Kontroverse um das BGH-Urteil zur Tötung eines Polizisten durch Hells Angel – Eine Stellungnahme gegen Eppelsheim (FAS v. 6.11.2011, S. 14)
Gestern hatten wir bereits über ein Urteil des BGH (vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11) berichtet, durch das die Verurteilung eines Mitglieds der Hells Angels wegen Totschlags aufgehoben worden war (s. hier). Ein SEK hatte versucht, den „Rocker“ nachts in seiner Wohnung überraschend zu verhaften. Der Hells Angel hielt die Polizisten für Auftragskiller der verfeindeten Bandidos und schoss in der Dunkelheit auf die vermeintlichen Angreifer, wobei einer der Beamten tragischerweise zu Tode kam, da die Kugel genau durch den Armausschnitt der Schutzweste seitlich in den Brustkorb eindringen konnte.
Klassischer Fall des Erlaubnistatbestandsirrtums
Wie in unserer Urteilsanalyse berichtet, handelt es sich vorliegend (abgesehen von dem unbeachtlichen error in persona) um einen klassischen Fall des Erlaubnistatbestandsirrtums und zwar in Form der Putativnotwehr. Wenn also der vorgestellte Sachverhalt hier zu einer Rechtfertigung nach § 32 StGB geführt hätte, muss eine Verurteilung wegen Totschlags ausscheiden (nach h.M. mangels Vorsatzschuld). Entscheidend war insofern die Frage, ob dem Angeklagten ein Warnschuss als milderes Verteidigungsmittel zumutbar gewesen wäre. Der BGH hatte dies abgelehnt, denn „im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine “Kampf-Position” unter Umständen zu schwächen.“
Unsachliche Kritik in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Gegen dieses Urteil richtet sich der Beitrag von Philip Eppelsheim in der heutigen FAS vom 6.11.2011 (S. 14 – in der Rubrik „Meinung“). Ich zitiere:
Karl-Heinz B. [Anm.: der Angeklagte] ist ein Mitglied der Rockergang, die in vielen Städten Deutschlands das Rotlichtmileu beherrscht. Immer wieder nennen Ermittler Rocker in einem Atemzug mit Schutzgelderpressung, Drogen-, Menschen- und Waffenhandel. Und auch mit Mord. Mit organisierter Krimilalität. Ihre Probleme regeln die Rocker selbst. Das ist ihr Selbstverständnis, welches etwa zu besichtigen war, als Hells Angels und Bandidos, zwei Monate nachdem Karl-Heinz B. durch die Tür gefeuert hatte, ihren Friedensgipfel abhielten und Deutschland unter sich aufteilten. Die Grenzen absteckten, um die sie mit allen Mitteln gekämpft hatten.
Was sagt das BGH-Urteil den Rockern? Dass sie nach ihren Regeln spielen können. Dass sie schießen dürfen, sobald sie sich bedroht fühlen – was zu ihrem „Geschäft“ gehört. Sie können sich legal bewaffnen, um ihre Milieukriege zu führen, und wenn ein Polizist stirbt, dann war es Notwehr. Dann hielten sie ihn ganz einfach für ein gegnerisches Bandenmitglied. Ein Freibrief. Für die Polizisten dagegen ist es ein Schlag ins Gesicht. Sie sollen gegen die Rockerkriminalität vorgehen und müssen nun damit rechnen, mit Schüssen begrüßt zu werden, ohne dass der Täter Folgen fürchten muss. Denn dann heißt es eventuell wieder: „Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, war dem Angeklagten daher nicht anzulasten.“
Dieser Meinungsbeitrag muss in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden. Folgende Punkte sind meines Erachtens bedenklich:
- Zunächst beschreibt Eppelsheim sprachlich eindrucksvoll und in kurzen und dramatischen Sätzen die Bedrohung, die von den Hells Angels und Bandidos ausgeht. Dies ist alles wohl zutreffend und natürlich muss organisiertes Verbrechen im Rechtsstaat entschieden bekämpft werden. Dennoch darf dies nicht den Blick auf den konkreten Fall vernebeln. Der Angeklagte ist in dem Verfahren eben wegen Totschlags angeklagt gewesen und nicht wegen diverser anderer Delikte wie Drogen- und Menschenhandel. Eine Vorverurteilung oder eine „Kollektivhaft“ für die Taten aller Hells Angel scheidet im Rechtsstaat natürlich aus. All diese anderen Straftaten sind damit allenfalls bei der Strafzumessung relevant, oder vielleicht auch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Angeklagten – sie werden aber nicht im Hinblick auf die Frage der Strafbarkeit des vermeintlichen Totschlags relevant.
