Neues Wahlrecht in der Diskussion oder „Welcome to North Korea“
Gestern wurde in zahlreichen Quellen (siehe nur beck aktuell) berichtet, dass nach dem erneuten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtswidrigkeit des Bundeswahlgesetzes (2 BvF 3/11;- 2 BvR 2670/11; 2 BvE 9/11; siehe hierzu unseren Beitrag) nunmehr fertige Modelle für eine Anpassung des Bundeswahlgesetzes vorliegen.
Das Gesetz hat zum Ziel, sämtliche Überhangmandate proportional auszugleichen, so dass keine Stimmwertungleichheit aus diesem Grund mehr bestehen kann. Nicht klar wird anhand der vorliegenden Informationen freilich, ob die Überhangmandate im jeweiligen Bundesland auszugleichen sind, oder ob – natürlich anhand der Zweitstimmen – eine Verteilung über die gesamte Bundesrepublik erfolgen soll. Hier gilt es das endgültige Gesetz abzuwarten. Fest steht allerdings schon jetzt, dass durch den vollständigen Ausgleich der Überhangmandate eine deutliche Steigerung der Abgeordnetenzahl eintritt – die Rede ist hier von einer Erhöhung auf 700 Abgeordnete (ggü. regulären 598). Dies wäre dann, wie der Spiegel mit ironischem Unterton bemerkt, nach China und vor Nordkorea das weltweit zweitgrößte Parlament. Ob man dies will und sich in dieser illusteren Gesellschaft wiederfinden möchte, bleibt dahingestellt.
Viel schwerer wiegt freilich, dass in den bisherigen Meldungen nicht deutlich wird, ob auch das vom BVerfG vielfach gerügte negative Stimmgewicht durch gesetzliche Neuregelungen beseitigt wurde. Zu dieser Problematik und möglichen Lösungsvorschlägen siehe unseren ausführlichen Beitrag zur Verfassungsgerichtseinscheidung. Sollte dies unterblieben sein, bleibt das BWahlG verfassungswidrig. Ein erneutes Urteil des BVerfG wäre dann zu erwarten und würde einem Super-Gau gleichen und die Politikverdrossenheit der Bürger (zu recht) noch deutlich steigern.
Es bleibt damit zu hoffen, dass die Einigung der Fraktionen deutlich weiter geht als die Pressemeldungen vermuten lassen. Dann bekäme Deutschland vor der Bundestagswahl doch noch ein verfassungsgemäßes Wahlgesetz.
Das „verfassungswidrige Wahlrecht“ war Thema im ÖR I im Staatsexamen Berlin diese Woche. Die Klausur war, gelinde gesagt, schwer zu verstehen und ließ im Sachverhalt viel offen. Schade, dass das GJPA so etwas stellt. In einer normalen ÖR-Klausur gibt es wenigstens einen konkreten Sachverhalt, der an abstrakten Normen zu messen ist. Hier war ein abstrakter Sachverhalt an abstrakten Normen zu messen.
Da kann ich dir nur zustimmen. Ich fand ihn auch sehr schwer zu verstehen: Insbesondere ist mir bis heute nicht klar, ob das Gesetz nur „beschlossen“, wie es im SV stand, oder tatsächlich aus ausgefertigt (auch ausgefertigt) wurde, weil weiter unten dann etwas von dem „nun geltenden Recht“ stand. Das fand ich wirklich ärgerlich – schließlich macht das im Rahmen der Rechtsschutzmöglichkeiten ja einen erheblichen Unterschied aus, ob es sich um ein zukünftiges oder ein ausgefertigtes Gesetz handelt.
Es wäre super, wenn ihr eine kurze Sachverhaltsschilderung (Stichpunkte genügen notfalls) an examensreport@juraexamen.info senden könntet. So könnte die Klausur auch anderen zugänglich gemacht werden, was auch zu einer breiteren Diskussion beitragen könnte.
Ich frage mich: Wieso wird nicht einfach die Zahl der Abgeordneten gesenkt, z.B. auf 500? Dann würde es mit den zu erwartenden Ausgleichsmandaten bei rund 600 Abgeordneten bleiben. Oder würde das der großen Bevölkerungszahl nicht mehr gerecht? Andererseits haben andere bevölkerungsreiche Länder auch kleinere Parlamente als wir.
Das Problem daran wäre, dass ALLE Wahlkreise neu bestimmt werden müssten – aus 299 würden dann ja 250. Das ganze hätte dann einen extremen verwaltungstechnischen Aufwand zur Folge – ob das finanziell günstiger wäre, weiß ich nicht.
Im Übrigen sprechen dagegen auch politische Gründe: Wer verzichtet schon gerne auf seinen Wahlkreis, in dem er sich „gemütlich eingerichtet“ hat. 49 Abgeordnete müssten dies aber – Streit wäre also vorpprogrammiert.