LG Hamburg: Dreieinhalb Jahre für eppendorfer Unfallfahrer
Mit Urteil vom heutigen Tage hat das Landgericht Hamburg einen Mann zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, der im Frühjahr diesen Jahres in Hamburg-Eppendorf einen schweren Verkehrsunfall verursacht hatte. In die Schlagzeilen geriet der Unfall auch, weil vier Prominente ums Leben kamen. Nach den Sachverhaltsschilderungen, die den Medien zu entnehmen sind, war der Mann mit seinem Kleinwagen in eine Passantengruppe geschleudert, die an einer Ampel gewartet hatte. Das Tragische: Der Angeklagte erlitt zu diesem Zeitpunkt einen epileptischen Anfall. Wie den Nachrichten aber zu entnehmen ist, hatte der Mann bereits im Vorfeld mehrere Unfälle auf Grund seiner Erkrankung verursacht.
Ein Fall, der sich gut für den Einstieg in eine mündliche Prüfung eignet, vor allem um den auch bei Examenskandidaten nicht immer sicher beherrschten Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts zu prüfen.
Der Fahrer könnte sich vorliegend strafbar gemacht haben gem. §§ 222, 52 StGB.
Täter und Taterfolg
Der Fahrer hat den Unfall verursacht. Der Taterfolg ist eingetreten, vier Menschen sind tot.
Tathandlung
Weiterhin müsste eine taugliche Tathandlung vorliegen. Diese kann in einem Tun oder Unterlassen bestehen. Wichtig ist an dieser Stelle nicht auf den Unfall an sich abzustellen! Denn auf Grund des epileptischen Anfalls wird sich genau zu diesem Zeitpunkt weder ein Fahrlässigkeits- noch ein Schuldvorwurf konstruieren lassen. Abzustellen ist vielmehr auf das Autofahren an sich (gedanklich muss hier schon vorgemerkt werden, dass der Angeklagte schon vorher Unfälle auf Grund seiner Erkrankung verursacht hat). Entscheidend also beim Fahrlässigkeitsdelikt: Abgestellt werden kann im Rahmen der Tathandlung auf alle Umstände, die kausal für den Taterfolg geworden sind.
Kausalität
Das Fahren mit dem Auto müsste auch kausal für den eingetretenen Taterfolg gewesen sein. Das ist vorliegend der Fall, da der Unfall ohne die Autofahrt nicht geschehen wäre.
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung und Vorhersehbarkeit
Nicht jede Schaffung einer Gefahrenquelle ist sorgfaltswidrig. Erlaubte Risiken fallen hierunter nicht, beispielsweise das Autofahren an sich als bekannteste erlaubte Gefahr. Hier liegt nun einer der Schwerpunkte der Klausur. Maßstab für die Sorgfaltspflichtverletzung ist ein gewissenhafter Mensch und dessen Beurteilung der Sachlage aus ex-ante Sicht. Hier muss festgehalten werden, dass das Autofahren mit der ständigen Gefahr eines epileptischen Anfalls als objektiv sorgfaltswidrig zu bezeichnen ist. Gerade bei der Epilepsie handelt es sich um eine Krankheit, die im Falle eines Anfalls dazu führt, dass der Fahrer eines PKW überhaupt keine Kontrolle mehr über sein Auto und die sonstigen Verkehrsvorgänge hat. Das Fahrzeug wird in einem solchen Fall zum unkalkulierbaren Risiko, das gerade im Straßenverkehr zu immensen Schäden führen kann. Eine objektive Sorgfaltspflicht ist damit zu bejahen.
Der eingetreten Kausalverlauf müsste darüber hinaus auch objektiv vorhersehbar gewesen sein- dies jedoch nicht bis ins letzte Detail. Maßstab ist hier die Lebenswahrscheinlichkeit. Der sich ereignete Autounfall an einer belebten Kreuzung in Hamburg blieb innerhalb dieser Wahrscheinlichkeitsgrenze (auf Sachverhalt und Atypik im konkreten Fall achten).