- „Sie können sich legal bewaffnen, um ihre Milieukriege zu führen, und wenn ein Polizist stirbt, dann war es Notwehr.“ Diese Aussage ist in ihrer schlichten Form natürlich Unsinn. Natürlich kann man bemängeln, das solche Leute legal an Waffen kommen, aber dies ist eine getrennte Problematik. Dass man sich einfach immer auf Notwehr berufen kann, wenn ein Polizist stirbt, ist dermaßen abwegig, dass ich das nicht mehr kommentiere. Man muss wirklich nicht Jura studieren, um zu merken, dass dies falsch ist.
- Eppelsheim wirft dem BGH schließlich vor, das Urteil stelle einen Freibrief für Verbrecher dar. Sie könnten auch in Zukunft munter auf Polizisten schießen und sich dann durch Schutzbehauptungen der gerechten Strafe entziehen. Dies ist natürlich haltloser Unfug. Gegen eine „normale“ Verhaftung darf sich selbstverständlich niemand wehren, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist schließlich auch strafbar. Und selbstverständlich kann man nicht immer einfach behaupten, man hätte die Polizisten für gegnerische Kriminelle gehalten. Sieht der Angeklagte die Uniform oder geben sich die Ermittler auf andere Weise zu erkennen, greifen solche Behauptungen natürlich nicht.
- Das Urteil ist auch sicherlich kein Schlag ins Gesicht der Polizei. Allenfalls könnte es den Ermittlern insofern zu Bedenken geben, dass man nicht noch einmal durch eine derart riskante Aktion das Leben der Beamten gefährdet. Es drängt sich die Frage auf, warum man einen Menschen, der allgemein als gewaltbereit bekannt war und von dem man wusste, dass er eine Schusswaffe besitzt und der berechtigte Angst vor Angriffen gegnerischer „Rocker“ haben musste, gerade nachts in seinem Haus „überfallen“ musste, um ihn festzunehmen. Eine Eskalation der Geschehnisse ist durch diese riskante Aktion ja geradezu heraufbeschworen worden. Hätte man nicht einfach morgens das Haus umstellen und den Verdächtigen dann festnehmen können?
- Eppelsheim unterstellt zudem, dass es sich bei dem vom Angeklagten beschriebenen Putativnotwehrszenario um eine Schutzbehauptung handelt („Dann hielten sie ihn ganz einfach für ein gegnerisches Bandenmitglied“). Darüber mag man denken, was man will. Im vorliegenden Fall lag aber ganz klar eine Ausnahmesituation vor. Wenn man den Angeklagten eben nicht nachts im Schlaf „überrascht“ hätte, wäre er natürlich nie im Leben mit einer entsprechenden Aussage durchgedrungen. Es war eben doch ein krasser Ausnahmefall, bei dem eine Verkettung zahlreicher unglücklicher Umstände zum Tod des Polizisten führte, ohne dass hierfür jemand strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen wäre. Genau dies leugnet Eppelsheim, indem er die Aussagen des BGH willkürlich verallgemeinert – und gerade darin liegt die eklatante Fehlbewertung des Urteils.
Noch einmal: Ob man dem Angeklagten hier glauben möchte oder nicht, ob man den Warnschuss in der konkreten (vorgestellten!) Situation für zumutbar erachten soll oder nicht – über all diese Frage kann man sicherlich geteilter Auffassung sein. Es ist jedoch ungeheuerlich, dem BGH zu unterstellen, er habe hier dem organisierten Verbrechen einen Freibrief erstellt, bei Verhaftungen munter auf Polizisten zu schießen. Das BGH-Urteil sagt vieles, vieles davon ist unstreitig richtig – und eines sagt es sicherlich nicht, nämlich dass die Hells Angels „nach ihren Regeln spielen können“ (so Eppelsheim). In deutschen Gerichten wird nämlich nach den Regeln des Rechtsstaats gespielt, auch wenn Journalisten ab und an etwas anderes fordern.
