Krawattenzwang an deutschen Gerichten?
Kleider machen Leute – oder zumindest Anwälte. Dies scheint zumindest die neue Rechtsprechung des LG München II vermuten zu lassen. Worum ging es dabei? Das Landgericht hatte einen Anwalt, weil dieser sich verweigerte, die vom Gericht erwartete Kleidung unter der Robe – weißes Hemd und Krawatte – zu tragen, aus der Sitzung verwiesen.
So kurios und kleinlich wie der Fall beim ersten Hören aber wirken mag, so birgt er dennoch interessante juristische Fragen: Zum einen die Problematik der Zulässigkeit eines Sitzungsverweises, zum anderen die spannende Frage, auf welcher Grundlage überhaupt erwartet werden kann, dass sich Anwälte und andere Prozessbeteiligte entsprechend zu kleiden haben. Bedeutsam sind diese Fragen gerade auch deshalb, weil die Frage der entsprechenden Kleiderordnung bereits mehrere Gerichte der Republik beschäftigt hat. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang sicherlich der sogenannte „Mannheimer Krawattenstreit“ (LG Mannheim, Urteil v. 6.2.2009 – 14 Qs 40/08; 14 Qs 45/08) auf den unten noch eingegangen werden wird, und der als Stichwort in einer mündlichen Prüfung parat sein sollte, gehört dieser Paradefall der vermeintlichen deutschen Bürokratie und Spießigkeit doch zur juristischen Allgemeinbildung.
Frage der Rechtsgrundlage für Sitzungsausschluss
Ein denkbarer Einstieg in die mündliche Prüfung wäre die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit eines Sitzungsausschlusses von Prozessbeteiligten. Hierzu führt das LG Mannheim in einer Entscheidung vom 27.01.2009 – 4 Qs 52/04; 4 Qs 52/08 aus:
§ 176 GVG gibt in diesem Zusammenhang dem Vorsitzenden als Sitzungspolizei grundsätzlich die Befugnis, einen (aus prinzipiellen Erwägungen) ohne Robe auftretenden Rechtsanwalt in der betreffenden Sitzung zurückzuweisen. Der Vorsitzende Richter übt damit die sitzungspolizeilichen Aufgaben aus und muss zu diesem Zweck diejenigen Personen von der Sitzung ausschließen, die die Würde des Gerichts verletzten. Dies trifft insbesondere bei einem ohne Robe auftretenden Rechtsanwalt zu. Ein Sitzungsausschluss darf damit grundsätzlich durch den vorsitzenden Richter verhängt werden, welcher hierfür explizit eine Ermächtigungsgrundlage hat.
Das Problem stellt sich aber dann, ob auch im konkreten Fall ein Ausschluss verhältnismäßig gewesen wäre, mithin ob auch hier eine schwerwiegende Verletzung der Würde des Gerichts vorgelegen hat. Das LG Mannheim (aaO) führt dazu aus: Eine entsprechende Befugnis kann aus § 176 GVG indes für einen in Robe, aber ohne Krawatte auftretenden Rechtsanwalt im Allgemeinen nicht hergeleitet werden.
Frage der Angemessenheit eines Sitzungsausschlusses
An dieser Stelle ist damit zur Angemessenheitsprüfung überzuleiten – welche sich zweischrittig gestaltet: Ein Ausschluss wäre dann unzulässig, wenn eine Pflicht zum Tragen von (weißem) Hemd und (weißer) Krawatte nicht bestehen würde. Selbst wenn eine solche Pflicht aber vorliegt, darf der Ausschluss nur dann erfolgen, wenn er auch verhältnismäßig wäre. Die Suche nach einer Rechtsgrundlage für das Tragen von Krawatten durch Anwälte gestaltet sich etwas schwierig und kann von einem Kandidaten in der mündlichen Prüfung kaum erwartet werden. Durchaus denkbar ist es hingegen, dass die Normen entsprechen vorgegeben werden und eine eigenständige Subsumtion und Argumentation erwartet wird.
Für Baden-Württemberg bspw. bestimmte eine Rechtsverordnung vom. 1. Juli 1976:
§ 1 Abs. 1: Die Amtstracht besteht aus einer schwarzen Robe mit einem Besatz. […] Zur Amtstracht ist ein weißes Hemd mit weißem Langbinder zu tragen. Frauen tragen eine weiße Bluse […].
