NSU-Prozess: Der Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung
Wie freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Philipp Karl veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat erfolgreich in Mannheim absolviert.
Anlässlich der aktuellen Diskussion im NSU-Prozess beschäftigt sich dieser Beitrag mit der notwendigen Verteidigung (I.) und den Voraussetzungen unter denen die Bestellung zum Pflichtverteidiger widerrufen werden kann (II.).
Die vor dem Münchener Oberlandesgericht wegen zahlreicher durch den sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) begangener Verbrechen angeklagte Beate Zschäpe wurde zunächst durch drei ihr beigeordnete Pflichtverteidiger verteidigt. Ihr Antrag auf Entpflichtung dieser Verteidiger wurde abgelehnt, stattdessen wurde ihr ein vierter Pflichtverteidiger beigeordnet (siehe hier). Im Gegenzug stellten die drei ursprünglichen Pflichtverteidiger ihrerseits den Antrag sie von der Pflichtverteidigung zu entbinden (siehe hier).
I. Allgemeines zur notwendigen Verteidigung
In § 137 Abs. 1 S. 1 StPO ist geregelt, dass der Beschuldigte sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen darf. Dieses Recht ist ein elementarer Bestandteil des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren (BVerfG, Beschl. v. 25.09.2001 -2 BvR 1152/01 = NJW 2001, 3695 ff.) und findet sich auch in Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK.
Allerdings besteht nicht nur ein Recht des Angeklagten sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, sondern es gibt auch Fälle in denen die Mitwirkung eines Verteidigers von Gesetzes wegen obligatorisch ist.
Hierbei handelt es sich um die sog. Fälle der notwendigen Verteidigung, welche in § 140 StPO geregelt sind.
Dadurch soll eine wirksame Verteidigung des Angeklagten gewährleistet werden. Dabei wird der Pflichtverteidiger aber nicht nur im Interesse des Angeklagten tätig, sondern dient auch der Strafrechtspflege, indem er dafür Sorge zu tragen hat, dass das Verfahren sachdienlich und prozessual in geordneten Bahnen durchgeführt wird (BGH; Urt. v. 07.11.1991 – 4 StR 252/91 = BGHSt 38, 111 ff.).
Im Prozess gegen die Angeklagte Zschäpe liegt unter mehreren Gesichtspunkten ein Fall der notwendigen Verteidigung vor (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 StPO).
Wird der Vorschrift des § 140 StPO in der Regel mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers genüge getan, so kann es wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit des Verfahrens die prozessuale Fürsorgepflicht gebieten mehrere Pflichtverteidiger zu bestellen, um eine wirksame Verteidigung zu gewährleisten. Unter diesem Gesichtspunkt wurden der Angeklagten Zschäpe zunächst gleich drei Verteidiger beigeordnet. Die Anzahl von Pflichtverteidigern, die durch das Gericht bestellt werden können, ist gesetzlich nicht beschränkt. Die Regelung des § 137 Abs. 1 S. 2 StPO, welche die Zahl der Wahlverteidiger auf drei beschränkt, ist auf die Pflichtverteidigung nicht anwendbar (Meyer-Goßner, § 141 StPO, Rn.: 2), sodass sie auch nicht der späteren Beiordnung des vierten Pflichtverteidigers der Angeklagten entgegenstand.
Bei der Auswahl des notwendigen Verteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wird von ihm ein Verteidiger seiner Wahl bezeichnet, ist dieser grundsätzlich als Pflichtverteidiger zu bestellen, es sei denn ein wichtiger Grund steht dem entgegen (§ 142 Abs. 1 StPO).
Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist für den Verteidiger gemäß § 49 Abs. 1 BRAO grundsätzlich bindend. Dabei kann die Bestellung für den jeweiligen Pflichtverteidiger durchaus belastend sein, weil die Vergütung des Pflichtverteidigers grundsätzlich niedriger ist als die eines Wahlverteidigers. Andererseits hat der Pflichtverteidiger gemäß § 45 Abs. 3 RVG im Gegenzug einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse und erhält somit einen solventen Kostenschuldner.