Sehr schön auf den Punkt gebracht.
Es ist schade, dass offenbar selbst anspruchsvolle, weltweit angesehene Zeitungen nicht vor hetzerischem Bauchgefühljournalismus zurückschrecken.
„Hätte man nicht einfach morgens das Haus umstellen und den Verdächtigen dann festnehmen können?“
Ohne jegliche Ahnung über das Vorgehen der Polizei bei Festnahmen sich solch ein Argument bereitzuhalten, um auf Äußerungen der Vertreter einer anderen Meinung zu kontern, ist schlichtweg abwegig und bedarf keiner Kommentierung.
Schade dass solche „Rechtsphilosophen“ sich immer nur die Seite von der sie was zu verstehen glauben in ihren Ausführungen bezüglich eines Streitthemas im Zusammenhang mit dem Vorgehen der Polizei anschauen.
Naja, Axel. Das war für den Fall hier einfach überhaupt nicht entscheidend, ich habs aber mal einfach auch noch zusätzlich erwähnt, weil es wohl auch nicht so geschickt war, einen bewaffneten menschen nachts zu überfallen. Aber da kann man sicherlich auch anderer Meinung sein. Wie gesagt: das ist für die strafrechtliche Bewertung irrelevant, ob das von der Polizei taktisch klug war.
Auch wenn ich das Revisionsurteil des BGH für inhaltlich richtig finde, ist es doch politisch einfach ein Debakel. Macht doch mal dem nichtjuristischen Laien, der grds. keine Waffe im Haus hat, klar, dass ein Mitglied des organisierten Verbrechens (also auch kein Kleinkrimineller) trotz Todesschuss nicht einmal wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde. – Ich denke, dass darin der casus knaxus zu sehen ist.
aber wenn du nunn mal wegen der vorsatztat gerechtfertigt bist, sei es auch weil du ein falsches vorstellungsbild zu grunde gelegt hast, kannst du daraus keine fahrlässigkeitstat machen. worin willst du denn den fahrlässigkeitsvorwurf sehen? darin, dass er keinen warnschuss abgegeben hat, dieser war doch gerade nicht zumutbar, wegen der erhöhten gefahr?
Der FAZ-Artikel ist zu „aufreißerisch“ und populistisch in der enthaltenen Wortwahl sowie der Bewertung – teilweise auch unrichtig.
Dennoch halte ich das Urteil für eine bittere Fehlentscheidung und mag es zwar keinen Freibrief darstellen, geht hiervon doch eine Signalwirkung aus. Als beabsichtigter Ausdruck hinsichtlich einer Funktion der General- bzw. Spezialprävention im Falle der Strafe, wird von dieser Aufhebung des Urteils ebenso eine Wirkung ausgehen. Sicherlich – und damit einer Kritik vorbeugend – ist dies kein Grund, einen Hells Angel Rocker schuldig zu sprechen bzw. es bei dem Urteil zu belassen, jedoch sollte ein Schusswaffen-Einsatz die ultima ratio darstellen. Und dies bezweifle ich im vorliegenden Fall!
Ja, Marius, da gebe ich dir durchaus recht. Ich habe ja auch die konkrete Bewertung hinsichtlich der Zumutbarkeit des Warnschusses extra nicht als richtig hingestellt, sondern nur diese reißerische Verallgemeinerung des FAS-Artikels kritisiert, wonach man jetzt – darauf läuft der Beitrag ja hinaus – angeblich nach dem BGH ungestraft auf Polizisten schießen darf. Das ist eben eindeutig Quatsch. Über die Feinheiten des Falls (war das behauptete Szenario glaubwürdig? Und wenn ja, würde es den Schuss rechtfertigen?) kann man vortrefflich streiten.
Persönlich finde ich es zu riskant bei „Nacht und Nebel“ und vermummt in das Haus einer Person einzudringen welche 1. bekanntermassen bewaffnet ist, und als potentiell gefährlich eingestuft wird. Eine Festnahme, wenn die Person morgens das Haus verläßt, könnte evtl. ein paar Stunden Observation bedeuten, dürfte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit für beide Seiten unblutig enden.
