ÖffRecht ÖII – August 2012 – 1. Staatsexamen NRW
Anm. Die Klausur lief vor gut einem Jahr, also im August 2012!
Vielen Dank an Christian für die nachträgliche Zusendung des Gedächtnisprotokolls zu der im August 2012 gelaufenen 2. Klausur im Öffentlichen Recht in NRW. Ergänzungen oder Korrekturanmerkungen sind wie immer gern gesehen.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Wie Ihr seht, reicht sogar ein Post auf unserer Facebook-Seite aus! Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Vorab vielen Dank!
Sachverhalt
Die nordrhein-westfälische kreisfreie Stadt S, die in unmittelbarer Nähe zur niederländischen Grenze liegt, beabsichtigt, Gemeinsinn und handwerkliche Fähigkeiten der Einwohner zu fördern. Daher will S in einer ihr gehörenden Liegenschaft in bester Innenstadtlage eine kommunale Textilwerkstatt einrichten und betreiben. Die Werkstatt soll kostenlose Strick- und Nähkurse für die Einwohnerinnen und Einwohner von S anbieten sowie ihre Erzeugnisse anschließend zur Refinanzierung des Kursangebotes verkaufen. Ein entsprechendes Angebot durch Privatunternehmen existiert in dieser Form in S bisher nicht.
Der Stadtrat fasst am 16.05.2011 einen Beschluss, die Textilwerkstatt als Regiebetrieb „Kaiserschnitt Textilmanufaktur“ (KTM) zu errichten. In dem Ratsbeschluss heißt es unter anderem:
(…)KTM vermittelt den Einwohnern und Einwohnerinnen von S durch ausgebildete Schneiderinnen und Schneider grundlegende Fähigkeiten im Schneiderhandwerk. Hierzu bietet KTM kostenlose Kurse an. Es wird nach eigenen Entwürfen gearbeitet. Maßkonfektion wird nicht angefertigt. (…)
Die in den Kursen der KTM hergestellten textilen Erzeugnisse werden einmal wöchentlich in den Räumen der Textilwerkstatt verkauft. Der Verkaufspreis soll kostendeckend sein. KTM bewirbt ihre Erzeugnisse auch außerhalb des Stadtgebietes von S, soweit dies wirtschaftlich sinnvoll und mit öffentlichen Zwecken vereinbar ist. (…)
Nachdem die KTM den Betrieb aufgenommen hat, entwickelt sich der Textilverkauf unerwartet gut. Die nach den eigenen Entwürfen der Kursteilnehmer angefertigten Unikate geben ihren Trägern das Gefühl, zum günstigen Preis Luxuskleidung zu tragen. Insgesamt erwirtschaftet die KTM einen leichten Überschuss.
Der mutig gewordene Stadtrat fasst deshalb am 15.09.2011 folgenden Beschluss, um den Überschuss weiter zu steigern:
KTM soll sich nunmehr auch um Kunden und Kundinnen aus dem nahen – insbesondere niederländischen – Ausland bemühen. Dazu verteilt KTM Werbebroschüren in niederländischen Grenzstädten. Außerdem nimmt KTM an niederländischen Verkaufsmessen teil.
Nach dem Verteilen niederländischer Werbebroschüren in den Grenzgemeinden den Nachbarlandes strömen Niederländerinnen scharenweise zu den Verkaufsveranstaltungen in die Textilwerkstatt.
Nachdem die örtlich zuständige Bezirksregierung durch den Anruf eines empörten niederländischen Schneiders von diesen Aktivitäten Kenntnis erlangt hat, weist sie den Oberbürgermeister von S zunächst telefonisch auf rechtliche Bedenken hin. Der Oberbürgermeister teilt diese Bedenken nicht. Dies teilt er der Bezirksregierung schriftlich mit. Daraufhin weist die Bezirksregierung den Oberbürgermeister von S an, die Ratsbeschlüsse vom 16.05.2011 und vom 15.09.2011 zu beanstanden. Dieser Weisung folgt der Oberbürgermeister, indem er schriftlich in Form einer begründeten Darlegung die Bedenken der Bezirksregierung darlegt. U.a. führt er aus, derartige Beschlüsse könnten in formaler Hinsicht nur in der Form einer Satzung ergehen. Zudem sei die Ausdehnung der Unternehmenstätigkeit ins Ausland rechtswidrig. Sie verstoße gegen die Grundsätze der kommunalwirtschaftlichen Betätigung.
Daraufhin berät der Rat erneut über seine Beschlüsse. Er lässt sich von den vom Oberbürgermeister übermittelten Argumenten der Bezirksregierung indes nicht überzeugen und verbleibt bei seiner Ansicht.
Nachdem die Bezirksregierung Kenntnis vom Inhalt der erneuten Beratung erlangt hat, habt sie die Beschlüsse vom 16.05.2011 und vom 15.09.2011 auf. Hierzu übersendet sie dem Oberbürgermeister von S eine Aufhebungsverfügung. Darin legt sie im Einzelnen ihre Rechtsauffassung dar. Sie führt u.a. aus, die Aufhebung sei zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes erforderlich.
Die Stadt S hält die Aufhebung für einen ungerechtfertigten Eingriff. Sie ist der Ansicht, ein schlichter Ratsbeschluss reiche als Handlungsform aus. Es sei nicht erkennbar, warum eine Satzung erforderlich sein solle. Gegen kommunalwirtschaftliche Bestimmungen werde nicht verstoßen.
Die Stadt S – vertreten durch ihren Oberbürgermeister – erhebt daraufhin gegen die Aufhebungsverfügung form – und fristgerecht Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht.
Aufgabe 1: Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?
Fortsetzung:
Unterstellen Sie, dass das Kursangebot der Textilwerkstatt rechtmäßig ist.Die kostenfreien Kurse werden unter den Einwohnern immer begehrter. Der in S lebende A möchte sich Anfang 2012 zu einem zwei Wochen später beginnenden Kurs anmelden. Die Stadt S lehnt dies mit der Begründung ab, der Kurs sei – was zutrifft – ebenso wie die weiteren Kurse im Jahr 2012 bereits ausgebucht. Eine Zulassung zu den Kursen erfolge in ständiger Praxis nach der Reihenfolge der Anmeldungen. Nunmehr erhebt A form- und fristgerecht Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht mit dem Begehren, die Stadt S möge ihn noch für einen Kurs im selben Jahr zulassen. Wenn der bedarf das Angebot übersteige, müssten zusätzliche Kurse eingerichtet werden. Die finanziellen Mittel hierfür seien wegen der überaus erfolgreichen Produktvermarktung zweifellos vorhanden.
Aufgabe 2:
Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?
Bearbeitungshinweise:
Die Aufgaben 1 und 2 sind in einem umfassenden Rechtsgutachten zu bearbeiten. Es ist auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen – ggf. in einen Hilfsgutachten – einzugehen.
Der Bearbeitung ist die Rechtslage auf dem Stand der zugelassenen Hilfsmittel zugrunde zu legen. Übergangsvorschriften sind nicht zu prüfen.
Von der Vereinbarkeit der Normen der GO NRW mit dem Grundgesetz, der Landesverfassung und dem Europarecht ist auszugehen.
URGS