NSU-Prozess: Die Aussage von Herrn. Prof. Dr. Mundlos – ein Prüfungsgespräch
Auch zum Jahresende beschäftigt der NSU Prozess vor dem OLG München die Öffentlichkeit. Am gestrigen Tage wurde der Vater einer der mutmaßlichen Mitglieder des sog. NSU als Zeuge vernommen, Herr Prof. Dr. Mundlos. Im Rahmen dieser Vernehmung soll es nach übereinstimmenden Medienberichten zu heftigen Wortgefechten zwischen dem Zeugen und dem vorsitzenden Richter gekommen sein. Grund genug, sich mit der Thematik einmal aus Prüfersicht zu befassen – heute im Rahmen eines Prüfungsgesprächs. Ebenso kann die Thematik gut als Zusatzfrage thematisiert werden.
Meine Damen und Herren, der NSU-Prozess dürfte Ihnen allen mittlerweile ein Begriff sein. Am gestrigen Tage hat der Strafsenat des OLG München unter Vorsitz von Herrn Götzl den Vater von Uwe Mundlos – ein mutmaßliches, aber mittlerweile verstorbenes NSU-Mitglied – als Zeuge vernommen.
Zum Aufwärmen: Muss der Vater im Verfahren vor dem OLG denn aussagen? Immerhin geht es ja auch um seinen Sohn.
Gemäß § 48 Abs. 1 StPO müssen die geladenen Zeugen erscheinen und auch zur Sache aussagen. Man könnte ganz kurz überlegen, ob dem Zeugen nicht ein Zeugnisverweigerungsrecht zukommen könnte gem. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Als Vater ist er jedenfalls mit seinem Sohn in gerader Linie verwandt. Allerdings ist der Sohn mittlerweile verstorben und demzufolge auch nicht im „NSU-Verfahren“ angeklagt. Ein Zeugnisverweigerungsrecht kommt nicht in Betracht. Dass hier inzident sicher auch eventuelle Tatbeiträge des Uwe Mundlos rechtlich gewürdigt werden, ist unerheblich. Denn Sinn und Zweck des § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist die Vermeidung einer besonderen Zwangslage für den Zeugen. Dieser soll nicht zu Lasten naher Angehöriger zur Wahrheit verpflichtet werden.
Genau. Bestünde sonst eine Möglichkeit des Vaters, hier nichts zu sagen?
Allenfalls könnte man darüber nachdenken, ob der Vater sich hier auf § 55 StPO – das Auskunftsverweigerungsrecht stützen könnte. Dann müsste er aber durch die Aussage sich oder einen Angehörigen nach § 52 StPO in die Gefahr einer Strafverfolgung bringen. Hierfür ist hier aber nichts ersichtlich. Damit bleibt es bei der Aussagepflicht des Vaters gem. § 40 Abs. 1 StPO.
So ist es. Aber noch einmal zu § 55 StPO. Sie sagen, dass hier keine Anzeichen ersichtlich sind. Das ist richtig. Aber einmal losgelöst vom Fall: stellen Sie sich vor, Sie sind Richter und haben einen Zeugen vor sich, bei dem eine Tatbeteiligung jedenfalls möglich erscheint, ohne dass allerdings bisher gegen diesen ermittelt wurde oder würde. Wie gehen Sie vor?
Gemäß § 55 Abs. 2 StPO ist ein Zeuge über sein Auskunftsrecht zu belehren. Wenn ich als Richter davon ausgehe, dass eine Tatbeteiligung möglich ist, dann würde ich sofort zu Beginn der Vernehmung belehren. Allerdings besteht die Belehrungspflicht in den sonstigen Fällen nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Zeuge selbst oder einen Angehörigen belasten könnte.
In Ordnung. Wir kommen also zu dem Ergebnis, dass der Zeuge hier aussagen muss. Nun war in der Berichterstattung die Rede davon, dass der Zeuge eine „Brotzeit“ dabei hatte, die er wohl auch auf seinem Tisch bereitwillig ausbreitete. Ganz allgemein gefragt: kann im Gerichtssaale jeder tun, was er will und wer kann im Einzelfall einschreiten?