Was in den ganzen Kommentaren zu dem Urteil aber kaum diskutiert wird, ist, wie glaubhaft die Bedrohung für Leib und Leben des Hell Angels dem BGH gemacht wurde. Reicht es da lediglich aus, dass der „Engel“ dies behauptet ohne konkrete Quellen der Bedrohung zu benennen? Und da die Bedrohung (die das BGH dem Hells Angel ja offensichtlich abgenommen hat) ein Straftatbestand darstellt, müssen doch in dieser Sache Ermittlungen angestellt werden (Legalitätsprinzip), unabhängig davon ob der Geschädigte (Hells Angel) dies will oder nicht. Aufgrund der Aussenwirkung dieses Falles hat die Bevölkerung nach meiner Meinung ein Anrecht zu erfahren, was diese Ermittlungen ergeben, bzw. ergeben haben (Festnahmen/Durchsuchungen ??). Was wäre wenn festgestellt wird, dass es eine tatsächliche konkrete Bedrohung dieses Hells Angel Mitglied nie gegeben hat? Die reine Zugehörigkeit zu einer bestimmten (großen) Gruppe kann ja in diesem Einzelfall nicht als Entschuldigung gelten?
Der Jurist in mir prüft §§32 ff. StGB und gelangt zu o.g. Ergebnis.
Der Bürger in mir kann jedoch größtes Unbehagen nicht verhehlen.
Im Zivilrecht liest man bei solchen Divergenzen häufig, dass es hier ausnahmsweise einer ’normativen Korrektur‘ ö.Ä. bedürfe, was ist im Strafrecht natürlich so nicht möglich möglich ist.
Dennoch dürfen auch Juristen nicht vergessen, dass das Recht dem Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt.
Auf die Gefahr hin, dass diese Phrase als allzu abgedroschen verstanden wird, sei dennoch darauf hingewiesen, dass auch der Bürger einen Anspruch auf Verständnis geltenden Rechts hat.
Nur wenn eine hinreichende Identifikation mit strafrechtlichen Vorschriften gegeben ist, kann Rechtsfrieden hergestellt werden.
Zitat Kindhäuser AT:
„Ein Normwiderspruch ist (…) ein Verhalten, durch das die vom Strafrecht garantierte Erwartung, die betreffende Norm werde befolgt, enttäuscht wird. Der Täter erklärt durch die Nichtbefolgung
der Norm, dass sie für ihn nicht verbindlich ist; er stellt ihre Geltung als rechtlich verbindliches Verhaltensmuster in Frage.
Mit der Verhängung der Strafe als Reaktion wird ausgedrückt, dass der Normwiderspruch des Täters unmaßgeblich ist und die Norm weiterhin als verbindliches Verhaltensmuster gilt. Die Strafe –
als symbolischer Ausgleich des Normgeltungsschadens – unterstreicht, dass der Täter für die Enttäuschung der Erwartung in die Normbefolgung einzustehen hat. Je bedeutsamer die Norm für die
rechtliche Ordnung der Gesellschaft nach deren Selbstverständnis ist, desto schwerer wiegt der (zu verantwortende) Normwiderspruch; kennzeichnend hierfür ist die Höhe der für das Delikt
angedrohten Strafe.“
Zitat ende
Die Frage nach dem Vorliegen eines Normwiderspruches an sich ist natürlich die zentrale Frage eines jeden Urteils.
Doch abgesehen davon zeigen zitierte Ausführungen möglicherweise auch, was der Bürger selbst konkret von Strafgerichten erwartet und auch erwarten darf.
Nach (laienhafter) Vorstellung stellt die Tötung des Polizisten durch einen Schwerstkriminellen den strafwürdigen Normwiderspruch dar.
Insofern sollte weniger über das Urteil an sich – welches sich auch völlig rechtsfehlerfrei darstellt – sondern vielmehr über geltendes Notwehrrecht nachdeacht werden.
Denn ein Ergebnis, das sich als so offensichtlich schwer Verständlich für Nicht-Juristen darstellt, bedarf einer sachgerechten Aufarbeitung durch Medien.
Dies ist dem FAS-Autor in den zitierten Passagen offensichtlich leider kaum gelungen, der sich an zu vielen Stellen hinter Platitüden und Polemik versteckt, anstatt präziser auf aufgeworfene
Probleme einzugehen.