II. Der Widerruf der Bestellung zum Pflichtverteidiger
Die Zurücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen der Auswahl eines Wahlverteidigers durch den Beschuldigten ist in § 143 StPO und die Ausschließung eines Verteidigers wegen des Verdachtes strafbarer Handlungen in § 138a StPO geregelt.
Der Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung aus wichtigem Grund hat hingegen keine gesetzliche Regelung in der StPO erfahren, ist nach ganz herrschender Meinung aber zulässig (Meyer-Goßner, § 143 StPO, Rn.: 3).
Ein solch wichtiger Grund liegt insbesondere dann vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger derart gestört ist, dass der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist (OLG Hamm, Beschl. v. 19.01.2006 – 2 Ws 296/05 = NJW 2006, 2502 ff.). Da der Verteidiger das Verfahren in eigener Verantwortung führt und nicht an die Weisungen des Angeklagten gebunden ist, reichen Meinungsverschiedenheiten über die Verteidigungsstrategie nicht ohne weiteres aus, um von einem gestörten Vertrauensverhältnis ausgehen zu können, welches den Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung rechtfertigt (BGH, Urt. v. 08.02.1995 – 3 StR 586/94) = JR 1996, 124 ff.). Hierzu bedarf es nicht zu beseitigende Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept (OLG Hamm, Beschl. v. 19.01.2006 – 2 Ws 296/05 = NJW 2006, 2502 ff.).
Jedenfalls ist eine substantiierte Begründung der nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses erforderlich (BGH, Urt. v. 08.02.1995 – 3 StR 586/94) = JR 1996, 124 ff.).
Bereits hieran scheiterte der Antrag der Pflichtverteidiger der Angeklagten Zschäpe. Aus welchen Gründen genau sie das Vertrauensverhältnis als irreparabel gestört ansehen, haben sie unter Hinweis auf ihre gemäß § 43a Abs. 2 BRAO bestehende anwaltliche Schweigepflicht nämlich nicht näher ausgeführt.
Für die Frage, ob die zwischenzeitlich durch die Angeklagte gegen ihre Pflichtverteidiger eingereichte Strafanzeige (siehe hier) wegen Geheimnisverrates (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) dazu geeignet ist, einen den Widerruf rechtfertigenden Vertrauensverlust zu rechtfertigen, wird man die Substanz des gegen die Pflichtverteidiger erhobenen Tatvorwurfes abwarten müssen. Eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht würde als grobe Pflichtverletzung und strafbare Handlung gegenüber der Angeklagten eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses nachvollziehbar machen. Haltlose Vorwürfe sind hierzu allerdings nicht geeignet, da es der Angeklagten verwehrt bleiben muss einen Verteidigerwechsel zu erzwingen. Andernfalls hätte sie es jederzeit in der Hand den Prozess, unter bloßer Berufung auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis, zu torpedieren (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 19.01.2006 – 2 Ws 296/05 = NJW 2006, 2502 ff.).
Bei einer zu treffenden Entscheidung könnten jedenfalls auch verfahrenssichernde Aspekte Berücksichtigung finden (BVerfG, Beschl. v. 25.09.2001 -2 BvR 1152/01 = NJW 2001, 3695 ff.). Angesichts des umfangreichen Prozessstoffes wäre eine wirksame Verteidigung der Angeklagten ohne Verteidiger, die dem Prozess von Beginn an beiwohnten nämlich kaum noch möglich.
Dabei muss man sich die Lage des Gerichtes vor Augen führen, welches Gefahr laufen würde, dass ein Prozess platzt, der bereits über 200 Verhandlungstag und Millionen Euro an Steuergeldern in Anspruch genommen hat. Ein solches Szenario würde dem berechtigten Interesse der Angehörigen der Opfer des NSU und der Öffentlichkeit an der Aufklärung des Sachverhaltes zuwiderlaufen und das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat erschüttern.
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