§ 2 Abs. 1: Die Amtstracht der Rechtsanwälte entspricht der Amtstracht der Richter und Staatsanwälte.
Eine vergleichbare Regelung existiert allerdings nicht in allen Bundesländern. In Bayern und NRW bspw. liegt eine explizite gesetzliche Regelung nicht vor. Allerdings wird hier dann durch die Rspr. die Verpflichtung eine entsprechende Kleidung zu tragen „aus einem seit der Reichsgesetzgebung vor mehr als 100 Jahren entwickelten bundeseinheitlichen Gewohnheitsrecht“ (so OLG München v. 14.7.2006 – 2 Ws 679/06, 2 Ws 684/06) hergeleitet. Selbst wenn eine explizite gesetzliche Grundlage fehlt, muss dennoch stets eine entsprechende Kleidungspflicht bejaht werden.
Hier könnte sich eine Argumentation anschließen, ob tatsächlich dieses Gewohnheitsrecht noch andauert, oder nicht durch neue Konventionen abgelöst wurde. Dagegen spricht, dass die Bundesländer, welche eine explizite gesetzliche Regelung haben, diese auch nicht modernisiert haben und bspw. auf das Tragen von Krawatten verzichten. Zwar sieht beispielsweise die baden-württembergische Rechtsverordnung in § 2 Abs. 1 letzter HS vor: „zur Amtstracht können auch andere, nach Form und Farbe unauffällige mit der Amtstracht zu vereinbarende Kleidungsstücke getragen werden“. Ein genereller Verzicht auf die Krawatte ist daraus aber nicht abzuleiten. Vielmehr eröffnet es nur die Möglichkeit statt weißem Hemd und Krawatte andere – dezente Farben zu tragen, welche in der Praxis – in allen Bundesländern – eifrig genutzt wird.
Das OLG München führt zudem zur Frage der Änderungen des Gewohnheitsrechts aus: „Maßstab für die Bewertung eines möglichen Wandels ist der Kreis der durch die Regelung betroffenen Personen. Da das Gewohnheitsrecht Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht regelt, kommt es auf die Erwartungen und Vorstellungen aller Verfahrensbeteiligten an, insbesondere auch der Gerichte und nicht nur der Rechtsanwälte. Auf die möglicherweise geänderten Wertvorstellungen anderer gesellschaftlicher Gruppen, wie beispielsweise des so genannten „Business“, kommt es insoweit nicht an“.
Eine andere Ansicht wäre zwar in der mündlichen Prüfung noch akzeptabel – bedürfte aber einer guten Argumentation. Beispielsweise der sog. T-Shirt-Verteidiger ist wohl kaum gesellschaftlich akzeptiert. Eine Pflicht zum Tragen von Hemd und Krawatte in weiß oder ggf. in anderen dezenten Farben ist damit zu bejahen.
Ablösung durch § 20 BORA
Ein anderer Aspekt könnte aber dazu führen, dass dieses Gewohnheitsrecht bzw. auch die entsprechenden gesetzlichen Regelungen keine Geltung mehr haben. § 20 der Berufsordnung für Rechtsanwälte bestimmt :
„Der Rechtsanwalt trägt vor Gericht die Robe“.
Auf das Tragen anderer bestimmter Kleidungsstücke wird damit gerade nicht abgestellt. Fraglich ist damit das Verhältnis dieser Vorschrift zum Gewohnheitsrecht bzw. zu den Vorschriften der Bundesländer. Ausführlich wird dieser Streit im Urteil des LG Mannheim vom 27.01.2009 dargestellt.