(Mit größtem Erstaunen musste ich zur Kenntnis nehmen, dass zitierter Artikel tatsächlich aus der FAS stammt)
Allerdings müssen sich auch Juristen gefallen lassen, dass gewisse Urteile (hier sei explizit auf sämtliche „Gäfgen-Prozesse“ hingewiesen) außerhalb juristischer Maßstäbe bewertet werden. Genau
diese Maßstäbe sind es, die der Jurist nicht ignorieren darf. Genauso wenig darf er sich gesellschaftlicher Nöte, wie dem Verlangen nach erwähntem Rechtsfrieden verschließen.
Ansonsten läuft er Gefahr, sich selbst zu einem Einzelgänger von hoher akademischer Bildung, aber niedriger sozialer Kompetenz zu degradieren.
ich finde das urteil nur gerecht,daß der polizei endlich mal klar gemacht wird, daß sie sich auch an regeln zu halten haben.schade,daß sie sowas nicht in afghanistan versucht haben,ein feuerstoß wäre die antwort.die polizeielitetruppe sek öffnet eine tür so lautstark,daß sie Schlafende weckt-hätten sie mal nen profieinbrecher gefragt.
Eine recht fundierte Auseinandersetzung mit dem FAS-Artikel. Da bislang nur die PM des BGH vorliegt, weiß man leider nicht, wie das LG zu seinen Feststellungen (Licht an, „verpisst Euch“, Angst vor Besuch der Bandidos) gekommen ist und ob und weshalb das glaubhaft war oder nicht.
ME will der FAS-Kommentator zumindest gegen Ende seines Artikels auf einen rechtlichen Gesichtspunkt hinaus, der in der PM nicht angerissen wird. Vielleicht verrenne ich mich da gedanklich etwas, aber :
– wenn sich jemand in ein Milieu begibt wie der Hells Angel,
– in dem er selbst zu illegalem Waffenbesitz greift
– und -möglicherweise- den angeblichen „Bandenkrieg“ (aufgrund dessen er einen Mordanschlag vermutet haben will) mit verursacht hat,
könnte man zumindest mal über eine fahrlässige (dann : Putativ-)Notwehrprovokation nachdenken (bzw. findet sich bestimmt ein Strafrechtsprof, der eine Theorie hierzu entwickelt ;). Dann wäre der Weg zu einer Verurteilung wenigstens wegen fahrlässiger Tötung frei.
Zitat Phil:“Macht doch mal dem nichtjuristischen Laien, der grds. keine Waffe im Haus hat, klar, dass ein Mitglied des organisierten Verbrechens (also auch kein Kleinkrimineller) trotz Todesschuss nicht einmal wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde“
Ich nehme mal an, dass das grds. grundsätzlich heisen soll.
Wie kommen sie darauf, das nichtjuristische Laien grundsätzlich keine Waffen im Hause haben? Ich bin so ein Laie und habe Waffen zu Hause, da ich Sportschütze bin. Heist das im Umkehrschluß, dass ich somit schon ein juristischer Fachmann bin?
Gut, bei unserem schwachsinnigen Waffenrecht wäre schon notwendig.
@Klabauter: Selbst mit einer illegalen Waffe wäre diese Form der Notwehr nicht Strafbewehrt, einzig der Besitz der illegalen Waffe wäre strafbar.
Klabauter, der Fall der sog. Notwehrprovokation wird schon deswegen ausscheiden, weil dann ein engerer Zusammenhang zwischen (zumindest fahrlässigem) Vorverhalten und Notwehrlage bestehen müsste. Dass sich jemand im Verbrechermilieau bewegt und gegen ihn Morddrohungen ausgesprochen, lässt zwar vermuten, dass der Verteidiger „kein unbeschriebenes“ Blatt ist. Die Figur der Notwehrprovokation meint aber genau den Fall, dass eine Notwehrlage rechtsmissbräuchlich vom Täter herbeigeführt wird oder er sich bewusst in eine solche begibt, um dann unter dem Deckmantel der „Notwehrhandlung“ zuzuschlagen. Sehe hier aber keine Anzeichen dafür.