Objektiver Zurechnungszusammenhang
Abzustellen ist auch hier auf die Tathandlung, also das Autofahren an sich. Umstände, die den Zurechnungszusammenhang entfallen ließen (z.B. rechtmäßiges Alternativverhalten), sind nicht ersichtlich.
Rechtswidrigkeit
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
Schuld – subjektiver Sorgfaltsverstoß und Vorhersehbarkeit
Für eine Schuldunfähigkeit des Fahrers ist vorliegend nichts ersichtlich. Maßstab für den subjektiven Sorfaltspflichverstoß und die Vorhersehbarkeit ist der Fahrer selbst. Hier gibt der Sachverhalt wenig Auskunft. Sicher ist aber, dass der Fahrer schon mehrfach selbst erlebt hat, zu was ein epileptischer Anfall beim Fahren eines PKW führen kann. Dass dabei bisher keine derart schlimmen Folgen eingetreten sind, ist unerheblich. Unerheblich ist auch ein Hoffen darauf, dass schon alles „gut gehen“ werde.
Ergebnis
Der Täter hat sich damit strafbar gemacht gem. §§ 222,52 StGB
Prozessual fraglich ist, warum die StA Anklage zum Landgericht erhoben hat. Denn die fahrlässige Tötung ist Vergehen und daher grds. vor dem AG anzuklagen. Möglicherweise aufgrund der Straferwartung von über vier Jahren, wobei der Antrag der StA selbst darunter lag. Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG kann aber auch auf Grund der besonderen Bedeutung des Falles Anklage zum Landgericht erhoben werden. So steht nämlich der schnelle Weg zum BGH offen. Womöglich geht die Sache also nach Karlsruhe, vor allem im Hinblick darauf, dass die Verteidigung vorliegend auf Freispruch plädiert hatte.
Außerem noch §316c StGB.
@AndiG: Wohl eher 315c III Nr. 1.
Die besondere Bedeutung des Falles sehe ich eher in dem Umstand, dass Prominente beteiligt gewesen sind.
Im Übrigen: ist es nicht dogmatisch unsauber, wenn man von Tateinheit spricht, dann aber nur ein Delikt nennt?
AFAIK hat die StA dem Angeklagten hier außerdem noch 229 und besagten 315c III Nr. 1 vorgeworfen.
jop. 315c und 229 kämen auch in frage.
fokus sollte aber beim 222 liegen.
M.E. ist der Fall als Alic zu prüfen: Fahrlässige Tötung und/oder Gefährdung des Straßenverkehrs
Tathandlung: Über die Kreuzung fahren – Schuldfähigkeit MINUS wegen epilepischen Anfalls
Danach steigt man in die Alic-Prüfung ein, zum Beispiel mit der Entbehrlichkeit der Schuldfähigkeit im Tatzeitpunkt, oder dem Losfahren als Tathandlung, bei dem dann die Kausalität fehlt etc.
Da hatte ich kurz drüber nachgedacht. Die ALIC ist i.E. aber immer eine Hilfskonstruktion, die stark vom üblichen Delitktsaufbau abweicht und ja auch nicht unumstritten ist.
Meiner Meinung braucht man sie daher vorliegend nicht, da der Fall mit den bekannten Werkzeugen (Fahrlässigkeitsdelikt, Anknüpfen an die pflichtwidrige, vorhersehbare Handlung an sich) gelöst werden kann.
Grüße
Ich finde nicht, dass das Ausnahmemodell der vorsätzlichen actio libera in causa hier passt.
Für ein Tätigkeitsdelikt wie 315c ist das nach rein dogmatisch nicht möglich.
Im Übrigen hätte ich auch insgesamt Bedenken, einen Vorsatz hinsichtlich des Herbeiführens der Schuldunfähigfähigkeit und der späteren Tat anzunehmen.
Hinsichtlich 222 ist der Rückgriff auf die alic jedenfalls dann nicht nötig, wenn man mit dem BGH „jedes in Bezug auf den tatbestandsmäßigen Erfolg sorgfaltswidrige Verhalten als ursächlich betrachtet, das den Erfolg herbeiführt“.