümer des Fahrzeugs, die Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb seien aber erfüllt. Das Fahrzeug sei dem Autohaus nicht abhandengekommen: Nach § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB tritt ein gutgläubiger Erwerb auf Grund der §§ 932 bis 934 BGB nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhandengekommen war. Eine bewegliche Sache kommt ihrem Eigentümer im Sinne von § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB abhanden, wenn dieser den Besitz an ihr unfreiwillig verliert, woran es fehlt, wenn sie durch Täuschung zu der Besitzaufgabe bestimmt worden ist. X habe das Autohaus über seine Absichten getäuscht, woraufhin ihm der Besitz zu Zwecken der Probefahrt freiwillig übertragen worden sei. Dass das Autohaus den Zweitschlüssel und die Papiere einbehalten habe, ändere hieran ebenso wenig, wie dass das Fahrzeug sich über die SIM-Karten theoretisch orten ließ. Diese bloße Ortungsmöglichkeit sei mit einer tatsächlichen Begleitung bei der Fahrt nicht vergleichbar. Einerseits bestehe diese Möglichkeit nur mit einiger zeitlicher Verzögerung, andererseits erlaube sie keine Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug. Es sei auch nicht erwiesen, dass G nicht gutgläubig gemäß § 932 BGB gewesen sei. Zwar begründet der Besitz des Fahrzeugs allein nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief (§ 25 Abs. 4 Satz 2 StVZO aF) bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Abs. 6 FZV) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten. Hier sei nicht erwiesen, dass sich G keine entsprechenden Papiere habe vorlegen lassen. Der Name im Personalausweis „der P“ stimmte im Übrigen mit dem in den gefälschten Papieren überein. Der bloße Umstand eines Straßenverkaufs begründe für sich genommen keine Nachforschungsobliegenheit des Erwerbers. Damit habe G gutgläubig das Eigentum an dem Fahrzeug erworben.
Dass die Polizei dem Autohaus das sichergestellte Fahrzeug übergab, hat keinen Einfluss auf die Eigentumslage. Die Veräußerung an K, ebenfalls nach § 932 Abs. 1, 929 S. 1 BGB, stellt daher eine Verfügung eines Nichtberechtigten dar. Das Autohaus ist daher zur Herausgabe des Erlangten (Kaufpreis abzüglich Mehrwertsteuer) verpflichtet.
III. Einordnung der Entscheidung
Regelmäßig geht es in Fällen zum gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen um Kraftfahrzeuge. Hier gilt es einige Besonderheiten zu beachten: So muss sich ein Erwerber beispielsweise die Fahrzeugpapiere vorlegen lassen, wobei grundsätzlich auch hochwertige Fälschungen den guten Glauben des Erwerbers nicht erschüttern. In diesem Fall hat der Erwerber sogar einen Anspruch gegen den Voreigentümer auf Herausgabe der echten Papiere. Die Frage nach den Besitzverhältnissen während der Probefahrt stellt sich, weil nur die Übergabe des Fahrzeugs zu Zwecken der Probefahrt freiwillig erfolgte. Sollte man dagegen zu dem Schluss kommen, dass das Autohaus während der Probefahrt Besitzer geblieben ist, wäre das Kraftfahrzeug dem Autohaus im Anschluss an die Probefahrt unfreiwillig abhandengekommen. Für Fragen des Besitzes bei einer unbegleiteten Probefahrt kann auf die Besprechung zu dem entsprechenden BGH-Fall verwiesen werden.
Das OLG Celle scheint für die Einigung unmittelbar auf P als Vertragspartei der Übereignung und als vermeintliche Eigentümerin abzustellen. Je nach Ausgestaltung des Falls liegt es aber zumindest nahe, die Klausur an dieser Stelle um eine Stellvertretung und eine Übergabe unter Einschaltung einer Geheißperson „aufzupumpen“.
Auf Rechtsfolgenseite des § 816 Abs. 1 BGB lässt sich schließlich thematisieren, was das „erlangte Etwas“ ist.
Wenn die Polizei demnach das Fahrzeug an den falschen Eigentümer herausgegebene haben sollte, sollte wohl nur der Staat dafür haften.
Möglicherweise war allerdings an den richtigen Eigentümer herausgegeben.
Es lag wohl zuvor ein Betrug gegenüber G durch X vor, soweit der Erwerber G um die Möglichkeit von Gewährleistungsrechten betrogen war. Danach könnte ebenso eine vorherige Übereignung an G wegen Verbotswidrigkeit unwirksam sein.
In Betracht könnte dabei noch ein hälftiger Ausgleichsanspruch von G aus Gesamtgläubigerschaft gegenüber X kommen.