Gruß
Frau G. aus B. ist schwer gehbehindert und teilweise auf den Rollstuhl angewiesen. Trotzdem ist ihr Lebenswille ungebrochen und sie nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Unzählige Pflegekindern hat sie ein neues Zuhause auf Zeit gegeben, wenn sie aufgrund häuslicher Gewalt aus dem Elternhaus genommen werden mußten. Nicht wenige Kinder sprechen noch nach 20 Jahren „von ihrer zweiten Mutter“.
Am xx.xx.xxxx kam es zu einer folgenschweren Tragödie. Ein mehrfach einschlägig vorbestrafter Vater, dessen Kind bereits bei Frau B. vorübergehend untergebracht worden war, hatte die Adresse von Frau B. herausgefunden und stand am Nachmittag vor der Tür der Pflegemutter und randalierte. Unter Drohungen wie „ich bringe dich Schlampe um“ versuchte er, sich Eingang zu der Wohnung von Frau B. zu verschaffen. Die alamierte Polizei verscheuchte den Aggressor.
Wenig später in den Nachtstunden wachte Frau B. durch Geräusche an ihrer Wohnungstür auf. Jemand versuchte, sich Zugang zu ihrer Wohnung zu verschaffen. Frau B. nahm das Jagdgewehr ihres verstorbenen Mannes und begab sich zu der Wohnungstür. Sie befürchtete, dass der Eindringling jederzeit die Wohnungstür aufbrechen werde. Eine Katastrophe, denn sie war mit 4 Kindern allein in dem Haus.
Verzweifelt schrie sie, dass der Eindringlich verschwinden soll, ohne Erfolg. Es wurde weiter versucht, die Tür zu öffnen, Frau B. sah ihre Tür schon mit einem lauten Knall zu Boden fallen. Die nahm das Jagdgewehr und schoß.
Bei dem „Eindringling“ handelte es sich aber nicht um den aggressiven Vater vom gleichen Tag, sondern um den Polizeibeamten X, der nochmals gekommen war, um mit Frau B. ein Gespräch zu führen. X verstarb aufgrund der Schußverletzung.
Fau B. wurde freigesprochen, da es sich in ihrem Fall nicht um einen Totschlag handelte, sondern um einen Fall der sogenannten Putativnotwehr. Nach ständiger Rechtsprechung ist die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage im Ergebnis ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr. Danach muss der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und ggf. auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener muss aber nicht das Risiko des Fehlschlags einer Verteidigungshandlung eingehen. Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten „Kampflage“ keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, darf auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden.
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Würde man in diesem Fall auch die „Signalwirkung“ diskutieren?
Ich erkenne keinen nennenswerten Unterschied zwischen dem Artikel in der FAS und dem oben stehenden von stephan. In beiden Faellen wird pauschalisiert und dramatisiert, einer neutralen objektiven Betrachtung der zahlreichen Variablen, welche die Putativnotwehr erst ermoeglichen sollen, traegt aber niemand Rechnung. Sieht eher nach einem klassischen Kampf zwischen Weltanschauungen aus als nach Rechtswissenschaft.
„aber wenn du nunn mal wegen der vorsatztat gerechtfertigt bist, sei es auch weil du ein falsches vorstellungsbild zu grunde gelegt hast, kannst du daraus keine fahrlässigkeitstat machen. worin willst du denn den fahrlässigkeitsvorwurf sehen? darin, dass er keinen warnschuss abgegeben hat, dieser war doch gerade nicht zumutbar, wegen der erhöhten gefahr?“
Natürlich kommt bei Vorliegen eines ETBI noch eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit in Betracht. Hat der BGH aber anscheinend auch abgelehnt. Selbst wenn man der BGH-Entscheidung bzgl. des ETBI zustimmt – zumindest der Freispruch hinsichtlich der Fahrlässigen Tötung sehe ich als krasse Fehlentscheidung an. Nur weil jemand in kriminellen Kreisen verkehrt, hat er nicht das Recht, ohne Warnschuss auf andere Personen zu schießen.
Damit würde man ja den Verbrecher mit einer hohen kriminellen Energie gegenüber einem normalen Bürger privilegieren. Oder dürfte auch ein gesetzestreuer Bürger direkt auf jeden Eindringling schießen?
Zum populistischen Teil: Diese Gesetzesauslegung ist ein Armugtszeugnis für die deutsche Justiz.
@ Hans
ich sehe das eher so, dass diese Gestzesauslegeung ein zeichen für Bürgerrechte ist.
