Leistungsverweigerung wegen Corona-Gefährdung
Wir freuen uns, einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing veröffentlichen zu dürfen. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.
Muss ein Lehrer Präsenzunterricht geben, obwohl er zur Risikogruppe gehört? Das Arbeitsgericht Mainz (v. 10.6.2020 – 4 Ga 10/20) hat den Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung abgelehnt, mit der ein 62jähriger Lehrer unter Berufung auf sein Alter seinem Arbeitgeber, einer Berufsschule mit Förderunterricht, verbieten lassen wollte, ihn während der Corona-Pandemie zu Präsenzunterricht heranzuziehen. Er meint, sich damit unzumutbar gesundheitlichen Risiken auszusetzen, obwohl ein Interesse an solchem Präsenzunterricht nicht ersichtlich sei.
Das Arbeitsgericht widersprach ihm und argumentierte, dass die Schulen einen Ermessensspielraum haben, wie sie den Gefahren der Corona-Pandemie begegnen wollen, und es nicht Aufgabe der Gerichte ist, vorab zu entscheiden, welcher Lehrer wie eingesetzt werden könne. Im konkreten Fall kam hinzu, dass der Antragsteller Einzelunterricht in einem 25qm großen Raum erteilen soll, wo nach Einschätzung des Gerichts hinreichend Abstand gewahrt werden kann. Die Auffassung des Diplom-Pädagogen, es bestehe kein Interesse an seinem Präsenzunterricht, konnte das Gericht nicht nachvollziehen, da er benachteiligten Schülern Förderunterricht erteilt, die typischerweise nicht aus Akademikerhaushalten stammen, wo sie problemlos Internetzugang und Unterstützung durch ihre Eltern haben.
Letztlich geht es um die Unzumutbarkeit der Arbeitsleitung, die zu einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB führt:
„Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.“
Die Messlatte ist hier hoch und es werden bislang eher andere Fälle hierunter diskutiert, wie die Kommentierung von Ernst im MüKo deutlich macht:
„Als Einzelfälle (teilweise mit Lehrbuchcharakter) werden genannt: lebensgefährliche Erkrankung des Kindes der zum Auftritt verpflichteten Sängerin; strafbewehrte Einberufung des türkischen Arbeitnehmers zum Wehrdienst in der Türkei; während der Arbeitszeit notwendige Arztbesuche (fraglich), notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger. Auch die Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen fällt unter Abs. 3; eine Beschränkung der zu berücksichtigenden Schuldnerbelange derart, dass Gewissenskonflikte unbeachtet bleiben müssten, ist im Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen.“ (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019 Rn. 123, BGB § 275 Rn. 123)
Wer hier tiefer einsteigen will, der sollte lesen: Stefan Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004. Eine ganze Doktorschrift über einen Absatz eines Paragraphen. Dort insb. S. 290 ff. zur Unzumutbarkeit aus Gesundheitsgründen.
Daneben hätte der Lehrer wohl auch ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Pflichten aus § 618 Abs. 1 BGB geltend machen können (BAG AP BGB § 618 Nr.23; AP BGB § 618 Nr.24; AP BGB § 618 Nr. 27; AP BGB § 273 Nr. 4). Aber die Pflicht hätte dann eben auch verletzt sein müssen:
„Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet.“
Das Argument, an meinem Unterricht besteht doch gar kein Interesse hätte wohl nur im Rahmen des § 106 S. 1 GewO relevant sein können:
„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.“
Die Schule weist dem Arbeitnehmer die Arbeit zu und es wäre unbillig – und damit nicht bindend (s. BAG v. 28.11.2019 – 8 AZR 125/18 – AP GewO § 106 Nr. 42) – wenn an der eingeforderten Leistung gar kein Interesse bestehen würde, sie also letztlich nur aus Schikane erbracht werden müsste. Das war aber nicht der Fall.
Vielleicht will man hier ein Verweigerungsrecht etwa noch aus einem Zurückbehaltungsrecht aus Notrechten als mögliche Gegenrechte herleiten o.ä.
Man könnte hier bei einer konkreten Lehrertätigkeit eine jedenfalls subjektiv mögliche Gesundheitsgefahr annehmen.
Schutz von entsprechenden Gesundheitsinteressen kann Interessen an konkreter Ausübung einer entsprechenden Lehrertätigkeit wesentlich überwiegen.
Dies auch angesichts einer grundsätzlichen Fürsorgepflicht gegenüber einem Lehrer.
Verweigerung einer Lehrertätigkeit kann dabei zum Schutz grundsätzlich
geeignet und erforderlich sein.
Ebenso Ebenso eventuell verhältnismäßig und angemessen.
Verweigerung muss nicht sorgfaltspflichtwidrig wirken.
Ähnlich wie man bei unzulässigen Fragen aufgrund von Notrechten grundsätzluch eventuell unrichtig Antworten dürfen soll, kann man sich eventuell bei möglich unzulässiger beruflicher Beschäftigung zur Verweigerung zulässig noch mit auf Notrechte berufen?