Ich nehme an, dass die Sitzungsleitung dem Vorsitzenden obliegt.
Genauer! Sie nennen den Begriff der Sitzungsleitung. Finden Sie diesen in der StPO?
Ja. § 238 StPO bestimmt, dass die Sitzungsleitung dem Vorsitzenden obliegt. Gemeint ist hiermit insbesondere die inhaltliche Leitung der Sitzung, also insbesondere die Verteilung und Einräumung von Frage- und Äußerungsrechten.
Exakt. Vorliegend geht es aber eher darum, „Ordnung im Saal“ zu schaffen, als um sachlich-inhaltliche Aspekte der Verhandlung. Der Begriff der Sitzungsleitung ist daher missverständlich. Wo könnten wir hierzu etwas finden? Ein kleiner Ratschlag: die Frage stellt sich vom AG Waldbröl bis zum BGH.
Dann würde ich ins GVG schauen, das regelmäßig für alle Gerichte gilt. Hier gibt § 176 GVG vor, dass dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt – die sog. Sitzungspolizei.
Exakt so ist. Ist es nun grundsätzlich möglich, dem Zeugen das Auftischen seiner Brotzeit auf dem Zeugentisch und das Verzehren der selbigen während der Vernehmung zu verbieten?
Sie fragen nach einer Ermächtigungsgrundlage für ein mögliches Verbot. § 177 Satz 1 GVG setzt bereits ausdrücklich voraus, dass Anordnungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffen werden können. Hierzu ist wie gesagt der Vorsitzende ermächtigt gem. § 176 GVG, der auch als Ermächtigungsgrundlage benannt werden kann. Zu fragen wäre damit, ob die Brotzeit die Ordnung in der Sitzung beeinträchtigt.
Und wie sehen Sie das? Bzw. was verstehen Sie zu erst einmal unter dem Begriff der „Ordnung“?
Der Begriff der Ordnung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Gemeint ist hiermit, dass
während der Sitzung kann jedes Verhalten untersagt werden, das mit dem Ansehen und der Würde des Gerichts sowie der Durchführung einer geordneten Hauptverhandlung nicht vereinbar ist oder andere Rechtsgüter verletzt.
M.w.N. Graf in Beck-OK, § 176 GVG, Rn. 8.
Relevant sind damit vorrangig zwei Aspekte: die Würde des Gerichts sowie die geordnete Durchführung der Hauptverhandlung. Die Durchführung der Hauptverhandlung wäre u.U. dann nicht mehr gesichert, wenn die Brotzeit hier tatsächlich störende Auswirkungen hätte, abseits bloßer Pietätsgründe. Das dürfte hier nicht vorliegen.
Und das Ansehen des Gerichts?
Sicher könnte hier die Würde des Gerichts betroffen sein, wenn jeder im Saal sein Essen auspackt und ein ernstes Strafverfahren wie eine Picknickveranstaltung der Justiz anmutet. Denn vor allem für den Angeklagten stellt das Strafverfahren regelmäßig eine ernste Angelegenheit dar, die nicht ins Lächerliche gezogen werden darf. Gerade auch der Zeuge soll sich der besonderen Bedeutung der Hauptverhandlung und des besondere Rahmens bewusst werden. Dieses Bewusstsein soll nicht durch Banalitäten wie eine Brotzeit geschmälert werden. Anders sieht die Sache sicher aus, wenn der Zeuge aus medizinischen Gründen essen oder trinken muss. Hier kommt es also auf den Einzelfall an. Man könnte ebenso gut argumentieren, dass ein bloßes Essen – so lange es nicht offensichtlich störend ist (durch lautes Schmatzen z.B.) – einen alltäglichen Vorgang darstellt und auch im Rahmen einer anstrengenden Vernehmung durchaus ein menschliches Bedürfnis darstellt. Zudem dürfte ein Trinken bei langen Redezeiten jedenfalls zulässig sein.