Zitat:“Oder dürfte auch ein gesetzestreuer Bürger direkt auf jeden Eindringling schießen? “ und ich dachte immer in Deutschland gilt man als unschuldig, bis eine Schuld bewiesen ist. Anscheinend ist das nicht mehr so, oder doch?
Noch was, ja Du darfst als gestzestreuer Bürger auf einen Eindringling schießen, wenn dein leben in Gefahr ist, oder so wie hier, wenn Du davon ausgehst, dass es bedroht wird.
Für diese Stärkung des Notwehrrechts bin ich dem BGH sehr dankbar.
Der FAS-Autor hat übrigens (auch) Jura studiert (Biografien einsehbar)…wohl nur 0,5 Semester, denn soweit ich weiß, sind Rechtfertigungsgründe im 1.Semester Stoff. Vielleicht sollte die FAZ als Lehre aus dem Fall Guttenberg etwas mehr auf die Selbstdarstellung ihrer Redakteure achten (…was hab´ ich nicht alles „studiert“, ich toller Hecht… (wohl besser angefangen und nicht zu Ende gebracht)) und somit auf ihren eigenen Ruf. Denn mit derartig unqualifizierten Kommentaren (so sehe ich diesen) kann von gutem Journalismus (angeblich „…hinter diesem …steckt immer ein kluger Kopf“) keine Rede sein.
Interessant auch die tw in den Kommentaren bedauerte/befürchtete Wirkung des Urteils auf die Politik. Ist die Justiz nun unabhängig oder nicht? Wer ist der Gesetzgeber (nicht die „Politik“?)?
Ansonsten: Urteil so wohl ok. Polizei hat auch ihre vom Gesetz vorgegebenen Grenzen zu beachten (die sie oft genug überschreitet).
Und übrigens: wer sagt, daß die Polizei/Geheimdienste etc nicht auch dort ihre Finger im Spiel hatten/haben (siehe NPD, linke Szenen, aktueller Polizistenmord)? Also nicht: die Bösen Rocker und die Gute Polizei…
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen: Könnte man nicht auch annehmen, dass der „Engel“ auch damit rechnen muss nicht nur von verfeindeten Banditos drangshaliert, sondern auch mal von der Polizei ins Visir genommen zu werden? Also, wenn jemand in der Rockerszene so verankert ist und auch mit allerlei Millieukenntnissen und Erfahrungen anderer seiner „Kollegen“ betraut ist, welche natürlich, wenn nicht mit Sicherheit, tagtäglich mit Polizeimaßnahmen (Durchsuchungen etc. pp.) konfrontiert werden, muss er auch einmal damit rechnen, nein das kann man dieser Person unterstellen, dass nicht nur die Banditos, sondern auch mal die Polizei vor seiner Haustüre stehen kann.
Den oben analog umgedichteten Fall mit der alten Dame fand ich sehr schön. Das mal vorab.
Ansonsten finde ich den Hinweis von Peter auch gut. Im vorliegenden Fall, hat der Täter aber das Innenlicht angemacht und gerufen „verpisst euch“. Spätestens jetzt, wo auch den Beamten klar sein kann- wenn sie es denn gehört haben- daß sie nicht mehr konspirativ vorgehen, hätten sie sich als Polizei legitimieren können.
Dagegen spricht eigentlich nichts. Hätte er hinter der Tür auf die vermutlichen Einbrecher (oder eben hier Bandidos) gewartet und ihnem mit dem Schüreisen einen tödlichen Schlag versetzt, was wäre dann? Das selbe nur ohne Schusswaffe.
Es war ein scheiß dummer Zufall, daß zeitlich grade mit anderen Besuchern gerechnet wurde. Übrigens hat er das vor Gericht angeblich nachgewiesen, da ein Hangaround benannt wurde, der angeblich bei den Bandidos die Mordabsichten gehört haben soll. – Ob es stimmt? Wer weiß das schon. Der BGH hats jedenfalls geglaubt.