„Nach der h.M. in der Literatur hat der Bundesgesetzgeber die Frage der Amtstracht der Rechtsanwälte in abschließender Weise aus dem Regelungskomplex „Gerichtsverfassung und gerichtliches Verfahren“, und damit auch aus der entsprechenden Länder-Zuständigkeit herausgelöst und sie allein den berufsrechtlichen Regelungen der Anwaltschaft überantwortet. [indem er in § 59 Abs. 2 Nr. 6 c BORA bestimmte: Die Berufsordnung kann näher regeln: das Tragen der Berufstracht] Für aus landesrechtlichen Vorschriften oder gar aus dem Gewohnheitsrecht abgeleitete Pflichten der Rechtsanwälte zum Tragen der Amtstracht besteht nach dieser Meinung – aufgrund der sich aus Art. 72 Abs. 1 GG ergebenden Sperrwirkung des Bundesrechts – neben § 20 BORA kein Raum mehr.“
In der Literatur wurde vielfach vertreten, der Bundesgesetzgeber hätte durch das Gesetz die alleinige Zuständigkeit an sich gezogen und damit sowohl das Landesrecht als auch das Gewohnheitsrecht abgelöst. Zutreffender ist m.E. allerdings die Ansicht der OLG München und Braunschweig sowie des VG Berlin, die klarstellen, dass eine Kollision gerade nicht vorliegt – betrifft die BORA doch nur die berufsrechtliche Ebene, die der verfahrensrechtlichen Pflicht zur Aufrechterhaltung einer äußeren Verhandlungsordnung gerade entgegensteht. Beide Regelungen stehen damit unabhängig gegenüber.
Eine dritte, vermittelnde Ansicht wird durch das OVG Berlin-Brandenburg aufgestellt, welches zwar einen generellen Vorrang der Regelungen des Bundes bejaht, dies aber nur dann, sofern diese abschließend verfasst sind. Da dies bei den Regelungen in der BORA gerade nicht gegeben ist, bleiben ergänzende, ausfüllende Regelungen wirksam. Wie man sich hier entscheidet ist Ansichtssache. Wichtig wäre in der mündlichen Prüfung nur, dieses Problem zu erkennen und eigenständig zu argumentieren. In der Entscheidung des LG Mannheim wurde die entsprechende Entscheidung bewusst offen gelassen – ein Vorgehen, welches in der Praxis zwar durchaus zulässig ist, in einer Prüfungssituation ist dieses pragmatische Vorgehen hingegen nicht zu empfehlen.
Aber: Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses?
Zu bedenken bleibt aber, dass der Ausschluss nur dann zulässig sein kann, wenn er verhältnismäßig gewesen ist. Ob und wie weit dieser Punkt im aktuellen Urteil des LG München berücksichtigt wurde, lässt sich aus der Pressemitteilung nicht erkennen.
Jedenfalls bei einmaligen, geringfügigen Verstößen (bspw. Vergessen der Krawatte zu Hause o.Ä.) wird ein Ausschluss wohl generell nicht zulässig sein. Dies erkennt auch das OLG München (aaO), wenn es betont:
„Es handelt sich nicht um einmalige, durch sachliche Erwägungen begründetet Verstöße, sondern um eine generelle und in provokativer Form verweigerte Erfüllung verfahrensrechtlicher Verhaltensnormen.“
Dieser Fall bezog sich aber auch auf einen sog. T-Shirt-Verteidiger. Zumindest das LG Mannheim scheint dann aber noch liberaler zu sein und die generelle Weigerung, Krawatten zu tragen, zu dulden, wenn es betont:
„Ohnehin muss, da er in geschlossener Robe auftrat und die darunter getragenen Kleidungsstücke (Hemd in dezenter Farbe; keine Krawatte) nicht geeignet waren die Würde des Gerichts in Frage zu stellen, in dem konkreten Verstoß eine eher geringe Störung der Verhaltensordnung gesehen werden. Im Mittelpunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung musste der Eingriff in die Berufsfreiheit des Nebenklagevertreters und insbesondere in dem Anspruch des Nebenklägers auf Wahrnehmung seiner Rechte durch den Anwalt seines Vertrauens […] stehen.
Wie man sich hier schlussendlich entscheidet, ist freilich, wie so oft, reine Geschmackssache. Allein auf die richtige Begründung kommt es an.
Fazit
Auch aus einem auf den ersten Blick etwas albern anmutenden Fall kann – insbesondere in der mündlichen Prüfung – eine anspruchsvolle Aufgabenstellung gebastelt werden.
Als Eckpunkte kann hier folgendes festgemacht werden:
- AGL für einen Ausschluss des Anwalts ist §§ 176 GVG
- Problematisch ist die Herleitung der Pflicht zum Tragen von Hemd und Krawatte – diese kann entweder aus landesrechtlichen Normen oder Gewohnheitsrecht herrühren
- Ob eine Ablösung durch § 20 BORA vorliegt, ist umstritten
- Zu beachten ist aber der Verhältnismäßigkeitsmaßstab. Bei dauerhafter Verweigerung des Tragens von Hemd und Krawatte, ist diese gegeben; bei einmaliger – begründeter – Verweigerung m.E. wohl nicht; bei dauerhafter Weigerung nur das Tragens von Krawatten sind beide Ansichten vertretbar – hier stehen sich LG Mannheim und LG München gegenüber.