Ich denke auch, dass hier beide Ansichten gut vertretbar sind. Aber nun zu einem weiteren Aspekt: der Zeuge soll den Richter vorliegend fast beleidigt haben. Es sollen die Worte gefallen sein: „Sie sind ein kleiner Klugsch…“. Nehmen wir hier mal an, der Zeuge hätte den Richter hier als „kleinen Klugscheißer“ bezeichnet. Bleibt derartiges ohne Konsequenzen?
Das kommt auf das Gericht bzw. den Vorsitzenden an. Gemäß § 178 Abs. 1 GVG könnte der Zeuge hier wegen „Ungebühr“ mit einem Zwangsgeld belegt werden, unabhängig davon, dass die Aussage hier u.U. gem. § 185 StGB strafbar wäre.
Lassen Sie mich kurz unterbrechen, da sie die Beleidigung ansprechen. Nehmen wir mal an, bei einer derartigen Äußerung handelt es sich tatbestandlich um eine Beleidigung. Worauf könnte sich der Zeuge unter Umständen berufen und mit welcher Folge?
Zu denken wäre an die Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB, womit eine Beleidigung unter Umständen gerechtfertigt wäre.
Ohne nun eine umfassende Abwägung, auch anhand er Grundrechte vorzunehmen. Was sagen sie: strafbar oder nicht?
Ich würde mich für eine Strafbarkeit entscheiden, da die Äußerung des Zeugen hier wohl einzig und allein dazu diente, den Vorsitzenden anzugreifen und herabzuwürdigen (besondere der Zusatz „kleiner“ deutet hierauf hin), ihn und das ganze Verfahren lächerlich zu machen. Im Ergebnis müsste man aber alle Umstände des Einzelfalls untersuchen.
Einverstanden! Nun sagten Sie, ein Ordnungsgeld wäre denkbar. Wie sieht es denn mit er Strafbarkeit aus? Erst Ordnungsgeld und dann unter Umständen Geldstrafe?
Nein, denn ein Bußgeld wird gem. Abs. 3 angerechnet. Das gebietet auch das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 103 Abs. 3 GG.
Sehr gut erkannt. Nun noch zu einem letzten Aspekt, der vielleicht etwas außerhalb des Strafrechts liegt und daher nur eine Bonusfrage sein soll: Herr Prof. Dr. Mundlos hat den Vorsitzenden „ermahnt“, ihn mit „Professor“ anzureden, was dieser verneinte. Hätte eine Anrede mit „Herr Professor“ denn erfolgen müssen?
Schon Altbundeskanzler Kohl wollte ja von bestimmten Journalisten nur mit Herr Dr. Kohl angesprochen werden. Ein Anspruch könnte sich hier gegenüber der staatlichen Einrichtung Gericht aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergeben. Dann müsste hier der soziale Geltungsanspruch, der ja in den Schutzbereich des APR fällt, einen derartigen konkreten Anspruch begründen können. Rein formell gesehen gehört der Doktortitel (und wohl auch der Professorentitel) nicht zum Namen, vgl. § 5 Abs. 2 Personalausweisgesetz. Die Äußerung von Richter Götzl, „Herr Dr. Mundlos sei Ihr Name“, so sie denn gefallen sein sollte, dürfte demnach falsch sein.
Vielen Dank. Die Prüfung endet hier.
Fazit: Fragen zum tatsächlichen Ablauf in der Sitzung oder Hauptverhandlung sind natürlich in erster Linie bei Prüfern aus der Praxis zu erwarten, hier aber dann äußerst beliebt. Ohnehin bietet das NSU Verfahren ja nahezu unendliche Anknüpfungspunkte für Prüfungsgespräch.
sehr gut! gerade in Anbetracht einer baldigen mündlichen Prüfung! bitte mehr davon!!
Bei der ersten Frage/Antwort müsste es § 48 Abs. 1 StPO statt § 40 Abs. 1 StPO heissen.
Danke und verbessert!
toller beitrag, besten dank !!
Klasse, weiter so! Diese Beiträge sind großartig.