Sehr geehrte Damen und Herren, leider tritt hier geballtes, theoretisches
rechtswissenschaftliches Wissen auf die Realitaet. Und leider kann man mit strafrechtlichen Mitteln hier nur begrenzt sanktionieren. Populistische Aussagen und Oberlehrerhaftes hinweisen auf die Gerichte und deren Arbeitsweise ist unsachlich. Und es herrscht hier freie Meinungsfreiheit und Ängste dürfen Ausgedrückt werden. Weiterhin ist der Irsinn das es Individuen gibt welche sich in einem wahnhaften Zustand befinden und diesem gewollt aussetzen und der Gesellschaft Schaden nicht verständlich. Es fehlt wie immer an konstruktiven Lösungen ohne Gewalt. Auf allen Seiten.
1a. Wieder mal ein Beispiel für den Niedergang der FAZ. Bald ist sie nicht besser als BILD.
Der Koch serviert ein Gericht, das seinen Gästen nicht schmeckt. Er weist jedoch jegliche Kritik von sich, da er sich haargenau an das Rezept gehalten habe. Das Gericht muss schmecken, weil es nach den Regeln der Kunst zubereitet wurde! Es schmeckt aber nicht….
Genauso ist es hier. Unser Strafrecht gibt uns ein Modell an die Hand, mit dem wir sehr komplexe Lebenssachverhalte lösen können. Dieses Modell kommt jedoch in seltenen Fällen auch mal an seine Grenzen und dann kann man sich nicht hinstellen und behaupten, man sei über jegliche Kritik erhaben, weil man die rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie auswendig gelernt habe.
Das Notwehrrecht basiert auf der Idee, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen habe. Der Täter steht hier jedoch auf der Seite des Unrechts und daher stellt sich die Frage, ob auch er – als der prototypische „Schweinehund“ – sich auf das Notwehrrecht berufen darf.
Wertungsmäßige Korrekturen des Notwehrrechts sind auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Wir kennen z.B. Einschränkungen bei der Notwehrprovokation, dem fehlenden Verteidigungswillen und der Notwehr gegen den Angriff von Schuldunfähigen. Insoweit könnte man an eine weitere Kathegorie denken, nämlich ob möglicherweise an bewaffnete Gewohnheitsverbrecher höhere Anforderungen zu stellen sind.
Eine solche Kathegorie lässt sich jederzeit schaffen, der BGH muss es nur wollen. Der Fachbegriff lautet „Richterliche Rechtsfortbildung“. In 70ern, zur Zeit der RAF, gab es das am laufenden Band.
Das eigentliche Problem des Falles ist, dass es überhaupt auf eine Rechtsfrage angekommen ist. Die Vorinstanz hätte die Konstellation auch auf Tatsachenebene über die richterliche Beweiswürdigung (Stichwort: Schutzbehauptung) lösen können, wie es an deutschen Gerichten normalerweise üblich ist. Nicht der BGH, sondern das LG hat den Fall verbockt.
Als Anküpfungspunkt für die Schutzbehauptung bieten sich dieselben Tatsachen an, wegen denen die StA die Voraussetzungen des Durchsuchungsbefehls bejaht hat. Der Angeklagte konnte, musste und hat wegen mehreren Taten (vgl. Anklage) mit einer Strafverfolgung und den entsprechenden Ermittlungsmaßnahmen wie z.B. einer Durchsuchung gerechnet und daher billigend in Kauf genommen, im Zweifel auch auf einen Polizeibeamten bei einer ebensolchen Maßnahme zu schießen.
Dass der Schütze ebenfalls einen feindlichen Angriff für nicht ausgeschlossen gehalten haben könnte, scheint doch nicht so unplausibel, als dass man es leicht als bloße Schutzbehauptung abtun könnte.
Zwar könnten bestimmte Interessen dies vielleicht lieber verschleiern wollen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Wenn hier aber jemand etwas „verbockt“ haben sollte, dann dies m.E. doch eher der BGH.
Die Frage, ob man auch auf die Gefahr hin, damit eventuell „Unschuldige“ zu töten, töten darf, wenn dies die letzte Möglichkeit sein könnte, sich selbst zu retten. Das könnte eher besonders Schuldfrage sein.
Ein Schuldorwurf könnte dabei eher nur zu verneinen sein, soweit jede andere Möglichkeit auszuschließen war, etwa auszuweichen wie durch verschanzen o.ä. Das könnte vorliegend zumindest sehr zweifelhaft sein, weil ja objektiv gar kein Angriff auf das Leben vorlag.