- Das Nichttragen einer Robe dagegen berechtigt generell zum Ausschluss, sofern keine besonderen individuellen Hinderungsgründe bestehen.
Abschließend ein Tipp: Eine beliebte Zusatzfrage in der mündlichen Prüfung lautet, wer verpflichtet ist Roben zu tragen; insbesondere ob diese Pflicht auch ehrenamtliche Richter trifft. Die Antwort lautet, dass sowohl Richter, Staatsanwälte, Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und Rechtsanwälte zum Tragen der Robe berechtigt und verpflichtet sind. Einzige Ausnahme hiervon sind die ehrenamtlichen Richter am Handelsgericht, welche auch eine Robe zu tragen haben. Interessant ist, dass generell für den Robenzwang, welcher ja wohl von den meisten als selbstverständlich angesehen werden wird, außer § 20 BORA keine rechtliche Grundlage besteht.
Ich weiß ja nicht, aber in meiner Textsammlung lautet § 20 BORA:
„Der Rechtsanwalt trägt vor Gericht als Berufstracht die Robe, soweit das üblich ist.“
Die Üblichkeit ist hierbei der Dreh- und Angelpunkt. Vergisst man diesen entscheidenden Passus der Norm, muss man den langen und unsicheren Weg über die VHM gehen (wie im Artikel), was hier aber wohl nicht ganz zweckmäßig wäre.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der BORA nicht um ein formelles Gesetz handelt, so dass man gleich auch an die Berufsausübungsfreiheit, Art. 12 I GG, denken sollte. Denn inwieweit die BRAO eine solche Vorschrift in der BORA überhaupt zulässt, ist durchaus umstritten.
Zuletzt muss man doch sich auch fragen, ob man aus dem § 176 GVO wirklich auch das Nichttragen der Robe sanktionieren darf. Denn es ist für den Anwalt mangels gesetzlicher Grundlage nunmal keine Amtspflicht Robe oder Krawatte zu tragen. Ob die Würde des Gerichts dadurch wirklich betroffen ist und selbst wenn, auch schwer beeinträchtigt wird, ist auch sehr unsicher mE.
Vergleicht man das mal mit der hiesigen Praxis, wo Urkundsbeamten die Robe eher als Cape und Staatsanwälte teilweise nicht mal die Robe zuknöpfen, muss man sich wohl auch fragen, ob die Würde des Gerichts nicht durch ideelle Gesichtspunkte gewahrt wird als durch Bekleidungsvorschriften.
Man darf auch nicht vergessen, dass wohl einige Richter die Bekleidungsvorschriften ggü. RAen so hart sehen, damit sie bereits maßregelnd und disziplinierend auf den RA einwirken können. Wie das teilweise mit der Idee des Rechtsstaats und des fair trials zu vereinbaren ist, ist mir schleierhaft.
zu diesem Kontext passt auch: http://www.guardian.co.uk/law/2011/jul/08/suit-ties-casual-wear-lawyers
Mein Alter Herr trägt seit einiger Zeit aus Prinzip keinen Talar mehr, da es seiner Meinung nach nur der Erhöhung der Juristen vor dem „niederen“ Volk diene, welches heutzutage nicht mehr zeitgemäß sei.
Und ich muss sagen: Recht hat er!
Stolpere anlässlich eines zum Glück dank guter Mandate sehr selten gewordenen Gerichtstermins hierüber, und würde mich gefreut haben zu lesen, dass mittlerweile z.B. die Rechtsfindung im Mittelpunkt stünde. Ich trage immer Robe, aber der Rest ist m.E keineswegs von 176 GVG erfasst. Häufig ist es aus Marketinggründen durchaus sinnvoll, guten Anzug, Krawatte und Robe zu tragen, aber es kommt auf die Umstände an. Das Gericht herabzuwürdigen… nunja. In den allermeisten Fällen besteht dazu kein Anlass. Wäre ich Strafverterteidiger im verlogenen NSU-Prozess mitsamt der Juristenkollegen, die offenbar rein gar nichts zwischen den Zeilen lesen können, würde ich das sicher anders handhaben. Ein Glück, ich bin’s nicht. Für wen auch immer.